Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17. Mai 2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin aufgrund eines Wegeunfalls vom 18. Dezember 1995 höhere Verletztenrente gewähren muss.
Die im März 1945 geborene Klägerin rutschte am Unfalltag bei Glatteis auf dem Weg zur Arbeit aus und stürzte aufs Gesäß. Prof. Dr. C, Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfall- und Handchirurgie der Westfälischen X-Universität N, diagnostizierte einen (Trümmer-)Bruch des ersten Lendenwirbelkörpers (LWK) mit 20%iger Einengung des Spinalkanals und versteifte den Übergangsbereich der Brust- zur Lendenwirbelsäule (LWS) operativ (Spondylodese). Während der Anschlussheilbehandlung in der Klinik Münsterland in Bad S bestand im OP-Gebiet und der gesamten LWS eine extreme Berührungsempfindlichkeit. Wasserlassen und Stuhlgang waren ohne Befund. Ende April 1996 traten Kribbelmissempfindungen in beiden Großzehen und Kniegelenken sowie der 5. Zehe links auf. Anfang August 1996 erkannte die Klägerin Sinnesreize an beiden Füßen und Unterschenkeln nur verfälscht (Dysästhesie). Am 24. Februar 1997 nahm sie ihre bisherige Tätigkeit als Krankenschwester auf einer hautärztlichen Station mit Einschränkungen wieder auf und erkrankte Mitte November 1997 erneut arbeitsunfähig. Der niedergelassene Neurologe und Psychiater Dr. X aus N fand Anfang Dezember 1997 beiderseits eine verminderte Berührungsempfindlichkeit (Hypästhesie) im Versorgungsgebieten des Nervs, der die seitliche Oberschenkelhaut versorgt (Nervus cutaneus femoris lateralis). Im Januar 1998 behandelte der Neurologe Dr. S, Chefarzt (CA) der Abteilung für Neurologie am I-Krankenhaus I, ein chronisches LWS-Syndrom und eine larvierte Depression stationär. Dr. W, Oberarzt der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken C in C, beschrieb Ende Mai 1998 Fehlempfindungen am linken und eine herabgesetzte Empfindlichkeit am rechten Bein. Die Blasen- und Mastdarmfunktion bezeichnete er als unauffällig. Der niedergelassene Neurologe und Psychiater Dr. C1 aus N berichtete im September 1998 über ein lumboischialgieformes Schmerzsyndrom, das vermutlich psychogen überlagert sei.
Im Feststellungsverfahren ließ die Beklagte die Klägerin durch den Chirurgen Prof. Dr. M, Direktor der Unfallklinik der Städtischen Kliniken E, und den Neurologen Dr. M1, Direktor der Neurologischen Klinik ebd., untersuchen. Dabei war die Belastungsfähigkeit der Wirbelsäule (WS) herabgesetzt und die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule (BWS) sowie der LWS hochgradig eingeschränkt. Es bestanden statische WS-Beschwerden mit Ausstrahlung ins linke Bein, ein vermindertes Empfinden von Berührungs-, Schmerz- und Temperaturreizen an beiden Füßen und Unterschenkeln, eine leichtgradige Zehenheberschwäche rechts sowie eine zunehmende Blasenfunktionsstörung. Für diese Beschwerden machte Dr. M1 "am ehesten" eine fortschreitende posttraumatische Rückenmarkserkrankung (Myelopathie) oder eine chronische Durchblutungsstörung durch (operative) Übernähung von Blutgefäßen (Segmentalarterienligatur) verantwortlich. Beide Ärzte schätzten die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in ihren Gutachten vom 23. September und 31. Dezember 1998 auf jeweils 30 vom Hundert (v.H.) ein. Da sich die Unfallfolgen auf chirurgischem und neurologischem Fachgebiet weitgehend überschnitten, betrage auch die Gesamt-MdE 30 v.H. Dieser Bewertung stimmte der niedergelassene Neurologe und Psychiater Dr. S aus O in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 05. Februar 1999 zu.
