Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27. Oktober 2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger wegen einer Dienstbeschädigung vom 21. November 1974 Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewähren muss.
Der im Mai 1955 geborene Kläger erkrankte 1964 an einer Hirnhautentzündung (Menigitis). Seinen Grundwehrdienst leistete er als Pionier in der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen DDR ab. Am Unfalltag fiel ihm beim Bau einer Telefonleitung auf dem NVA-Gelände aus 5 bis 6 m eine ca. 1 kg schwere Schraubzwinge auf den Kopf. Ohne bewusstlos gewesen zu sein, suchte er selbständig die Sanitätseinrichtung auf, die nur wenige Meter entfernt war, und ließ dort eine Kopfplatzwunde nähen. Nach einigen Stunden kam es zu starken Kopfschmerzen und am Folgetag zu Übelkeit mit Erbrechen sowie leichten Schwindelerscheinungen. Deshalb wurde er ins Krankenhaus I verlegt und dort bis zum 16. Dezember 1974 wegen einer Gehirnerschütterung (commotio cerebri) stationär behandelt. Der Kommandeur der NVA-Dienststelle I erkannte den Unfall am 03. Januar 1975 als Dienstbeschädigung an.
Nach einem Genesungsurlaub kam es Ende Februar 1975 bei körperlicher Belastung (3.000 m-Lauf) erneut zu Kopfschmerzen und einer kurzen (ein- bis zweiminütigen) Bewusstlosigkeit mit Sturz. Deshalb nahm ihn das Zentrale Lazarett Bad T am 26. Februar 1975 zur stationären Behandlung auf, wo sich enzephalographisch, röntgenologisch, angiographisch und neurologisch kein traumatischer Befund zeigte. L E diagnostizierte einen Zustand nach Schädelhirntrauma mit Verdacht auf einen kleinen Bluterguss zwischen harter Hirnhaut und Gehirnoberfläche (subdurales Hämatom) und entließ den Kläger am 18. März 1975 als "arbeits- und dienstuntauglich". Unter dem 03. Juni 1975 entschied die Gutachter-Ärzte-Kommission des Zentralen Lazaretts, dass ein Schädel-Hirn-Trauma I. Grades unmittelbare Folge des Dienstunfalls vom 21. November 1974 sei, den der Kommandeur anerkannt habe. Die Höhe des Körperschadens betrage vom 21. November 1974 bis zum 21. Mai 1975 zunächst 20 % und danach 10 %. Der Kläger wurde dienstuntauglich aus der NVA entlassen. 1978 musste ein Schmerzmittelmissbrauch stationär behandelt werden. Wegen wechselhaft-schwankender Kopfschmerzen unter Belastung stellte sich der Kläger bis 1992 regelmäßig bei dem Neurologen und Psychiater Dr. X in der Bezirkspoliklinik T vor, der den Verdacht auf eine Hirnquetschung äußerte und den Kläger verhaltenstherapeutisch behandelte.
Nach dem Wehrdienst schloss der Kläger 1982 ein Fernstudium der Nachrichtentechnik ab und arbeitete anschließend als Nachrichtentechniker im zivilen Bereich. Während dieser Zeit zeigte sich ein krankhafter Trieb zum Fortlaufen in interpersonellen Konfliktsituationen und unter großer psychischer Anspannung (dissoziativer Fugue). Von 1985 bis 1990 absolvierte er erfolgreich ein Jura-Fernstudium an der I1-Universität in C1. 1987/8 musste er sich einer Hodenkrebsoperation unterziehen. Seit Anfang der 90iger Jahre hat er ein starkes Ruhe- und Rückzugsbedürfnis, fühlt sich vermindert belastbar und rasch erschöpfbar. Eine Computertomographie (CT) des Schädels zeigte im August 1991 keinen traumatischen Hirnsubstanzdefekt und eine leichtgradige bifrontale Hirnvolumenminderung, die Dr. X als Folge eines hirnatrophischen Prozesses deutete. In seinem Befundbericht für das Versorgungsamt Schwerin gab er im Dezember 1991 an, das Schädel-Hirn-Trauma habe die Folgen der Hirnhautentzündung ungünstig verstärkt. Der niedergelassene Allgemeinmediziner Dr. B aus T führte zur selben Zeit aus, der Kläger sei "nach dem schweren Schädel-Hirn-Trauma" körperlich und seelisch nur noch vermindert belastbar. Im April 1994 berichtete der niedergelassene Nervenarzt Dr. C, ebd., dass der Kläger an einem Zustand nach Schädelhirntrauma mit leichter peripherer Hirnatrophie und Leistungsschwäche mit Kopfschmerzen leide. Gleichwohl wurde er 1997 Leiter des Privatkundenservice bei der Telekom AG und siedelte im Juni 1998 aus T nach C um. 2000 ließ er sich dort als (stellvertretender) Betriebsvorsitzender freistellen (bis 2006), nachdem sich Konzentrations- und Gedächtnisstörungen subjektiv verstärkt hatten und Depressionen mit Existenzängsten bei Überforderungs- und Konfliktsituationen im Beruf aufgetreten waren.
