Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30. Januar 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Polyneuropathie der Klägerin als Berufskrankheit (BK) anerkennen und entschädigen muss.
Die im August 1935 geborene Klägerin war von 1950 bis 1976 in Polen in landwirtschaftlichen Betrieben tätig und zog 1976 in die Bundesrepublik Deutschland. Ab Juli 1976 arbeitete sie als Fräserin bei der Fa. L in C, die Geräte für Zahnärzte produzierte. Dort reinigte sie Kleinteile in Trichlorethylen (Tri) und Tetra. Anschließend war sie von September 1979 bis Ende Juni 1984 als Produktionsarbeiterin für die Fa. J GmbH in O tätig, die Karosserieteile für die Automobilindustrie herstellt. Bis 1981 arbeitete sie mit vier bis zwölf weiteren Personen in einem 144 m³ großen Raum, der angeblich keine Fenster hatte und nur durch eine Tür belüftet wurde. Dort wurde u.a. Klebstoff, der Isocyanat (MDI), Xylol und 10%iges Ethylbenzol enthielt, auf Metall- und Kunststoffteile aufgetragen. Bei Kontrollmessungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 06. Juni 1979 und 02. Dezember 1983 wurde der maximale Arbeitsplatzkonzentrationswert (MAK-Wert) für Xylol und Etyhlbenzol deutlich unterschritten; die Konzentration von 4.4 Diphenylmethandiisocyanat lag unterhalb der Nachweisgrenze. Die Klägerin bediente im Regelfall die Pulverbeschichtungsanlage. Dabei lud sie die Formteile, an denen der Kleber haftete, elektrostatisch auf und beschichtete sie mit pulverförmigen Kunststoffflocken aus Polyamidfasern (sog. Beflockung), die keine Halogenkohlenwasserstoffe enthielten. Zum Schutz gegen den Flockenstaub benutzte sie eine Stoffstaubmaske. Abschließend säuberte und verpackte sie die beschichteten Teile, wobei sie Gummihandschuhe trug. Von 1982 bis Juli 1984 arbeitete sie in einer großen Produktionshalle weiterhin an der Pulverbeschichtungsanlage, die sie mit Nitro reinigte. Aushilfsweise wurde sie auch an den Klebearbeitsplätzen eingesetzt, an denen der Leim ab 1982 mit einer Spritzpistole aufgetragen wurde. Von Oktober 1985 bis Ende 1987 war sie als Küchenhilfe im Q-hotel in O beschäftigt.
Anfang 1984 äußerte der Orthopäde Prof. Dr. E, Chefarzt der Abteilung Orthopädie im St. K-Krankenhaus F, den Verdacht auf eine symmetrische Polyneuropathie unklarer Herkunft. Während eines sechswöchigen stationären Heilverfahrens im März/April 1984 stellten die Kurärzte des S-Sanatoriums in Bad T keine Polyneuropathie fest. Dr. U, Chefarzt der Gastroenterologie im Kreiskrankenhaus Xl, beschrieb die orientierende neurologische Untersuchung im März 1987 als "unauffällig". Im Rahmen eines weiteren vierwöchigen Heilverfahrens im Reha-Zentrum T Ende 1987 ergab die neurologische Untersuchung ebenfalls keinen krankhaften Befund; Sensibilität und Reflextätigkeit waren intakt. Anfang 1994 stellte der niedergelassene Arzt für Nervenheilkunde Dr. T aus F eine symmetrische, gemischte Polyneuropathie der Beine unklarer Ursache fest. Die Klägerin habe seit 1987 schmerzhafte, sockenförmige Missempfindungen der Füße, wobei es nachts zu Fuß- und Wadenkrämpfen sowie brennenden Missempfindungen komme. Dieser Diagnose schloss sich der niedergelassene Allgemeinmediziner Dr. H in O an. Von Ende Dezember 1995 bis Mitte Januar 1996 ließ sich die Klägerin in der C-Klinik in Bad C wegen Krämpfen, Lähmungen und Schwächegefühlen, die sich strumpfförmig vom Knöchel bis zu den Füßen erstreckten, stationär behandeln. Die Klinikärzte empfahlen ihr zu klären, ob die Polyneuropathie toxisch bedingt sei, weil sie früher in einer Chemiefabrik gearbeitet habe und die Missempfindungen dort erstmals aufgetreten seien. Im Februar 1996 konnte eine Entzündung von Gehirn- und Rückenmark (Enzephalomyelitis disseminata) computertomographisch ausgeschlossen werden. Im September 1996 ließ sich die Klägerin in der Abteilung für Neurologie des Kreiskrankenhauses M zwei Wochen lang stationär untersuchen. Dort klagte sie über die Zunahme sockenförmiger Schmerzen in beiden Füßen mit stechenden Kribbelmissempfindungen seit 3 Jahren und brennend-pelzigen Gefühlsstörungen in allen Fingerkuppen seit ca. einem Jahr. Chefarzt Dr. H schloss als Ursache der Polyneuropathie eine Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) oder sonstige Stoffwechselstörungen, einen Vitamin-B-12-Mangel, eine Dis- bzw. Paraproteinämie, ein Autoimmungeschehen, einen entzündlichen ZNS-Prozess sowie ein paraneoplastisches Geschehen aus und vermutete am ehesten einen toxischen Zusammenhang.
