Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Aachen vom 12. September 2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die dem Kläger im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die beklagte Ersatzkasse dem Kläger zustehendes Krankengeld (KrG) statt auf der Grundlage des ursprünglich von ihm vorgelegten Steuerbescheides für das Jahr 2002 unter Zugrundelegung des nachgereichten Steuerbescheides für das Jahr 2003 festzusetzen hat.
Der Kläger war bei der Beklagten als selbständiger Dachdecker mit Anspruch auf KrG ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit (AU) freiwillig versichert. Aus Anlaß der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 14.5.2002 bewilligte die Arbeitsverwaltung dem Kläger für die Zeit von Mai bis November 2002 ein Überbrückungsgeld in Höhe von monatlich 989,70 EUR (Bescheid vom 5.6.2002). Ausweislich des Steuerbescheides vom 20.6.2003 erzielte der Kläger in den acht Monaten seiner selbständigen Tätigkeit im Jahre 2002 2389 EUR oder (geteilt durch 8) monatlich 292,38 EUR aus Gewerbebetrieb. Für die Zeit ab dem 1.7.2003 wurden die monatlichen Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung (KV und PV) nach beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe von 75 vH der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Sozialgesetzbuches (SGB) IV für das Jahr 2003 = 1785 EUR bemessen und in Höhe von monatlich 265,97 bzw. 30,35 EUR festgesetzt (Bescheid vom 16.7.2003).
Am 15.3.2004 wurde der Kläger arbeitsunfähig. § 29 Abs 8 der Satzung der Beklagten (Stand 1.1.2002) lautete: "Als Regelentgelt für die Bemessung des Krankengeldes der hauptberuflich Selbständigen gilt ein Dreißigstel der bei Beginn der AU zugrunde zu legenden monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen, soweit damit die Entgeltersatzfunktion erfüllt ist."
Mit Bescheid vom 3.5.2004 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 26.4.2004 KrG in Höhe von kalendertäglich 6,83 EUR vor Abzug von Beiträgen – nach beitragspflichtigen Einnahmen in Höhe der im Steuerbescheid für das Jahr 2002 ausgewiesenen monatlichen Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 292,38 EUR (292,38/ 30-70%). Der Kläger erhob am 20.5.2004 Widerspruch. Er machte geltend, er habe schon den Gesundheitsminister eingeschaltet, im Hinblick auf die Regelung in § 47 Abs 4 S. 2 SGB V, daß für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer seien, als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag gelte, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend gewesen sei; als er seine Versicherung im Jahre 2002 um den Anspruch auf KrG ab dem 43. Tag habe erweitern lassen, habe ihm der Sachbearbeiter erklärt, daß sein KrG-Anspruch bei geringeren Einnahmen als 75 vH der Bezugsgröße (1785 EUR 2003) von diesem von der Kasse festgesetzten Wert berechnet werde; insoweit sei für ihn eine Versorgungslücke aufgetreten.
Mit Datum vom 27.5.2004 erteilte das Finanzamt dem Kläger den Steuerbescheid für das Jahr 2003, der für dieses Jahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 14970 EUR oder (geteilt durch 12) monatlich 1247,50 EUR ausweist. Unstreitig bot der Kläger der Kasse am 6.7.2004 telefonisch an, ihr den Bescheid des Finanzamtes für das Jahr 2003 zwecks Festsetzung höheren KrGes zu übermitteln (Aktenvermerk der Kasse vom selben Tage). Der Kläger behauptet, er habe den ESt-Bescheid vom 27.05.2004 unmittelbar nach Erhalt an die Beklagte gesandt. Die Beklagte behauptet, nicht feststellen zu können, den Bescheid vor seiner Vorlage durch den Kläger im Erörterungstermin vom 14.2.2005 erhalten zu haben. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20.7.2004 zurück. Sie führte aus, mit Urteil vom 30.3.2004 (B 1 KR 32/02 R) habe das Bundessozialgericht (BSG) bestätigt, daß KrG grundsätzlich nur als Ersatz für Arbeitseinkommen gezahlt werden könne, das wegen der Erkrankung entfallen sei, und daß das zur Beitragsbemessung herangezogene fiktive Einkommen auch bei Versicherten, die nicht Arbeitnehmer seien, nicht zu berücksichtigen sei; das KrG sei daher nach dem bei Beginn der AU vorliegenden Steuerbescheid für das Jahr 2002 mit einem Zahlbetrag von kalendertäglich 6,10 EUR richtig berechnet.