Im Juli 2000 beantragte der Kläger bei der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung aufgrund des Dienstunfalls eine "Unfallrente". Ab Mitte Januar 2001 ließ er sich zwei Monate in der Neurologisch-Psychosomatischen Abteilung des St.- N-Hospitals C (Leitender Arzt: Dr. V) wegen einer mittelgradigen depressiven Episode und Somatisierungen (Kopfschmerz, Lendenwirbelsäulenbeschwerden) aufgrund zwanghaft-narzistischer Persönlichkeitsstörung bei Arbeitsplatz- und Partnerkonflikt stationär behandeln. Dort bemerkten die Krankenhausärzte ein unterschwelliges rentenneurotisches Begehren und schlossen eine Hirnrindenatrophie sowie posttraumatische Substanzdefekte der Großhirnrinde computertomographisch aus. Eine Magnetresonanztomographie (MRT) ergab Ende April 2001 eine geringe, noch im Normbereich liegende, Volumenminderung der Hirnrinde im Bereich beider Stirnhälften (bifrontal) ohne Fortschritt im Vergleich zur letzten MRT-Untersuchung im November 1998 und zum CT-Befund aus August 1991. Nachdem sich der Kläger bei einem Freibadbesuch im Juli 2001 ein Kopfanpralltrauma zugezogen hatte, war ein CT des Schädels unauffällig und ergab keine Hinweise auf unfallbedingte Hirnsubstanzdefekte, Blutungsreste oder einen krankhaften Hirnschrumpfungsprozess.
Im Verwaltungsverfahren holte die Bundesausführungsbehörde ein neurologisches Gutachten nebst neuropsychologischem Zusatzgutachten von Prof. Dr. L, Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Rheinischen G-Universität C, vom 04. Februar 2002 (Bl. 66/96 VA) und 17. Oktober 2001 ein: Der Kläger habe bei dem Dienstunfall am 21. November 1974 eine Schädelprellung, aber keine Gehirnerschütterung (commotio cerebri) erlitten, weil er nicht bewusstlos gewesen sei. Erst recht scheide eine Hirnquetschung (contusio cerebri) aus. Denn ein Hirnsubstanzdefekt oder ein Hirnhautbluterguss sei weder computer- noch kernspintomographisch gesichert worden, und auch elektroenzephalographisch habe sich kein Herdbefund ergeben. Folglich sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund der Unfallfolgen nicht herabgesetzt. Die Ursache für die verlangsamte Psychomotorik, die leicht reduzierte intellektuelle Leistungsfähigkeit, die gestörte Aufmerksamkeit und das geminderte Arbeitsgedächtnis sei unklar. In Betracht komme eine hirnorganische oder psychiatrische Grunderkrankung, wobei Dissimulationstendenzen nicht auszuschließen seien.
Mit Bescheid vom 21. Mai 2002 lehnte es die Bundesausführungsbehörde daraufhin ab, dem Kläger ab dem 01. Januar 1996 Verletztenrente zu gewähren, weil seine Erwerbsfähigkeit nicht in messbarem Grade gemindert sei. Für die Zeit vor dem 01. Januar 1996 erhob sie die Einrede der Verjährung. Dagegen erhob der Kläger am 15. Juni 2002 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2003 zurückwies.
Hiergegen hat der Kläger am 21. Februar 2003 vor dem Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben und behauptet, er sei nach der Hirnhautentzündung "vollkommen beschwerdefrei" gewesen und habe bis zu seinem 18. Lebensjahr ohne Einschränkungen Leistungssport betrieben. Seit dem Unfall leide er unter starken Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen sowie Ermüdungs- und Erschöpfungszuständen und könne deshalb kein normales Leben mehr führen.
Zur Sachaufklärung hat das SG Befundberichte eingeholt: Darin haben der niedergelassene Nervenarzt Dr. O aus C, der Allgemeinmediziner Dr. B und der niedergelassene Neurologe Dr. L aus C dem Verwaltungsgutachter Prof. Dr. L im Wesentlichen zugestimmt. Demgegenüber hielt es die niedergelassene Psychiaterin Dia aus C "für möglich", dass das Schädelhirntrauma den hirnorganischen Vorschaden verschlimmert habe, der auf der Hirnhautentzündung beruhe. Seit der Hirnhautentzündung leide er unter einer Neigung zu Kopfschmerzen, "besonders stark nach sportlichen Belastungen".