Mitte November 1996 zeigte die AOK Rheinland der Beklagten an, dass die Klägerin vermutlich an einer bk-bedingten Polyneuropathie leide. Im Feststellungsverfahren teilte die Klägerin mit, sie habe bei der Fa. J GmbH "giftige Dämpfe" eingeatmet, weil der Mundschutz unzureichend gewesen sei. Bei Kontrollen des Gesundheitsamtes und der Beklagten seien im Betrieb immer mehrere Kleber und Verdünnungsmittel versteckt worden. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den niedergelassenen Internisten, Arbeits- und Umweltmediziner Dr. D aus L untersuchen. Dieser führte in seinem Gutachten 06. Juni 1997 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. August 1997 aus, dass die Arbeitsstoffe, mit denen die Klägerin umgegangen sei, pränarkotische Sofortwirkungen oder spezifische Organschäden hervorrufen könnten, die bei ihr aber nicht beschrieben worden seien. Denn es lägen keine Schäden des zentralen Nervensystems, der Leber oder Nieren, des Blutbildes, der Atemwege, der Haut oder Schleimhäute sowie eine Schwächung des Immunsystems vor. Gegen einen beruflichen Zusammenhang spreche ferner der lange Zeitraum zwischen dem Ende der Exposition im Jahre 1984 und der Erstdiagnose 1994.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 1997 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sich "der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 und 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII), insbesondere nach Nr. 1302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe), nicht bestätigt" habe. Dagegen erhob die Klägerin am 13. November 1997 Widerspruch und behauptete, sie habe aufgrund der giftigen Berufsstoffe ständig unter Hustenreiz, Augenbrennen, Kopf- und Gliederschmerzen, Kreislaufproblemen und Übelkeit gelitten. Bis Mitte 1982 habe sie in einem alten "Viehstall" gearbeitet, der nur unzureichend belüftet worden sei. Über die Gefährlichkeit der Arbeitsstoffe sei sie nie aufgeklärt worden; ihre Mahlzeiten habe sie immer "unmittelbar am Arbeitsplatz eingenommen". Sie habe die Tätigkeit 1984 auf Rat des praktischen Arztes Dr. N aus O wegen einer berufsbezogenen asthmatischen Ventilationsstörung aufgegeben (Attest vom 22. Juni 1984). Es dürfe nicht zu ihren Lasten gehen, dass die behandelnden Ärzte die Polyneuropathie jahrelang übersehen hätten. Dr. H habe den Ursachenzusammenhang zu Recht bejaht, zumal im Zeitraum zwischen 1984 und der Erstdiagnose einer Polyneuropathie 1994 immer wieder krankheitstypische (Brücken-)Symptome aufgetreten seien. Die Beklagte zog eine beratungsärztliche Stellungnahme des Internisten und Arbeitsmediziners Dr. T aus L vom 17. Februar 1998 bei und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 1998 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 15. April 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhoben und behauptet, die Symptome einer Polyneuropathie seien erstmals 1982/3 aufgetreten. Neben Dr. H habe zwischenzeitlich auch der niedergelassene Nervenarzt Dr. C aus U einen schwerwiegenden toxischen Schaden festgestellt, der auf der beruflichen Schadstoffbelastung beruhe. Zudem habe der niedergelassene Radiologe Dr. I aus Q in der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) ausgeprägte Störungen der Glukose-Utilisation beschrieben und damit einen organischen Hirnschaden nachgewiesen. Die Messungen des TAD im Juni 1979 und Dezember 1983 seien nicht aussagekräftig, weil jeweils vorher "bestimmte Substanzen" weggestellt und die Arbeitsräume gut durchlüftet worden seien. Ihr Arbeitsplatz sei 1982 in eine große Produktionshalle verlegt worden, weil das zuständige Gewerbeaufsichtsamt gedroht habe, die alte Produktionsstätte zwangsweise zu schließen.