Hierauf gestützt gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 09. Juli 1999 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 30 v.H. ab dem 24. Februar 1997 und erkannte als Folgen des Arbeitsunfalls an: Conus-Cauda-Schädigung mit sensiblen und trophischen sowie geringen motorischen Ausfällen und Schmerzen. Hochgradige Bewegungseinschränkung im Lumbalbereich mit herabgesetzter Trage- und Belastungsfähigkeit sowie statischen Beschwerden. Röntgenologisch nachweisbare Veränderungen nach Trümmerbruch des 1. Lendenwirbelkörpers. Als Unfallfolgen lehnte sie ab: Schädigung des Plexus brachialis rechts, larvierte Depression.
Dagegen erhob die Klägerin, die seit dem 01. Juli 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält am 28. Juli 1999 Widerspruch und kritisierte, dass sich die Unfallfolgen auf chirurgischem und neurologischem Fachgebiet nicht überschnitten, sondern gegenseitig verstärkten. Deshalb sei die Gesamt-MdE höher zu veranschlagen. Außerdem sei die Blasen- und Mastdarmfunktion gestört und die larvierte Depression als Unfallfolge anzuerkennen. Daraufhin korrigierte der Beratungsarzt Dr. S die Gesamt-MdE auf 50 v.H. (Stellungnahme vom 15. November 1999). Mit Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 18. April 2000 erhöhte die Beklagte den Grad der MdE auf 50 v.H. und erkannte zusätzlich "Schmerzen und Blasenschwäche leichten Grades" als Unfallfolgen an. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 11. Mai 2000 vor dem Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben und eine MdE von mindestens 70 v.H. geltend gemacht, weil sie die Blasen- und Darmentleerung nicht kontrollieren könne. Hierzu hat sie einen Arztbrief des niedergelassenen Neurologen und Psychiaters Dr. B aus M vom 20. Juli 2000 und eine Bescheinigung des niedergelassenen Internisten Dr. S aus N vom 26. März 2001 vorgelegt, wonach sich die Inkontinenz verstärkt habe und eine teilweise Harn- bzw. Analschwäche bestehe.
Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. S vom 10. Juli 2001 überreicht, der eine unfallunabhängige Gefäßerkrankung als Ursache der Harn- und Stuhlinkontinenz erwogen hat. Anschließend hat sie während des Klageverfahrens zwei Gutachten eingeholt: Der niedergelassene Urologe Dr. B aus D hat unter dem 21. März 2002 eine neurogene Blasenentleerungsstörung diagnostiziert, die er auf die unfallbedingte Einengung des Spinalkanals im LWS-Bereich zurückgeführt und mit einer MdE von 20 v.H. bewertet hat. Der niedergelassene Neurologe und Psychiater Dr. L aus D ist in seinem Gutachten vom 18. Februar 2002 und seiner Gesamtbeurteilung vom 23. April 2002 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin an beiden Beinen Druck- und Berührungsreize relativ gut, dagegen Schmerzreize und Temperaturunterschiede kaum wahrnehme (sog. dissoziierte Sensibilitätsstörung), die Sensibilität im Bereich der linken Bauchdecke bis zur Höhe des Nabels gestört sei und die (Rücken-)Schmerzen aus dem LWS-Bereich ins linke Bein ausstrahlten. Bei dem Unfall sei der 1. LWK geborsten und das Rückenmark im Übergangsbereich zu den Nervenwurzelfasern (Conus-Cauda-Bereich) verletzt worden. Dieser Schaden könne Mastdarm- und Blasenentleerungsstörungen hervorrufen. Auf nervenärztlichem Fachgebiet sei eine Einzel-MdE um 20 v.H. gerechtfertigt; unter Berücksichtigung des urologischen Gutachtens sei die Gesamt-MdE auf 35 v.H. zu veranschlagen.