Anschließend hat das SG gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Hauptgutachten des Psychiaters Prof. Dr. T, Leiter der Sektion für Gerontopsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik I, vom 17. Dezember 2004 sowie ein psychologisches Zusatzgutachten der Dipl.-Psych C1, ebd., beigezogen: Bei dem Dienstunfall habe der Kläger eine Schädelprellung erlitten, die vermutlich einen chronischen Bluterguss unter der harten Hirnhaut (subdurales Hämatom) verursacht habe. Hierauf beruhten die wiederkehrenden Kopfschmerzen und die leichten kognitiven Störungen, die der Kläger ohne Unfall wahrscheinlich kompensiert hätte. Auf die verstärkten kognitiven Defizite reagiere er mit einer depressiven Störung. Bis September 2001 betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 20 vom Hundert (v.H.) und anschließend für mindestens ein Jahr 30 v.H.
Daraufhin hat das SG von Amts wegen ein Gutachten des niedergelassenen Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. C2, ehemaliger Direktor und Leitender Arzt der Rheinischen Kliniken Köln, vom 04. Juni 2005 eingeholt: Bei dem Unfall habe sich der Kläger eine Platzwunde mit Schädelprellung, aber keinen Hirnsubstanzschaden zugezogen, wie der Verwaltungsgutachter Prof. Dr. L zutreffend dargelegt habe. Zu einer hirnorganischen Beteiligung sei es allenfalls im Rahmen der Hirnhautentzündung im Kindesalter gekommen.
Mit Urteil vom 27. Oktober 2005 hat das SG die Klage abgewiesen: Bei dem Unfall habe sich der Kläger lediglich eine Platzwunde und eine Schädelprellung zugezogen, die innerhalb weniger Wochen folgenlos abgeheilt seien, wie Prof. E L und Prof. Dr. C2 einmütig und überzeugend ausgeführt hätten. Dieser Einschätzung hätten sich Dr. O, Dr. B und Dr. L1 in ihren Befundberichten ausdrücklich angeschlossen. Zu einer Gehirnerschütterung (commotio cerebri) oder Hirnquetschung (contusio cerebri) sei es nicht gekommen, wie aus den Erstbefunden und den Schichtbildaufnahmen zu schließen sei. Hirnorganische Störungen, die testpsychologisch belegt seien, beruhten alleinwesentlich auf der Hirnhautentzündung, die der Kläger als neunjähriges Kind durchgemacht habe. Seitdem neige er zu Kopfschmerzen und psycho-physischen Erschöpfungszuständen. Dass der Unfall diese Symptome verschlimmert habe, sei möglich, aber nicht hinreichend wahrscheinlich. Dasselbe gelte für die Kausalkette, die Prof. Dr. T entwickelt habe. Denn er stütze sich nur auf eine Verdachtsdiagnose (V.a. chronisch subdurales Hämatom) und zeige lediglich einen möglichen Zusammenhang zwischen ihr, den kognitiven Defiziten und der reaktiven Depression auf.
Nach Zustellung am 09. November 2005 hat der Kläger gegen dieses Urteil am 02. Dezember 2005 Berufung eingelegt und bemängelt, dass das SG die Vorbefunde unzureichend gewürdigt habe, zumal sich 28 Jahre nach dem Ereignis weder die Schädelverletzung noch der daraus resultierende Hirnschaden belegen lasse. Die Hirnhautentzündung sei bereits 1966 ausgeheilt gewesen und habe ihn in der Folgezeit nicht gehindert, Leistungssport zu betreiben. Unmittelbar nach dem Unfall sei er "kurz bewusstlos" gewesen und habe "ca. zwei Wochen später nach körperlicher Belastung eine mehrstündige Bewusstlosigkeit durchlitten". Den Gutachtern habe er jeweils gesagt, "er wisse nicht mehr, ob er bewusstlos gewesen sei". Auch könne er sich an den Transport in das Kreiskrankenhaus I nicht mehr erinnern, was für ein Schädelhirntrauma mit subduralem Hämatom spreche. Dass kein Bagatelltrauma vorgelegen habe, belege schon die dreiwöchige stationäre Krankenhausbehandlung. Der Sachverständige (SV) Prof. Dr. C2 habe die Leitlinie zur "Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirntrauma" nicht beachtet, kenne die (inzwischen vernichteten) Erstbefunde des Krankenhauses I nicht und sei deshalb zu falschen Schlussfolgerungen gekommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27. Oktober 2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2003 zu verurteilen, ihm aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom November 1974 Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, für Wehrdienstleistende der ehemaligen NVA zuständig zu sein und hat hierzu ein Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 01. März 1994, des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherheit vom 13. Oktober 2002 sowie des Bundesversicherungsamtes vom 20. Oktober 2005 vorgelegt.
Das Land Nordrhein-Westfalen, das der Senat zum Verfahren beigeladen hat, stellt keinen Antrag und ist der Auffassung, dass der Kläger keinen Anspruch nach dem Soldaten- oder Bundesversorgungsgesetz (BVG) habe. Zuständig sei die Beklagte.