Der Kläger hat am 19.8.2004 Klage erhoben und gerügt, die Beklagte habe sowohl das ihm gewährte Überbrückungsgeld als auch den ihr vorliegenden Steuerbescheid für das Jahr 2003 mit den monatlichen Einkünften von 1247,50 EUR unberücksichtigt gelassen und mit ihrer neuerlichen Verfahrensweise gegen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstoßen. Auf Anregung des SG hat der Kläger von ihm erstellte Gewinn- und Verlustrechnungen für die Monate Dezember 2003 bis März 2004 vorgelegt. Er hat vor dem Sozialgericht (SG) beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 3.5.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.7.2004 zu verurteilen, das ihm für die Zeit vom 26.4. 2004 bis zum 18.6.2004 zustehende KrG unter Berücksichtigung der Einnahmen/Einkommen zu berechnen, wie sie im Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 27.5.2004 ausgewiesen seien.
Die Beklagte hat vor dem SG beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, zur Ermittlung krankheitsbedingten Einnahmeausfalls sei dem Steuerbescheid gegenüber monatlichen Gewinn- und Verlustrechnungen der Vorzug zu geben.
Das SG Aachen hat die Beklagte mit Urteil vom 12. September 2005 dem Antrag des Klägers entsprechend verurteilt. Zu Begründung hat es ausgeführt, unter Berücksichtigung des o.a. Urteils des BSG vom 30.3.2004 verweigere die Beklagte mit Recht die Bemessung des KrGes nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden fiktiven Mindestbemessungsentgelt. Der Kläger sei aber im Wege des Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob die Kasse ihn richtig beraten hätte. Bei richtiger Beratung (Hinw. auf die §§ 14 und 16 SGB I) hätte der Kläger beantragt, ihm das KrG ab dem 26.4.2004 nur als Vorschuß zu zahlen (Hinw. auf § 42 SGB I), um es nach Erhalt des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2003 unter Berücksichtigung des dort ausgewiesenen höheren Einkommens endgültig festzusetzen. Nachdem der Kläger der Kasse die AU gemeldet gehabt habe, habe ihn die Beklagte nach dem neuesten Steuerbescheid fragen und nach dem zutreffendem Hinweis des Klägers auf die bereits Ende Februar/Anfang März des Jahres eingereichte Einkommensteuer-Erklärung für das Jahr 2003 ihrerseits auf die Möglichkeit der vorschussweisen Gewährung des KrGes sowie darauf hinweisen müssen, daß er den Steuerbescheid für das Jahr 2003 sofort nach Erhalt vorlegen müsse.
Die Beklagte hat gegen das Urteil – ihr zugestellt am 4.10.2005 – am 26.10.2005 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach § 240 Abs 4 S. 2 SGB V könnten nur zum 1. Tag des auf die Vorlage folgenden Monats wirksam werden (Hinw. auf § 240 Abs 4 S. 2 und 3 SGB V.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des SG Aachen vom 12. 9. 2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze in beiden Rechtszügen verwiesen. Außer den Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: ein Band Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akte des SG Aachen mit dem Aktenzeichen S 6 KR 94/04 ER).
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Schon ungeachtet der Erwägungen des SG im angefochtenen Urteil hat das SG die Beklagte mit Recht dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) verurteilt, das dem Kläger für die Zeit vom 26.4. bis zum 18.6.2004 zustehende KrG unter Berücksichtigung der im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 ausgewiesenen Einnahmen aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit festzusetzen,
Dem Kläger steht das Krankengeld in der begehrten Höhe nach § 47 Abs. 2, 4 SGB V zu.
