Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.03.2004 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3610,52 Euro zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 4.170,50 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist ein Erstattungsanspruch wegen der Versorgung der Beigeladenen zu 1 mit Windelhosen (sog. Einmalwindeln).
Die 1978 geborene Beigeladene zu 1 leidet an einer Tetraspastik mit Cerebralparese bei Zustand nach Meningoencephalitis. Sie ist zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl und bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Seit 1994 ist sie in der von der Beigeladenen zu 2 betriebenen Behinderteneinrichtung "Kinder- und Pflegeheim Wassertrüdingen" untergebracht. Sie war bis zum 30.6.2005 bei der Beklagten gegen Krankheit versichert, zum 1.7.2005 wechselte sie zur AOK Bayern. Von der Beigeladenen zu 3 erhielt sie bis zum 30.6.2005 Leistungen der Pflegestufe III nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).
Wegen einer vollständigen Harn- und Stuhlinkontinenz ist die Beigeladene zu 1 auf Windelhosen angewiesen, die durch ihren behandelnden Arzt für Allgemeinmedizin Dr. T aus Wassertrüdingen laufend als "Windelhosen Größe 2 für einen Monat wegen Harn- und Stuhlinkontinenz bei spastischer Cerebralparese" (im Folgenden: Einmalwindeln) verordnet werden. Die Einmalwindeln wurden bis Mitte 2000 von der Beklagten in der Art und Weise gewährt, dass die Beigeladene zu 2 die Beigeladene zu 1 auf der Grundlage der ärztlichen Verordnungen mit den Windeln versorgte, diese in Rechnung stellte und die Beklagte die Rechnungen beglich.
Dr. T teilte im März 2001 unter Verwendung eines von der Beklagten übersandten Formulars ("Attest zur Notwendigkeit der Versorgung mit Inkontinenzartikeln") mit, die Beigeladene zu 1 sei nicht in der Lage, die Wohnung zu verlassen, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Inkontinenzartikel seien erforderlich, weil ein Dekubitus oder Dermatosen drohten; die Patientin könne Harn- und/oder Stuhlabgang nicht kontrollieren, sie könne sich auch nicht selbst bemerkbar machen und sich deshalb selbst nicht vor Schäden aus längerer Einwirkung von Harn und Stuhl auf die Haut bewahren (Attest vom 28.3.2001). Beratende Ärztin L vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) L1 kreuzte an, die beantragte Leistung werde befürwortet, und fügte handschriftlich hinzu "als Pflegehilfsmittel!" (Stellungnahme vom 19.4.2001). Dies nahm die Beklagte zum Anlass, der Beigeladenen zu 2 mitzuteilen, dass eine Kostenübernahme für die Einmalwindeln im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht (mehr) möglich sei, weil dauernde Bettlägerigkeit vorliege und die Inkontinenzartikel allein aus hygienischen und pflegerischen Gesichtspunkten zum Einsatz kämen.
Der Betreuer der Beigeladenen zu 1 wandte sich gegen die Einstellung der Leistung und wies die Beklagte darauf hin, dass ihm unklar sei, wie die Beigeladene zu 1 an einer Fördergruppe teilnehmen solle oder im Rollstuhl sitzen könne, wenn sie keine Windeln trage. Erst die Versorgung mit Windeln ermögliche ihr die regelmäßige Teilnahme am öffentlichen Leben. Sie sei nicht in der Lage, anderen mitzuteilen, wenn sie zur Toilette müsse. Er beantragte beim Kläger, die Kosten für die Inkontinenzartikel (hilfsweise) zu übernehmen. Nachdem der Kläger in Erfahrung gebracht hatte, dass die Kosten für Inkontinenzartikel nicht im Pflegesatz des Kinder- und Pflegeheims enthalten sind, lehnte er gegenüber der Beigeladenen zu 1 die vorläufige Kostenübernahme für die Zeit bis zum 31.1.2002 ab und erklärte sich bereit, die laufenden Kosten ab dem 1.2.2002 zu übernehmen. Davon setzte er die Beklagte im Mai 2002 in Kenntnis und meldete gleichzeitig seinen Erstattungsanspruch an. Die Beklagte erwiderte, dass eine Kostenübernahme im Rahmen der GKV nicht möglich sei, wenn Inkontinenzartikel wie hier ausschließlich zur Erleichterung der Pflege oder aus hygienischen Gründen erforderlich seien. Die Kosten könnten nur übernommen werden, wenn die Versicherte hierdurch allein am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne. Dies sei aber nicht der Fall.
