Auf die Beschwerde der Staatskasse wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 21.03.2006 geändert. Die der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwältin I, aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen werden auf 533,60 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Im Streit ist die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren im Kostenfestsetzungsverfahren.
In dem durch Vergleich am 22.12.2005 erledigten Klageverfahren waren die der Klägerin nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu gewährenden Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II streitig.
Mit Beschluss vom 28.09.2005 hat das Sozialgericht (SG) der Klägerin Prozesskostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren bewilligt und Rechtsanwältin I beigeordnet.
Die Klägerin hat nach Erledigung des Rechtsstreits die Festsetzung der Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts nach § 55 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und im Einzelnen folgender Gebühren beantragt:
Verfahrensgebühr VV-Nr. 3102 RVG 250,00 EUR
Terminsgebühr VV-Nr. 3106 RVG 200,00 EUR
Einigungsgebühr VV-Nr. 1006 RVG 190,00 EUR
Auslagen VV-Nr. 7002 RVG 20,00 EUR
Umsatzsteuer 105,60 EUR
Insgesamt: 765,60 EUR
Das SG hat die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.01.2006 auf insgesamt 313,20 EUR festgesetzt.
Die Terminsgebühr sei nicht entstanden, da keiner der in Nr. 3106 VV RVG aufgeführten Tatbestände erfüllt sei. Die Einigungsgewähr sei nicht zu gewähren, da der Vergleich auf einem gerichtlichen Vorschlag beruht habe. Die anwaltliche Mitwirkung an der formellen Mitwirkung allein rechtfertige den Kostentatbestand der Nr. 1006 VV RVG nicht, vielmehr müsse die Tätigkeit des Rechtsanwalts mindestens mitursächlich für das Zustandekommen der Einigung gewesen sein.
Auf die Erinnerung der Klägerin, der die Kostenbeamtin nicht abgeholfen hat, hat das Sozialgericht die aus der Staatskasse zu zahlenden Auslagen und Gebühren mit Beschluss vom 21.03.2006 auf 765,60 EUR festgesetzt. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG (Beschluss vom 27.10.2005 Az.: III ZB 42/05) entstehe die Terminsgebühr auch bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs, da auch dieser – wie ein angenommenes Anerkenntnis – den Rechtsstreit ohne Durchführung eines gerichtlichen Termins erledige.
Auch die Einigungsgebühr sei anzuerkennen, da die Prozessbevollmächtigte durch ihre Tätigkeit an der vergleichsweisen Beendigung mitgewirkt habe (Prüfung des Vergleichsvorschlages in rechtlicher und prozessökonomischer Hinsicht, Erläuterung des gerichtlichen Vergleichsvorschlages, Beratung der Klägerin). Es sei lebensfremd anzunehmen, die Klägerin hätte den Vorschlag auch ohne anwaltliche Mitwirkung abgeschlossen.
Zur Begründung seiner Beschwerde vom 12.04.2006 gegen den ihm am 07.04.2006 zugestellten Beschluss hat der Vertreter der Staatskasse, der Bezirksrevisor für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen (Beschwerdeführer), die Auffassung vertreten, eine analoge Anwendung der Nr. 3104 VV RVG sei nicht möglich. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (Beschluss vom 08.03.2006 Az.: L 1 B 88/06 SF SK) habe zu dieser Problematik ausgeführt, die Anwendung der Nr. 3106 VV RVG neben der einschlägigen Nr. 1006 VV RVG entspreche nicht dem gesetzgeberischen Willen.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 04.05.2006).
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 21.03.2006 abzuändern und die der Bevollmächtigten der Klägerin zustehenden Gebühren und Auslagen auf 533,60 EUR festzusetzen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Beschluss des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den in Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG enthaltenen Zusatz "oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird" vergessen habe. Diese Lücke sei durch analoge Anwendung zu schließen. Andernfalls ergäben sich nicht begründbare gebührenrechtliche Unterschiede nicht nur im Vergleich zu Verfahren nach der Zivilprozessordnung, sondern auch zu sozialgerichtlichen Streitigkeiten nach § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG).
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere hätte es ihrer Zulassung nicht bedürft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR übersteigt (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 Satz 1 und 3 RVG). Zwar beträgt die allein im Streit stehende Terminsgebühr lediglich 200 EUR, die (davon abhängige) Umsatzsteuer ist aber ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. etwa Hartmann, Kostengesetze, 36. Auflage 2006, § 33 RVG RdNr. 20) weil sie einen Teil der Gesamtvergütung darstellt, Nr. 7005 VV RVG.
Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht neben der Verhandlungs- und Einigungsgebühr auch eine Terminsgebühr anerkannt. Eine Terminsgebühr ist nicht angefallen, weil die Beteiligten einen zum Gericht schriftlich vorgeschlagenen Vergleich angenommen haben.
Für die Bestimmung der Terminsgebühr verweist die grundsätzlich auch für das sozialgerichtliche Verfahren maßgebliche Bestimmung der Nr. 3104 VV RVG für solche sozialgerichtlichen Verfahren, in denen Beitragsrahmengebühren entstehen, auf die Regelungen der Nr. 3106 VV RVG.
Die Terminsgebühr entsteht vorliegend nicht bereits- losgelöst von der Regelung der Nr. 3106 VV RVG – nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 VV (abgedruckt bei Leicht/Sell-Kanyi, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2004, S 161), da weder die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin noch die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts, wobei dies allerdings für Besprechungen (allein) mit dem Auftraggeber nicht gilt, erfolgt ist.
Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der Nr. 3106 VV RVG sind dadurch, dass die Beteiligten den gerichtlichen Vergleichsvorschlag angenommen haben, nicht erfüllt (vgl. auch LSG NRW, Beschluss 10.05.2006, Az.: L 10 B 13/05 SB; LSG Schleswig-Holstein, a.a.O.; SG Aachen, Beschluss vom 06.02.2006, S 18 SB 353/04). Nach Nr. 3106 VV RVG entsteht eine Terminsgebühr (lediglich) auch, wenn
1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird,
2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder
3. das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Eine der Nr. 3104 Abs. 1 Ziff. 1 3. Alt. VV RVG entsprechende Regelung, nach der eine Terminsgebühr auch entsteht, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgesehen ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, enthält die Nr. 3106 VV RVG nicht. Nach dem gesetzgeberischen Willen, soll die allgemeine Gebührenstruktur zwar auch angewendet werden, wenn Betragsrahmengebühren vorgesehen sind. Die Terminsgebühr soll sich in diesen Fällen aber (ausschließlich) nach Nr. 3106 VV RVG bestimmen (vgl. BT-Drs 15/1971, S. 212). Der Senat vermag sich angesichts der Gesetzesbegründung und des ausdrücklichen Verweises in Nr. 3104 VV RVG auf Nr. 3106 VV RVG der Auffassung der Klägerin nicht anzuschließen, der Gesetzgeber habe "vergessen", entsprechend Nr. 3104 VV RVG auch eine Regelung für schriftliche Vergleiche in Nr. 3106 VV RVG aufzunehmen, mit der Konsequenz, die Regelungslücke durch analoge Anwendung der Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 3. Alt. VV RVG schließen zu können.
Die Regelung der Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG macht deutlich, dass dem Gesetzgeber die grundsätzliche Problematik bewusst war. Gleichwohl fehlt eine entsprechende Regelung in der Nr. 3106 VV RVG. Zwar ist in der Gesetzesbegründung zur Terminsgebühr ausgeführt, der erweiterte Anwendungsbereich der Terminsgebühr solle ein Verhalten honorieren, durch das der Anwalt, der nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beiträgt, und der bisherigen Praxis, einen gerichtlichen Verhandlungstermin anzustreben, in dem ein ausgehandelter Vergleich nach "Erörterung der Sach- und Rechtslage" protokolliert wird, um eine Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr auszulösen, entgegenwirken (BT-Drs 15/1971, S. 209). Der Gesetzgeber hat für sozialgerichtliche Verfahren, in denen eine Betragsrahmengebühren entstehen, nach dem klaren Wortlaut der Nr. 3106 VV RVG einen besonderen Gebührenanreiz aber offensichtlich nicht für erforderlich gehalten.
Die vom SG und der Klägerin für ihre Auffassung in Anspruch genommene Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) verhält sich lediglich zu Nr. 3104 VV RVG. Gebührenrechtliche Abweichungen für sozialgerichtliche Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, und solchen – auch anderer Rechtsgebiete – in denen dies nicht der Fall ist, sind Ausdruck der geltenden Rechtslage.
Kosten werden nicht erstattet, § 33 Abs. 9 Satz 2 RVG.
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werde (§ 177 SGG).
Erstellt am: 05.10.2006
Zuletzt verändert am: 05.10.2006