Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.03.2004 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.128,05 Euro festgesetzt. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, Vergütungsansprüche für Pflegeleistungen, die die Gemeinschuldnerin an Pflegebedürftige erbracht hat, gegen Beitragsforderungen für Mitarbeiter der Gemeinschuldnerin aufzurechnen.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fa. S GmbH (Gemeinschuldnerin). Das vorläufige Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 29.06.2001 eröffnet, das Insolvenzverfahren mit weiterem Beschluss vom 01.08.2001.
Nachdem der Beklagten die vorläufige Insolvenzeröffnung am 03.07.2001 zur Kenntnis gelangt war, fragte sie beim Kläger an, ob dort Bereitschaft bestehe, die Beitragsrückstände der Gemeinschuldnerin zur Pflegeversicherung für die Zeit vom 01.04. – 30.06.2001 mit den von der Beklagten zu erbringenden Pflegeleistungen für 21 Heimbewohner im Juli 2001 aufzurechnen. Dies lehnte der Kläger mit dem Hinweis ab, dass eine Aufrechnung die Beklagte ungerechtfertigt besser stellen würde als andere Gläubiger.
Die Beklagte erklärte mit Bescheid vom 26.07.2001 die Aufrechnung ihrer Beitragsforderungen (49.939,28 DM zuzüglich 700,07 DM Säumniszuschläge) mit den von ihr zu leistenden Pflegegeldzahlungen (insgesamt 48.278,72 DM).
Mit Schreiben vom 01.08.2001 teilte der Kläger der Beklagten daraufhin mit, dass die Aufrechnungserklärung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung (InsO) mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam geworden sei. Die – nach dem Eröffnungsantrag und der Kenntnis der Beklagten davon herbeigeführte – Aufrechnungslage sei auf anfechtbare Weise i. S. v. § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO entstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) könne die aus einem Dauerschuldverhältnis entstehende Aufrechnungslage bereits dann angefochten werden, wenn der Gläubiger in Kenntnis des Eröffnungsantrags oder der wirtschaftlichen Krise des Schuldners weitere Leistungen entgegen nehme. Er bitte, die im Juli fällig gewordenen Pflegeleistungen bis zum 07.08.2001 auf das Insolvenzanderkonto zu zahlen.
Die Beklagte sah das Schreiben des Klägers als Widerspruch gegen den Aufrechnungsbescheid an. Mit weiterem Bescheid vom 23.08.2001 nahm sie die Aufrechnung in Höhe von 5.000 DM zurück, weil der Kläger die Vergütungsansprüche für zwei Pflegebedürftige bereits vorher an einen Dritten abgetreten habe. Im Übrigen wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2002 zurück. Die Aufrechnung sei nicht gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam, da es an einer anfechtbaren Rechtshandlung im Sinne dieser Vorschrift fehle. Insbesondere habe die Beklagte keine Werte der Gemeinschuldnerin an sich gezogen. Die Leistungen der Gemeinschuldnerin seien vielmehr den Heimbewohnern zugute gekommen, denen sie auch vertraglich geschuldet waren. Die Beklagte habe sich daher nicht zum Schuldner der Gemeinschuldnerin "gemacht", sondern sei es aufgrund der Verpflichtung zur Übernahme der Vergütungen für Pflegeleistungen ohne eigenes Zutun geworden.
Der Kläger hat am 19.03.2002 Klage beim Sozialgericht Köln (SG) erhoben und die Zahlung von 22.128,06 Euro nebst Zinsen begehrt. Die Aufrechnungslage sei in anfechtbarer Weise entstanden, die Aufrechnung daher unwirksam. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH).