Der Senat hat von Amts wegen ein psychologisches Gutachten des niedergelassenen Dipl.-Psych. L2 aus N vom 12. Oktober 2006 und ein Ergänzungsgutachten des SV Prof. Dr. C2 eingeholt. Der SV hat den Kläger am 16. August 2006 erneut exploriert, seine Lebensgefährtin fremdanamnestisch befragt und das psychologische Zusatzgutachten ausgewertet. In seinem Ergänzungsgutachten vom 17. Oktober 2006 hat er an seiner bisherigen Beurteilung festgehalten und bekräftigt, dass der Kläger bei dem Unfall eine Schädelprellung und keine Schädel-Hirn-Verletzung erlitten habe. Dies gehe aus den Vorbefunden hervor. Die leichte Hirnleistungsminderung, die testpsychologisch nachgewiesen sei, habe sich unfallunabhängig entwickelt. Eine Hirnatrophie liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte (Az.: 000) Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid vom 21. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2003 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und den Kläger nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte ist nicht verpflichtet, ihm aufgrund der Folgen des Dienstunfalls vom 21. November 1974 Verletztenrente zu gewähren.
Der Anspruch auf Verletztenrente richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dies ergibt sich aus § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO in seiner bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung (a.F.). Diese Vorschrift ist gem. §§ 212, 215 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) für die Übernahme solcher (Arbeits-)Unfälle weiter anzuwenden, die vor dem 01. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten sind.
Nach § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO gelten Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (BKen) der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle und BKen im Sinne des Dritten Buches der RVO (I.). Gem. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO gilt dies jedoch nicht für Unfälle, die – wie hier – einem ab 01. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden sind und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (Il.). Dessen ungeachtet scheidet ein Anspruch auf Verletztenrente aber auch aus medizinischen Gründen aus (III.)
I. Der Dienstunfall vom 21. November 1974 ist im Beitrittsgebiet vor dem 01. Januar 1992 eingetreten und gilt damit gem. § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO grundsätzlich als Arbeitsunfall im Sinne des Dritten Buches der RVO. Denn der Dienstunfall war ein Arbeitsunfall der Sozialversicherung nach dem Recht im Beitrittsgebiet. Erfüllte nämlich ein Wehrdienstleistender – wie hier der Kläger – seine gesetzliche Wehrpflicht bei der NVA und erlitt er dabei eine Dienstbeschädigung, so wurde sie grundsätzlich – von Ausnahmen wie Unfällen beim Umgang mit Kampfmunition sowie bei Schädigungen durch einen rechtswidrigen Angriff abgesehen – wie ein Arbeitsunfall behandelt und entsprechend den Vorschriften der Rentenverordnung der ehemaligen DDR von der Sozialversicherung entschädigt (BSG, Urteil vom 04. Mai 1999, Az.: B 2 U 19/98 R, SozR 3-2200 § 1150 Nr. 2, vgl. auch Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 8. Oktober 1991, Az.: VIa 1 – 52 056, BArbBl 1991, 81).
II. Diese Fiktion des Arbeitsunfalls greift hier aber nicht ein, weil der Dienstunfall vom 21. November 1974 einem Träger der Unfallversicherung, der ab dem 01. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständig ist, erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden ist (1.) und nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen gewesen wäre (2.). Der Anspruch auf Verletztenrente ist damit erloschen, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (3.).
1. Der Dienstunfall vom 21. November 1974 ist der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung (als einem für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger) erst im Juli 2000, also nach dem 31. Dezember 1993, bekannt geworden. Der Kläger selbst hat im Dezember 2000 vorgetragen, er sei "erst kürzlich" über seinen möglichen Rentenanspruch "aufgeklärt worden" und habe den Entschädigungsantrag deshalb "erst jetzt" gestellt. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht, weil die versäumte Frist bereits mehr als ein Jahr abgelaufen war, als der Kläger die Unfallrente im Juli 2000 beantragte (§ 27 Abs. 3 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB X]). Dass ihm die Antragstellung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war, ist nicht erkennbar (vgl. zur Wiedereinsetzung in diesen Fällen ausführlich BSG, Urteil vom 10. Oktober 2002, Az.: B 2 U 10/02 R, HVGB-INFO 2002, 3454 ff.).
2. Dessen ungeachtet, wäre die Dienstbeschädigung des Klägers auch nicht als Arbeitsunfall nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen gewesen. Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Als Wehrdienstleistender wäre der Kläger nach dem Recht des Dritten Buches der RVO jedoch nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen, weil ihm bei einer Wehrdienstbeschädigung nach Maßgabe der §§ 80 ff. des Soldatenversorgungsgesetzes Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes gewährt worden wäre und für ihn daher nach § 541 Abs. 1 Nr 2 RVO Versicherungsfreiheit bestanden hätte (vgl. BSG, Urteile vom 25. Oktober 1989, Az.: 2 RU 40/86 , SGb 1990, 465, vom 24. Februar 2000, Az.: B 2 U 8/99 R, SozR 3-2200 § 1150 Nr. 3, vom 16. April 2002, Az.: B 9 V 7/01 R und vom 10. Oktober 2002, Az.: B 2 U 10/02 R, HVGB-INFO 2002, 3454ff.).
