Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 09.01.2007 geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten, ob dem Antragsteller Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab Januar 2007 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig zu gewähren ist.
Der am 00.00.1964 geborene Antragsteller bezog von der Antragsgegnerin bis Ende 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe der monatlichen Regelleistung von 345,00 EUR. Am 01.12.2006 beantragte er die Fortzahlung dieser Leistungen. Er legte dabei ein Anwaltsschreiben vom 22.11.2006 vor; daraus geht hervor, dass für den Antragsteller ein Betrag von 2.732,70 EUR aus Erbschaft auf ein von ihm benanntes Konto überwiesen wurde. Einladungen der Antragsgegnerin zur Vorsprache zwecks Besprechung der Erbschaft zum 06. bzw. 14.12.2006 kam der Antragsteller nicht nach. Mit Bescheid vom 29.12.2006 lehnte die Antragsgegnerin die Fortzahlung der Leistungen ab Januar 2007 mangels Hilfebedürftigkeit ab. Der Antragsteller müsse seine Erbschaft für seinen Lebensunterhalt einsetzen. Bei einem festgestellten monatlichen Bedarf von 345,00 EUR ergebe sich, dass er für rund acht Monate den monatlichen Fehlbedarf durch Vermögensverwertung selbst zu decken habe. Ein Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II bestehe deshalb nicht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 29.12.2006 Bezug genommen.
Am 28.12.2006 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Aachen beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab Januar 2007 weiterhin Leistungen nach dem SGB II zu zahlen.
Er hat vorgetragen, ihm sei bei einer Vorsprache am 22.12.2006 eröffnet worden, dass die Leistungen eingestellt würden. Außerdem habe man ihm mitgeteilt, er müsse 400,00 EUR zurückzahlen und sich freiwillig gegen Krankheit versichern. In früheren Gesprächen habe er dem Sachbearbeiter von der erwarteten Erbschaft erzählt. Man habe ihm seinerzeit erklärt, es handele sich insoweit um Schonvermögen, um das er sich keine Sorgen machen müsse. Hierauf vertrauend habe er von der Erbschaft Schulden beglichen, Anschaffungen (Kleidung, Fahrrad, Handy) getätigt und eine Urlaubsreise gemacht. Nun stehe er ohne einen Cent dar. Der Antragsteller hat eine Bescheinigung eines Herrn N T vorgelegt, wonach er diesem für die Zeit, in der er bei ihm gewohnt habe, für Strom, Wasser usw. 300,00 EUR aus seiner Erbschaft gezahlt habe. Außerdem hat der Antragsteller eine Bestätigung seiner Mutter vorgelegt, dass sie von ihm 200,00 EUR zum Ausgleich des überzogenen Kontos und weitere 300,00 EUR aus der Erbschaft erhalten habe. Der Antragsteller hat ferner eine Bescheinigung einer Frau N S vorgelegt, wonach er ihr 300,00 EUR für eine Couchgarnitur und einen Wohnzimmerschrank bezahlt habe. Zusätzlich hat er Rechnungen des Versandhauses Klingel über 46,46 EUR für Bettwäsche und 61,66 EUR für Gardinen sowie des Media Marktes über 39,00 EUR für ein Handy vorgelegt. Er hat eidesstattlich versichert, dass er neben den belegten Ausgaben ca. 420,00 EUR für Taxifahrten von Aachen nach Heinsberg ausgegeben habe. Er hat vorgetragen, er habe bei drei Bordellbesuchen, zu denen er seinen Bruder eingeladen habe, insgesamt 1.100,00 EUR ausgegeben.
Die Antragsgegnerin hat demgegenüber die Ansicht vertreten, einmalige Zahlungen wie die Erbschaft seien nach § 2 Abs. 3 Satz 3 der Alg II-VO auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag abzusetzen. Für eine Überführung des Einkommens in Vermögen sei deshalb kein Raum. Es sei unmissverständlich bestimmt, das der Einkommenszufluss für eine angemessene Dauer zur Anrechnung und ggf. zum Wegfall der Hilfebedürftigkeit führe. Über eine Rückforderung möglicherweise für Dezember 2006 zu Unrecht erbrachter Leistungen sei noch nicht entschieden worden. Die vom Antragsteller behauptete Auskunft eines Sachbearbeiters, die Erbschaft stelle Schonvermögen des Antragstellers dar und sei leistungsrechtlich unbeachtlich, werde ausdrücklich bestritten.
