Auf die Beschwerde des Klägers werden die Beschlüsse des Sozialgerichts Dortmund vom 26.10.2006 (Kostenentscheidung) und vom 03.11.2006 (Entscheidung über Prozesskostenhilfe) geändert. Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt N B, I Straße 00, C, zu seiner Vertretung beigeordnet.
Gründe:
I.
Der Kläger legte gegen einen Bescheid der Beklagen vom 09.02.2006 mit Telefax vom 06.03.2006 Widerspruch ein. Darin führten seine Prozessbevollmächtigten aus: "Wir beantragen zunächst, uns Akteneinsicht zu gewähren. Eine umgehende Rückgabe der Verfahrensakte wird anwaltlich versichert. Eine Widerspruchsbegründung bleibt der beantragten Akteneinsicht vorbehalten."
Mit Schriftsatz vom 03.04.2006 übersandte die Beklagte die Verwaltungsakten an die Bevollmächtigten des Klägers mit der Bitte, diese bis spätestens zum 13.04.2006 zurückzusenden. Mit Schriftsatz vom 11.04.2006 reichten die Bevollmächtigten die Akten an die Beklagte zurück.
Mit Schriftsatz vom 12.06.2006 teilten die Bevollmächtigten des Klägers folgendes mit: "Bitte bescheiden Sie unseren Widerspruch vom 06.03.2006 nun unverzüglich." Weiter Ausführungen zur Sache sind nicht erfolgt.
In der Verwaltungsakte der Beklagten befindet sich ein auf den 08.06.2006 datiertes Schreiben an die Bevollmächtigten des Klägers. Darin ist folgendes ausgeführt: "Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 12.06.2006, hier eingegangen am 16.06.2006, möchte ich Ihnen folgendes mitteilen: Mit Schreiben vom 06.03.2006 legten Sie fristgerecht Widerspruch gegen den Bescheid über Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für o.g. hier ein und baten vor der Widerspruchsbegründung um Akteneinsicht. Die Akte wurde am 03.04.2006 von hier übersandt und mit Schreiben vom 11.04.2006 von Ihnen zurück geschickt. Eine Widerspruchsbegründung liegt bis heute jedoch nicht vor, so dass über den Widerspruch auch nicht entschieden werden kann. Ich bitte daher umgehend um Begründung des Widerspruchs, damit der Vorgang hier weiter bearbeitet werden kann." In der Verwaltungsakte findet sich zu diesem Schreibens kein Absendevermerk und kein Nachweis des Zugangs beim Adressaten.
Am 07.07.2006 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Die Beklagte erließ daraufhin einen Änderungsbescheid vom 14.07.2006 und sodann einen Widerspruchsbescheid vom 18.07.2006. Der Kläger erklärte hieraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und stellte "gegen die Beklagte Kostenantrag". Die Bevollmächtigten überreichten eine Rechnung über insgesamt 240,70 EUR für Rechtsanwaltsgebühren; wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 10.08.2006 Bezug genommen.
Die Beklagte hielt die Erhebung der Untätigkeitsklage für mutwillig, zumal der Kläger mit dem auf den 08.06.2006 datierten Schreiben aufgefordert worden sei, den Widerspruch umgehend zu begründen, damit dieser weiter bearbeitet werden könne. Der Kläger trägt hierzu vor, er habe mit Schriftsatz vom 12.06.2006 die Beklagte aufgefordert, den Widerspruch nunmehr unverzüglich zu bescheiden. Eine Antwort darauf habe er nicht erhalten; das von der Beklagten benannte Schreiben werde bestritten.
Mit Beschluss vom 26.10.2006 hat das Sozialgericht entschieden, die Beteiligten hätten einander keine Kosten zu erstatten. Der hiergegen eingelegten Beschwerde des Klägers hat es mit Beschluss vom 06.11.2006 nicht abgeholfen. Auf den Beschluss vom 26.10.2006 wird Bezug genommen.
Mit weiterem Beschluss vom 03.11.2006 hat das Sozialgericht den vom Kläger bei Erhebung der Klage gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der hiergegen eingelegten Beschwerde des Klägers hat es mit Beschluss vom 07.12.2006 nicht abgeholfen. Auf den Beschluss vom 03.11.2006 wir Bezug genommen.