Die Beigeladene zu 2 teilte dem Kläger mit, auch sie sei der Überzeugung, dass es sich bei den Einmalwindeln um Hilfsmittel im Sinne der GKV handele; es sei der Beigeladenen zu 1 nicht möglich, Harndrang anzuzeigen oder selbst angemessen darauf zu reagieren. Ihre geistige Behinderung sei nicht so ausgeprägt, dass sie nur passiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne; im Gegenteil blühe sie erkennbar auf, wenn es ihr ermöglicht werde, Kontakte zu Menschen außerhalb des Heimbereichs wahrzunehmen; ohne Einmalwindeln wäre es für sie unmöglich, an Veranstaltungen (Ausflügen, Spaziergängen) teilzunehmen.
Am 2.4.2003 hat der Kläger Klage erhoben. Die Einmalwindeln seien erforderlich, um die Teilnahme der Beigeladenen zu 1 am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 25.2.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für Windelhosen (Inkontinenzartikel) für die Versicherte T1 zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie sei nicht zur Erstattung verpflichtet. Die Inkontinenzartikel dienten nur der Erleichterung pflegerischer und hygienischer Maßnahmen.
Die Beigeladene zu 2 hat dem SG auf Anforderung einen Beobachtungsbogen übersandt. Dort ist unter "Soziales Verhalten" vermerkt, dass die Beigeladene zu 1 bei Tagesausflügen, Unternehmungen und Aktivitäten ihrer Gruppe mit Freude dabei sei. Einmal im Jahr fahre sie mit ihrer Gruppe oder einer anderen Gruppe in Freizeit.
Das SG hat die Klage abgewiesen, weil die Beigeladene zu 1 durch die Nutzung der Einmalwindeln "in nichts selbständiger" werde (Urteil vom 22.3.2004).
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und seinen Erstattungsanspruch zuletzt auf EUR 3610,52 (für den Zeitraum vom 1.2.2002 bis zum 30.6.2005) beziffert. Nachdem die Beklagte vorgebracht hatte, das Rechtsmittel sei nicht statthaft, hat er Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Senat hat die Berufung zugelassen (Beschluss vom 28.3.2006).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.3.2004 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 3610,52 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurück zu weisen.
Sie hat gemeint, die Voraussetzungen des § 104 SGB X seien nicht gegeben.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Die Beigeladene zu 1 hat vorgetragen, sie nehme trotz ihrer Behinderung ständig am öffentlichen Leben teil. Sie besuche eine Förderstätte, die zum Heim gehöre, und nehme an Veranstaltungen und Spaziergängen teil. Dazu benötige sie wegen ihrer Inkontinenz geeignete Hygieneartikel, um übermäßige Geruchsentwicklung und ein Wundliegen bzw. Wundsitzen zu vermeiden. Seit dem 1.7.2005 übernehme die AOK Bayern problemlos sämtliche Kosten für die verordneten Windelhosen. Die Beigeladene zu 2 hat vorgetragen, für die Beigeladene zu 1 diene das Tragen von Windeln dem Behinderungsausgleich. Die Beigeladene zu 3 hat sich bereit erklärt, für den streitigen Zeitraum EUR 1.395 als Leistung der gesetzlichen Pflegeversicherung zu zahlen.