Zu Beweiszwecken hat das SG von Amts wegen ein Gutachten von Prof. Dr. L, Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der K-Universität N, vom 22. Dezember 1999 eingeholt: Eine toxische Polyneuropathie führe anfangs zu sensiblen Reiz- und Ausfallserscheinungen, die sich zunächst körperfern (distal) an den unteren Extremitäten sockenförmig und beiderseits symmetrisch ausbildeten. Erst später entwickelten sich entsprechende Symptome an den oberen Extremitäten, die sich handschuhförmig von der Peripherie zum Körper hin ausbreiteten. Klinisch fänden sich je nach Krankheitsausprägung körperfern symmetrische Sensibilitätsstörungen und erst im weiteren Verlauf Reflexabschwächungen. Die Symptome träten meist wenige Tage, gelegentlich einige Wochen, aber keinesfalls später als zwei bis drei Monate nach dem letzten Lösungsmittelkontakt auf, wobei die Prognose sehr günstig sei. Eine lösungsmittelbedingte Polyneuropathie heile in leichten Fällen spätestens nach zehn Monaten vollständig aus; aber auch schwere Verläufe bildeten sich spätestens nach drei Jahren vollständig oder weitgehend zurück. Ein Endstadium mit erheblichen Defekten sei eine ganz seltene Ausnahme. Schreite die Erkrankung trotz mehrmonatiger Expositionskarenz voran, so schließe dies eine Verursachung durch Lösungsmittel aus. Nach Angaben der Klägerin hätten die Beschwerden 1983 oder 1987 in den Unterschenkeln begonnen, wobei die Schmerzen langsam zugenommen hätten. Später seien Gefühllosigkeit, motorische Störungen und Schmerzen in den oberen Extremitäten hinzugekommen. Allerdings seien 1984 und 1987 keine neurologischen Auffälligkeiten festgestellt worden; die Polyneuropathie sei erst seit 1994 gesichert. Seitdem schreite die Erkrankung voran und habe inzwischen zu einer erheblichen Lähmung der unteren Extremitäten geführt. Ein solcher Verlauf lasse sich durch neurotoxische organische Lösungsmittel nicht erklären und müsse auf anderen (unbekannten) Ursachen beruhen. Zudem sei es aufgrund der Messberichte und des Arbeitsablaufs unwahrscheinlich, dass die Klägerin zwischen 1979 und 1984 am Arbeitsplatz Xylol und Ethylbenzol in nennenswertem Umfang eingeatmet habe. Im Ergebnis lasse sich weder eine Listen-BK noch eine Wie-BK wahrscheinlich machen. Hierzu hat sich der Nervenarzt Dr. C in seiner Stellungnahme vom 14. Dezember 1999 kritisch geäußert und im Wesentlichen auf die Belastung mit Tri, anderen Lösungsmitteln und Kunststoffen hingewiesen. Die PET-Untersuchung beweise, dass die Klägerin an einem organischen Hirnschaden leide.
