Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13.12.2005 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16.07.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2004 verurteilt, dem Kläger ab 01.07.2004 Überbrückungsgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist die Gewährung von Überbrückungsgeld nach § 57 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Dabei geht es in erster Linie um die Frage, ob der Kläger am 01.07.2004 hauptberuflich eine selbständige Tätigkeit aufgenommen hat oder ob diese Selbständigkeit bereits vorher vorgelegen hat.
Der am 00.00.1965 geborene Kläger war vom 01.04.1994 bis 30.06.2004 versicherungspflichtig bei der Firma K beschäftigt, zuletzt als Bauleiter zu einem Monatsentgelt von 5.094,35 EUR. Im Jahre 2000 gründete der Kläger die Firma M GmbH und beschäftigte in der Folgezeit durchschnittlich drei bis vier Mitarbeiter. Die Firma M GmbH bot folgende Leistungen an: Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, Bautenschutz und Kellersanierung.
Die Firma M GmbH war fast ausschließlich für die Firma K tätig. Nach Angaben des Klägers konnte er im Rahmen seiner Tätigkeit als Bauleiter für die Firma K seine Mitarbeiter einsetzen und koordinieren. Er selbst habe in der Firma M GmbH bis zum 30.06.2004 nicht selbst mitgearbeitet. Die Büroformalitäten habe er am Wochenende verrichtet, seinen Arbeitsaufwand für die die Firma M GmbH schätzt der Kläger selbst mit etwa 10 Stunden pro Woche ein. Sein Bruttoeinkommen habe etwa 1.000,00 EUR im Monat betragen.
Die Firma K wurde zum 30.06.2004 insolvent. Auf Bitten des Insolvenzverwalters arbeitete der Kläger im Insolvenzzeitraum vom 01.04. bis 30.06.2004 weiter und erhielt sein Arbeitsentgelt vom Insolvenzverwalter. Einen vorsorglich gestellten Antrag auf Arbeitslosengeld vom 25.03.2004 für die Zeit ab 01.07.2004 lehnte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 07.07.2004 ab, weil der Kläger hauptberuflich eine selbständige Tätigkeit ausübe.
Am 01.07.2004 nahm der Kläger eine Gewerbeummeldung vor. Unter Beibehaltung des alten Firmennamens M GmbH bot er nun folgende Leistungen an: Hoch- und Tiefbauarbeiten. Im Rahmen dieser neuen Tätigkeit bot der Kläger auch die Arbeiten an, die vorher von der Firma K angeboten wurden. Um eine Firmenübernahme hat es sich nach Angaben des Klägers nicht gehandelt. Inhaltlich habe die Tätigkeit aber dem Angebot der Firma K weitgehend entsprochen. Zum 01.07.2004 habe sich der Inhalt seiner Tätigkeit für die M GmbH geändert. Er sei dort nicht mehr in Teilzeit tätig gewesen, sondern seitdem vollzeitig. Er habe aus gewerberechtlichen Gründen einen Konzessionsträger einstellen müssen, um die neuen Tätigkeiten überhaupt ausführen zu dürfen. Von der Firma K habe er drei bis vier Mitarbeiter übernommen. Seit dem 01.07.2004 sei er mit seiner Firma überwiegend im Hochbau tätig gewesen.
Am 30.06.2004 beantragte der Kläger für die Zeit ab 01.07.2004 die Gewährung von Überbrückungsgeld. Er gab eine Kurzbeschreibung des Existenzgründungsvorhabens für die Zeit ab 01.07.2004 ab und fügte eine Umsatz- und Kostenplanungsrechnung des Diplom-Kaufmannes V G vom 01.07.2004 bei. Mit Bescheid vom 16.07.2004, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 22.11.2004, lehnte die Beklagte die Gewährung von Überbrückungsgeld ab. Zur Begründung führte sie aus, es liege keine Aufnahme einer neuen selbständigen Tätigkeit vor. Der Kläger sei bereits in der Vergangenheit selbständig mit der Firma M GmbH gewesen. Bei der Umfirmierung einer Firma handele es sich nicht um eine Neugründung im Sinne des § 57 SGB III. Der Kläger sei nach wie vor zu 100 % Gesellschafter der Firma M GmbH. Im Übrigen sei auch die Gewährung von Arbeitslosengeld abgelehnt worden mit der Begründung, der Kläger übe eine selbständige Tätigkeit aus. Hiergegen habe sich der Kläger nicht gewandt.
Am 06.12.2004 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Dortmund Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei bis 30.06.2004 hauptsächlich als Arbeitnehmer bei der Firma K GmbH tätig gewesen. Nur nebenbei sei er Geschäftsführer seiner eigenen Firma gewesen, die praktisch ausschließlich für die K GmbH tätig gewesen sei. Als die Firma K in Insolvenz gegangen sei, sei seiner eigenen Firma die Existenzgrundlage entzogen worden. So habe er den Gegenstand seiner Firma ändern und hauptberuflich selbständig tätig werden müssen. Aus Kostengründen habe er auf eine Neugründung und entsprechende Änderung im Handeslregister verzichtet.
Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 16.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Überbrückungsgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung festgehalten. Sie hat insbesondere die Auffassung vertreten, dass der Kläger bereits seit dem Jahr 2000 selbständig tätig gewesen sei. Ein Spartenwechsel oder eine Namensumfirmierung könne nicht als Neugründung im Sinne des § 57 Abs. 1 SGB III angesehen werden.
Mit Urteil vom 13.12.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe zum 01.07.2004 keine selbständige Tätigkeit aufgenommen, sondern seine bereits früher verrichtete Selbständigkeit weiter geführt. Unerheblich sei, dass der Gegenstand der Firma des Klägers sich zum 01.07.2004 geändert habe. Maßgeblich sei allein, dass der Kläger bereits vor dem 01.07.2004 selbständig gewesen sei und damit zum 01.07.2004 keine selbständige Tätigkeit aufgenommen habe.
Gegen dieses ihm am 12.01.2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 08.02.2006 eingegangene Berufung des Klägers. Er verweist darauf, dass es sich bei der selbständigen Tätigkeit für die Firma M GmbH bis 30.06.2004 um eine geringfügige Beschäftigung von etwa 10 Stunden gehandelt habe, die er ohne Probleme neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit für die Firma K habe verrichten können. Zum 01.07.2004 habe sich dies geändert. Seit diesem Zeitpunkt sei er erstmals hauptberuflich selbständig tätig geworden. Es könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er aus Kostengründen unter der alten Firmenbezeichnung weiter tätig geworden sei. Der Gegenstand der Arbeiten habe sich völlig verändert. Während die Firma M GmbH früher nur Vorbereitungsarbeiten für die Hochbaufirma K getätigt habe, übe er diese nun selbst aus, wofür völlig andere gewerberechtlichen Vorschriften, z.B. Einstellung eines Konzessionsträgers, Rechnung getragen werden musste. Durch die Aufnahme dieser neuen selbständigen Tätigkeit habe er, der bis 30.06.2004 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, seine Arbeitslosigkeit im Sinne von § 57 SGB III vermieden. Von einer weiteren Ausführung seiner bisherigen selbständigen Tätigkeit könne entgegen der Ansicht des Sozialgerichtes und der Beklagten nicht die Rede sein.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13.12.2005 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrer bisherigen Rechtsauffassung fest und hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Insbesondere hält sie es nicht für überzeugend, dass der Kläger vor dem 01.07.2004 nur geringfügig einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen sein will. Sie verweist auf seine Angaben im Antrag auf Arbeitslosengeld vom 25.03.2004, wo der Kläger angegeben habe, als Selbständiger oder mithelfender Familienangehöriger unter 18 Stunden wöchentlich tätig zu sein. Auch habe er den Ablehnungsbescheid vom 07.07.2004 bestandskräftig werden lassen. Wenn eine Firma umbenannt werde oder den Geschäftszweig ändere, so könne dies nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht zur Gewährung von Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III führen. Die Förderung von Selbständigen durch Mittel der Arbeitslosenversicherung beruhe auf der Einsicht, dass Arbeitslosigkeit auch durch Existenzgründungen vermieden oder beendet werden können. Das Überbrückungsgeld solle dabei in der regelmäßig schwierigen Gründungsphase der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen. In dieser Phase müsse ein Kundenstamm erst noch aufgebaut werden und mit der Erzielung von Einkünften sei zunächst nicht zu rechnen. Die Situation des Klägers sei damit nicht vergleichbar. Bei der Umstrukturierung seines Unternehmens habe er auf seine mehrjährige selbständige Tätigkeit und auf entsprechend geschaffene Kapazitäten und Kontakte aufbauen können. Der Aufbau eines Neukundenstammes bzw. einer betrieblichen Infrastruktur sei nicht mehr erforderlich gewesen. Einer dem Überbrückungsgeld zugrunde liegenden "Starthilfe" für die erste Zeit der Selbständigkeit habe es daher nicht bedurft.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der den Antrag des Klägers betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie der die Firma M GmbH betreffende Kug-Akte mit der Stamm-Nr. 00 und den den Arbeitslosengeldantrag des Klägers betreffenden Akte der Beklagten mit der Kundennummer 000 Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig und auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und beeinträchtigt den Kläger in seinen Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts hat der Kläger Anspruch auf Überbrückungsgeld für seine am 01.07.2004 aufgenommene hauptberufliche Tätigkeit mit der Firma M GmbH.
Nach § 57 Abs.1 SGB III in der ab 01.01.2004 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.
