Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 14. August 2006 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).
Die am 00.00.1978 geborene Klägerin beantragte am 11.02.2005 bei der Beklagten die Kostenübernahme (KÜ) für das apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel "Pentosanplysulfat SP 54 Dragees". Sie fügte eine Apothekenrechnung vom 26.10.2004 bei. Danach betrug der Kaufpreis für 100 Stück 27,13 EUR. Mit Bescheid vom 07.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2006 lehnte die Beklagte nach Einholen zweier Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein die KÜ mit der Begründung ab, dass seit dem 01.01.2004 nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel gemäß § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen seien. Eine Ausnahme vom Ausschluss stellten nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel dar, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten würden. "Pentosanplysulfat SP 54 Dragees" seien jedoch nicht in die Ausnahmeliste des Gemeinsamen Bundesausschusses aufgenommen worden. Im Übrigen sei das Arzneimittel für die Erkrankung der Klägerin gar nicht zugelassen.
Zur Begründung ihrer am 16.02.2006 zum Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Behandlung mit "Pentosanplysulfat SP 54 Dragees" sei notwendig, um die – bei ihr fehlende – Blasenschleimhaut zu regenieren. Jede Blasenentleerung, die krankheitsbedingt ca. sechzig Mal am Tag erfolge, sei derzeit mit erheblichen Schmerzen verbunden. Unter dem Gesichtspunkt des "Off-Label-Use" sei eine KÜ seitens der Beklagten geschuldet. Das Mittel werde vor allem in den USA und Kanada bei der Behandlung der interstitiellen Cystitis eingesetzt. Es gebe bezüglich der Wirksamkeit und des Nutzens inzwischen mehrere wissenschaftliche Studien. Auch stütze der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98, Sozialrecht -SozR- 4-2500 § 27 Nr. 5) den geltend gemachten Anspruch; denn die Entscheidung sei über lebensbedrohliche Erkrankungen hinaus auf Krankheitsbilder mit erheblichen Schmerzen zu übertragen.
Parallel dazu beantragte die Klägerin am 07.12.2004 die ärztlich verordnete Versorgung mit einer elektromotiven Medikamentenapplikation für die intravesikale Verabreichung von Medikamenten (EMDA-Behandlung) bei interstitieller Cystitis. Die voraussichtlichen Kosten lagen bei 1.602,30 EUR zzgl. MWSt. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, und zwar mit Bescheid vom 25.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2006: Die elektromotive Medikamenten-Applikation stelle eine außervertragliche bzw. neue Behandlungsmethode dar. Der Gemeinsame Bundesausschuss sei damit noch nicht befasst gewesen. Ebenfalls liege kein sogenannter Systemmangel vor; denn nach den Recherchen des MDK Nordrhein seien Nutzen und Wirksamkeit der Methode nicht in ausreichendem Maße wissenschaftlich nachgewiesen. Es stünden aber auch ausreichende konservative medikamentöse und operative Behandlungsmethoden zur Verfügung. Ein lebensbedrohlicher Zustand sei bei der Klägerin nicht feststellbar.
In dieser Sache hat die Klägerin am 09.02.2006 Klage zum Sozialgericht Köln erhoben und geltend gemacht, die EMDA-Behandlung diene der Verhinderung einer fortschreitenden Schrumpfung der Blasenkapazität und sei international anerkannt. Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat der Gemeinsame Bundesausschuss durch den Unterausschuss "Ärztliche Behandlung" unter dem 16.05.2006 mitgeteilt, er habe sich mit der EMDA-Methode bisher nicht befasst. Auch seien ihm keine wissenschaftlich nachvollziehbaren klinischen Studien zugeleitet worden, die nahe legten, dass die Methode nach dem allgemein anerkannten Standard als wirksam angesehen werden könne. Beigefügt hat der Ausschuss als Ergebnis einer Internetrecherche einen Bericht über eine Studie von Dr. T, St. F-Krankenhaus in N, aus März 2001, betreffend 17 Patienten.
Das Sozialgericht hat die beiden Rechtsstreitigkeiten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die Anträge der Klägerin in beiden ursprünglichen Verfahren,
ihr unter Beiordnung von Rechtsanwalt M aus I PKH zu gewähren,
hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 14.08.2006 abgelehnt. Zur Begründung hat es sich auf die zutreffenden angefochtenen Bescheide bezogen. Die Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 22.08.2006 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 14.09.2006 Beschwerde erhoben, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Sie trägt vor, Entscheidungsreife habe der Antrag auf Bewilligung von PKH bereits im März 2006 erlangt, nachdem die wirtschaftlichen Voraussetzungen abschließend geklärt gewesen seien. Abzustellen sei insoweit auf den Zeitpunkt des wechselseitig erfolgten ersten Vortrages. Damit werde dem Gebot der Zügigkeit des Verfahrens, aber auch der Notwendigkeit einer sorgfältigen großzügigen Prüfung der Erfolgsaussichten gerecht. Das Sozialgericht habe jedoch seine Entscheidung zu Unrecht von dem Ergebnis der danach eingeholten Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses und damit vom faktischen Obsiegen abhängig gemacht.
Die Beklagte vertritt dagegen die Auffassung, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei nicht von der Klärung einer schwierigen Rechtsfrage abhängig. Das Sozialgericht habe die Bewilligung von PKH zu Recht abgelehnt, denn ein Erfolg sei zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber doch fern liegend.
Wegen der weiteren Einzelheit der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Beschluss vom 14.08.2006 den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH und Beiordnung von Rechtsanwalt M abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine Bewilligung von PKH gemäß §§ 114 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor. Danach erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, fehlt es trotz Vorliegens der wirtschaftlichen Voraussetzungen an der hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage.