Dr. T hat von einer Behandlung wegen frühkindlichem Hirnschaden bei Verdacht auf Zustand nach Meningoencephalitis mit hochgradiger psychomotorischer Retardierung und einer Tetraspastik sowie einem cerebralen Anfallsleiden berichtet. Die Sprachentwicklung sei hochgradig eingeschränkt, das passive Sprachverständnis sei besser. Die Patientin könne aufgrund ihrer Behinderung weder ihren Harndrang kontrollieren noch selbständig in angemessener Art und Weise darauf reagieren. Im Heim sei es ihr möglich, mit anderen Bewohnerinnen Kontakt aufzubauen und zu halten. Ferner könne sie mit Hilfe ihrer Windelhosen an Tagesausflügen teilnehmen und Veranstaltungen am Ort mit Pflegepersonen besuchen. Dadurch sei es ihr möglich, trotz ihrer Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und einen Zuwachs an Lebensqualität zu gewinnen (Befundbericht vom 9.9.2005).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne (erneute) mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne (erneute) mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die kraft Zulassung statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig; sie ist begründet, weil die Klage im jetzt noch streitigen Umfang entgegen der Auffassung des SG zulässig und begründet ist.
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist jedenfalls kraft unwiderleglicher gesetzlicher Vermutung gegeben, § 17 Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz. Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG statthaft. Bei einem Erstattungsstreit zwischen Sozialleistungsträgern (vgl §§ 12 Satz 1, 21 Abs 2, 28 Abs 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I) handelt es sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (Keller in: Meyer- Ladewig ua. SGG. 8 Aufl. 2005. § 54 Rdnr 41 mwN; vgl. auch BSGE 86, 166 , 167 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; 92, 223ff = SozR 4-2500 § 39 Nr 1). Richtige Beklagte ist seit dem 1.7.2006 wegen der Fusion der AOKn Rheinland und Hamburg die AOK Rheinland/Hamburg als (Gesamt-) Rechtsnachfolgerin (§ 144 Abs. 4 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) der AOK Rheinland (sog. Funktionsnachfolge, vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig ua. § 99 Rdnr 6a mwN). Entsprechendes gilt für die Beigeladene zu 3, § 46 Abs. 5 SGB XI.
Streitig ist ausweislich des zuletzt gestellten Sachantrags nur noch die Erstattung der vom Kläger für die Zeit vom 1.2.2002 bis 30.6.2005 aufgewandten Kosten in Höhe von EUR 3610,52, nachdem der Kläger seine Forderung für den Zeitraum bis zum 31.1.2002 (EUR 559,98) fallen gelassen und dadurch seine Klage insoweit – konkludent – zurück genommen hat (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig. § 102 Rdnrn 4 und 7b mwN; BSG SozR Nr 10 zu § 102 SGG; BSG Urteil vom 31.3.1993, Az 13 RJ 33/91; Hessischer VGH, VerwRspr Band 27, 239).
Der streitige Anspruch ist nach § 104 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) begründet. § 102 SGB X (vorläufige Leistung) kommt als Anspruchsgrundlage erkennbar nicht in Betracht; da die Beklagte als zuerst angegangener Leistungsträger gerade nicht vorläufig geleistet hat, sondern gar nicht. Der Kläger hingegen hat erkennbar auf seine eigene, subsidiäre Verpflichtung geleistet, und nicht wegen des Zweifels, welcher Träger zuständig ist; eine Leistungsbestimmung iS der Vorläufigkeit (vgl § 43 SGB I) lässt sich seiner Leistungszusage nicht entnehmen. Der Kläger hat seine Erstattungsforderung rechtzeitig angemeldet, § 111 SGB X. Im Verhältnis der Leistungsträger zueinander ist ohne Bedeutung, ob die Leistung gegenüber dem Berechtigten bescheidmäßig festgestellt oder abgelehnt worden ist.