Die Beklagte ist der Auffassung, sie brauche die Höhe des einem Versicherten auf der Grundlage eines Steuerbescheides bewilligten KrGes erst nach Vorlage eines aktuelleren Steuerbescheides und nur für einen der Vorlage folgenden Leistungszeitraum zu seinen Gunsten korrigieren; für maßgeblich hält die Beklagte stets den bei Beginn der AU vorgelegten Steuerbescheid. Diese Auffassung läßt sich aus keiner gesetzlichen oder untergesetzlichen Norm herleiten. Die Beklagte hat für die Richtigkeit dieser Sicht weder ein Urteil noch Literatur anführen können. Sie hat zur Untermauerung dieser Meinung nicht einmal einen Gedanken vortragen können, der auch nur den Sinn einer solchen Regelung schlüssig hätte dartun können – und dies nicht einmal, nachdem die Beklagte (mit Richterbrief vom 9.6.2006 und im Erörterungstermin am 13.6.2006) darauf hingewiesen worden ist, daß sie lediglich den Regelungen des Beitragsrechts "aufgesessen" ist, die sie gegen das Gesetz (contra legem) und unreflektiert dem hier maßgeblichen Leistungsrecht zu unterschieben sucht. Die Beklagte mißachtet zudem die Regeln des Verfahrensrechts, so daß sich ihre Leistungsverweigerung als ein willkürliches Vorenthalten der Rechte des Versicherten darstellt. I.
Das KrG beträgt 70 vH des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt – § 47 Abs 1 S. 1 SGB V). In § 47 Abs 2 S. 1 SGB V hat der Gesetzgeber für den Bereich der Festsetzung des Regelentgelts aus Arbeitsentgelt bestimmt, daß für die Berechnung des Regelentgelts grundsätzlich auszugehen ist von dem im letzten vor Beginn der AU abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum (Bemessungszeitraum) erzielten Arbeitsentgelt. Der Gesetzgeber mutmaßt insoweit pauschal und unwiderleglich, daß das Maß der durch die AU verursachten Entgelteinbuße durch die Höhe des Arbeitsentgelts bestimmt ist, das der Versicherte eben im unmittelbar dem Eintritt des Versicherungsfalls der AU vorangegangenen Bemessungszeitraum erzielt hat. Alles, was sich vorher oder nachher ereignet, ist für die Höhe des KrGes grundsätzlich ohne Belang. Dabei können freilich etwa Nachzahlungen, die bereits im Bemessungszeitraum erwirtschaftet waren, mitberücksichtigt werden (BSG Urt.v. 28.6.95 7 TAr 102/94 = BSGE 76,162 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22; Urt. v. 16.2.05 B 1 KR 19/03 R = SozR 4-2500 § 47 Nr 2 = USK 2005 -10).
Da sich für Versicherte, die, wie jedenfalls seinerzeit der Kläger, nicht Arbeitnehmer sind, ein solcher repräsentativer Bemessungszeitraum nicht bestimmen läßt, hat der Gesetzgeber in § 47 Abs 4 S. 2 SGB V (in der hier noch maßgeblichen Ursprungsfassung vom 20.12.1988 BGBl 2606 ) angeordnet, daß für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag gilt, der zuletzt vor Beginn der AU für die Beitragsbemessung maßgebend war. Hätte die Beklagte diese Vorschrift angewandt, so hätte sie dem Kläger KrG aus dem Betrag von 75 vH der Bezugsgröße als Regelentgelt gewähren müssen, der für ihre Beitragsbemessung und auch objektiv maßgeblich war, weil der Gesetzgeber dem Kläger als hauptberuflich selbständigen, freiwillig Versicherten den Ansatz des 40. Teils der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 ) für den Kalendertag als beitragspflichtige Mindesteinnahme unwiderleglich zuordnet (§ 240 Abs 4 S. 2 SGB V). Ausgehend von § 47 Abs 4 S. 2 SGB V hätte dem Kläger mithin KrG in Höhe von kalendertäglich 41,65 EUR vor Abzug von Beiträgen zugestanden (1785/30-70%).