Der Senat hat die Beklagte mit Schreiben vom 23.04.2007 darauf hingewiesen, dass das auf den 08.06.2006 datierte Schreiben nicht von diesem Tag stammen könne, da es auf ein Schreiben des Klägers vom 12.06.2006 Bezug nehme. Die Beklagte möge mitteilen, wann dieses Schreiben zur Post gegeben worden und in welcher Versendungsform es übersandt worden sei. Ferner möge sie mitteilen, ob sie den Zugang nachweisen könne. Die Beklagte wurde dabei darauf hingewiesen, dass das in der Akte befindliche Schreiben keinen Abgangsvermerk enthalte. Hingewiesen wurde ferner auf Unstimmigkeiten hinsichtlich der Blattzahlen der Verwaltungsakte; wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben des Senats vom 23.04.2007 Bezug genommen.
Die Beklagte teilte daraufhin mit, die Verwendung des Datums 08.06.2006 sei irrtümlich erfolgt; es sei eine Briefkopfvorlage in der EDV benutzt worden, bei der vergessen worden sei, das darin bereits befindliche Datum 08.06.2006 zu überschreiben. Es könne nicht mehr exakt nachvollzogen werden, wann das Schreiben gefertigt und abgeschickt worden sei. Der Zeitpunkt müsse nach dem 12.06.2006 liegen, weil auf das Schreiben des Kläger vom 12.06.2006 Bezug genommen werde. Die Unterzeichnerin des Schreibens sei vom 12.06.2006 bis Freitag, den 16.06.2006, in Urlaub gewesen, so dass es frühestens am 19.06.2006 gefertigt worden sein könne. Es sei als einfacher Brief versandt worden; ein Rücklauf mit Unzustellbarkeitsvermerk sei nicht erfolgt. Die Beklagte gehe deshalb davon aus, dass eine Zustellung erfolgt sei. Beim Paginieren der Verwaltungsakte sei das Blatt 124 zunächst irrtümlich als Blatt 134 bezeichnet worden; dieser Fehler sei zunächst bis Blatt 144 (jetzt 134) fortgeführt worden. Bei der späteren Korrektur sei dann nochmals ein Fehler unterlaufen; das ursprünglich als Blatt 204 geführte, auf den 08.06.2006 datierte Schreiben trage jetzt die Blattzahl 144 (wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 10.05.2007 Bezug genommen). Im Übrigen sei die Rechnung der Bevollmächtigten des Klägers der Höhe nach überzogen; insgesamt halte die Beklagte Kosten von 27,84 EUR für erstattungsfähig (wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 10.05.2007 Bezug genommen).
II.
Die Beschwerden des Klägers gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts vom 26.10.2006 und vom 03.11.2006 sind zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht Zweifel an der Zulässigkeit der Untätigkeitsklage gehabt bzw. es zu Unrecht als unbillig angesehen, der Beklagten Kosten des Klägers für das Klageverfahren (auch nicht nur zum Teil) aufzugeben.
Zwar mag die Beklagte die Formulierung im Widerspruch, dessen Begründung bleibe "der beantragten Akteneinsicht vorbehalten", so verstanden haben, dass eine Begründung auf jeden Fall beabsichtigt sei. Der Gebrauch des Ausdrucks "vorbehalten" besagt jedoch bei näherer Betrachtung nur, dass nach Akteneinsichtnahme über eine Begründung des Widerspruchs noch entschieden werde. Jedenfalls hätte die Beklagte nach Rückreichung der Verwaltungsakte durch den Bevollmächtigten des Klägers am 11.04.2006 bereits früher Veranlassung gehabt, nachzufragen, ob eine solche Begründung noch beabsichtigt sei. Nach dem Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 12.06.2006 konnte die Beklagte endgültig wissen, dass eine solche Widerspruchsbegründung nicht erfolgen werde.
Zwar befindet sich in der Akte der Beklagten ihr auf den 08.06.2006 datiertes Schreiben, in dem nochmals um Widerspruchsbegründung gebeten wird. Hätte dieses Schreiben die Bevollmächtigten des Klägers erreicht, wäre es in der Tat unbillig, der Beklagten außergerichtliche Kosten des Klägers für die Untätigkeitsklage aufzuerlegen. Denn dann hätten die Bevollmächtigten allen Anlass gehabt, darauf hinzuweisen, eine Begründung des Widerspruchs sei nicht beabsichtigt. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die Formulierung im Widerspruch, dessen Begründung bleibe "der beantragten Akteneinsicht vorbehalten", zwar bei näherer Betrachtung nur darauf verwies, über eine Begründung werde erst nach Akteneinsicht entschieden (s.o.). Hätten die Bevollmächtigten das auf den 08.06.2006 datierte Schreiben erhalten, hätte ihnen jedoch klar sein müssen, dass die – semantisch nicht optimale – Formulierung, die Begründung bleibe einer "Akteneinsicht vorbehalten", offenbar dahin missverstanden hat, nach Akteneinsicht solle eine Begründung noch erfolgen.
