Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 20.04.2006 geändert. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Aachen bewilligt und dazu Rechtsanwalt D T, B, beigeordnet.
Gründe:
I. Der 1948 geborene, geschiedene Kläger, ein Bezieher von Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II), begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG). Im Hauptsacheverfahren verfolgt er einen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld (Krg) für den 24. und 25.09.2005 sowie für die Zeit ab dem 24.10.2005.
Der Kläger, der in Polen als Kfz-Mechaniker(-Meister) ausgebildet wurde und dort zuletzt in seinem Beruf arbeitete, siedelte 1979 nach Deutschland über und war hier zunächst im erlernten Beruf beschäftigt; er war nach einer Umschulung bis 1995 Bankangestellter, danach arbeitslos. Von 1997 bis 2002 betrieb er als Miteigentümer ein kleines Pflegeheim. Von 2002 bis 2005 arbeitete er für verschiedene Zeitarbeitsunternehmen, zuletzt für die Firma A in B. U.a. war er nach seinen Angaben als Staplerfahrer, Hilfsarbeiter und Packer an wechselnden Einsatzorten beschäftigt. Ab dem 12.08.2005 war er bis zum 26.08.2005 erstmals – soweit bekannt – wegen Wirbelsäulenbeschwerden arbeitsunfähig erkrankt. Unter dem 18.08.2005 wurde sein Arbeitsverhältnis zum 15.09.2005 "wegen Auftragsmangels" gekündigt. Am 29.08.2005 nahm der Kläger die Arbeit wieder auf (Einsatz als Packer am Fließband) und wurde am 13.09.2005 durch den Facharzt für Physikalische und Rehabilitationsmedizin Dr. N, B, erneut wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden (laut Folgebescheinigung vom 13.09.2005) bis zum 23.09.2005 arbeitsunfähig krank geschrieben. Nach einer szintigraphischen Untersuchung des Klägers am 21.09.2005 bescheinigte ihm der behandelnde Arzt auf einem Auszahlungsschein unter dem 22.09.2005, dass dies der letzte Tag der Arbeitsunfähigkeit (AU) sei, berichtigte diese Angabe unter dem 07.11.2005 aber dahin, dass letzter Tag der AU der 23.09.2005 (ein Freitag) sei. Die Beklagte gewährte dem Kläger bis zu diesem Tage Krankengeld.
Am Montag, dem 26.09.2005 stellte sich der Kläger bei der Allgemeinmedizinerin Dr. O vor. Diese bescheinigte ihm an diesem Tage einen fieberhaften Infekt und am 07.10.2005 zusätzlich ein Wirbelsäulensyndrom; sie attestierte ihm fortlaufend AU. Dazu stellte sie dem Kläger unter dem 08.11.2005 zusätzlich eine Bescheinigung aus, wonach er sich bei ihr am 26.09.2005 mit einer fieberhaften Infektion, mit Durchfall und Schüttelfrost vorgestellt habe. Diese Erkrankungszeichen hätten seit dem vorausgehenden Samstag (d.h. dem 24.09.2005) bestanden.
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 07.11.2005. Der MDK-Arzt Dr. S vermerkte in seinem Gutachten vom 08.11.2005, bei dem Kläger seien seit Jahrzehnten wiederkehrende lumbale Rückenschmerzen bekannt. Im September 2005 sei es zu einer Schmerzzunahme gekommen, zusätzlich bestünden schmerzhafte Bewegungseinschränkungen im Hals-Nackenbereich, gelegentlich auch Schmerzsymptome im Brustwirbelbereich. Aufgrund der körperliche Untersuchung und in Auswertung der Skelettszintigraphie und der Röntgenbilder diagnostizierte er
HWS-LWS-Syndrom mit schmerzhaft eingeschränkter Beweglichkeit und verminderter Sensibilität im Dermatom L 5 rechts sowie ein Impingementsyndrom rechte Schulter mit Schulterteilsteife.
Eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit liege vor. Ein positives Leistungsbild bestehe nicht. Arbeitsunfähig sei der Kläger ab dem 26.09.2005.