3. Die Rentenversagung, die auf § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO beruht, verstößt weder gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 des Grundgesetzes [GG]) noch gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG), wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (Urteil vom 10. Oktober 2002, Az.: B 2 U 10/02 R, HVBG-INFO 2002, 3545 ff.). Dieser Entscheidung schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an.
a) Die Eigentumsgarantie ist nicht verletzt. Dabei kann offen bleiben, ob Art. 14 Abs. 1 GG überhaupt Ansprüche auf Verletztenrenten der gesetzlichen Unfallversicherung schützt (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Kammerbeschluss vom 18. Februar 1988, Az.: 1 BvR 1017/87, SozR 2200 § 568 Nr. 9). Denn § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO ist in jedem Fall eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG; eine Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) liegt keinesfalls vor. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG ist eine Enteignung zu verneinen, wenn der Berechtigte sein Recht ohnehin besonders geltend machen musste und den Rechtsverlust binnen angemessener Frist und in einfacher, leicht zu erfüllender Form verhindern konnte (vgl. BVerfG, Urteil vom 08. Oktober 1995, Az.: 1 BvL 17/83, 1 BvL 19/83, BVerfGE 70, 278, 286). Das Erlöschen des in der DDR erworbenen Rentenanspruchs konnte der Kläger auf einfache Weise abwenden, weil § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO lediglich ein Bekanntwerden des im Beitrittsgebiet eingetretenen Arbeitsunfalls oder der dort eingetretenen Berufskrankheit bei einem für das Beitrittsgebiet, also nicht einmal dem im Einzelfall zuständigen, Träger der gesetzlichen Unfallversicherung innerhalb der dort genannten Frist fordert.
Allerdings muss ein Eingriff in Rechte, die nach früherem Recht entstanden sind, durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 08. Juli 1971, 1 BvR 766/66, BVerfGE 31, 275, 290 und vom 19. Juni 1985, BVerfGE 70, 191, 201 f. m.w.N.). Die Gründe des öffentlichen Interesses, die für einen solchen Eingriff sprechen, müssen so schwerwiegend sein, dass sie Vorrang haben vor dem Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand seines Rechts, das durch die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gesichert wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 08. Juli 1976, 1 BvL 19/75 u.a., BVerfGE 42, 263, 294 f. und Beschluss vom 15. Juli 1981, 1 BvL 77/78, BVerfGE 58, 300, 351). Diese Voraussetzungen sind bei § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO erfüllt. Die dort festgelegte Ausschlussfrist ist durch besonders gewichtige Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt und entspricht im Übrigen auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09. Januar 1991, Az.: 1 BvR 929/89, BVerfGE 83, 201, 212). Denn die Gesetzeszwecke, die der Vorschrift zu Grunde liegen (Rechtseinheit, Gleichbehandlung, Sicherheit in der Finanzplanung und Beitragsgestaltung), rechtfertigen die Ausschlussfrist. Den Betroffenen war auch zuzumuten, ihre im Beitrittsgebiet eingetretenen Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten innerhalb der zweijährigen Frist zwischen dem Inkrafttreten des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) am 01. Januar 1992 (Art. 42 Abs. 1 RÜG) und dem Stichtag (01. Januar 1994) einem Träger der Unfallversicherung bekannt zu geben, zumal auch eine vor dem 01. Januar 1992 liegende Bekanntgabe die Wirkung der Ausschlussfrist verhindert hätte. Hinzu kommt, dass mit der Wiedereinsetzungsvorschrift des § 27 SGB X eine Regelung besteht, die in Härtefällen Ausnahmen von der Ausschlussfrist zulässt.
b) Die Stichtagsregelung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO ist mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zubehandeln. Damit ist dem Gesetzgeber aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur, wenn er Rechtsnormen gestaltet und dabei eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st. Rspr. des BVerfG, Urteil vom 06. März 2002, Az.: 2 BvL 17/99, SozR 3-1100 Art. 3 Nr. 176; BSG, Urteil vom 03. Juli 2002, Az.: B 5 RJ 22/01 R). Entsprechendes gilt für eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (BVerfG, Beschluss vom 23. März 1994, Az.: 1 BvL 8/85, SozR 3-4100 § 111 Nr. 6). Geht es um die Gleich- oder Ungleichbehandlung von Personengruppen, ergeben sich für den Gesetzgeber je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Schranken, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 1995, Az.: 1 BvR 892/88, SozR 3-2200 § 385 Nr. 6). Dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum sind dabei umso engere Grenzen gezogen, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten nachteilig auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten auswirken kann. Außerhalb dieses Bereichs ist der Gesetzgeber jedoch weitgehend frei, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln (BVerfG, Beschluss vom
10. Oktober 1978, 2 BvL 3/78, BVerfGE 49, 280, 283; BSG, Urteil vom 17. Januar 1991, Az.: 13 RJ 3/91, SozR 3-5750 Art. 2 § 62 Nr. 6).