Der Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers richtet sich wegen des institutionellen Nachrangs der Sozialhilfe (Systemsubsidiarität) stets nach § 104 SGB X (BSG, Beschluss vom 4.4.2006, Aktenzeichen (Az) B 1 KR 32/04 R; von Wulffen/Roos. SGB X. 5. Aufl. 2005. § 104 Rdnr 6; s auch LSG NRW Urteil vom 19.1.2006, Az L 5 KR 181/04). Nach § 104 Abs 1 SGB X ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit dieser Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungspflicht eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet wäre (Satz 2). Erläuternd führt § 104 Abs 1 Satz 3 SGB X zum Nachrangverhältnis aus, dass ein Erstattungsanspruch nicht besteht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. § 104 SGB X geht also von nebeneinander bestehenden Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger aus, wobei die Verpflichtung eines dieser Leistungsträger wegen System- oder Einzelanspruchssubsidiarität der Leistungspflicht des anderen nachgeht (vgl BSGE 74, 36 , 38 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8, 12 mwN; BSG SozR 3-2600 § 13 Nr 2). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn der Kläger hat als nachrangig verpflichteter Leistungsträger an die Beigeladene zu 1 als Berechtigte Sozialleistungen erbracht, obwohl (vorrangig) ein Leistungsanspruch gegenüber der Beklagten bestand. Die von § 104 Abs 1 SGB X vorausgesetzte Nachrangigkeit der Ansprüche eines Hilfe Suchenden gegenüber dem zuständigen Sozialhilfeträger ergibt sich aus der in § 2 Zwölftes Buch Sozialgestzbuch (SGB XII) (bis zum 31.12.2004: § 2 Bundessozialhilfegestz (BSHG)) normierten Systemsubsidiarität der Sozialhilfe (vgl BSGE 58, 119, 123 = SozR 1300 § 104 Nr 7; von Wulffen/Roos, aaO § 104 RdNr 6; W.Schellhorn/H.Schellhorn, BSHG, 16. Aufl, § 2 RdNr 5). Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Es besteht auch eine vorrangige Leistungspflicht der Beklagten, die Beigeladene zu 1 mit den verordneten Einmalwindeln zu versorgen, die der Kläger erfüllt hat, § 107 SGB X (zur Erfüllungsfiktion vgl BSG SozR 3-1300 § 107 Nr 10; BSG SozR 3-2600 § 93 Nr 12; von Wulffen aaO § 107 Rdnrn 2 und 6). Der Sachleistungsanspruch der Beigeladenen zu 1 gegen die Beklagte ergibt sich aus § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V.
Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Variante), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Variante, die erst zum 1. Juli 2001 in das SGB V eingefügt worden ist) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Variante), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.
Einmalwindeln sind jedenfalls dann keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, wenn sie – wie hier – von gesunden Menschen gleichen Alters nicht benötigt werden (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr 1; anders bei Einmalwaschlappen und feuchtem Toilettenpapier: BSG Urteil vom 24.9.2004 Az B 3 P 15/01 R). Sie sind vorliegend vielmehr erforderlich, um die Behinderung der Beigeladenen zu 1 auszugleichen (3. Variante); ob sie daneben, wie der Kläger und die Beigeladenen zu 1 und 2 meinen, auch erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, kann somit dahin stehen.