Mit Beschluss vom 09.01.2007 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 01.01.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 29.12.2006, längstens jedoch bis zum 30.06.2007, zu erbringen. Die im letzten November an den Antragsteller zugeflossene Erbschaft in Höhe von 2.732,70 EUR sei als Einkommen zu berücksichtigen. Deshalb habe der Antragsteller bis zum Ende des Bewilligungszeitraums am 31.12.2006 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II gehabt. Ob diese Erbschaft zum Beginn des neuen Bewilligungsabschnittes (01.01.2007) als Vermögen oder weiterhin als einmalige Einnahme anzusehen sei, könne dahinstehen. Denn § 2 Abs. 3 Alg II-VO stelle keine Ermächtigung zur einer Dauerablehnung dar, wie sie mit Bescheid vom 29.12.2006 erfolgt sei. Eine der Bindungswirkung fähige Ablehnung eines Anspruchs auf Grundsicherung für Arbeitssuchende für einen Dauerzeitraum sehe das SGB II schon deswegen nicht vor, weil sich die wirtschaftliche Lage des Betreffenden zumindest theoretisch jederzeit ändern könne. § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-VO solle lediglich verhindern, dass Einnahmen nur im Monat des Zuflusses als Einkommen und danach als Vermögen behandelt würden. Zugeschnitten sei die Vorschrift auf nach erfolgter Bewilligung eingetretene Veränderungen, denen die Behörde im Wege der teilweisen Aufhebung des Leistungsbescheides Rechnung trage, wobei sie im Wege der Aufteilung auf mehrere Monate den Zeitraum ermittle, für den aufgehoben werden solle. Eine dem SGB II letztlich systemfremde Ermächtigung zur Ablehnung auf Dauer könne der untergesetzlichen Vorschrift nicht entnommen werden. Aufgrund der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers und der von ihm vorgelegten Bescheinigungen sei nicht ersichtlich, dass der Antragsteller aktuell noch über Einkommen und zumutbar verwertbares Vermögen verfüge. Insofern sei die Antragsgegnerin zu Leistungen zu verpflichten.
Gegen den ihr am 12.01.2007 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 31.01.2007 Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, sie habe mit dem Bescheid vom 29.12.2006 nicht auf Dauer Leistungen abgelehnt, sondern ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend die Voraussetzungen einer Leistungsgewährung geprüft und ausgeführt, dass die aus der Erbschaft erhaltenen Mittel bei einem angenommenen Bedarf in Höhe des Regelsatzes für rund acht Monate ausreichend seien, um den eigenen Lebensunterhalt sicher zu stellen und aus diesem Grunde eine Hilfebedürftigkeit nicht vorliege. Bei Nachweis des Bestehens einer freiwilligen Kranken-/Pflegeversicherung reduziere sich dieser Zeitraum auf ca. fünfeinhalb Monate. Es sei nicht nachvollziehbar, wie das Sozialgericht hieraus auf eine systemfremde Ablehnung von Leistungen auf Dauer schließe. § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-VO bestimme ausdrücklich, dass einmalige Einnahmen auf einen angemessenen Zeitraum zu verteilen und monatlich mit einem Teilbetrag entsprechend anzusetzen seien. Genauso habe sie – die Antragsgegnerin – verfahren. Dass der angenommene Zeitraum von rund acht bzw. fünf Monaten nicht angemessen sei, habe das Sozialgericht nicht festgestellt. Die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit sähen in diesem Zusammenhang lediglich vor, dass die Anrechnung von Einnahmen auch bei erheblichen Beträgen einen Zeitraum von zwölf Monaten nicht überschreiten solle. Der Vortrag des Antragstellers, er habe die Erbschaft zwischenzeitlich in wesentlichen Teilen in einem Bordell ausgegeben, sei nicht nachvollziehbar und ändere an der Berücksichtigung des einmal zugeflossenen Einkommens grundsätzlich nichts.
Der Senat hat den Antragsteller mit Verfügung vom 07.02.2007 aufgefordert, zur Beschwerde der Antragsgegnerin binnen zehn Tagen Stellung zu nehmen. Hieran wurde er mit Fristsetzung von fünf Tagen unter dem 14.03.2007 und nochmals mit abermaliger Fristsetzung von fünf Tagen unter dem 30.03.2007 erinnert. Der Antragsteller hat sich bis heute nicht zum Beschwerdeverfahren gemeldet.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), dass eine solche Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Damit setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nur die Glaubhaftmachung des Bestehens des geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruches voraus (hier: auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II), sondern auch einer besonderen Eilbedürftigkeit zur Durchsetzung dieses Begehrens (sog. Anordnungsgrund).