Bezogen auf die Stichtagsregelung ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers denkbar groß und nur durch das Willkürverbot begrenzt (vgl. BVerfG SozR 3-2200 § 385 Nr. 6). Denn sie betrifft lediglich die Gewährung bzw. Nichtgewährung von Sozialleistungen; unmittelbare Auswirkungen auf Freiheitsrechte sind nicht ersichtlich. Der Kläger (und die von ihm repräsentierte Ausgangsgruppe) wird mit Blick auf § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO anders behandelt als diejenigen Wehrdienstleistenden der NVA, die ihren (Dienst-)Unfall bei einem für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bis zum 31. Dezember 1993 bekannt gemacht hatten (Vergleichsgruppe). Im Gegensatz zur Ausgangsgruppe können die Mitglieder der Vergleichsgruppe – bei sonst identischem Sachverhalt – Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten, was zu einer Besserstellung der Vergleichsgruppe führt. Diese Ungleichbehandlung aufgrund des Stichtages ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Gesetzgeber kann in den Grenzen des Willkürverbots grundsätzlich frei entscheiden, bis wann eine begünstigende Regelung gelten soll (BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1980, Az.: 1 BvL 136/78 u.a., BVerfGE 53, 224, 253 f.). Der Gesetzgeber muss dabei nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung wählen (BVerfG, Beschlüsse vom 19. Februar 1991, Az.: 1 BvR 1231/85, BVerfGE 83, 395, 401 und vom 08. Oktober 1991, Az.: 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, 359); vielmehr genügt es, wenn sich "irgendein sachlich vertretbarer zureichender Grund anführen lässt" (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Oktober 1985, Az.: 2 BvL 4/83, BVerfGE 71, 39, 58 und vom 08. April 1987, Az.: 2 BvR 908/92 u.a., BVerfGE 75, 108, 157). Eine insofern zulässige Erwägung kann dabei nicht nur im eigentlichen Zweck der betreffenden Regelung liegen, sondern beispielsweise auch in der Praktikabilität der Vorschrift (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 1976, Az.: 1 BvR 631/96 und 1 BvR 24/70, BVerfGE 41, 126, 188; BSG, Urteil vom 27. Juni 1996, Az.: 11 Rar 77/95, SozR 3-4100 § 111 Nr. 14) oder in finanziellen Gesichtspunkten (BVerfG, Urteil vom 07. Juli 1992, Az.: 1 BvL 51/86 u.a., SozR 3-5761 Allg. Nr. 1). Derartige vernünftige und sachliche Erwägungen liegen der Ausschlußfrist zugrunde, weil sie die Rechtseinheit nach der Wiedervereinigung fördern und den Unfallversicherungsträgern Sicherheit in der Finanzplanung und Beitragsgestaltung garantieren sollte. Folglich ist die Stichtagsregelung trotz der damit verbundenen Härten zulässig (BVerfG, Urteil vom 08. April 1986, Az.: 1 BvR 1186/83 u.a., BVerfGE 71, 364, 397), zumal sich die Ausschlussfrist "am vorgegebenen Sachverhalt orientiert" (BVerfG, Beschluss vom 01. Juli 1981, Az.: 1 BvR 874/77, SozR 2200 § 1255a Nr. 7). Denn sie endete im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und zwei Jahre nach Inkrafttreten des RÜG (vgl. dazu BSG, Urteil vom 10. Oktober 2002, Az.: B 2 U 10/02 R, HVBG-INFO 2002, 3545 ff.)
III. Ungeachtet dessen sind die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch nach § 581 Abs. 1 Satz Nr. 2 RVO nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift wird als Verletztenrente der Teil der Vollrente (§ 581 Abs. 1 Nr. 1 RVO) gewährt, der dem Grade der MdE entspricht, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens ein Fünftel (20 v.H.) bzw. beim Vorliegen eines Stützrententatbestandes um wenigstens 10 v.H. (§ 581 Abs. 3 RVO) gemindert ist.