Bei den der Beigeladenen zu 1 ärztlich verordneten Einmalwindeln handelt es sich um Hilfsmittel der GKV. Die Rechtsprechung hat Mittel, die nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzen, sondern in erster Linie bei deren Folgen auf beruflichem oder gesellschaftlichem Gebiet sowie bei Freizeitbetätigungen, nicht als Hilfsmittel der GKV anerkannt und insoweit zwischen Hilfsmitteln der GKV und solchen der Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff BSHG unterschieden (BSG SozR 2200 § 187 Nr 1 – elektrische Schreibmaschine bei einer Phokomelie der oberen Gliedmaßen; BSG SozR 2200 § 182b Nr 5 – Blindenschrift-Schreibmaschine). Soweit jedoch allgemeine Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betroffen sind, fällt nach der Rechtsprechung auch der Ausgleich der Folgen der Behinderung auf den genannten Gebieten in die Leistungspflicht der GKV (st. Rspr. des BSG seit BSG SozR 2200 § 182b Nr 10 – Clos-o-mat). Hierin unterscheiden sich die lediglich dem mittelbaren Ausgleich dienenden Hilfsmittel nicht von den unmittelbar an der Behinderung ansetzenden Hilfsmitteln (so zB Körperersatzstücke, Hör- und Sehhilfen). Zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen gehören die körperlichen Grundfunktionen (zB Gehen, Stehen, Sitzen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) sowie die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen und die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der zB die Bewegung im Nahbereich der Wohnung sowie die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung umfasst. Maßstab ist stets der gesunde Mensch, zu dessen Grundbedürfnissen der kranke oder behinderte Mensch durch die medizinische Rehabilitation und mit Hilfe der von der KK gelieferten Hilfsmittel wieder aufschließen soll (vgl BSGE 66, 245 , 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 7, 13 und 16 sowie die Rechtsprechung zur RVO: BSG SozR 2200 § 182b Nr 29, 34 und 37).
Bei den verordneten Einmalwindeln handelt es sich um Hilfsmittel der GKV (BSGE 66, 245, 246 = SozR 3-2500 § 33 Nr 1; BSG SozR 2200 § 182b Nr 24). Sie sind als "Windelhosen Größe 2" im Hilfsmittelverzeichnis Gruppe 15 "Inkontinenzartikel", Untergruppe 15.25.03 "Saugende Inkontinenzwindelhosen", Nrn 1000-1999 aufgeführt. Sie sind auch im "Einzelfall erforderlich", um der Beigeladenen zu 1 die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums zu ermöglichen. Wegen Harninkontinenz verordnete Einmalwindeln sind Hilfsmittel i.S. der GKV , wenn sie nicht nur hygienischen oder pflegerischen Zwecken dienen, sondern die Versicherten in die Lage versetzen, das Grundbedürfnis "Teilnahme am gesellschaftlichen Leben" zu befriedigen (BSGE 66, 245, 246). Dies ist entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG hier der Fall. Dabei mag es sein, dass die ursprüngliche Auskunft des Dr. T (vom 28.3.2001) die Vermutung nahe legte, der pflegerische Aspekt stehe im Vordergrund. Aber bereits das BSG (aaO) hatte bei der dort zugrunde liegenden vergleichbaren Fallgestaltung ausgeführt, Einmalwindeln dienten nicht dem Zweck, die Pflege zu erleichtern, sondern im Gegenteil, sie zu vermeiden (ebenda; die Frage, wo der Schwerpunkt liege, stellt sich demzufolge nicht, vgl dazu jetzt: BSG Urteil vom 10.11.2005, Az B 3 P 10/04 R). Selbst wenn man davon ausginge, dass die Einmalwindeln auch pflegerischen und hygienischen Zwecken dienten, liegt der Schwerpunkt der Zweckbestimmung hier auf dem Ausgleich der Behinderung, weil durch die Einmalwindeln gerade Pflegebedürftigkeit verhindert wird und eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben möglich wird. Zur Überzeugung des Senats kann die Beigeladene zu 1 nur, wenn sie mit Einmalwindeln versorgt ist, überhaupt – wenn auch nur in geringem, elementaren Umfang – am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Dies schließt der Senat aus den Angaben des Kinder- und Pflegeheims Wassertrüdingen/der Beigeladenen zu 2 und den Angaben des Dr. T im Berufungsverfahren. Danach legt die Beigeladene zu 1 großen Wert auf soziale Kontakte zu Mitmenschen. Ihre geistige Behinderung ist nicht so weit ausgeprägt, dass sie nur passiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann; im Gegenteil blüht sie erkennbar auf, wenn es ihr ermöglicht wird, Kontakte zu Menschen außerhalb des Heimbereichs wahrzunehmen; ohne Einmalwindeln ist es für sie unmöglich, an Veranstaltungen (Ausflügen, Spaziergängen) teilzunehmen. Sie ist bei Tagesausflügen, Unternehmungen und Aktivitäten ihrer Gruppe mit Freude dabei. Einmal im Jahr fährt sie mit ihrer Gruppe oder einer anderen Gruppe in Freizeit (Kinder- und Pflegeheim Wassertrüdingen/ Beigeladene zu 2). Sie kann mit Hilfe ihrer Windelhosen an Tagesausflügen teilnehmen und Veranstaltungen am Ort mit Pflegepersonen besuchen. Dadurch ist es ihr möglich, trotz ihrer Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und einen Zuwachs an Lebensqualität zu gewinnen (Befundbericht Dr. T vom 9.9.2005).
