Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 14.07.2006 wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 28.06.2006 geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin ausgehend von einem monatlichen Bedarf von 122,00 EUR Leistungen für den Zeitraum 20.06. bis 30.06.2006 zu erbringen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu ¼.
Gründe:
I.
Die am 29.08.1985 geborene Antragstellerin ist ausgebildete Altenpflegerin. Sie leidet etwa seit 1997 an einer Essstörung und psychischen Erkrankung, deretwegen ihr vom Versorgungsamt F ab Januar 2004 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 zuerkannt wurde. Die Antragstellerin lebt seit 1988 mit ihrer 1957 geborenen Mutter, D N, mietfrei gegen Übernahme der Nebenkosten (Gesamtkosten: 54 EUR monatlich Heizkosten und 180 EUR Hausgeld) in einer der Großmutter F1 C gehörenden Wohnung. Die Mutter der Antragstellerin verfügte im Oktober 2005 über ein Nettoeinkommen von 1.653,32 EUR, im Januar 2006 von 1530,80 EUR. Für die Antragstellerin werden 154,00 EUR Kindergeld gezahlt. Ihr von der Mutter geschiedener Vater erbringt keine Unterhaltsleistungen.
Sie bezog bis zum 31.12.2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Nachdem Dr. F2 in einem für die Agentur für Arbeit F erstellten Gutachten vom 13.09.2005 ausgeführt hatte, dass die Antragstellerin voraussichtlich länger als sechs Monate, nämlich zwei Jahre, nicht in der Lage sei, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, stellte die Antragstellerin auf Veranlassung des Jobcenters F einen Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Mit Bescheid vom 03.01.2006 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab, da der Lebensunterhalt im Rahmen der Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft unter Berücksichtigung des § 36 SGB XII sichergestellt sei. Mit Widerspruch vom 10.01.2006 führte die Antragstellerin aus, sie habe nicht einmal ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Wohnte sie nicht mit ihrer Mutter zusammen, bestünde ein Anspruch auf Leistungen. Die Mutter erwarte, dass sie sich an den Mehrkosten beteilige.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2006 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Vermutung gemäß § 36 SGB XII der Bedarfsdeckung durch ihre Mutter sei nicht widerlegt. Der unter Berücksichtigung des Kindergeldes bestehende Bedarf von 122 EUR werde danach durch die Mutter gedeckt.
Am 28.02.2006 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Duisburg (S 12 SO 7/06) Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Dort hat sie ausgeführt, dass die Vermutung eines gemeinsamen Wirtschaftens nicht zutreffe. Sie werde von ihrer Mutter in keiner Weise unterstützt. Bis zum 31.12.2005 habe sie Leistungen vom Job-Center F nach dem SGB II erhalten und sich aus diesen Leistungen und dem Kindergeld selbst versorgt und an den Kosten für die Unterkunft beteiligt. Seit Anfang Jahres stehe ihr nur noch das Kindergeld zur Verfügung. Sie bekomme von ihrer Mutter weder Geld noch sonst etwas, also auch keine Naturalien. Sie müsse sich selbst verpflegen. Sie müsse sich auch um ihre Wäsche selber kümmern und dürfe auch in der Wohnung nicht mehr telefonieren. Bekleidung habe sie sich seit Anfang des Jahres nicht mehr gekauft. Sie sei froh, wenn das Kindergeld für ihren Lebensunterhalt reiche. Ihre Mutter erwarte, dass sie sich, sobald sie Leistungen vom Antragsgegner erhalte, auch wieder an den Unterkunftskosten beteilige. Wenn sie den Prozess verliere, müsse sie die Wohnung verlassen. Dies erkläre sich aus dem Umstand, dass die Mutter verlange, dass sie für ihre Erkrankung die volle Verantwortung übernehme. Sie sei nicht bereit, die fehlende Therapiebereitschaft zu unterstützen. Es sei nicht gerecht, die Mutter dafür zu bestrafen, dass sie ein volljähriges, zeitweise der Hilfe bedürfendes Kind beherberge.
Im Klageverfahren S 12 SO 7/06 hat das Gericht in einem Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin am 20.06.2006 Beweis erhoben durch Vernehmung der Mutter der Antragstellerin. Diese hat u.a. ausgesagt, die Antragstellerin habe seit Anfang 2006 kein Geld erhalten. Sie müsse von ihrem Kindergeld alle Kosten tragen, auch für Ernährung, Hygieneartikel, Telefon usw. Eine Waschmaschine, die mit Münzen betrieben werde, stehe im Keller. Die Wäsche werde getrennt gewaschen. Sie sei der Auffassung, der Krankheit müsse mit Härte begegnet werden. Sie sehe keinen anderen Ausweg. Sie selbst nehme Mahlzeiten im Krankenhaus ein. Zu Hause bevorrate sie kaum etwas, weil die Antragstellerin durch die Krankheit bedingt ohne Rücksicht auf Verluste alles aufesse. Mahlzeiten würden nicht zusammen eingenommen. Die gesamte Verwandtschaft sei sich einig, dass man nur mit harter Linie etwas erreichen könne.
