Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 29.03.2006 abgeändert. Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin L beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seine am 14.12.2005 beim Sozialgericht Dortmund anhängig gemachte Klage gegen ein Aufforderungsschreiben der Beklagten, seine Unterkunftskosten zu senken.
Der Kläger steht seit dem 01.01.2005 im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Schreiben vom 10.06.2005 forderte die Beklagte den Kläger auf, die Kosten für seine Wohnung von seinerzeit 247,56 EUR bis zum 31.12.2005 auf das angemessene Maß von 216 EUR zu senken. Sofern eine Senkung der Kosten nicht erfolge, würden ab dem 01.01.2006 (dem Beginn eines neuen Bewilligungszeitraumes) nur noch die angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von 216 EUR berücksichtigt. Das Schreiben enthielt die folgende Rechtsmittelbelehrung:
"Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erheben. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der oben genannten Stelle einzulegen. "
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. In der angeführten Rechtsbehelfsbelehrung wurde auf die Möglichkeit der Klage beim Sozialgericht Dortmund hingewiesen.
Seine Klageschrift vom 15.12.2005 enthält den folgenden Antrag:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.06.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 verpflichtet, dem Kläger für seine Unterkunft in der S-str. 4 in I ab dem 01.01.2006 angemessene Leistungen nach den Bestimmungen des SGB II zu bewilligen.
Zugleich hat der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren beantragt.
Bereits zuvor hatte die Beklagte mit Bescheid vom 02.12.2005 (Widerspruchsbescheid vom 03.05.2006; Klageverfahren anhängig beim Sozialgericht Dortmund unter dem Aktenzeichen: S 27 AS 210/06) Leistungen nach dem SGB II ausgehend von angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von 216 EUR bewilligt.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 29.03.2006 hat das Sozialgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beantragte Verurteilung der Beklagten zur Bewilligung von angemessenen Leistungen ab Januar 2006 sei im vorliegenden Verfahren nicht möglich. Das Aufforderungsschreiben vom 10.06.2005 stelle "keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar, weil es nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sei, sondern lediglich – wie hier inzwischen durch Bescheid vom 02.12.2005 offensichtlich geschehen – "eine mögliche Entscheidung hinsichtlich der Höhe der Unterkunftskosten" vorbereite. Zur Begründung hat das Sozialgericht auf bereits von der Beklagten in Bezug genommene Rechtssprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.11.2005 – L 19 B 88/05 AS ER) verwiesen. Da das Aufforderungsschreiben letztlich nicht über die Leistungshöhe entscheide, könnten im vorliegenden Klageverfahren auch keine höhere Leistungen zuerkannt werden. Die dem Aufforderungsschreiben beigefügte Widerspruchbelehrung allein mache das Schreiben nicht zum anfechtbaren Verwaltungsakt.
Mit seiner Beschwerde vom 15.05.2006 macht der Kläger geltend, er sei mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2005 nicht darauf hingewiesen worden, dass auf den Widerspruchsbescheid noch weitere rechtsmittelfähige Bescheide in gleicher Sache ergehen würden, die die künftige Kostenübernahme regeln würden. Zudem entfalte der Widerspruchsbescheid Außenwirkungen und mache unmissverständlich deutlich, dass eine Absenkung der Unterkunftskosten auf jeden Fall ab dem 01.01.2006 als Rechtsfolge einsetzen würde. Im Übrigen habe die Beklagte für erteilte Rechtsbehelfsbelehrung einzustehen. Es sei aufgrund des Verhaltens der Beklagten, welches beim Kläger zu Rechtsunsicherheit geführt habe, unbillig, ihm seine Verfahrenskosten aufzuerlegen. Entstünden durch eine objektiv falsche Rechtsbehelfsbelehrung Verfahrenskosten, so habe diese die Körperschaft zu tragen, deren Organ die fehlerhafte Belehrung erteilt habe. Dies sei auch der Fall, wenn eine Belehrung erteilt werde, obwohl ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei und der unrichtigen Belehrung entsprechend ein solcher eingelegt und sodann verworfen werde. Die Beklagte und nicht in der Kläger müssten über vertiefte Rechtskenntnisse im Verwaltungsrecht verfügen. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung richtig sei. Hätte er weder Widerspruch eingelegt noch Klage erhoben, wäre er das Risiko des Verweises auf die Rechtskraft der Bescheide eingegangen. Auch widerspreche es anwaltlicher Sorgfaltspflicht, dem Kläger trotz erteilter Rechtsbehelfsbelehrungen von Widerspruch oder Klage abzuraten.