Die Beklagte hat das KrG des Klägers aber nicht nach den Einnahmen bemessen, die sie der Bemessung der Beiträge des Klägers unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls zugrundegelegt hat; sie hat sich auch nicht an den Einnahmen orientiert, die der Kläger unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls im März 2004 tatsächlich erzielt hatte; die Kasse hat die Höhe des dem Kläger zustehenden KrGes vielmehr nach der Höhe des im Steuerbescheid für das Jahr 2002 ausgewiesenen Arbeitseinkommens des Klägers von im arithmetischen Mittel monatlich 292,38 EUR auf kalendertäglich lediglich 6,83 EUR vor Abzug von Beiträgen festgesetzt.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG dürfen sich die Kassen bei der Ermittlung der beitragspflichtigen Einnahmen der freiwillig Versicherten aus Vereinfachungsgründen der Steuerbescheide bedienen (vgl. BSG Urt.v. 27.11.84 12 RK 70/82 = BSGE 57,240 = SozR 2200 § 180 Nr 20 = USK 84 246; 17.12.85 12 RK 43/84 = USK 85 135; 9.2.93 12 RK 69/92 = SozR 3-2500 § 240 Nr 14; 22.3.06 B 12 KR 8/05 R; 22.3.06 B 12 KR 14/05 R). Eine Entscheidung des BSG, nach der die Beitragsfestsetzung nur auf der Grundlage von Steuerbescheiden erfolgen kann, wie dies von Kassen immer wieder behauptet wird, ist dem erkennenden Senat nicht bekannt. Kommt es hier aber ohnehin nicht auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung an, so trägt der erkennende Senat indes auch keine Bedenken, Steuerbescheide – anhaltsweise oder auch allein – zur Ermittlung der Einnahmen heranzuziehen, die einem freiwillig Versicherten durch den Eintritt von Arbeitsunfähigkeit mutmaßlich entgangen sind. Eben dies im Rahmen der Leistungsbewilligung zu prüfen, hat das BSG mit seinem o.a. Urteil vom 30.3.2004 (B 1 KR 32/02 R = BSGE 92,260 = SozR 4-2500 § 47 Nr 1 = USK 04-09) – abweichend von einer zuvor allseitig anderen Praxis auch der beklagten Ersatzkasse – verlangt und befunden, das KrG eines freiwillig versicherten hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen bemesse sich nach dem erzielten Arbeitseinkommen und nicht nach dem für die Beitragsbemessung maßgebenden Mindesteinkommen – was wohl jedenfalls dann gelten soll, wenn die jeweilige Kasse ihrer Satzung einen Hinweis hinzugefügt hatte, wie hier den o.a. Hinweis der Beklagten "soweit damit die Entgeltersatzfunktion erfüllt ist". Mittlerweile hat der Gesetzgeber durch Neufassung des § 47 Abs 4 S. 2 (idF des Gesetzes vom 21.3.2005 BGBl 818) klargestellt, daß die Leistungsberechnung aus der Beitragsfestsetzung nur noch dann greift, wenn die Beiträge aus Arbeitseinkommen, will heißen nicht aus den fiktiven Einnahmen des § 240 Abs 4 S. 2 SGB V bemessen sind.
II.
Mußte die Beklagte also nach dieser vom Kläger mit dem Klageantrag auch nicht mehr angegriffenen Rechtsprechung des BSG vom 30.3.2004 durchaus prüfen, welches Arbeitseinkommen er Kläger vor Eintritt des Versicherungsfalls erzielt hatte, so mußte sie dabei an die finanzielle Situation des Klägers anknüpfen, wie sie unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalls im März 2004 tatsächlich gegeben war. Geht nämlich das BSG aaO davon aus, daß § 47 Abs 4 S. 2 SGB V nur in dem durch § 47 Abs 1 S. 1 SGB V gesteckten Rahmen Anwendung findet und durch diesen sogar ausgeschlossen wird, wenn es an der Entgeltersatzfunktion fehlt, so ist Teil dieses Rahmens auch der schon eingangs beschriebene Grundsatz der Anknüpfung an den letzten wirtschaftlichen Zustand vor Eintritt der AU.