Zur Überzeugung des Senats hat der Kläger zum 01.07.2004 hauptberuflich eine selbständige Tätigkeit aufgenommen. Bis 30.06.2004 war der Kläger hauptberuflich als Bauleiter für die Firma K versicherungspflichtig beschäftigt. Dies wird durch die Angaben der Firma K in der Arbeitsbescheinigung anlässlich der Arbeitslosmeldung des Klägers am 25.03.2004 dokumentiert. Nebenher war der Kläger mit der Firma M GmbH bereits seit dem Jahr 2000 mit Vorbereitungsarbeiten für die Firma K selbständig tätig, allerdings nur in einem Umfang von etwa 10 Stunden pro Woche. Dies folgt aus den Bekundungen des Klägers im Termin vom 15.11.2006, die durch weitere objektivierbare Umstände glaubhaft erscheinen. Der Kläger hätte wohl kaum neben seiner Bauleitertätigkeit zusätzlich vollschichtig eine eigene Firma leiten können. Der Bruttoverdienst aus der selbständigen Tätigkeit betrug seinerzeit monatlich etwa 1.000,00 EUR brutto, aus der abhängigen Beschäftigung das Fünffache. Selbst mitgearbeitet hat der Kläger in der Firma M GmbH bis Ende Juni 2004 nicht. Durch seine Bauleitertätigkeit für die Firma K war es ihm möglich, seine Arbeiter der Firma M GmbH für die Arbeiten der jeweilgen Werkverträge für die Firma K vor Ort einzusetzen und zu delegieren. Die Büroarbeiten hat er am Wochenende verrichtet. Nach der Schilderung des Klägers seiner Tätigkeit für die M GmbH bis 30.06.2004 teilt der Senat nicht die Auffassung der Beklagten, es habe sich bereits um eine hauptberufliche selbständige Tätigkeit gehandelt. Vielmehr könnte man die Frage stellen, ob überhaupt eine "wirkliche" Selbständigkeit vorgelegen hat. Es drängt sich eher der Verdacht auf, dass es sich bis 30.06.2004 um eine Scheinselbständigkeit gehandelt haben könnte, um der Firma K Kosten zu ersparen. Dies bedarf aber keiner weiteren Vertiefung. Auch aus den Angaben des Klägers im Antrag auf Arbeitslosengeld vom 25.03.2004 ergibt sich nichts Anderes. Dort hat der Kläger nicht angegeben, selbständig bis zu 18 Stunden tätig zu sein. Die entsprechende Frage 2 b ist zunächst bejaht, dann verneint worden, wobei offenbar zwei verschiedene Personen bei der Ausfüllung beteiligt waren, so dass sich hieraus keine Schlüsse ziehen lassen. Der Antrag war für die Zeit ab 01.07.2004 gestellt worden, so dass sich aus der Ablehnung der Arbeitslosengeldbewilligung ab diesem Zeitpunkt mit der Begründung, der Kläger übe eine mehr als kurzzeitige selbständige Tätigkeit von mehr als 15 Stunden wöchentlich aus, schon deshalb keine Rückschlüsse zulassen, weil die Entscheidung für die Zeit ab 01.07.2004 ja unstreitig zutreffend gewesen ist. Für den Senat steht somit fest, dass der Kläger zum 01.07.2004 von einer geringfügigen selbständigen Tätigkeit von etwa 10 Stunden je Woche zu einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit, die seine Arbeitskraft voll in Anspruch genommen hat, gewechselt ist.
Der Übergang von einer geringfügigen selbständigen Tätigkeit zu einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit ist zur Überzeugung des Senats als Aufnahme einer Tätigkeit im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB III zu werten (so auch Strathmann in Niesel, SGB III, 3. Auflage 2005, § 57 Randnr. 3 a). Der Senat weist darauf hin, dass er es für entscheidend hält, dass vorher nur eine geringfügige selbständige Tätigkeit ausgeübt worden ist. Mit der Beklagten ist der Senat der Auffassung, dass eine bloße Umfirmierung oder Änderung des Geschäftszweckes für sich allein nicht als Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im Sinne von § 57 SGB III angesehen werden könnte. Durch die Aufnahme der hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit hat der Kläger auch seine Arbeitslosigkeit vermieden. Ohne die Aufnahme seiner Tätigkeit zum 01.07.2004 hätte der Kläger die Firma M GmbH nach der Insolvenz der Firma K nicht mehr weiter betreiben können und hätte aufgrund seiner vorhergehenden langjährigen versicherungspflichtigen Beschäftigung Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt. Dies macht deutlich, dass hier die Zahlung von Überbrückungsgeld auch nicht dem Sinn und Zweck des § 57 SGB III widerspricht. Die Voraussetzungen für die Zahlung von Überbrückungsgeld nach § 57 Abs. 2 Nr. 1 SGB III sind daher erfüllt. Die Beklagte wird daher Überbrückungsgeld nach Maßgabe des § 57 Abs. 3 SGB III zu zahlen haben. Der Berufung konnte somit der Erfolg nicht versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil er der Frage grundsätzliche Bedeutung zumisst, ob der Übergang von einer geringfügigen selbständigen Tätigkeit zu einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit als Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im Sinne des § 57 Abs.1 Satz 1 SGB III zu werten ist. Der Senat kann sich bei seiner Auffassung lediglich auf die Kommentarstelle bei Niesel stützen, eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage ist, soweit ersichtlich, bisher nicht ergangen.
Erstellt am: 13.12.2006
Zuletzt verändert am: 13.12.2006