Mit Beschluss vom 12.05.2006 hat das Sozialgericht der Beschwerde des Klägers nicht abgeholfen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg. Sie habe sich bei dem Bescheid vom 10.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 an der Mietabsenkungspraxis nach dem früheren BSHG-Recht orientiert, und zwar auch hinsichtlich der Erteilung der Rechtsbehelfsbelehrung im Ankündigungsbescheid. Der abweichende Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11.11.2005 sei ihr erst am 22.11.2005 bekannt geworden. Der Kläger seinerseits hätte die Rechtsprechung vor Klageerhebung zur Kenntnis nehmen können. Zwischenzeitlich sei die Verwaltungspraxis der Rechtsprechung angepasst worden. Im Zeitpunkt seines Erlasses sei der Widerspruchbescheid vom 15.11. 2005 daher rechtlich nicht zu beanstanden gewesen. Es sei der Beklagten nicht anzulasten, dass sich die Rechtsauffassung im Vergleich zur früheren Praxis nach dem BSHG geändert habe. Im Übrigen sei zwischen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Frage zu unterscheiden , ob die Beklagte außergerichtliche Kosten des Klägers zu erstatten habe. Letztere Frage sei nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Klägers vom 09.05.2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 12.05.2006), ist begründet.
Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, dem Kläger für sein Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die Klage mit dem ausdrücklich formulierten Begehren, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 10.06.2005 und des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 ab dem 01.01.2006 angemessene Leistungen nach den Bestimmungen des SGB II zu bewilligen, hat zumindest (teilweise) Aussicht auf Erfolg im Sinne der §§ 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO).
Sowohl der Bescheid vom 10.06.2005 als auch der Widerspruchsbescheid vom 15.11.2005 kündigen lediglich für die Zukunft (ab Januar 2006) an, statt der tatsächlichen Unterkunftskosten lediglich angemessene Unterkunftskosten in Höhe von 216 EUR berücksichtigen zu wollen ("Von daher ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die ARGE Märkischer Kreis die Absicht hat, im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II zukunftsorientiert nicht mehr als diese 216,00 EUR monatlich an Kaltmiete berücksichtigen zu wollen"). Als Gegenstand des Widerspruchsbescheides ist zudem ausdrücklich benannt die " Aufforderung zur Absenkung der Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II)".
Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 20.02.2006 entschieden, dass es sich bei einer Kostensenkungsaufforderung hinsichtlich der Unterkunftskosten als einer Art Vorbereitungshandlung grundsätzlich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) handelt (L 20 B 5/06 AS). Der Senat sieht keine Veranlassung, von seiner bisherigen Einschätzung abzuweichen (vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 17.03.2006, L 7 AS 41/06; LSG NRW, Beschluss vom 11.11.2005, a.a.O.).
Von entscheidender Bedeutung ist aber vorliegend der Umstand, dass die Beklagte sowohl mit dem Bescheid vom 10.06.2005 also auch mit dem Widerspruchsbescheid vom 15.11.2005 den Anschein vermittelt, es läge eine verbindliche Regelung des öffentlichen Rechts vor, indem ausdrücklich von Bescheiden die Rede ist und in der Rechtsmittelbelehrung auf ein Widerspruchs- bzw. Klagerecht hingewiesen wird. Nach dem objektiven Erklärungswert der Bescheide durfte der Kläger die Erklärung der Beklagten als Verwaltungsakt verstehen. Auch gegen den (nur) formellen Verwaltungsakt ist dem Adressaten gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren.
Der Senat schließt sich insoweit nach eigener Überprüfung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) an, dass allein die Existenz eines solchen formellen Verwaltungsaktes den Kläger mit dem Risiko behaftet, dass ihm in Zukunft unter Umständen ein insoweit " bestandskräftiger Verwaltungsakt" entgegengehalten werden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.2003, B 4 RA 60/02 R = SozR 4-1200 § 52 Nr. 1). Die Überprüfung der Rechtswidrigkeit durch das Gericht schließt daher auch die Prüfung ein, ob die Behörde mit ihrer Maßnahme die zutreffende Handlungsform gewählt hat. Ist dies nicht der Fall, ist der formelle Verwaltungsakt ohne nähere Sachprüfung aufzuheben (Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Auflage 1998, § 35 RdNr. 14; vgl. auch Hk-VerwR/VwVfg/Schwarz, § 35 VwVfG RdNr. 5ff.).
Zwar ist der angekündigte Klageantrag unter Formulierung eines Verpflichtungsbegehren sinngemäß auch auf die Fortzahlung der tatsächlichen (ungekürzten) Unterkunftskosten gerichtet, ausdrücklich ist aber auch die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt worden.
Es kann daher vorliegend dahinstehen, ob ein Hilfebedürftiger bei einer Kostensenkungsaufforderung einen " vorverlagerten" Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, a.a.O.). Insoweit ist aber bereits darauf hinzuweisen, dass bei Klageerhebung dem Kläger der Bewilligungsbescheid für den mit dem 01.01.2006 beginnenden Bewilligungszeitraum bereits vorlag und insoweit die Notwendigkeit eines "vorverlagerten" Rechtsschutzes nicht bestand.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nicht die Frage der Verpflichtung zur Übernahme außergerichtlicher Kosten im Rahmen eines Antrages nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG ist, bei der neben den Erfolgsaussichten der Klage auch zu berücksichtigen wäre, ob die Beklagte dem Kläger Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 Zivilprozessordnung.
Erstellt am: 21.12.2006
Zuletzt verändert am: 21.12.2006