Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.04.2007 wird zurückgewiesen. Der Tenor des angefochtenen Beschlusses wird zur Klarstellung wie folgt gefasst: Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2006 wird wiederhergestellt. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 04.05.2007, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 08.05.2007), ist im Ergebnis unbegründet.
Nach § 86a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet. Nach § 86a Abs. 3 SGG kann die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise durch die den Verwaltungsakt erlassene Stelle ausgesetzt werden.
Nach § 86b Abs. 1 Nr. 3 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Das Gericht entscheidet bei dem Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG aufgrund einer Interessenabwägung (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rdnr. 12 m.w.N.). Im Rahmen einer summarischen Prüfung sind die öffentlichen und privaten Interessen und die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit spricht im Regelfall gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, die offensichtliche Rechtswidrigkeit dagegen. Bei nach summarischer Prüfung offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind im Rahmen der Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes sowie das private Interesse an der Wiederherstellung des Suspensiveffektes unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls miteinander abzuwägen (vgl. Keller, a.a.O., RdNr. 12ff., insbesondere 12d).
Im Übrigen prüft das Gericht auch, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung formal rechtmäßig getroffen worden ist. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG bedarf die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausdrücklich einer schriftlichen Begründung. Die Vollziehungsanordnung ist grundsätzlich mit einer auf den konkreten Einzelfall abstellenden und nicht lediglich formelhaften Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes zu versehen. Die Begründung muss erkennen lassen, aus welchen Gründen das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im konkreten Fall das Interesse des Betroffenen überwiegt. An die Begründung sind im Hinblick auf die mit ihr verbundene Warnfunktion für die Behörde sowie die dadurch bezweckte Transparenz und Rechtsklarheit hohe Anforderungen zu stellen (Keller, aaO. § 86a RdNr. 21b m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe begegnet zwar die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im angefochtenen Bescheid vom 16.02.2007 durchgreifenden Bedenken. Insoweit ist lediglich ausgeführt, es bestehe ein besonderes Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung, "da ansonsten fortlaufend Sozialleistungen gezahlt würden, auf die kein Anspruch besteht". In der Folge hat das Sozialgericht daher mit Beschluss vom 11.01.2007 daher zu Recht die aufschiebende Wirkung des seinerzeitigen Widerspruchs der Klägerin vom 08.03.2006 gegen den Bescheid vom 16.02.2006 wiederhergestellt.
Die mit Schreiben vom 12.02.2007 mit ausführlicher Begründung erneut erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 85a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könnte hingegen den gesetzlichen Anforderungen genügen, da sie die Umstände des Einzelfalls ausführlich würdigt. Insoweit dürfte es unschädlich sein, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf fiskalische Erwägungen gestützt wird (siehe dazu Schoch, Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 2006, § 80 Rdnr. 156). Letztlich bedarf es insoweit aber keiner abschließenden Entscheidung.
Nach der gebotenen summarischen Prüfung erweisen sich die angefochtenen Bescheide nämlich als rechtswidrig.
Die Antragsgegnerin hatte mit Bescheid vom 01.07.2005 unbefristet Leistungen ab Juli 2005 bewilligt. Hiervon geht sie nach dem Inhalt der Verwaltungsakten selbst aus (vgl. 295, 298ff. und 301 der Verwaltungsakten). Soweit nunmehr im Beschwerdeverfahren vorgetragen wird, die Fachverwaltung habe sich davon leiten lassen, dass gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) Leistungen in der Regel für zwölf Kalendermonate bewilligt werden, so dass man den Jahreswechsel 2005/2006 als Wechsel des Leistungszeitraums angesehen habe, ist diese Argumentation nicht nachvollziehbar. Denn ausgehend von einer Bewilligung ab Juli 2005 wäre der Zeitraum von zwölf Kalendermonaten erst mit dem 30.06.2005 abgelaufen. Dann wäre im Übrigen auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht nachvollziehbar, da hinsichtlich eines Anspruchs ab 01.01.2006 eine aufzuhebende Entscheidung der Verwaltung nicht vorgelegen hätte, sondern lediglich eine Ablehnung der Fortzahlung.