Die Antragstellerin hat auf Anregung des Sozialgerichts am Ende des genannten Termins zu Protokoll einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB XII gestellt.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, es bestehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund. Die Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren habe die sich aus § 36 Satz 1 SGB XII ergebende Vermutung nicht widerlegt. Die Mutter lehne es nicht grundsätzlich ab, Unterhaltsleistungen zu erbringen, sondern nur, um Druck auf ihre Tochter auszuüben, damit diese sich einer Therapie unterziehe. Es handele sich hiermit um ein Problem zwischen Mutter und Tochter, das familienintern zu klären sei. Außerdem bestünden ab 01.07.2006 keine Ansprüche mehr nach dem SGB XII, sondern nur noch nach dem SGB II. Es werde auch keine Eilbedürftigkeit gesehen, denn das Klageverfahren S 12 SO 7/06 sei entscheidungsreif und könne alsbald durch Gerichtsbescheid oder durch Entscheidung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 28.06.2006 verpflichtet, der Antragstellerin ab Juni 2006 bis zur Entscheidung im Verfahren S 12 SO 7/06 monatliche Leistungen von 122,00 EUR zu zahlen. Ob ein Anspruch auf Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII bestehe, müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Einem Leistungsanspruch stehe die Vermutung der Bedarfsdeckung aus § 36 Satz 1 SGB XII nicht entgegen. Die Mutter der Antragstellerin habe bei ihrer Vernehmung eindeutig ausgeführt, ihre Tochter nicht zu unterstützen. Sie habe ihr weder seit Beginn des Jahres 2006 noch vorher Zuwendungen gemacht. Die Antragstellerin verfüge lediglich über das Kindergeld und müsse damit alle anfallenden Sachen wie Ernährung, Hygieneartikel, Telefonieren etc. regeln. Die Aussage der Zeugin sei eindeutig. Anlass zu Zweifeln am Wahrheitsgehalt der Aussage beständen nicht. Die Überlegungen der Antragsgegnerin, dass die Motivation der Mutter den Schluss zulasse, dass diese grundsätzlich zur Unterhaltsgewährung bereit sei, wenn die Antragstellerin dafür die von ihr vorgesetzten Bedingungen, insbesondere die Behandlung der Erkrankung, erfülle, lägen neben der Sache. Die Motivation der Zeugin schließe eine Widerlegung der Vermutung gemeinsamen Wirtschaftens nicht aus. § 36 SGB XII stelle lediglich auf das gemeinsame Wirtschaften bzw. nicht gemeinsame Wirtschaften ab, die Motivation dazu spiele keine Rolle. Die von dem Antragsgegner angeführten Gründe für einen ab 01.07.2006 nicht mehr bestehenden Anspruch ständen der jetzt getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Ob sich aus der zum 01.07.2006 ergebenden Änderungen des § 7 SGB II die von der Antragsgegnerin gezogenen Schlussfolgerungen ergäben, sei im Hauptsacheverfahren zu klären. Im Übrigen bleibe die Antragsgegnerin als zuerst angegangener Leistungsträger nach § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) vorläufig leistungspflichtig. Sie habe allerdings die Möglichkeit, selbst eine Entscheidung durch den nach dem SGB II zuständigen Leistungsträger herbeizuführen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners bestehe auch ein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin beziehe seit Januar 2006 keine Unterstützungsleistungen und lebe lediglich von 154,00 EUR Kindergeld monatlich.
Gegen den ihr am 30.06.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 14.07.2006, die zugleich die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses beantragt hat. Sie ist der Auffassung, eine Vorleistungspflicht gemäß § 43 SGB I bestehe ab dem 01.07.2006 nicht. Es handele sich nicht um einen Zuständigkeitsstreit von Leistungsträgern. Bisher sei ein Antrag beim JobCenter nicht gestellt worden. § 21 SGB XII schließe einen Anspruch zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Laut Feststellungen des Rentenversicherungsträgers aus Juli 2005 liege keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor (auf der Grundlage eines Gutachtens des Neurologen und Psychotherapeuten Dr. Q vom 18.03.2005). Ein Anspruch nach dem 4. Kapitel SGB XII scheide aus. Es sei auch lebensfremd, bei einer 20jährigen bei grundsätzlich therapiefähiger Erkrankung eine dauernde Erwerbsunfähigkeit anzunehmen. Nach der seit dem 01.07.2006 bestehenden Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter und deren Einkommensverhältnissen scheide auch ein Anspruch nach dem SGB II aus. Der Beschluss des Sozialgerichts stelle eine komplette Vorwegnahme der Hauptsache dar.