Das SG hat die Versorgungsverträge der S Einrichtungen St. B, T und B1 sowie das Zulassungsschreiben bzgl. der Einrichtung V beigezogen.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 29.03.2004 hat das SG die Bescheide vom 26.07.2001 und 23.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2002 aufgehoben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Da die Leistungsbeziehung zwischen dem Kläger und der Beklagten bezüglich der streitigen Aufrechnung gem. § 51 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) keine Rechtsbeziehung im Über-/Unterordnungsverhältnis darstelle, fehle es an der für einen Verwaltungsakt notwendigen hoheitlichen Maßnahme. Die Aufrechnungsbescheide seien daher formal aufzuheben. Soweit der Kläger Vergütungsansprüche in Höhe von 22.128,06 Euro geltend mache, seien diese durch wirksame Aufrechnung erloschen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt: Entscheidend sei, dass die Beklagte keinerlei Einfluss auf die Erlangung eines Vermögensvorteils gehabt habe, da sie kraft Gesetzes verpflichtet sei, die Leistungen zu bezahlen, die die bei ihr versicherten Pflegebedürftigen in Anspruch nähmen. Nur der Versicherte selbst könne den Vergütungsanspruch durch Wechsel der Pflegeeinrichtung beenden. Bei dieser Gesamtsituation komme eine Anfechtung nach §§ 130 InsO nicht in Betracht.
Der Kläger hat gegen das Urteil am 15.11.2005 Berufung eingelegt. Erst am 26.10.2005 habe er anlässlich der Beendigung des Mandats mit Rechtsanwalt I Einsicht in die Gerichtsakten genommen und Kenntnis des ihm nicht zugestellten Urteils erlangt.
In der Sache hat der Kläger geltend gemacht, dass der Begriff der anfechtbaren Rechtshandlung weit auszulegen sei und auch Handlungen tatsächlicher Art wie die Erbringung/ Entgegennahme von Leistungen umfasse (BGH, Urteil vom 22.02.2001, IX ZR 191/98 = ZIP 2001, 1380 ff.). Zwar habe die Beklagte selbst Leistungen nicht entgegengenommen, sondern der einzelne Heimbewohner. Hierauf komme es aber nicht an. Die Pflegeleistungen würden aufgrund des Pflegevertrages mit dem jeweiligen Heimbewohner erbracht. Lediglich der Vergütungsanspruch richte sich gegen die Beklagte. Für Leistungen des Gemeinschuldners in der kritischen Zeit müsse die geschuldete Gegenleistung der Gläubigergesamtheit ungeschmälert zur Verfügung stehen und könne nicht einem einzigen Gläubiger zugute kommen, der zufällig eine Aufrechnungsposition erlangt habe. Anderenfalls müsste der vorläufige Insolvenzverwalter den Betrieb sofort einstellen. Dies habe zur Folge, dass die Pflegekassen ihre Pflicht zur Gewährung der Versorgung der Heimbewohner nicht mehr erfüllen könnten. Ein solches Ergebnis könne nicht erstrebenswert sein.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29. März 2004 zu ändern und die Beklagte zur Zahlung von 22.128,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 08.08.2001 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der im erstinstanzlichen Klageverfahren bevollmächtigte Rechtsanwalt I mitgeteilt, das Urteil des SG nicht erhalten zu haben.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und insbesondere des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie den Inhalt der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.
Die am 15.11.2005 erhobene Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. Der Senat geht zugunsten des Klägers davon aus, dass er erst am 26.10.2005 Kenntnis von dem am 23.04.2005 an den damaligen Bevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis übersandten Urteil erlangt hat. Das Empfangsbekenntnis ist nicht zu den Akten gelangt.