Dies steht in Einklang mit den Angaben, die der Betreuer der Beigeladenen zu 1 für sie gemacht hat und mit dem Zweck der Behinderteneinrichtung "Kinder- und Pflegeheim Wassertrüdingen", eine selbständige Lebensführung im Alter oder die Erwerbstätigkeit zu fördern und die Aufrechterhaltung und Neuentwicklung sozialer Beziehungen zu ermöglichen. Ohne Belang ist, dass die Beigeladene zu 1 aufgrund ihrer Behinderung überhaupt nur in ganz geringen Ausmaß und nur mit Begleitperson überhaupt am öffentlichen oder gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Denn die Hilfsmittelversorgung im Rahmen der GKV soll im Rahmen des aufgezeigten Spektrums jeden Behinderungsausgleich ermöglichen, also auch einen nur geringen Ausgleich auf geringem Niveau. Einen Anspruch auf einen solchen Ausgleich hat auch eine Behinderte, die nur im Rollstuhl und nur in Begleitung am öffentlichen Leben teilnehmen kann. Warum diese gesundheitliche Rehabilitation einer Schwerstbehinderten deshalb verwehrt sein soll, weil sie ohnehin nicht allein am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne, ist schlechterdings nicht nachvollziehbar. Ein solcher Ausgleich ist vielmehr bereits nach Wortsinn, Systematik und Zweck des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V geboten. Allein diese Auslegung steht mit Art 3 Abs 2 Grundgesetz (GG) in Einklang.
Das Verbot einer Benachteiligung Behinderter (Art 3 Abs 2 GG) ist auch mit einem objektiv-rechtlichen Auftrag an den Staat verbunden, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken; dieser auch nach Inkrafttreten des SGB IX fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet zwar keine konkreten Leistungsansprüche und damit kein einklagbares subjektives Recht des Einzelnen auf eine bestimmte Hilfsmittelversorgung (vgl BSG Urteil vom 22. Juli 2004, Az B 3 KR 5/03 R). Der sachliche Anwendungs- und Schutzbereich des Grundrechts aus Art 3 Abs 3 Satz 2 GG soll den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art 3 Abs 1 GG für bestimmte Personengruppen dahingehend verstärken, dass der staatlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgegeben werden, als die Behinderung nicht zum Anknüpfungspunkt für eine – benachteiligende – Ungleichbehandlung dienen darf (vgl BVerfGE 96, 288 , 301 f; 85, 191, 206). Eine behinderungsbezogene Benachteiligung iS von Art 3 Abs 3 Satz 2 GG liegt nicht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation von Behinderten wegen ihrer Behinderung verschlechtern; sie kann vielmehr auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein (BVerfG aaO). Zwar schafft das Benachteiligungsverbot für Behinderte, die allein durch ihre Behinderung von bestimmten Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind, die eine gesunde Person hat, allein deshalb keinen positiven Leistungsanspruch und damit keine Verpflichtung des Gesetzgebers, über die GKV jedweden Bedarf nach Behinderungsausgleich durch entsprechende Hilfsmittel zu befriedigen (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 6). Indes verbietet die Vorschrift nach dem zuvor Gesagten, im Rahmen einer grundsätzlich nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V