Dass das auf den 08.06.2006 datierte Schreiben jemals bei den Bevollmächtigten des Klägers eingegangen wäre, lässt sich jedoch nicht feststellen. Zwar weist die Beklagte auf einen fehlenden Postrücklauf hin. Es kann dahinstehen, ob bei fehlendem Postrücklauf im Normalfall davon ausgegangen werden kann, ein korrekt adressierter Brief sei dem Empfänger zugegangen. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall spricht ebenso einiges dafür, dass das Schreiben gar nicht erst in den ordentlichen Postweg gelangt ist wie dafür, dass es den Bevollmächtigten des Klägers zugegangen sein muss. Ein Postabsendevermerk, der ggf. Rückschlüsse auf die tatsächliche Absendung zulassen könnte, ist von der Beklagten nicht angebracht worden. Darüber hinaus weist die Bearbeitung des Schreibens und die Führung der Verwaltungsakte mehrere Unzulänglichkeiten auf; zum einen ist das Schreiben mit einem ersichtlich falschen Datum versehen worden, zum anderen macht es auch die mehrfach fehlerhafte Paginierung der Verwaltungsakte wahrscheinlich, dass es auf Seiten der Beklagten – möglicherweise im Zusammenhang mit dem Urlaub der Sachbearbeiterin – zu Fehlern in der Bearbeitung der Widerspruchsangelegenheit gekommen ist. Der Senat hält es in diesem Zusammenhang für wahrscheinlich, dass die Bevollmächtigten des Klägers, hätten sie das Schreiben erhalten, unverzüglich klargestellt hätten, dass eine Begründung des Widerspruchs nicht beabsichtigt sei. Hierbei sei darauf hingewiesen, dass die Bevollmächtigten bei der Bearbeitung des Widerspruchsverfahrens keinerlei Nachlässigkeiten haben erkennen lassen; sie haben insbesondere die Verwaltungsakten zügig zurückgereicht und bereits zwei Monaten nach Widerspruchseinlegung die Beklagte an die Bescheidung des Widerspruchs erinnert.
Lässt sich der Sachverhalt letztlich nicht sicher feststellen, erscheint es insgesamt angemessen, der Beklagten die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzugeben. Auf der einen Seite können die Unzulänglichkeiten der Aktenführung der Beklagten, mögen sie aufgrund bei einer Arbeitsüberlastung vieler ARGEN auch verständlich erscheinen, nicht dazu führen, dass dies kostenmäßig zum Nachteil des Klägers ausfällt und seine Untätigkeitsklage, die die Fristen des § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beachtet hat, als unbillig angesehen wird. Auf der anderen Seite müssen sich die Bevollmächtigten des Klägers entgegenhalten lassen, dass die Formulierung, eine Widerspruchsbegründung bleibe "der beantragten Akteneinsicht vorbehalten", semantisch unzureichend ist und deshalb ein Missverständnis der Beklagten dahingehend, der Widerspruch solle nach Akteneinsicht auf jeden Fall begründet werden, wahrscheinlicher gemacht hat.
Soweit die Beklagte darüber hinaus rügt, der Kostenansatz der Bevollmächtigten des Klägers sei überhöht, so hat der Senat hierüber nicht zu entscheiden. Eine Entscheidung über die Höhe der Kosten können die Beteiligten vielmehr allein dadurch erreichen, dass ein Antrag auf Kostenfestsetzung nach § 197 SGG beim Sozialgericht Dortmund gestellt wird. Denn nach § 197 Abs. 1 Satz 1 SGG setzt auf Antrag der Beteiligten oder ihrer Bevollmächtigten der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Nach Absatz 2 der Vorschrift kann gegen eine solche Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet. Eine Entscheidung über die Höhe der Kosten nach § 197 SGG ist deshalb (auf Antrag) endgültig nur durch das Sozialgericht, nicht jedoch durch den Senat zu treffen.
Soweit das Sozialgericht mit Beschluss vom 03.11.2006 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, weil die Rechtsverfolgung mutwillig erscheine, so folgt der Senat dem ebenfalls nicht. Insofern gelten die Erwägungen entsprechend, die bereits zur Kostentragungspflicht der Beklagten führen.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.08.2007
Zuletzt verändert am: 09.08.2007