Gleichviel, ob die Beklagte sich dabei überhaupt mit einem ersichtlich nicht mehr aktuellen Steuerbescheid hat begnügen dürfen, hätte sie jedenfalls bis zur letzten Verwaltungsentscheidung durch den Widerspruchsbescheid vom 20.7.2004 jeder bis dahin bekannt gewordenen Veränderung Rechnung tragen, also jedenfalls den Steuerbescheid vom 27.5.2004 für das Jahr 2003 mitberücksichtigen müssen – so er ihr schon vorlag, denn maßgeblich für die Kasse ist insoweit die zur Zeit der letzten Verwaltungsentscheidung vorliegende Sach- und Rechtslage (vgl. BSG Urt.v. 29.1.81 11 RK 7/80 = SozR 2200 § 182 a Nr 4). Selbst wenn aber der Beklagten der Steuerbescheid bis dahin noch nicht vorgelegen hätte, ja selbst wenn schon eine die Beteiligten bindende Festsetzung der Leistung auf der Grundlage des alten Steuerbescheide erfolgt wäre, hätte die Beklagte vorangegangene Bescheide nach § 44 Abs 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen müssen, weil bei Erlaß der Bescheide von einem Sachverhalt – von einer Höhe des Arbeitseinkommens des Klägers unmittelbar vor Eintritt der AU – ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erwiesen hatte, weil aufgrund des neuerlich vorliegenden Steuerbescheides feststand und feststeht, daß der Kläger unmittelbar vor Eintritt der AU deutlich höhere Einkünfte, also nach Vorstellung des Gesetzgebers deutlich mehr durch den Eintritt von AU verloren hatte, als dies der zuvor ergangene Steuerbescheid hat vermuten lassen können. Hier – im Leistungsrecht – fehlt es an einer Vorschrift, die wie § 240 Abs 4 S. 3 SGB V – im Beitragsrecht – als lex specialis gegenüber den §§ 44 ff SGB X betrachtet werden könnten.
III.
Die Beklagte hatte insbesondere im Erörterungstermin am 13.6.2006 Gelegenheit, demgegenüber Stellung zu nehmen. Schriftsätzlich finden sich zur ihrer Verfahrensweise praktisch nur Hinweise wie etwa der im Schriftsatz vom 25.10.2005 von ihr hervorgehobene, Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach § 240 Abs 4 S. 2 SGB V könnten nach § 240 Abs 4 S. 3 SGB V nur vom 1. Tag des auf die Vorlage folgenden Monats wirksam werden. Die Beklagte hat dabei das o.a. Problem der Besonderheit der Leistungsrechts offensichtlich nicht erkannt, und infolgedessen hier einmal richtig, aber lediglich selbst bemerkt, dies gelte für die Beitragsbemessung. Dabei unterschlägt die Beklagte zudem , um welcher Art Beitragsbemessung es dort geht, nämlich um die Beitragsbemessung eines freiwillig versicherten Selbständigen, dem bei der Beitragserhebung zunächst für den Kalendertag fiktiv der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze als beitragspflichtige Einnahmen zugeordnet waren, und der dann geltend macht, er habe noch geringere Einnahmen, um dann eine Beitragsbemessung zu erfahren, die dem Kläger schon zuteil geworden war, nämlich die Zuordnung des 40. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag. D.h. die Beklagte führt hier eine Regelung an, die für den Kläger selbst bei der Beitragsbemessung gegenstandlos war, um dann der Regelung ohne jede Erläuterung zu unterschieben, sie gälte auch für die Berechnung des KrGes. Dabei ist es auch im weiteren Vorbringen der Beklagten verblieben.