bestehenden Leistungspflicht (hier auf Versorgung mit Einmalwindeln als Hilfsmittel der GKV) den Anspruch im konkreten Einzelfall wegen der Behinderung zu versagen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Versorgung der Beigeladenen zu 1 mit Einmalwindeln auch deshalb gerechtfertigt, weil sie dem Ziel einer möglichst selbstständigen Lebensführung eines behinderten Menschen dient, dessen Bewegungsspielraum im Nahbereich der Wohnung spürbar erweitert wird. Es geht nicht lediglich um die Erhöhung der Bequemlichkeit, sondern um eine qualitative Erweiterung des persönlichen Freiraums und des Umfangs der selbstständigen Lebensführung. Schließlich fällt die Versorgung mit Einmalwindeln auch in Abgrenzung zur Leistungspflicht des Pflegeheims systematisch in die Zuständigkeit der GKV. Die Pflegeeinrichtung wird erst zuständig, wenn keine medizinische Rehabilitation mehr möglich ist, wenn der Versicherter nur noch "Objekt der Pflege" ist (BSGE 85, 25ff "Rollstuhl"; 89, 271ff "Ernährungspumpe"). Hier geht es jedoch um die Versorgung mit Hilfsmitteln auch für Spaziergänge und Ausflüge, und damit zur Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses auch außerhalb des Pflegeheims (BSG aaO). Das fällt – wie auch die Versorgung mit Einmalkathedern in derartigen Fällen (vgl BSG Urteil vom 10.11.2005, Az B 3 KR 42/04 R) – in den Bereich der GKV. Dazu passen die Auskunft des Bezirks Mittelfranken, die Einmalwindeln der Beigeladenen zu 1 seien nicht mit dem Pflegesatz abgegolten, und die – uU auf dem Heimvertrag beruhende – Praxis der Beigeladenen zu 2, für die Beigeladene zu 1 die ärztlich verordneten Einmalwindeln zu beschaffen und mit dem zuständigen Leistungsträger abzurechnen.
Gegen diese Form der Beschaffung, bei der die Pflegeeinrichtung die Beschaffung in Vertretung für die Versicherte übernimmt, bestehen keine rechtlichen Bedenken; sie dürfte im Zweifel sogar wirtschaftlicher sein, weil Abnahmen größerer Mengen Spielräume für Preisvereinbarungen belassen. Dementsprechend sind die Beklagte und die Beigeladene zu 2 bis 2001 in gleicher Weise verfahren.
Die Höhe seiner Forderung hat der Kläger durch die im Laufe des Berufungsverfahrens vorgelegten Abrechnungsunterlagen nachvollziehbar belegt. Stichhaltige Einwände dagegen hat die Beklagte nicht vorgebracht; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
Die Leistungspflicht der Beklagten entfällt auch nicht, soweit die Beigeladene zu 3 geltend macht, sie sei verpflichtet und bereit, EUR 1395 zu zahlen. Denn nach dem zuvor Gesagten besteht eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 3 gerade nicht, vgl § 40 Abs 1 letzter Halbsatz SGB XI. Hätte die Beigeladenen zu 3 geleistet, stünde auch ihr ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu (aus § 105 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§197a Satz 1 SGG, 154 Abs 1, 155 Abs 1 Satz 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 72 Nr 1 2. Halbsatz, 63 Abs 2 Satz 1, 52 Abs 3 Gerichtskostengesetz (GKG), hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens außerdem auf § 63 Abs 3 GKG.
Erstellt am: 12.01.2007
Zuletzt verändert am: 12.01.2007