Ein solcher Anordnungsgrund ist für den Antragsteller jedoch nicht mehr zu erkennen. Denn er hat durch sein Prozessverhalten während des Beschwerdeverfahrens zu erkennen gegeben, dass ihm an einer ordnungsgemäßen und damit auch angemessen eiligen Bearbeitung des Verfahrens nichts mehr liegt. Er hat auf die Beschwerde der Antragsgegnerin selbst auf zweimalige Erinnerung des Senats nicht reagiert. Damit kann der Senat ein besonderes Eilbedürfnis für den Antragsteller im Hinblick auf die von ihm begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin nicht feststellen.
Dem Antragsteller ist es deshalb zuzumuten, den Ausgang des Widerspruchs- und eines etwa darauf folgenden sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
Im Übrigen hat der Senat in seinem Beschluss vom 23.03.2006 – L 20 B 72/06 AS (Breith. 2007, 173 – 175) ein Barvermögen aus einer Erbschaft als Einkommen i.S.d. § 11 SGB II angesehen, welches gem. § 2 Abs. 3 ALG II-VO auf die Folgezeit zu verteilen sei. Es kann dahinstehen, ob dieser Ansicht weiterhin zu folgen ist; zumindest ist sie im neueren Schrifttum zum SGB II nicht unumstritten. Soweit eine Erbschaft als (einmalige) Einnahme angesehen wird, wird sich zumeist auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.1999 – 5 C 16/98 (Buchholz 436.0, § 76b BSHG Nr. 30 zum Bundessozialhilfegesetz) berufen (z.B. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 11 Rn. 26). Das Bundessozialgericht hat allerdings im Urteil vom 17.03.2005 – B 7 AL 10/04 R im Rahmen der früheren Arbeitslosenhilfe ohne weiteres eine Erbschaft als Vermögen angesehen. Auch das Bundesverwaltungsgericht sieht in einem neueren Beschluss vom 19.05.2005 – 5 B 106/94 im Rahmen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz einen ererbten Betrag, der dem Erblasser selbst als Schmerzensgeld zugeflossen war, als einzusetzendes Vermögen des Erben an. Dementsprechend wird auch im Schrifttum zum SGB II vertreten, eine Erbschaft sei kein Einkommen, sondern Vermögen (so Brühl, in: LPK-SGB II, 2. Auflage, 2007, § 11 Rn. 9). Berücksichtigt man, dass der Antragsteller, der ohnehin mangels eigener Wohnung nur Leistungen in Höhe der Regelleistung von der Antragsgegnerin erhalten hat, mit diesen Leistungen lediglich das soziokulturelle Existenzminimum zur Sicherung begehrt, so könnten deshalb – trotz der genannten Beschwerdeentscheidung des Senats vom 23.03.2006 – durchaus Gründe dafür sprechen, dass er den von ihm verfolgten materiell-rechtlichen Anspruch (im Sinne eine sog. Anordnungsanspruchs) glaubhaft gemacht (vgl. hierzu auch den Hinweis des Sozialgerichts auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.05.2005 – 1 BvR 565/95). Im Übrigen dürfte die Antragsgegnerin in Sachverhalten wie dem vorliegenden jedenfalls gehalten sein, die Notwendigkeit einer darlehensweisen Leistungsgewährung (§ 23 SGB II) zu prüfen.
Letztlich kann der Senat jedoch dahinstehen lassen, ob ein Anordnungsanspruch besteht. Denn der Antragsteller hat aus den genannten Gründen jedenfalls einen Anordnungsgrund durch sein prozessuales Verhalten im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht. Ihm steht es allerdings frei, die Antragsgegnerin im Falle eines neuerlichen "Eilbedarfs" erneut vor dem Sozialgericht auf die einstweilige Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II in Anspruch zu nehmen; dort wäre dann die jetzt offen gelassene Frage eines Anordnungsanspruchs bei dann ggf. vorliegendem Anordnungsgrund näher zu untersuchen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 22.05.2007
Zuletzt verändert am: 22.05.2007