Mit Bescheid vom 14.11.2005 und Widerspruchsbescheid vom 09.02.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger Krg vom 26.09.2005 bis zum 23.10.2005 und führte aus, die Mitgliedschaft des Klägers habe mit dem letzten Tag der ursprünglichen AU am 23.09.2005 geendet. Die erneut eingetretene AU am 26.09.2005 begründe nur noch einen Leistungsanspruch nach § 19 Abs. 2 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) bis zum 23.10.2005 (sog. nachgehender Leistungsanspruch). Dementsprechend werde auch nur Krg vom 27.09. bis 23.10.2005 gezahlt.
Mit der am 13.03.2006 erhobenen Klage hat der Kläger gleichzeitig PKH beantragt. Diesen PKH-Antrag hat das SG mit Beschluss vom 20.04.2006 im Wesentlichen deshalb abgewiesen, weil dem Kläger bereits für Samstag, den 24.09.2005, keine AU mehr bescheinigt worden sei. Frau Dr. O habe ihm vielmehr erstmals am 26.09.2005 AU wegen eines fieberhaften Infekts attestiert. Auch habe wegen der Wirbelsäulenbeschwerden keine durchgängige AU vorgelegen. Ein Wirbelsäulensyndrom habe Dr. O nämlich erst in der dritten AU-Bescheinigung vom 07.10.2005 mitgeteilt.
Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24.04.2006 zugestellt worden.
Mit seiner unter dem 24.05.2006 persönlich verfassten vierseitigen Beschwerde macht der Kläger im Wesentlichen sinngemäß geltend, er sei insbesondere wegen seiner weiter bestehenden Wirbelsäulenbeschwerden über den 23.09.2005 hinaus fortlaufend arbeitsunfähig gewesen. Es sei nicht zu verstehen, dass Dr. N einerseits bescheinige, dass er an einem therapieresistenten LWS-Syndrom leide, er ihn andererseits aber gesund geschrieben habe.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, weil sie unzulässig sei. Sie sei nämlich erst nach Ablauf der Beschwerdefrist bei Gericht eingegangen (Eingangsstempel des Gerichts vom 29.05.2006).
Der Senat hat den Kläger zu den Umständen, wann er die Beschwerde verfasst und bei Gericht in den Briefkasten eingeworfen hat, angehört und dazu seine frühere Partnerin als Zeugin vernommen. Wegen der Angaben wird auf den Inhalt der gerichtlichen Niederschrift vom 31.08.2006 verwiesen. Zudem hat er eine Auskunft der Präsidentin des Sozialgerichts eingeholt.
Des Weiteren hat der Senat einen Bericht des seinerzeit behandelnden Arztes Dr. N vom 22.09.2006 beigezogen. Dieser hat die Wirbelsäulenveränderungen für (damals) leichtgradig gehalten, auf die anhaltende Schmerzsymptomatik verwiesen und die Erwerbsfähigkeit des Klägers als gefährdet bezeichnet. Er habe den Kläger am 22.09.2005 für fähig gehalten, wieder leichte körperliche Arbeiten zu verrichten.
Zusätzlich ist der frühere Sachverständige Dr. S (MDK Nordrhein) schriftlich gehört worden. Er hat angegeben, er könne nicht bestätigen, ob der Kläger über den 23.09.2005 hinaus durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei. Rückwirkende Feststellungen zu bestimmten Zeiträumen seien ihm nicht mehr möglich. Die Begutachtung vom 07.11.2005 könne nur ein kurzes Zeitfenster beleuchten. Jedenfalls zum Begutachtungszeitpunkt aber sei der Kläger weder für leichte körperliche Arbeiten noch in seiner letzten Beschäftigung arbeitsfähig gewesen. Dies ergebe sich durch die damals schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der HWS und der LWS sowie der rechten Schulter.