Anschließend hat der niedergelassene Pharmakologe und Toxikologe Prof. Dr. C1 aus S unter dem 13. Februar 2002 gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein weiteres Gutachten erstattet und am 18. März 2003 ergänzt. Ihm hat die Klägerin geschildert, sie habe als Fräserin bei der Fa. L Trunkenheits- und Müdigkeitsgefühle verspürt und sich deshalb nach Schichtende häufig schlafen gelegt. Bei der Fa. J GmbH habe sie "scharf riechende Dämpfe" eingeatmet, wodurch es immer wieder zu Müdigkeit, Übelkeit, starkem Husten, Luftnot und auch Erstickungsgefühlen gekommen sei. Am Arbeitsplatz sei sie "wiederholt umgefallen". Gelegentlich sei es vor der Arbeitsaufnahme zu Hustenanfällen und Erbrechen gekommen. Nach zwei bis drei Jahren hätten sich an den Füßen sockenförmige und an den Händen handschuhförmige Kribbelmissempfindungen und Schmerzen eingestellt. An den Füßen und Fingerspitzen seien Taubheitsgefühle aufgetreten. Außerdem habe sich ein Dauerkopfschmerz entwickelt, und sie habe eine Abnahme des Konzentrationsvermögens und der Gedächtnisleistung bemerkt. Zu Hause und in Urlaubszeiten hätten sich die Befindlichkeitsstörungen gebessert. Der SV hat ausgeführt, dass die Klägerin gegenüber neurotoxischen Lösungsmitteln und deren Gemischen nachweislich exponiert gewesen sei, wobei einzelne Komponenten des lösemittelhaltigen Klebers additiv wirkten (sog. "Schadstoffkoergismus"). Sie habe arbeitsplatzbezoge pränarkotische Symptome (Müdigkeit, Erschöpfung, Trunkenheit und Übelkeit) gehabt, was für Grenzwertüberschreitungen spreche. Zudem habe der TAD 1982 höhere Xylol-Werte als 1979 gemessen, obwohl sich die Arbeitsplatzbedingungen zwischenzeitlich gebessert hätten. Die Polyneuropathie habe sich wahrscheinlich bereits 1983 manifestiert, sei aber wegen anderer massiver Gesundheitsbeschwerden in den Hintergrund gedrängt und deshalb nicht diagnostiziert worden. Folglich bestehe auch keine Diskrepanz zwischen dem Ende der Exposition und dem Auftreten der polyneuropathischen Beschwerden. Dass sich die Polyneuropathie nach Expositionsende verschlimmert habe, sei nicht belegt, weil objektive Befunde erst ab 1994 erhoben worden seien. Zudem hätten wissenschaftliche Verlaufskontrollen gezeigt, dass Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems auch nach Expositionskarenz fortschreiten könnten. Überdies habe der Neurologe Dr. H bereits 1996 außerberufliche Ursachen der Polyneuropathie weitgehend ausgeschlossen. Die Klägerin leide seit 1983 an einer mittelschweren distal-symmetrischen Polyneuropathie, die durch Lösungsmittelgemische ausgelöst worden sei. Diese Erkrankung erfülle die Voraussetzungen der BK nach der Nr. 1303 der Anlage zur BKV (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol). Hierdurch sei die Erwerbsfähigkeit der Klägerin um 30 v.H. gemindert.
Damit hat sich der SV Prof. Dr. L in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04. September 2002 eingehend auseinandergesetzt, ohne von seiner bisherigen Beurteilung abzuweichen: Dass die Polyneuropathie bereits 1983 aufgetreten sei, könne weder ausgeschlossen noch gesichert werden. Gegen den Ursachenzusammenhang spreche weiterhin der klinische Verlauf. Denn toxische Polyneuropathien durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische träten im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang (Tage bis Wochen) mit der fraglichen Exposition auf. Aus toxikokinetischen und toxikodynamischen Gründen sei es ganz unwahrscheinlich, dass eine lösungsmittelbedingte Polyneuropathie nach Expositionsende fortschreite. Die Beklagte hat ähnlich lautende Stellungnahmen ihrer Beratungsärzte Dr. N und Dr. T aus L vom 19. März und 05. November 2002 vorgelegt.
Mit Urteil vom 30. Januar 2004 hat das SG die Klage abgewiesen: Eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV scheide schon aus Rechtsgründen aus, weil sie nur für Versicherungsfälle gelte, die nach dem 31. Dezember 1997 eingetreten seien. Die Polyneuropathie sei jedoch schon 1994 gesichert worden und die Klägerin behaupte sogar, dass diese Erkrankung bereits 1982/3 aufgetreten sei. Soweit Prof. Dr. C eine BK nach Nr. 1303 bejahe und mit einer MdE von 30 v.H. bewerte, könne ihm nicht gefolgt werden. Denn es sei bereits zweifelhaft, ob die Klägerin bei der Fa. J überhaupt in ausreichendem Maße gegenüber Xylol und Ethylbenzol exponiert gewesen sei. Dagegen spreche, dass die maximalen Arbeitskonzentrationswerte für diese Stoffe bei zwei Messungen deutlich unterschritten worden seien. Zwar könne die neurotoxische Wirkung einzelner Lösungsmittel durch wirkungsgleiche Verbindungen erheblich gesteigert werden (sog. Schadstoffkoergismus). Es sei aber nicht belegt, dass die Klägerin derartigen additiven Wirkungen an ihrem Arbeitsplatz tatsächlich ausgesetzt gewesen sei. Dass sie dort pränarkotische Symptome gehabt und Ohnmachsanfälle erlitten habe, sei nirgendwo dokumentiert, obwohl sie im entscheidenden Zeitraum wegen anderer Erkrankungen umfangreich behandelt worden sei. Vor allem die Kur-Entlassungsberichte des Rosenau-Sanatoriums in Bad T aus dem Jahre 1984 sowie des Reha-Zentrums Soltau von 1987 wiesen eine Fülle von Beschwerden, aber unauffällige neurologische Befunde auf. Gegen den Ursachenzusammenhang spreche die große zeitliche Diskrepanz zwischen dem Ende der Schadstoffexposition und der Manifestation der polyneuropathischen Beschwerden. Hierauf hätten der Verwaltungsgutachter Dr. D, der Beratungsarzt Dr. T und der SV Prof. Dr. L einmütig und überzeugend hingewiesen. Denn nach arbeitsmedizinischer Erkenntnis entwickelten sich Polyneuropathien in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Lösungsmittelexposition, und selbst bei schweren Verläufen bildeten sich die Symptome spätestens nach drei Jahren vollständig bzw. weitgehend zurück. Bei der Klägerin sei die Polyneuropathie aber fortgeschritten, was mit beruflichen Ursachen nicht zu vereinbaren sei.