Der Senat geht daher derzeit davon aus, dass es sich bei dem Bescheid vom 01.07.2005 um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Diese Auslegung impliziert, dass der Leistungsbezug rechtmäßig ist, solange der Bewilligungsbescheid Bestand hat (vgl. etwa BSG, Urteil vom 13.05.1987, 7 RAr 62/85 = BSGE 61, 286, 287), also weder nach § 45 SGB X zurückgenommen noch nach § 48 SGB X aufgehoben ist.
Der angefochtene Bescheid vom 16.02.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides dürfte aber weder den Anforderungen des § 45 SGB X noch denen des § 48 SGB X genügen. Mit dem Bescheid wird wegen Zweifeln an der Hilfebedürftigkeit die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen ab dem 01.01.2006 und somit z.T. für die Vergangenheit, im Übrigen für die Zukunft aufgehoben. Eine Rechtsgrundlage wird weder im Bescheid vom 16.02.2006 noch im Widerspruchsbescheid vom 27.06.2006 benannt.
Auf Nachfrage des Senats hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16.07.2007 dargelegt, wolle man von einem Übersehen der Bewilligung ohne zeitliche Befristung ausgehen, sei in dem Bescheid vom 26.01.2006 (= Bescheid vom 16.02.2006) eine Aufhebung nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu sehen, dessen Voraussetzungen, wie aus den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden zu ersehen, erfüllt seien.
Hingegen ist nicht im Ansatz erkennbar, dass sich die Antragsgegnerin überhaupt bewusst war, eine Entscheidung nach § 45 SGB X, geschweige denn eine Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu treffen (vgl. Wiesner in: von Wulffen, SGB X, § 45 RdNr. 5).
Ebenso fehlt es an einem Anhaltspunkt dafür, dass die Antragsgegnerin § 48 SGB X in Blick genommen haben könnte. Sie hat sich gerade nicht auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse zum 01.01.2006 berufen, sondern allgemein auf Zweifel an der Hilfebedürftigkeit, die die Hilfeempfängerin auszuräumen habe. Die Begründung des Bescheides zielt ihrer gesamten Argumentation auf eine Konstellation, in der die (beantragte) Leistungsgewährung in Streit steht, nicht aber die Aufhebung eines Dauerverwaltungsaktes.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen überhaupt eingetreten ist, denn schließlich datiert die Mietbescheinigung, ausweislich derer eine Gesamtmiete von 659,96 EUR, für die die Antragstellerin die gewährten Leistungen und Rentenzahlungen vollständig verbraucht haben will, ab 01.03.2005 anfiel, vom 10.02.2005. Auch ist derzeit nicht ersichtlich, dass die erst im Rahmen der Vorsprache am 09.12.2005 bekannt gewordenen Einkünfte aus "Wahrsagerei" nicht bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung vom 01.07.2005 vorlagen.
§ 48 SGB X berechtigt jedenfalls nicht zur Rücknahme aufgrund von nachträglich gewonnenen Erkenntnissen (Wiesner, a.a.O., RdNr. 6). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Leistungseinstellung lediglich mit Zweifeln an der Hilfebedürftigkeit begründet wird. Insoweit stellt die Antragsgegnerin erkennbar auf eine insoweit gegebene objektive Darlegungs- und Beweislast des Hilfeempfängers ab. Die objektive Beweislast für eine anfängliche Fehlerhaftigkeit der Leistungsbewilligung oder auch eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen trifft nach den allgemeinen Grundsätzen der objektiven Beweislast hingegen die Antragsgegnerin (vgl. etwa Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom13.10.2005, L 7 SO 3804/05 ER-B).
Schließlich fehlt im angefochtenen Bescheid ein Hinweis darauf, dass die Leistungen wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) eingestellt werden sollten (nach Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.01.2007, L 5 B 1173/06 AS ER ohnehin nur für die Zukunft). Ermessen wäre auch in diesem Fall nicht ausgeübt worden.
Nach alledem spricht nach der gebotenen summarischen Prüfung mehr gegen die Rechtswidrigkeit als dafür. Die Erfolgsaussichten erscheinen derzeit nicht offen, obgleich der Senat die Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin durchaus nachvollziehen kann. Im Ergebnis jedoch ist die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das Sozialgericht nicht zu beanstanden, da die Antragsgegnerin nach dem derzeitigen Sachstand nicht in verwaltungsverfahrensrechtlich vorgezeichneter Weise gehandelt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 09.08.2007
Zuletzt verändert am: 09.08.2007