Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 24. August 2006 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Antragstellerin, die Mutter der am 00.00.1989 geborenen Beigeladenen zu 2) ist, welche bei ihrem Vater lebt, bezieht von der Antragsgegnerin Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) einschließlich eines Zuschlags nach § 24 SGB II wegen des Vorbezugs von Arbeitslosengeld. Letzteren Zuschlag zweigte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 08.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 zugunsten der Beigeladenen zu 2) ab und ordnete die sofortige Vollziehung dieses Bescheides an. Hiergegen hat die Antragstellerin am 01.06.2006 vor dem Sozialgericht Dortmund Klage erhoben und beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits anzuordnen.
Mit Beschluss vom 24.08.2006 hat das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet, weil das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin aufgrund ihrer fehlenden Unterhaltsverpflichtung mangels ausreichender Leistungsfähigkeit überwiege.
Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage, die infolge der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Antragsgegnerin entfallen war (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG -), zu Recht nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG angeordnet. Das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, da nach der erforderlichen summarischen Prüfung der angefochtene Abzweigungsbescheid der Antragsgegnerin rechtswidrig erscheint.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn der Leistungsberechtigte ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Ist wie hier der Unterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten nicht tituliert und liegen auch sonst keine verbindlichen Vereinbarungen über den zu zahlenden Unterhalt vor, hat der Sozialleistungsträger festzustellen, ob und in welchem Umfang der Sozialleistungsberechtigte zur Gewährung von Unterhalt im Abzweigungszeitraum verpflichtet ist (BSG SozR 1200 § 48 Nr. 10 S. 44; Nr. 11 S. 56). Die Unterhaltspflicht ist dabei anhand der konkreten Lebens- und Einkommensverhältnisse zu beurteilen (BSG SozR 3-1200 § 48 Nr. 4 S. 10). Auch in Fällen der gesteigerten Unterhaltspflicht gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die der Antragstellerin gegenüber ihrer Tochter, zu deren Gunsten die Abzweigung erfolgt, obliegt, ist aber jedenfalls dem Sozialleistungsberechtigten als Opfergrenze der sogenannte kleine Selbstbehalt (vgl. dazu BGH NJW 84, 1614) zu belassen (ständige Rechtsprechung des BSG seit Urt. v. 20.06.1984 – 7 Rar 18/83 – = SozR 1200 § 48 Nr. 8 S. 25 ff.). Der Charakter der Abzweigung als Soforthilfemaßnahme lässt zwar die Schematisierung der Höhe des Mindestbehalts zu (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt SozR 4 – 1200 § 48 Nr. 1 Rn. 10), dem Unterhaltspflichtigen muss aber mindestens das belassen werden, was ihm unterhaltsrechtlich zusteht (Seewald in Kasseler Kommentar, § 48 SGB I Rn. 18).
Soweit die Antragsgegnerin insbesondere gestützt auf das Urteil des BSG vom 18.08.1983 – 7 RAr 101/81 – (= SozR 1200 § 48 Nr. 7) die Vermeidung der Sozialhilfebedürftigkeit als Selbstbehaltsgrenze ansieht, verkennt sie zum einen, dass letztere Entscheidung des BSG bereits durch das genannte Urteil vom 20.06.1984 revidiert worden ist (SozR 1200 § 48 Nr. 8 S. 28 f.); zum anderen handelt es sich insoweit lediglich um ein zusätzliches Kriterium (vgl. Seewald, a.a.O.), wie auch aus der Rechtsprechung des BGH folgt (vgl. Urt. vom 12.04.2006 – XII ZR 31/04 Rn. 19 = NJW 2006, 2404), weil unter Umständen wegen besonderer Belastungen der kleine Selbstbehalt nicht ausreicht, die Sozialhilfebedürftig-keit zu vermeiden (vgl. BSG SozR 1200 § 48 Nr. 11 S. 58; SozR 4 – 1200 § 48 Nr. 1 Rn. 19).
Wenn die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts einwendet, der Zuschuss nach § 24 SGB II müsse schon deshalb abgezweigt werden können, weil er "nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts gezahlt werde", verkennt sie, dass § 48 Abs. 1 SGB I überhaupt nur die Abzweigung von Leistungen zulässt, die der Sicherung des Lebensunterhalts dienen. Dies trifft im Übrigen auch auf den Zuschlag nach § 24 SGB II zu, auch wenn er lediglich bedarfsunabhängig gezahlt wird (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, § 24 Rn. 3).
Schließlich kann der angefochtene Bescheid auch nicht im Hinblick auf ein im Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht möglicherweise zu berücksichtigendes fiktives Einkommen (vgl. dazu Diedrichsen in Palandt, Kommentar zum BGB, 66. Auflage, § 1603 Rn. 34 m.w.N.) als rechtmäßig angesehen werden. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin solche Überlegungen nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen hat, ist nicht geklärt, ob die Antragstellerin überhaupt zu einem Hinzuverdienst aus gesundheitlichen Gründen in der Lage wäre (vgl. dazu Diedrichsen a.a.O., Rn. 58), da das Familiengericht diesbezüglich in die Beweiserhebung eingetreten ist.
Da das Einkommen der Antragstellerin einschließlich des Zuschlags nach § 24 SGB II den kleinen Selbstbehalt nicht erreicht, musste die Beschwerde der Antragsgegnerin daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 26.07.2007
Zuletzt verändert am: 26.07.2007