Nach Zustellung am 01. Juli 2004 hat die Klägerin gegen dieses Urteil am 26. Juli 2004 Berufung eingelegt und sich im Wesentlichen auf das Gutachten des SV Prof. Dr. C berufen. Außerdem hat sie darauf hingewiesen, dass sich eine lösungsmittelbedingte Polyneuropathie nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit auch verschlechtern könne, wie dem ärztlichen Merkblatt zur BK Nr. 1317 zu entnehmen sei, das Anfang 2005 im Bundesarbeitsblatt veröffentlicht worden sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30. Januar 2004 zu ändern und den Bescheid vom 27. Oktober 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 1998 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihr bestehende Polyneuropathie eine Berufskrankheit ist und die Beklagte zu verurteilen, ihr deshalb Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. N vom 31. Mai 2005 vorgelegt, wonach für eine BK nach Nr. 1303 der Anlage zur BKV nur das neurotoxische Xylol in Frage komme, für das am Arbeitsplatz der Klägerin jedoch nur 10 bis 20% des MAK-Wertes gemessen worden seien.
Der Senat hat von Amts wegen den Internisten, Arbeits- und Umweltmediziner Dr. med. Dipl.-Ing. T, stellvertretender kommissarischer Leiter des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der I-Universität E, beauftragt, ein Gutachten nach Aktenlage zu erstatten. Darin hat der SV am 18. Dezember 2006 das Vorliegen einer Listen-BK oder Wie-BK verneint: Da die Klägerin gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen nicht exponiert gewesen sei, scheide eine BK 1302 aus. Bei der Fa. L habe sie mit Kühlschmierstoffen hantiert, die keine pränarkotischen Symptome auslösen könnten. Soweit sie bei der Fa. J isocyanathaltigen Kleber benutzt habe, könnten hierdurch nur die Atemwege geschädigt werden. Die Einwirkungen von Xylol und Etyhlbenzol hätten unterhalb des jeweiligen MAK-Wertes gelegen, wie die Messungen vom 06. Juni 1979 und 02. Dezember 1983 belegten. Gegen einen Zusammenhang zwischen der Polyneuropathie und der berufsbedingten Belastung mit Lösemitteln sei anzuführen, dass die Erkrankung erst zehn Jahre nach der Tätigkeitsaufgabe ärztlich festgestellt worden sei. Brückenbefunde, die für eine beginnenden Polyneuropathie sprächen, seien vor 1994 weder festgestellt noch dokumentiert worden. Im Gegenteil: Die Kurärzte des Reha-Zentrums Soltau hätten noch im November/Dezember 1987 Sensibilitäts- und Reflexstörungen und damit gleichzeitig auch eine Polyneuropathie ausgeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte (Az.: 000) Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid vom 27. Oktober 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 1998 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist und die Klägerin nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Denn ihre Polyneuropathie ist keine BK nach Nrn. 1302, 1303, 1315 oder 1317 der Anlage zur BKV.