Selbst wenn man sich anheischig macht, über das Vorbringen der Beklagten hinaus einen Sinn in einer solchen Übertragung von Grundsätzen des Beitragsrechts auf das Leistungsrecht zu suchen, so findet sich ein solcher nicht. Es ist zwar richtig, daß die Kassen in der Regel die einmal erfolgte Beitragseinstufung nur mit Wirkung für die Zukunft zurücknehmen brauchen, wenn die Krankenkasse den Grundlohn (der Reichversicherungsordnung – RVO) anhand der neuesten Unterlagen über die Einkommensverhältnisse bestimmt hat, wenn sich eine Änderung erst aufgrund neuer, nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens bekannter Tatsachen ergibt und wenn die Kasse alle erforderlichen Unterlagen beschafft und der Versicherte ihr solche nicht vorenthalten hat (vgl. BSG Urt.v. 27.11.84 12 RK 70/82 = BSGE 57,240 = SozR 2200 § 180 Nr 20; Urt.v. 24.3.91 12 RK 40/90 = BSGE 68,264 = SozR 3-2400 § 26 Nr 3). Daß man sich bei der Beitragserhebung mit möglichst aktuellen Schätzungen der Einnahmen des Versicherten begnügt und diese dann regelmäßig auch als endgültig betrachtet, hat seinen wesentlichen Grund indes darin, daß es gilt, den der Kasse zur Verfügung stehenden Haushalt (vgl. §§ 220 SGB V; 67 ff SGB IV) rasch und sicher abzustecken, um die Überschaubarkeit dessen zu ermöglichen, was an Finanzmitteln für Ausgaben zur Verfügung steht. Die Möglichkeit unter Umständen massenhafter Überprüfung der Richtigkeit der vormaligen Schätzung und eine darauffolgende Rückabwicklung brächten das Finanzierungssystem der Kassen zu Fall. Solche Überlegungen greifen bei der im Verfahrensgesetz des SGB X vorgesehenen und im SGB V nicht eingeschränkten nachträglichen Korrektur einzelner Leistungsbescheide nicht. Zwar soll auch hier die Leistung rasch festgestellt werden können, die nachträgliche Korrektur berührt aber wesentliche Belange der Kassen nicht; sie dient hingegen der Gerechtigkeit im Einzelfall. Dabei bestimmt überdies § 44 Abs 4 S. 1 SGB X, daß nach Rücknahme des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht werden.
Nun hat der Terminsvertreter der Beklagten gemeint, die Berechtigung der Verfahrensweise der Beklagten finde sich in § 47 Abs 4 S. 2 SGB V und dem o.a. Urteil des BSG vom 30.3.2004. Soll heißen gerade in der Vorschrift, die anzuwenden sich die Beklagte weigert, die sonst, wie erörtert, 41,65 EUR statt wie geschehen 6,83 EUR täglich KrG zahlen müßte und damit mehr als nach dem Tenor des sozialgerichtlichen Urteils (14970/12/30-70% = 29,11 EUR). Der Vertreter der Kasse scheint anzunehmen, wenn schon die Vorschrift nach dem o.a. Urteil des BSG vom 30.3.2004 nicht greift, so wäre doch im Falle ihrer Anwendung die Beitragsbemessung maßgeblich, die wiederum nach hergebrachten Grundsätzen grundsätzlich ohne Korrekturmöglichkeit erfolgt. Solche Schlußfolgerungen kann der Senat sich nicht zu eigen machen. Sie verstoßen gegen die Grundsätze der Logik insoweit, als jeweils einem Merkmal ohne sachlichen Grund unterschoben wird, es gelte auch für ein anderes. Eine sinnvollere Deutung ihrer Verfahrensweise war dem Vorbringen der Beklagten insgesamt nicht zu entnehmen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Es bestand kein Anlaß, die Revision zuzulassen. Weder weicht das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG), noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Es trägt insbesondere der Umfang der Ausführungen des Senats nicht der Bedeutung der Rechtsfragen Rechnung, sondern dem ungewohnten Ausmaß an Unklarheiten im Vortrag der Kasse in dieser Sache.
Erstellt am: 19.10.2006
Zuletzt verändert am: 19.10.2006