Dieser Beurteilung hat die Klägerin widersprochen und geltend gemacht, dass sie an einem inkompletten Querschnittssyndrom mit motorischen und sensiblen Funktionsausfällen sowie Blasen- und Darmstörungen aufgrund eines unfallbedingten Rückenmarkschadens leide. Auf diese Unfallfolgen habe sie mit einer depressiven Verstimmung reagiert.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das SG einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. B vom 16. September 2002 und ein Vorerkrankungsverzeichnis der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) angefordert. Anschließend hat es von Amts wegen ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. I, CA der Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie der Evangelischen Kliniken H, vom 01. September 2003 nebst fachradiologischem Zusatzgutachten eingeholt. Darin hat der Sachverständige (SV) Schäden des Rückenmarks und der Nervenwurzeln klinisch, elektrophysiologisch und magnetresonanztomographisch verneint. Auch eine fortschreitende posttraumatische Rückenmarkserkrankung (Myelopathie) oder eine chronische Durchblutungsstörung durch (operative) Übernähung von Blutgefäßen (Segmentalarterienligatur) sei auszuschließen. Nur der urologische Befund weise auf einen unfallbedingten Nervenwurzelschaden im Kreuzbeinbereich hin. Die Klägerin leide "auf jeden Fall" unter starken chronischen Schmerzen im LWS-Bereich, die unfallbedingt seien und eine MdE um 50 v. H. rechtfertigten.
Anschließend hat der Neurologe Prof. Dr. E, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik und Poliklinik am Universitätsklinikum F, gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 03. Mai 2005 ein weiteres Gutachten erstattet. Darin hat er dem Vorgutachter Prof. Dr. I zugestimmt und ausgeführt, dass die Beklagte die Unfallfolgen – mit Ausnahme der inexistenten Conus-Cauda-Schädigung – zutreffend bezeichnet und anerkannt habe. Die MdE auf neurologischem und chirurgischem Fachgebiet sei "naturgemäß deckungsgleich" und betrage 30 v.H. Berücksichtige man die anerkannten urologischen Unfallfolgen, so werde eine Gesamt-MdE um 50 v.H. "gerade erreicht". Hierzu hat die Klägerin eine Stellungnahme des Verwaltungsgutachters Dr. M1 vom 29. März 2006 vorgelegt.
Mit Urteil vom 17. Mai 2006 hat das SG die Klage abgewiesen: Bei dem Unfall habe sich die Klägerin einen Trümmerbruch des 1. LWK zugezogen. Sie leide deshalb unter starken (statischen) Beschwerden, hochgradigen Bewegungseinschränkungen im LWS-Bereich mit herabgesetzter Trage- sowie Belastungsfähigkeit und an einer leichtgradigen Blasenschwäche. Selbst wenn man die bindend, aber zu Unrecht anerkannte Conus-Cauda-Schädigung mit sensiblen, trophischen und geringen motorischen Ausfällen als weitere Unfallfolge rentensteigernd berücksichtige, lasse sich keine Gesamt-MdE von über 50 v.H. begründen. Denn die unfallmedizinischen Erfahrungswerte sähen eine MdE zwischen 60 und 80 v.H. erst vor, wenn eine unvollständige Brustmark-, Lendenmark- oder Cauda-Schädigung mit Teillähmung beider Beine vorliege und die Blasen- sowie Mastdarmfunktionen gestört seien. Da die Mastdarmfunktion der Klägerin unbeeinträchtigt sei und die geringen motorischen Ausfallerscheinungen mit einer Teillähmung beider Beine nicht vergleichbar seien, komme eine MdE um 60 v.H. nicht in Betracht.
Nach Zustellung am 16. Juni 2006 hat die Klägerin gegen dieses Urteil am 03. Juli 2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, das Gutachten des SV Prof. Dr. E sei fehlerhaft und lasse die Depression fälschlicherweise unberücksichtigt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17. Mai 2006 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 09. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2000 zu verurteilen, ihr auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 18. Dezember 1995 ab dem 24. Februar 1997 Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 70 v.H. zu gewähren,
hilfsweise nach § 109 SGG ein neurochirurgisches Gutachten einzuholen.
Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte (Az.: 000) Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid vom 09. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2000 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und die Klägerin nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte ist nicht verpflichtet, ihr auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 18. Dezember 1995 ab dem 24. Februar 1997 Verletztenrente (§ 56 des Siebten Sozialgesetzbuches -Gesetzliche Unfallversicherung- [SGB VII] )nach einer MdE von mindestens 70 v.H. zu gewähren.
Die Folgen des Arbeitsunfalls vom 18. Dezember 1995 bedingen keine MdE von mehr als 50 v.H., wie das SG überzeugend dargelegt hat. Die Höhe der MdE richtet sich danach, in welchem Umfang die Unfallfolgen das körperliche und geistige Leistungsvermögen des Versicherten beeinträchtigen und seine Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindern. Steht die unfallbedingte Leistungseinbuße fest, so ist zu bewerten, wie sie sich im allgemeinen Erwerbsleben auswirkt (BSG, Urteile vom 29. November 1956, Az: 2 RU 121/56, BSGE 4, 147, 149, vom 27. Juni 2000, Az: B 2 U 14/99 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 7 und vom 02. Mai 2001, Az: B 2 U 24/00 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Dabei sind die medizinischen und sonstigen Erfahrungssätze ebenso zu beachten wie die Gesamtumstände des Einzelfalles (vgl. BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Anschließend lässt sich erkennen, welche Arbeitsgelegenheiten dem Betroffenen versperrt und welche ihm verblieben sind (Senatsurteil vom 18. Januar 2006, Az: L 17 U 118/05).
Wie weit die Unfallfolgen die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten beeinträchtigen, beurteilt sich in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Um die MdE einzuschätzen sind die Erfahrungssätze zu beachten, die die Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche sowie versicherungsmedizinische Schrifttum herausgearbeitet haben. Auch wenn diese Erfahrungssätze das Gericht im Einzelfall nicht binden, so bilden sie doch die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (BSG, Urteile vom 26. Juni 1985, Az: 2 RU 60/84, SozR 2200 § 581 Nr. 23, vom 26. November 1987, Az: 2 RU 22/87, SozR 2200 § 581 Nr. 27 und vom 30. Juni 1998, Az: B 2 U 41/97 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 SGB VII Rn. 10.3). Sie sind in Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische SV zur Höhe der MdE unterbreitet. Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen Kriterien begutachtet und beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (vgl. BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000, Az: B 2 U 49/99 R, HVBG-INFO 2001, 499, 500 ff.).
Die Unfallfolgen, die die Beklagte bindend (§ 77 SGG) anerkannt hat, sind deutlich dramatischer, als dies nach einem "normalen" Bruch des 1. LWK zu erwarten wäre. Deshalb haben die SVen und das SG zu Recht nicht auf die Kriterien zurückgegriffen, die das versicherungsmedizinische Schrifttum für "normale" Wirbelkörperbrüche entwickelt hat (vgl. dazu Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Kap. 8.3.2.8., S. 535f.). Wegen der bindend anerkannten Conus-Cauda-Schädigung mit sensiblen und trophischen sowie geringen motorischen Ausfällen, geringgradiger Blasenschwäche, Schmerzen und hochgradigen Bewegungseinschränkungen im LWS-Bereich ist vielmehr auf die Erfahrungswerte bei Rückenmarksverletzungen abzustellen (vgl. dazu: Schönberger u.a., a.a.O., Kap. 8.3.6.3, S. 589f.). Denn als "Conus" (= spitz zulaufendes Ende) wird der unterste Teil des Rückenmarks bezeichnet, der die Funktion von Blase und Darm kontrolliert. Weiter unten findet man nur noch die Nervenfasern (Spinalnerven), die aus den unteren Rückenmarkssegmenten entspringen und die Beine und Füße versorgen. Diese Nervenfasern liegen gebündelt wie ein Pferdeschwanz (= "Cauda") zusammen. Krankheiten, die diese Strukturen schädigen, können ein Conussyndrom hervorrufen, bei dem der Betroffene die Kontrolle über Blase und Darm verliert, oder ein Caudasyndrom verursachen, das zu Lähmungen und Gefühlsstörungen in Beinen und Füssen führt. Die Kombination/Mischung aus beiden Syndromen bezeichnet man als "Conus-Cauda-Syndrom", das die Beklagte als Unfallfolge anerkannt hat.