Wegen eines Arbeitsunfalls besteht Anspruch auf Entschädigungsleistungen, wenn die versicherte Tätigkeit, das Unfallereignis und der geltend gemachte Gesundheitsschaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sind (BSG, Urteile vom 20. Januar 1987, Az.: 2 RU 27/86, BSGE 61, 127, 130 und vom 22. Juni 1988, Az.: 9/9a RVg 3/87, BSGE 63, 270, 271, Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar] § 8 SGB VII Rn. 10). Der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Arbeitsunfall (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Arbeitsunfall und Gesundheitsschaden (haftungsausfüllende Kausalität) beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die Bedingungen (mit-)ursächlich, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG, a.a.O.; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O.). Die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität muss hinreichend wahrscheinlich sein; die bloße Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteile vom 02. Februar 1978, Az.: 8 RU 66/77, SozR 2200 § 548 Nr. 38 und vom 22. August 2000, Az.: B 2 U 34/99 R, SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rn. 10.1). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (BSG SozR § 548 Nr. 38 und Urteil vom 18. Dezember 1997, Az.: 2 RU 48/96, SGb 1999, 39, 40). Die Faktoren, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, müssen die Umstände, die gegen die Kausalität sprechen, deutlich überwiegen (vgl. Schulz-Weidner, SGb 1992, 59, 64f.).
Legt man diese Kriterien zugrunde, so hat sich der Kläger bei dem Dienstunfall am 21. November 1974 eine Kopfplatzwunde und eine Schädelprellung zugezogen, die innerhalb weniger Wochen abgeheilt waren. Dagegen ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass der Kläger eine Gehirnerschütterung (commotio cerebri, 1.), eine Hirnquetschung (contusio cerebri, 2.) oder einen (chronischen) Bluterguss unter der harten Hirnhaut (subdurales Hämatom, 3.) erlitten hat.
1. Die Diagnose einer Gehirnerschütterung (commotio cerebri) darf nach herrschender unfallmedizinischer Lehrmeinung (vgl. dazu Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Kap. 5.3.2.1., S. 262) nur gestellt werden, wenn eine anfängliche Bewusstseinsstörung bzw. mehr oder weniger ausgeprägte vorausgehende Erinnerungslücke vorliegt: Der Betroffene hat eine Amnesie für den Augenblick des Traumas und eine gewisse Zeit danach. Daneben findet sich ein auffällig starker oder anhaltender vegetativer Beschwerdekomplex, z.B. Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerz, Schwindel, Kreislaufregulationsstörungen. Der Kläger ist nach dem Unfall nicht bewusstlos gewesen, wie aus dem ärztlichen Gutachten der NVA vom 18. März 1975 unzweifelhaft hervorgeht ("Schädel-Hirn-Trauma ohne Bewusstlosigkeit"). Auch gegenüber dem Verwaltungsgutachter Prof. Dr. L sowie den SV Prof. Dr. T und Prof. Dr. C2 hat der Kläger einen Bewusstseinsverlust während und nach dem Ereignis ausdrücklich und übereinstimmend verneint. Eine vorausgehende Erinnerungslücke besteht ebenfalls nicht. Auch kann er sich an den Augenblick des Unfalls (er habe "Sternchen vor den Augen gesehen") und die Behandlung in der nahegelegenen Sanitätsstation ("Medpunkt") erinnern, die er selbständig aufgesucht hatte. Eine Erinnerungslücke besteht erst für den Transport ins Krankenhaus am Folgetag, was für eine Gehirnerschütterung völlig untypisch ist, weil die Hirnfunktionsstörung im Zeitpunkt des Kopfanpralls am größten ist und im weiteren Verlauf wieder abnimmt. Im Grunde lag beim Kläger "nur" der vegetative Beschwerdekomplex mit Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerz und Schwindelerscheinungen vor. Diese Symptome reichen aber allein nicht aus, um eine Gehirnerschütterung zu diagnostizieren. Hierauf haben die Neurologen Prof. Dr. L und Prof. Dr. C2 einmütig hingewiesen. Wenn der Kläger in der Berufungsbegründung erstmals behauptet, er sei unmittelbar nach dem Unfall "kurz bewusstlos" gewesen und habe "ca. zwei Wochen später nach körperlicher Belastung eine mehrstündige Bewusstlosigkeit durchlitten", so können diese Angaben nur als zweckgerichtet bezeichnet werden. Offenbar hat er durch die Lektüre der Leitlinien zur "Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirntrauma" dazugelernt und erkannt, dass sich ein Hirnschaden ohne anfängliche Bewusstlosigkeit nicht begründen lässt. Im Übrigen widerspricht er sich selbst, wenn er einerseits eine zweimalige Bewusstlosigkeit behauptet, aber den Gutachtern andererseits gesagt haben will, "er wisse nicht mehr, ob er bewusstlos gewesen sei". Wäre die zweite Version (die die erste denklogisch ausschließt) richtig, müssten sich alle Gutachter bei den entscheidenden Angaben des Klägers verhört haben, was nicht anzunehmen ist.