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beschwerde am letzten Tage der Rechtsmittelfrist, nämlich am 24.05.2006, in den Herrschaftsbereich des Sozialgerichts gelangt ist. Wie der Kläger übereinstimmend mit der Zeugin L angegeben hat, haben beide gemeinsam die umfangreiche Beschwerde schon am Nachmittag des 24.05.2006 verfasst und sie am Abend desselben Tages gemeinsam zum SG gebracht. Dort hat sie der Kläger persönlich in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen. Sowohl der Kläger als auch die Zeugin haben die örtlichen Verhältnisse beim SG genau beschrieben und die Geschehensabläufe an diesem Tage übereinstimmend angegeben. Auch wenn sie sich nicht genau an den Wochentag erinnern konnten, waren sie sicher, dass das Beschwerdeschreiben an dem Tag in den Briefkasten des SG eingelegt wurde, an dem das Schreiben verfasst wurde. Aus welchen Gründen das Beschwerdeschreiben erst am 29.05.2006, also fünf Tage später, mit einem Eingangsstempel des SG versehen werden konnte, liess sich nicht mehr klären. Nicht auszuschließen ist entweder ein technischer Defekt des mechanischen Nachtbriefkastens oder das Schreiben ist zunächst zwischen andere Post und erst später wieder in den ordentlichen Geschäftsgang gelangt. Da auch ein Briefumschlag zu dem Schreiben fehlt, kann insoweit nur spekuliert werden.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Dem Kläger steht PKH gem. § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) zu, weil die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Der Kläger hat Anspruch auf Krankengeld nach § 48 Abs. 1 SGB V wegen der am 13.09.2005 erneut aufgetretenen Wirbelsäulenerkrankung auch über den 23.09.2005 hinaus – ohne Begrenzung auf den Zeitraum einer sog. nachgehenden Leistungsverpflichtung der Beklagten gemäß § 19 Abs. 2 SGB V -, wenn die Arbeitsunfähigkeit am 23.09.2005 entgegen der Auffassung des behandelnden Arztes Dr. N noch nicht beendet war. Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit richtet sich gemäß § 44 SGB V nach der zuletzt ausgeübten Beschäftigung (BSGE 69, 180 ff). Entgegen der Auffassung von Dr. N dürfte es sich bei der vom Kläger ganz zuletzt (ab dem 29.08.2005) für die Firma A in einem Abfüllbetrieb verrichteten Arbeit als Packer an einem Fließband nicht um eine körperlich leichte Arbeit (ohne nennenswerte Wirbelsäulenbelastungen) gehandelt haben. Dies dürfte im Einzelnen noch durch das SG zu klären sein und kann die Beurteilung beeinflussen, ob für die maßgebliche Beschäftigung ein Krg-Anspruch besteht.
Für das Fortbestehen der AU spricht auch der überaus ausgeprägte Zustand der Erwerbsgefährdung am 07.11.2005, der den begutachtenden MDK-Arzt veranlasst hatte, anhand der vorliegenden Röntgen- und Szintigraphie-Befunde (etwa vom 21.09.2006) sogar für den 26.09.2005 AU (wegen Wirbelsäulenerkrankung, nicht aber wegen des fieberhaften Infektes) – atypisch – weit rückwirkend zu bestätigen. Weshalb der Kläger dann ausgerechnet an den Wochenendtagen zwischen den bescheinigten bzw. bestätigten AU-Zeiten deutlich weniger in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sein sollte, erscheint bei aller Wechselhaftigkeit derartiger Beschwerdebilder nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Ggf. lassen sich auch weitere Erkenntnisse aus den Unterlagen der früher und später behandelnden Ärzte entnehmen. So soll nach Angaben im MDK-Gutachten auch ein weiterer Bericht der "Praxis Dr. I" vom 21.10.2005 existieren, der bislang noch nicht verwertet werden konnte.
Bei dieser Sachlage erscheint eine ergänzende Beweiserhebung in beruflicher und medizinischer Hinsicht (ggf. nach Beiladung der Arbeitsgemeinschaft Kreis B, die am 19.10.2005 Erstattungsansprüche auf Krg angemeldet hat; Folge: teilweises Erlöschen des klägerischen Anspruchs, § 107 Abs. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs -SGB X-) nicht unsinnig. Angesichts dessen lässt sich eine Erfolgsaussicht für das Begehren des Klägers – jedenfalls teilweise – nicht ausschließen, auch wenn die Meinung des gehörten MDK-Arztes zutrifft, dass es überaus schwierig ist, für zurückliegende Zeiten eine sichere AU-Einschätzung zu treffen.
Der Kläger ist auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, da er lediglich Leistungen der Grundsicherung erhält. Diese dienen ausschließlich der Deckung des laufenden Lebensbedarfs (§ 19 Abs. 2 SGB II) und stehen nicht zur Finanzierung von Prozessen zur Verfügung (vgl. Thomas-Putzo, ZPO-Kommentar, 27. A., § 115 RdNr. 2).
Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes ist angesichts der Schwierigkeit des Streitstoffes erforderlich, § 121 Abs. 2 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung: Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 11.12.2006
Zuletzt verändert am: 11.12.2006