Dabei kann offen bleiben, ob sich dieser Anspruch noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) richtet oder schon nach den Bestimmungen des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) zu beurteilen ist. Gemäß §§ 212, 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII gelten die Vorschriften des SGB VII auch für Versicherungsfälle, die bereits eingetreten waren, bevor das SGB VII am 01. Januar 1997 in Kraft trat, wenn die Leistungen nach diesem Zeitpunkt "erstmals festzusetzen sind". Es ist umstritten, wie diese Formulierung zu verstehen ist (vgl. BSG, Urteile vom 20. Februar 2001, Az: B 2 U 1/00 R, HVBG-Info 2001, 839, 841f., vom 05. März 2002, Az: B 2 U 4/01 R, HVBG-Info 2002, 1065ff. und vom 19. August 2003, Az: B 2 U 9/03 R, HVBG-Info 2003, 2829, 2831ff.; Senatsurteile vom 22. März 2002, Az: L 17 U 105/01, HVBG RdSchr VB 82/2002 und vom 13. Juli 2005, Az: L 17 U 222/04 sowie LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Januar 2004, Az: L 2 KN 78/98 U). Die Beklagte ist indes weder nach der RVO noch nach dem SGB VII verpflichtet, die nachgewiesene Polyneuropathie der Klägerin als BK anzuerkennen und ihr deshalb Verletztenrente zu gewähren.
Die Feststellung einer BK setzt sowohl nach altem als auch nach neuem Recht voraus, dass der Kläger im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt war, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (vgl. BSG, Urteile vom 20. Januar 1987, Az.: 2 RU 27/86, BSGE 61, 127, 130 und vom 22. Juni 1988, Az.: 9/9a RVg 3/87, BSGE 63, 270, 271; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, [Handkommentar], § 9 SGB VII Rn. 3; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheiten-Verordnung [Kommentar], E § 9 SGB VII Rn. 14). Der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen Einwirkung und Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) beurteilt sich nach der unfallrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Danach sind nur die Bedingungen (mit-)ursächlich, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG, a.a.O.). Die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität müssen hinreichend wahrscheinlich sein; die bloße Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteile vom 02. Februar 1978, Az.: 8 RU 66/77, SozR 2200 § 548 Nr. 38 und § 551 Nr. 1; Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., E § 9 SGB VII Rn. 26). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (BSG SozR § 548 Nr. 38 und Urteil vom 18. Dezember 1997, Az.: 2 RU 48/96, SGb 1999, 39, 40). Die Faktoren, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, müssen die Umstände, die gegen die Kausalität sprechen, deutlich überwiegen (vgl. Schulz-Weidner, SGb 1992, 59, 64f.).
I. Die BK 1303, die hier vordringlich in Betracht kommt, erfasst Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder Styrol. Ein Zusammenhang zwischen der nachgewiesenen beruflichen Belastung mit Benzol (bzw. seinen Homologen) und der Polyneuropathie ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Die Klägerin hatte während ihrer Tätigkeit bei der Fa. J GmbH Kontakt zu Etyhlbenzol und Xylol, einem Benzolhomolog, und war deshalb während ihres Berufslebens Einwirkungen iSd. BK 1303 ausgesetzt. Folglich sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt. Ein Zusammenhang zwischen diesen nachgewiesenen Einwirkungen und der Polyneuropathie ist jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich. Hierfür sind folgende Überlegungen maßgeblich:
Die Schadstoffexposition gegenüber Xylol und Etyhlbenzol war quantitativ gering und lag deutlich unter den MAK-Werten, wenn man auf die Messergebnisse zurückgreift, die der TAD am 06. Juni 1979 und 02. Dezember 1983 ermittelt hat. Danach wurden die MAK-Werte für beide Schadstoffe selbst an den Klebearbeitsplätzen deutlich unterschritten. Die Klägerin war aber nur aushilfsweise an diesen Arbeitsplätzen tätig. Stattdessen bediente sie in aller Regel die Pulverbeschichtungsanlage, wo die Konzentration von Xylol und Etyhlbenzol (noch) niedriger war und im Grunde nur von einer Bystander-Exposition gesprochen werden kann. Aber selbst wenn vor den Messungen bestimmte (benzolhaltige?) Stoffe (welche?) "versteckt" worden wären, wie die Klägerin behauptet, so wären damit signifikant höhere MAK-Werte keinesfalls erwiesen. Hierauf hat das SG zu Recht hingewiesen. Zudem führt eine Überdosis schädlicher Lösungsmittel in Klebstoffen üblicherweise unmittelbar zu zentralnervösen Ausfällen und Beschwerden, wobei es vor allem zu sog. Pränarkosesymptomen bzw. einer chronischen Müdigkeit, Kopfschmerzen und Benommenheit kommt. Dass die Klägerin jemals unter derartigen pränarkotischen Beschwerden gelitten hat, ist nicht erwiesen. Denn in der dokumentierten Krankenvorgeschichte gibt es nicht den geringsten Hinweis, dass solche Symptome im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufgetreten sind. Gerade in den 80iger Jahren hat sich die Klägerin umfangreich, u.a. wegen Knie- und Hüftbeschwerden sowie Krampfadern der Beine, ärztlich behandeln lassen. Dass dabei weder pränarkotische noch polyneuropathische Beschwerden zur Sprache gekommen sein sollen, hält der Senat für undenkbar. Die Klägerin erwähnt pränarkotische Symptome erstmals in der Widerspruchsbegründung, nachdem der Verwaltungsgutachter Dr. D auf das Fehlen derartiger Krankheitszeichen hingewiesen hatte. Dies erhärtet den dringenden Verdacht, dass sie im Laufe des Verfahrens "hinzugelernt" hat und die angeblichen pränarkotischen Symptome nunmehr zweckgerichtet schildert. Dafür spricht auch, dass sie diese Krankheitsanzeichen immer weiter ausgestaltet und dramatisiert. So hat sie dem SV Prof. Dr. C geschildert, schon als Fräserin bei der Fa. L Trunkenheits- und Müdigkeitsgefühle verspürt zu haben, obwohl sie dort gar nicht mit Lösungsmitteln umgegangen ist. Die Kühlschmierstoffe, mit denen sie dort hantierte, können nämlich keine pränarkotischen Symptome auslösen, wie der SV Dr. T sachkundig erläutert hat. Dass die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz bei der Fa. J "wiederholt umgefallen" sei und erbrochen habe, deswegen aber keinen Arzt aufgesucht habe, ist angesichts des sonstigen Verhaltens der Klägerin völlig unglaubwürdig und lebensfern. Denn sie gehört keinesfalls zu dem Personenkreis, der Arztbesuche scheut. In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass sie die Tätigkeit bei der Fa. J nach ihren eigenen Angaben und nach dem Attest des praktischen Arztes Dr. N vom 22. Juni 1984 wegen einer obstruktiven Ventilationsstörung und gerade nicht wegen polyneuropathischer oder pränarkotischer Beschwerden aufgegeben hat. Gegen die haftungsausfüllende Kausalität spricht außerdem, dass spezifische Organschäden, die Xylol oder Etyhlbenzol hervorrufen können, bei der Klägerin nicht vorliegen. Denn es bestehen keine Schäden des zentralen Nervensystems, der Leber oder Nieren, des Blutbildes, der Atemwege, der Haut oder Schleimhäute oder eine Schwächung des Immunsystems. Hierauf hat der Verwaltungsgutachter Dr. D zutreffend hingewiesen. Sein Gutachten vom 06. Juni 1997 nebst ergänzender Stellungnahme vom 18. August 1997 hat die Beklagte im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht (§§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB X]) beigezogen. Es entspricht in Form und Inhalt den Anforderungen, die an ein wissenschaftlich begründetes SV-Gutachten zu stellen sind. Obschon es die Beklagte angefordert hat, handelt es sich keinesfalls um ein Parteigutachten (BSG, Beschluss vom 23. September 1957, Az: 2 RU 113/57, SozR Nr. 3 zu § 118 SGG sowie Urteile vom 24. November 1988, Az: 9/9a RV 42/87, SozSich 1989, 220 und vom 08. Dezember 1988, Az: 2/9b RU 66/87, HV-Info 1989, 410 ff.; Senatsurteile vom 15. Oktober 2003, Az: L 17 U 85/00 und vom 23. Februar 2005, Az: L 17 U 120/02; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 118 Rn. 12b). Im Klageverfahren können derartige Verwaltungsgutachten im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden und auch alleinige Entscheidungsgrundlage sein (BSG, Beschluss vom 31. Mai 1963, Az: 2 RU 231/62, SozR Nr. 66 zu § 128 SGG und Urteil vom 08. Dezember 1988, Az: 2/9b RU 76/87, HV-Info 1989, 410 ff.; LSG NW, a.a.O.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O.; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl. 2002, III Rn. 49, 50).