Die Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage hinsichtlich des Zahlungsantrags zu Recht abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von 22.128,06 Euro besteht nicht. Der geltend gemachte Vergütungsanspruch ist durch Aufrechnung der Beklagten mit Beitragsansprüchen für bei der Gemeinschuldnerin beschäftigte Mitarbeiter erloschen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Entgegen der im Berufungsverfahren vertretenen Auffassung des Klägers liegt eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinn von §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 InsO nicht vor. Von einer eigenen Rechtshandlung der Beklagten geht auch der Kläger selbst nicht (mehr) aus. Die Entgegennahme von Pflegeleistungen durch die in den Einrichtungen der Gemeinschuldnerin wohnenden Pflegebedürftigen ist keine "anfechtbare Rechtshandlung" (der Beklagten) im Sinne der genannten Vorschriften. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH, nach der der Begriff der "anfechtbaren Rechtshandlung" weit auszulegen ist und nicht nur aktive Handlungen des Insolvenzgläubigers sondern auch die (passive) Entgegennahme einer Leistung erfasst. Die Beklagte selbst hat die Pflegeleistungen der Gemeinschuldnerin nicht entgegengenommen. Sie muss sich die Entgegennahme der Leistungen durch die Heimbewohner auch nicht als eigene zurechnen lassen. Bei den Pflegeleistungen handelt es sich um (Sach-)Leistungen, die die Gemeinschuldnerin allein den Heimbewohnern aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Heimverträge zu erbringen hat. Die Beklagte hat keinerlei Einfluss darauf, ob ein bei ihr Pflegeversicherter entscheidet, in ein Heim der Gemeinschuldnerin zu ziehen oder dort – auch im Fall der Insolvenz – verbleibt. Diese vertraglich begründete und ausschließlich zwischen Heim und Heimbewohner bestehende Beziehung wird durch das SGB XI nur im Hinblick auf die Zahlungspflicht modifiziert. Nach § 43 Abs. 2 SGB XI sind die Pflegekassen (lediglich) verpflichtet, die pflegebedingten Aufwendungen zu einem Teil (§ 43 Abs. 5 SGB XI) zu übernehmen. Die ausschließlich dem Heimbewohner gegenüber bestehende Pflicht des Heims zur Leistungserbringung wird hierdurch nicht berührt. Insbesondere resultiert aus der gesetzlichen Zahlungsverpflichtung der Pflegekassen keine eigene Gläubigerstellung im Hinblick auf die Leistungsverpflichtung des Heimes.
Da die Pflegeleistungen ausschließlich den Heimbewohnern und nicht (auch) der beklagten Pflegekasse gegenüber erbracht werden, stellt die Entgegennahme dieser Leistungen durch den Heimbewohner keine anfechtbare Rechtshandlung der Beklagten im Sinn von §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des BGH erfasst nur Sachverhalte, in denen der Insolvenzgläubiger eine Leistung selbst oder über einen ihm zuzurechnenden Dritten entgegengenommen hat. Die hier vorliegende Fallgestaltung, in der der Insolvenzgläubiger zwar Schuldner des Entgelts für erbrachte Leistungen ist, diese Leistungen aber nicht selbst entgegengenommen hat und auf die Entgegennahme auch keinen Einfluss ausüben konnte, ist mit den vom BGH entschiedenen Fällen gerade nicht vergleichbar. Für die Beklagte hat sich die Aufrechnungslage allein aufgrund der gesetzlichen Zahlungsanordnung in § 87 a Abs. 3 SGB XI ergeben. Eine Rechtsfolge, die gesetzlich angeordnet ist, kann nicht anfechtbar sein.
Die Aufrechnung der Beklagten ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte dadurch gegenüber anderen Gläubigern begünstigt wird. Hier ist zu beachten, dass es sich bei der Beklagten um einen Sozialleistungsträger handelt, dessen Forderungsausfall zu Lasten aller Versicherten und damit im bundesdeutschen System der Pflichtversicherung zu Lasten von breiten Teilen der Allgemeinheit geht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ein zur Geldleistung verpflichteter Sozialleistungsträger in der Insolvenz des Leistungsempfängers die geschuldete Geldleistung aufgrund der Regelung des § 52 SGB I grundsätzlich sogar mit den Leistungsansprüchen eines anderen Sozialleistungsträgers verrechnen, wenn dieser ihn hierzu ermächtigt hat (BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 5 RJ 18/03 R = SozR 4-1200 § 52 Nr. 2). Dies gilt erst recht für die Aufrechnung mit eigenen Beitragsansprüchen.
Selbst wenn man mit dem Kläger eine nach §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO "anfechtbare Handlung" der Beklagten annehmen würde, wäre die Aufrechnung dennoch nicht unwirksam. Der Kläger hat weder geltend gemacht noch ist es sonst ersichtlich, dass die in der Aufrechnungserklärung vom 26.07.2001 genannten Heimbewohner zum Zeitpunkt der Entgegennahme der Pflegeleistungen Kenntnis i.S.v. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO von der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin oder dem Eröffnungsantrag hatten.
Der Streitwert ist unter Berücksichtigung des Klageantrags auf 22.128,05 Euro festgesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision als gegeben angesehen.
Erstellt am: 15.12.2006
Zuletzt verändert am: 15.12.2006