Die Antragstellerin hat am 05.07.2006 vorsorglich Leistungen nach dem SGB II beantragt. Das JobCenter F hat mit Schreiben vom 10.07.2006 ausgeführt, unter 25jährige, die mit ihren Eltern zusammenlebten, bildeten mit diesen eine Bedarfsgemeinschaft. Die Antragstellung sei nur durch die Mutter möglich, die dann ihre wirtschaftlichen Verhältnisse offen zu legen habe. Die Antragstellerin habe erklärt, dies werde nicht geschehen, da sie unabhängig voneinander wirtschafteten. Die Prüfung des Anspruchs sei nicht möglich.
Mit Beschluss vom 27.07.2006 ist der Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses abgelehnt worden. Gleichwohl hat die Antragsgegnerin offenbar keinerlei Leistungen erbracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie der Klageakte S 12 SO 7/06.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 20.07.2006), ist zum Teil begründet.
Hinsichtlich der Verpflichtung bis zum 30.06.2006 verweist der Senat nach eigener Überprüfung auf die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Die Auffassung der Antragsgegnerin, es sei Sache der Antragstellerin, die Probleme mit ihrer Mutter zu klären, so dass die Vermutung des § 36 SGBX II nicht widerlegt sei, ohne letztlich die Aussage der Mutter einschließlich eingehender Darlegung ihrer Beweggründe in Zweifel zu ziehen und auch das Krankheitsbild der Antragstellerin zur Kenntnis nehmen zu wollen, befremdet ebenso, wie die Tatsache, dass die Antragsgegnerin sich offenbar geweigert hat, und zwar auch noch nach Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Beschluss durch den Senat, Leistungen entsprechend der ausgesprochenen Verpflichtung zu erbringen. Der Senat hat den Anspruch allerdings auf die Zeit vom 20.06. – 30.06.2006 beschränkt, weil einstweiliger Rechtschutz nach seiner ständigen Rechtsprechung erst ab Antragstellung bei Gericht in Betracht kommt (vgl. etwa Beschluss des Senats vom 23.06.2006, L 20 B 149/06 AS ER).
Eine Verpflichtung über den 30.06.2006 hinaus kommt zur Überzeugung des Senats hingegen nicht in Betracht, da die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) insoweit nicht vorliegen.
Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II in der ab dem 01.07.2006 geltenden Fassung vom 24.03.2006 gehören zur Bedarfsgemeinschaft die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
Damit bilden die Antragstellerin und ihre Mutter eine Bedarfsgemeinschaft, so dass im Rahmen der Überprüfung der Hilfedürftigkeit gemäß § 9 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 SGB II auch das Einkommen und Vermögen der Mutter Berücksichtigung finden. Angesichts der Höhe der Einkünfte der Mutter sowie des Kindergeldes ist der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft (Regelsatz 345 EUR zzgl. 276 EUR und Kosten der Unterkunft 180 EUR sowie Hausgeld zzgl. 54 EUR Heizkosten) gedeckt, so dass ein Anspruch nach dem SGB II nicht ersichtlich ist. Auch bei weitergehender Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren erscheint ein Anspruch derzeit kaum begründbar, so dass der Senat die Heranziehung zumindest des Rechtsgedankens aus § 43 SGB I für nicht gerechtfertigt hält. Der Senat lässt es insofern dahinstehen, ob die Einschätzung des JobCenters F als Träger der Leistungen nach dem SGB II zutrifft, dass die Antragstellerin ihren Anspruch nicht selbst geltend machen kann. Ebenfalls hat der Senat nicht zu entscheiden, ob die Mutter der Antragstellerin familienrechtlich zu weiteren Geld- oder Sachleistungen an die Antragstellerin verpflichtet ist.
Auch das Vorliegen eines Anspruchs nach dem 4. Kapitel des SGB XII ist nicht glaubhaft gemacht. Voraussetzung wäre eine volle Erwerbsminderung, deren Behebung unwahrscheinlich sein muss (vgl. etwa Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 41 SGB XII RdNr. 7). Die Antragsgegnerin hat es mit Bescheid vom 07.07.2005 abgelehnt, Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII zu erbringen, nachdem der Rentenversicherungsträger auf ein Ersuchen nach § 45 Abs. 1 SGB XII festgestellt hatte, dass es nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Zwar beurteilt Dr. Q in seinem Gutachten vom 18.03.2005 die Prognose der Erkrankung als eher ungünstig, da es der Antragstellerin an Einsicht bezüglich der Erkrankung bzw. Therapiebedürftigkeit fehle. Gleichwohl empfiehlt er eine Nachuntersuchung in zwei Jahren. Angesichts des Alters der Antragstellerin teilt der Senat nach summarischer Prüfung die Auffassung der Antragsgegnerin, dass nicht ohne weiteres von dauernder voller Erwerbsminderung ausgegangen werden kann. Der Senat verkennt nicht, dass eine abschließende Überprüfung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Gleichwohl beurteilt er die Erfolgsaussichten nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand als so gering, dass auch eine Verpflichtung zur einstweiligen Leistungserbringung nicht in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und trägt dem Maß des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten sowie insbesondere dem Umstand Rechnung, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin Veranlassung gegeben hat, einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 22.09.2006
Zuletzt verändert am: 22.09.2006