Gegen die haftungsausfüllende Kausalität spricht darüber hinaus die lange Latenzzeit zwischen Aufgabe der schädigenden Tätigkeit und den ersten Krankheitsanzeichen. Dies haben die SVen Prof. Dr. L und Dr. T übereinstimmend und einleuchtend begründet. Die Polyneuropathie ist erst knapp 10 Jahre nach Aufgabe der versicherten Tätigkeit erstmals diagnostiziert worden ist. Dr. E hat zwar bereits Anfang 1984 den Verdacht auf eine symmetrische Polyneuropathie geäußert. Dieser Verdacht ist aber bis 1994 nie bestätigt worden. Im Gegenteil: Die Kurärzte des Reha-Zentrums Soltau haben noch im November/ Dezember 1987 Sensibilitäts- oder Reflexstörungen verneint und damit gleichzeitig eine Polyneuropathie ausgeschlossen. Zudem variieren die Angaben der Klägerin zum Beginn der polyneuropathischen Beschwerden: 1994 gab sie an, schmerzhafte Missempfindungen in den Beinen und Füßen seit 1987 zu haben. Im Jahre 1996 schildert sie krampfartige Missempfindungen im Bereich beider Füße und Unterschenkel seit drei Jahren, also ab 1993. Überdies lässt sich der Krankheitsverlauf nicht mit einer lösemittelbedingten Nervenschädigung vereinbaren: Denn bei einer berufsbedingten Polyneuropathie wäre nach Beendigung der Exposition zumindest ein Stillstand der Symptomatik, wenn nicht sogar eine Besserung zu erwarten gewesen, wie Prof. Dr. L ebenso eingehend wie überzeugend erläutert hat. Bei der Klägerin haben die Krankheitssymptome nach dem Ende der Exposition aber deutlich zugenommen. Demzufolge haben der Verwaltungsgutachter Dr. D, die Beratungsärzte Dr. T und Dr. N sowie die SVen Prof. Dr. L und Dr. T den Ursachenzusammenhang übereinstimmend verneint. Soweit Dr. C aus U und Dr. I aus Q zu einer anderen Einschätzung gelangt sind, ist darauf hinzuweisen, dass sie medizinische Außenseiter sind, die nicht auf dem Boden der herrschenden unfallmedizinischen Lehrmeinung argumentieren, die bei der Zusammenhangsbeurteilung maßgebend ist (BSG, Urteile vom 20. September 1977, Az: 8 RU 24/77, Meso B 30/51 und vom 12. November 1986, Az: 9b RU 76/86; Senatsurteile vom 23. Februar 2005, Az: L 17 U 120/02, vom 21. Juni 2006, Az: L 17 U 227/05 und vom 16. August 2006, L 17 U 316/04; Plagemann/ Hontschick, Medizinische Begutachtung im Sozialrecht, 3. Aufl. 1996, S. 27).
II. Die BK 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) kommt schon aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Denn nach § 6 Abs. 2 BKV ist diese Erkrankung "auf Antrag" nur als BK anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist. Die Klägerin behauptet jedoch, dass sich die Polyneuropathie bereits 1982/3 manifestiert habe. Geht man dagegen mit der Mehrzahl der behandelnden Ärzte, Gutachter und Sachverständigen davon aus, dass die Polyneuropathie erst 1994 (oder frühestens am 01. Januar 1993) aufgetreten ist, dann ließe sich kein Ursachenzusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit herstellen. Denn ein Abstand von acht bis zehn Jahren zwischen Expositionsende und Erstmanifestation von Nervenschäden ist eindeutig zu lang. Im aktuellen Merkblatt zur BK 1317, auf das sich die Klägerin beruft, heißt es nämlich wörtlich: "Die lösungsmittelbedingte Polyneuropathie entwickelt sich in der Regel in engem zeitlichen Zusammenhang mit der beruflichen Lösungsmittelexposition. Allerdings wurden vereinzelt Krankheitsverläufe berichtet, bei denen es 2-3 Monate nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zu einer Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit kommt, so dass die klinische Diagnose der Polyneuropathie auch 2-3 Monate nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit erstmals gestellt werden kann." Die Latenzzeit beträgt also nur wenige Monate, keinesfalls aber mehrere Jahre oder sogar ein Jahrzehnt.
III. Eine BK nach Nr. 1315 der Anlage zur BKV (Erkrankungen durch Isocyanate) scheidet ebenfalls aus, obgleich der Kleber, mit dem die Klägerin bei der Fa. J in Berührung kam, isocyanathaltig war. Denn die Konzentration von 4.4 Diphenylmethandiisocyanat lag bei den Messungen des TAD vom 06. Juni 1979 und 02. Dezember 1983 unterhalb der Nachweisgrenze. Zudem greifen Isocyanate die Atemwege und die Haut, nicht jedoch das Nervensystem an, wie der SV Dr. T plausibel dargelegt hat.
IV. Da die Klägerin gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen nicht exponiert war, scheidet die BK 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) von vornherein aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 08.08.2007
Zuletzt verändert am: 08.08.2007