Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.01.2007 geändert. Der Antrag wird abgelehnt. Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Mit Bescheid vom 08.11.2006 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich 593,87 EUR bzw. 635,- EUR bis zum 31.01.2007. Mit ihrem Widerspruch machten die Antragsteller geltend, dass der Antragsteller zu 2) nicht mehr den ihm zustehenden Unterhalt in Höhe von 316,- EUR monatlich von seinem Vater erhalte. Auf deren Antrag hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 951,- EUR zu zahlen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Unterhaltsanspruch des Antragstellers zu 2) keine Berücksichtigung finden dürfe, weil die Antragsteller diese Leistung tatsächlich nicht erhielten und die Antragsgegnerin im Hinblick auf die erklärte Abtretung des Unterhaltsanspruchs keine Nachteile erleide.
Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin, der das SG nicht abgeholfen hat, ist zulässig und begründet. Das SG hat die Antragsgegnerin zu Unrecht zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet, weil die Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht haben.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -). Daran fehlt es hier, weil die Antragsteller keine höheren als die von der Beklagten bewilligten Leistungen verlangen können. Nach ihrem Antrag, der auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur (monatlichen) Zahlung von 951,- EUR lautet, ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin zu 1) auch als gesetzliche Vertreterin des Antragstellers zu 2) den ihrer Ansicht nach der Bedarfsgemeinschaft insgesamt zustehenden höheren Anspruch durchsetzen will. Weil es sich jedoch um individuelle Ansprüche der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft handelt (vgl. BSG, Urt. v. 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R – Rn 11 ff.), hätte das SG auf den Antrag lediglich entsprechende Teilleistungen zubilligen dürfen. Entgegen der Auffassung des SG stehen den Antragstellern jedoch ohnehin keine weiteren Grundsicherungsleistungen zu.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Aufgrund dieser Bestimmung ist der Unterhaltsanspruch des Antragstellers zu 2) gegen seinen Vater bedarfsmindernd zu berücksichtigen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II ausgeschlossen sein, wenn sie dadurch beseitigt werden kann, dass bestehende Ansprüche gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber Angehörigen (oder Sozialleistungsträgern) durchgesetzt werden (BT-Drucks. 15/1516 S. 53). Trotz der in § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II verwendeten Formulierung, dass nicht hilfebedürftig ist, wer die erforderliche Hilfe von anderen "erhält", kommt es daher entgegen der Auffassung des SG nicht darauf an, dass Leistungen aufgrund der Ansprüche tatsächlich zufließen. Ausreichend ist vielmehr, dass solche Ansprüche ohne weiteres realisiert werden können (hM; vgl. Berlit in LPK – SGB II, § 2 Rn 17; Brühl/Schoch in LPK – SGB II, § 9 Rn 17 f.; Mecke in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, § 9 Rn 16; Radüge in juris PK – SGB II, § 9 Rn 29; Hengelhaupt in Hauck/ Noftz, Kommentar zum SGB II, § 9 Rn 70, der entsprechende Ansprüche dem Vermögen zurechnet; einschränkend Grote-Seifert in juris PK – SGB II, § 2 Rn 32). Dies entspricht der Rechtsprechung zum Recht des Bundessozialhilfegesetzes – BSHG – (vgl. BVerwGE 67, 163 zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen). Die gegenteilige Ansicht des SG wird dem Grundsatz der Nachrangigkeit von Leistungen der Grundsicherung nicht gerecht, die es gebietet, dass der Hilfesuchende alle zumutbaren Anstrengungen unternimmt, seine Bedürftigkeit zu vermeiden.
Der Antragsteller zu 2) ist aber ohne Weiteres in der Lage, seinen Unterhaltsanspruch zu realisieren, weil dieser urkundlich bestätigt ist. Die Antragstellerin zu 1) hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass der Realisierung des Anspruchs tatsächliche Hindernisse entgegenstehen. Ihrem gesamten Vorbringen ist im Ergebnis lediglich zu entnehmen, dass sie wegen ihres angespannten Verhältnisses zum Kindesvater auf eine mögliche Durchsetzung der Ansprüche in eigener Person verzichten möchte. Das SGB II räumt aber keine Wahlmöglichkeit ein, durch Abtretung von Unterhaltsansprüchen an die Leistungserbringer Hilfsbedürftigkeit herbeizuführen.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin mussten daher der Beschluss des SG geändert und der Antrag abgelehnt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 16.04.2007
Zuletzt verändert am: 16.04.2007