2. Liegt schon keine Gehirnerschütterung vor, so scheidet eine Gehirnquetschung erst recht aus. Denn eine länger als zwei Stunden dauernde Bewusstlosigkeit ist nirgendwo dokumentiert, und zu neurologischen Ausfallerscheinungen (wie Lähmungen oder einem epileptischem Anfall) ist es nicht gekommen (vgl. zu diesen Symptomen: Schönberger u.a., a.a.O., Kap. 5.3.2.2, S. 262). Zudem ließen sich Hirnsubstanzdefekte weder computer- noch kernspintomographisch sichern und auch elektroenzephalographisch ergab sich kein Herdbefund. Deshalb hat selbst der Neurologe und Psychiater Dr. X, auf den sich der Kläger immer wieder beruft, auch nur den Verdacht auf eine Hirnquetschung geäußert. Darüber hinaus ist es zu keinen bleibenden intellektuellen Funktionsstörungen gekommen, wie der weitere Krankheitsverlauf und berufliche Werdegang des Klägers zeigt. Denn mit einem rentenrelevanten Hirnschaden hätte der Kläger wohl kaum zwei Fernstudiengänge (Fernmeldetechnik und Rechtswissenschaften) – trotz Hodenkrebsdiagnose und -operation – erfolgreich absolvieren, sich nach der Wiedervereinigung den geänderten wirtschaftlichen Bedingungen anpassen und eine Tätigkeit als Manager bei der Deutschen Telekom AG bekleiden können. Dass sich nach Abschluss zweier Studienfächer, die im Übrigen keine Überschneidungen aufweisen, gewisse Erschöpfungstendenzen einstellen, erscheint dagegen nachvollziehbar. Dasselbe gilt für die aufreibende Tätigkeit in verantwortlicher und herausgehobener Position bei der Deutschen Telekom AG, für die der Kläger immerhin als "Leiter Privatkundenservice" tätig war. Dass er sich dann auch noch im harten Betriebsratswahlkampf durchsetzen konnte, spricht ebenfalls gegen das Vorliegen substantieller Hirnschäden.
3. Eine Blutung zwischen harter Hirnhaut und Gehirnoberfläche (subdurales Hämatom) ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt. Selbst Prof. Dr. T spricht hier nur vorsichtig von einem Verdacht, der sich bildtechnisch aber nicht bestätigen ließ. Denn auf den Schichtbildaufnahmen zeigten sich keine Blutungsreste. Für die Diagnose eines subduralen Hämatoms spricht nur, dass sich drei Monate nach dem Unfall angiographisch eine leichte Abdrängung arterieller Gefäße von der Schädelkalotte zeigte. Dieser Befund ist mit einer Blutung zwischen harter Hirnhaut und Gehirnoberfläche zwar vereinbar, aber nicht beweisend. Fehlt somit schon ein nachgewiesener Primärschaden, lässt sich zwischen ihm und etwaigen Sekundärschäden (Kopfschmerzen, kognitive Defizite, reaktive Depression) kein tragfähiger Ursachenzusammenhang herstellen. Denn die Primär- und Sekundärschäden müssen voll erwiesen sein, bevor die Kausalitätsfrage gestellt und beantwortet werden kann. Liegt – wie hier – nur eine Verdachtsdiagnose vor, kann über mögliche Ursachen allenfalls spekuliert werden. Folglich steht die Kausalkette, die Prof. Dr. T auf seiner Verdachtsdiagnose eines subduralen Hämatoms aufbaut, auf äußert tönernen Füßen. Ein hirnartrophischer Prozess, der nach ausgedehnten Hirnödemen nicht selten auftritt (vgl. dazu Schönberger u.a., a.a.O., Kap. 5.3.2.3, S. 264), liegt nicht vor, wie Prof. Dr. L und Prof. Dr. C2 übereinstimmend dargelegt haben.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich die Kopfschmerzsymptomatik zwanglos auf den Z.n. Hirnhautentzündung zurückführen lässt. Denn die Psychiaterin Dia zitiert in ihrem Befundbericht vom 15. Oktober 2003 aus dem Entlassungsbericht der Bezirksnervenklinik T aus dem Jahre 1964, wonach der Kläger nach der Hirnhautentzündung zu Kopfschmerzen neige, "besonders stark nach sportlichen Belastungen". Damit ist aber sein Vortrag widerlegt, dass die Kopfschmerzen erst seit dem Unfall im November 1974 vorhanden seien. Außerdem sprach der EEG-Befund bereits 1964 "für eine geringe allgemeine Beeinträchtigung der Hirnfunktionen". Es liegt daher nahe, dass diese Schäden, die im Kindesalter entstanden sind, in der Folgezeit zugenommen und die jetzigen kognitiven Defizite mit der daraus resultierenden reaktiven Depression alleinwesentlich hervorgerufen haben. Mit der Hirnhautentzündung und der psychiatrischen Erkrankung gibt es also – anders als der Kläger meint – durchaus Alternativursachen, die das jetzige Krankheitsbild erklären können.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 15.06.2007
Zuletzt verändert am: 15.06.2007