Allerdings liegt kein komplettes Conus-Cauda-Syndrom vor (und ist auch nicht anerkannt), weil die Klägerin die Kontrolle über den Darm nicht verloren hat und im Bereich der Beine und/oder Füße keine Lähmungen, sondern "nur" Gefühlsstörungen vorliegen. Folglich scheidet eine vollständige Kaudaschädigung mit kompletter Lähmung des Stammes und der Beine mit Störungen der Blasen- und Mastdarmfunktion aus, die eine MdE von 100 v.H. bedingen würde (Schönberger u.a., a.a.O., S. 589).
Stattdessen ist eine unvollständige Conus-Caudaschädigung anerkannt, die bei einer Teillähmung beider Beine oder Störung der Blasen- und Mastdarmfunktion je nach Ausprägungsgrad zu einer MdE von 30 bis 60 v.H. führt (Schönberger u.a., a.a.O., S. 590). Eine Teillähmung eines oder gar beider Beine liegt aber ebenso wenig vor wie eine Funktionsstörung von Blase- und Mastdarm. Hierauf hat das SG zu Recht hingewiesen. Denn an den Beinen ist es nur zu geringen motorischen Ausfällen gekommen und die Blasenschwäche ist ebenfalls geringgradig. Eine Mastdarmstörung ist nicht erwiesen. Deshalb ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf jeden Fall im unteren Bereich des (weiten) MdE-Rahmens von 30 bis 60 v.H. anzusiedeln. Dabei muss freilich rentensteigernd berücksichtigt werden, dass die Beweglichkeit und Belastbarkeit der LWS nach der Versteifungsoperation "hochgradig" eingeschränkt ist und die Klägerin unter glaubhaften "statischen" Rückenbeschwerden leidet, die sie wiederum psychisch belasten. Unter diesen Aspekten erscheint eine MdE von 50 v.H. angemessen, aber auch ausreichend, zumal Verdeutlichungstendenzen und eine gewisse "psychogene Überlagerung" nicht zu übersehen sind. Im Übrigen schließt sich der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, den zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil an (§ 153 Abs. 2 SGG).
Zu weiteren Ermittlungen im Sinne des Hilfsbeweisantrags bestand kein Anlass. Der Antrag nach § 109 SGG, ein neurochirurgisches Gutachten einzuholen, ist schon nicht ordnungsgemäß gestellt, weil die Klägerin keinen Arzt mit ladungsfähiger Anschrift benannt hat (vgl. hierzu: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 8. Aufl. 2005, § 109 Rn. 4). Außerdem hat sie ihr Antragsrecht nach § 109 SGG bereits im ersten Rechtszug durch das Gutachten des Neurologen Prof. Dr. E verbraucht (vgl. Senatsurteile vom 21. Juni 2006, Az: L 17 U 227/05 und vom 23. August 2006, Az: L 17 U 96/03 sowie Senatsbeschluss vom 15. Mai 2006, Az: L 17 U 29/06; Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 109 Rn. 10a, 11). Überdies ist ihr Antrag gem. § 109 Abs. 2 SGG als verspätet zurückzuweisen, weil sie ihn erst in der mündlichen Verhandlung und damit aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht hat. Denn der Senat hatte ihr bereits mit Schreiben vom 20. September 2006 mitgeteilt, dass "weitere Ermittlungen …von Amts wegen derzeit nicht beabsichtigt" seien. Deshalb hätte sie ihren Beweisantrag im Oktober 2006, spätestens jedoch unmittelbar nach der ersten Terminsladung vom 15. November 2006, stellen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 08.08.2007
Zuletzt verändert am: 08.08.2007