Bei der Beurteilung, ob eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, muss der verfassungsrechtliche Rahmen von Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) berücksichtigt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder -verteidigung selbst in das PKH-Verfahren vorzuverlegen. Die Anforderungen an die hinreichenden Erfolgsaussichten dürfen deshalb nicht überzogen werden (BVerfGE 81, 347, 356 ff, BVerfG SozR 4-1500 § 73a Nr. 1). Diese sind daher gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Beweisführung überzeugt ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 73a RdNr. 7a m. w. N.). Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts über den Antrag auf Bewilligung von PKH, der im Regelfall für die Beurteilung der Erfolgsaussichten maßgeblich ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 73a RdNr. 7c), hat die Klägerin nicht einmal einen vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen. Bezüglich der erstrebten KÜ für das Arzneimittel "Pentosanplysulfat SP 54 Dragees" ist bereits fraglich, ob die Klägerin den sogenannten Beschaffungsweg eingehalten hat. Lediglich in dem Fall, dass die Klägerin von der Möglichkeit des § 13 Abs. 2 SGB V Gebrauch gemacht hat, besteht kein Erfordernis, dass der Versicherte vor der Beschaffung von Leistungen eine Entscheidung der gesetzlichen Krankenkasse einzuholen hat, wie dies bei § 13 Abs. 3 SGB V regelmäßig der Fall ist. Die Klägerin hat nämlich eine Entscheidung der Beklagten erst Monate nach der Beschaffung des Arzneimittels beantragt. Ihr können dadurch, dass die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht ablehnt hat, keine Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung entstanden sein. Darüber hinaus hat die Beklagte und mit ihr das Sozialgericht die Rechtslage zutreffend dargestellt. Es besteht nicht einmal eine arzneimittelrechtliche Zulassung für die Indikation einer interstitiellen Cystitis. Der von der Klägerin benannte Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 (a. a. O.) bezieht sich im Übrigen lediglich auf neue Behandlungs- und Untersuchungsmethoden, nicht aber auf die Versorgung mit Arzneimitteln. Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) inzwischen entschieden (Beschl. vom 04.04.2006, Az.: B 1 KR 7/05 R, www.bundessozialgericht.de – Entscheidungen), dass die verfassungsrechtliche Konkretisierung der Leistungsansprüche von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung bei lebensbedrohenden, tödlich verlaufenden Erkrankungen entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 6.12.2005 (a. a. O.) sinngemäß auch für die Versorgung mit Arzneimitteln gilt. Dass bei der Klägerin eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt, behauptet aber nicht einmal diese selbst. Im Hinblick darauf, dass das BVerfG in dem o. g. Beschluss die bestehenden Strukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung ausdrücklich anerkannt hat, hält der Senat mit dem Sozialgericht eine Ausweitung der Rechtsprechung auf schmerzhafte, aber nicht lebensbedrohliche Erkrankungen für kaum denkbar. Darauf lassen sich jedenfalls keine Erfolgsaussichten des Verfahrens stützen.
Auch bezüglich der Versorgung mit einer elektromotiven Medikamentenapplikation für die intravesikale Verabreichung von Medikamenten hat das Sozialgericht zu Recht Erfolgsaussichten der Klage verneint. Es handelt sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, bezüglich derer der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine Empfehlung ausgesprochen hat und im Hinblick auf die dürftige wissenschaftliche Evaluierung der Methode auch nicht aussprechen musste. Dies ergibt sich aus dem – soweit ersichtlich – zutreffenden Ergebnis der Ermittlungen des MDK. PKH ist auch nicht deshalb zu gewähren, weil das Sozialgericht – so der Vortrag der Klägerin – die Entscheidung über die PKH zu spät getroffen hätte. Auf einen früheren Zeitpunkt als denjenigen der Entscheidung des Gerichts ist allenfalls abzustellen, wenn sich die Entscheidung über den Antrag verzögert hat und die Änderung zum Nachteil des Antragstellers eingetreten ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 73a RdNr. 7c m. w. N.). Jedenfalls fehlt es an der zweiten Voraussetzung. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat lediglich bestätigt, was die Beklagte unter Einbeziehung des MDK bereits zum tragenden Argument ihrer Entscheidung gemacht hat. Das Sozialgericht hätte im Übrigen auch über eine Internetrecherche vom dienstlichen Arbeitsplatz aus zu denselben Erkenntnissen gelangen können. Eine ohne jeden Aufwand mögliche Abfrage – per Internet oder per individueller Nachfrage – zum aktuellen Stand der Entscheidungslage beim Gemeinsamen Bundesausschuss aber hält der Senat für sachdienlich im Rahmen der Entscheidung über einen PKH-Antrag (vgl. § 118 Abs. 2, insbesondere Sätze 2 und 3 ZPO). Die Sachlage hat sich dadurch nicht zum Nachteil der Klägerin verändert, sondern dem Sozialgericht lediglich allerletzte Gewissheit verschafft, dass im Hauptsacheverfahren allenfalls geringe Erfolgsaussichten bestehen. Eine Bejahung der Erfolgsaussichten allein unter dem Gesichtspunkt, dass eine Rückfrage beim Gemeinsamen Bundesausschuss erfolgen solle, grenzte für den Senat an einen Verstoß gegen die einem Richter obliegende Verpflichtung zum sorgfältigen Umgang mit Finanzmitteln des Staates, die er im Rahmen seiner richterlichen Unabhängigkeit mit einzubeziehen hat.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar, vgl. § 177 SGG.
Erstellt am: 17.10.2006
Zuletzt verändert am: 17.10.2006