Die Beschwerde des Erinnerungsführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 12.7.2006 wird zurückgewiesen. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Festsetzung der Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts.
Im Hauptsacheverfahren war die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Streit. Im Berufungsverfahren (Eingang des Rechtsmittels beim erkennenden Gericht: 7.6.2005) wurde der Beschwerdeführer der Klägerin im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet (Beschluss vom 14.2.2006). Das Verfahren endete am 22.2.2006 mit der (schriftlichen) Annahme eines von der Beklagten (schriftlich) unterbreiteten Vergleichsvorschlags (vom 22.12.2005).
Der Erinnerungsführer beantragte die Festsetzung von Gebühren in Höhe von EUR 1183,20 und berechnete dabei u.a. eine Terminsgebühr von EUR 200 zzgl 16% Umsatzsteuer = EUR 232. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte als Kostenbeamter die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren auf EUR 951,20 fest, weil bei Vergleichen die fiktive Terminsgebühr nicht anfalle (Beschluss vom 17.3.2006). Die dagegen eingelegte Erinnerung hat das Sozialgericht (SG) zurückgewiesen und seine Entscheidung unter Hinweis auf § 197 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für endgültig gehalten (Beschluss vom 12.7.2006). Gegen diese ihm nach eigenem Vortrag am 21.7.2006 zugestellte Entscheidung hat der Erinnerungsführer am 11.8.2006 im eigenen Namen Beschwerde eingelegt und beantragt, weitere EUR 232 zur Erstattung aus der Staatskasse festzusetzen. Die unterschiedliche Regelung zur Terminsgebühr in Nrn 3104 und 3106 VV könne nur auf einem Versehen des Gesetzgebers beruhen. Sie verstoße gegen Art 3 des Grundgesetzes, weil rechtfertigende Gründe für die unterschiedliche Regelung nicht erkennbar seien.
Der Beschwerdegegner hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
II.
Die Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 14.8.2006), ist zulässig, aber unbegründet.
Entgegen der Rechtsmittelbelehrung des SG ist die Beschwerde statthaft, §§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 3 Satz 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG). Das RVG findet auf den Vergütungsanspruch des Erinnerungsführers (nach § 55 Abs 1 Satz 1 RVG) Anwendung, obwohl der Erinnerungsführer bereits vor dem 1.7.2004 für die Klägerin in derselben Angelegenheit tätig war, weil das Rechtsmittel, die Berufung gegen das Urteil des SG Aachen vom 14.4.2005) nach dem 1.7.2004 (nämlich am 7.6.2005) eingelegt wurde, § 61 Abs 1 Satz 2 RVG.
Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt auch EUR 200, § 33 Abs 3 Satz 1 RVG. Maßgeblich für die Bestimmung dieses Wertes ist die formelle Beschwer, die der Erinnerungsführer zutreffend mit EUR 232 berechnet und insgesamt zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gemacht hat. Die neben der Terminsgebühr von EUR 200 angesetzte Umsatzsteuer in Höhe von EUR 32 ist als zusätzliche Vergütungsposition einzubeziehen (Hartmann. Kostengesetze. 37. Auflage 2007. § 32 RVG Rdnr 18 mwN).
Die Beschwerde ist auch fristgerecht, nämlich innerhalb der hier maßgeblichen Jahresfrist eingelegt worden. § 33 Abs 3 Satz 3 RVG, nach dem eine zulässige Beschwerde nur innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung eingelegt werden kann, wird hier durch die Vorschrift des § 66 SGG verdrängt. Diese Vorschrift ist anwendbar, weil es sich um ein Annexverfahren zu einem sozialgerichtlichen Verfahren (hier: nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm 114ff der Zivilprozessordnung) handelt (vgl Meyer-Ladewig. SGG. Kommentar. 8.Auflage 2005. § 73a Rdnr 13f mwN) und im RVG (insoweit) eine Spezialregelung nicht enthalten ist. Danach ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres zulässig, wenn – wie hier – die Belehrung über den Rechtsbehelf unrichtig erteilt worden ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Erinnerungsführer dies bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt ohne Weiteres hätte erkennen können (Meyer-Ladewig.aaO. § 66 Rdnr 12).
Der Erinnerungsführer ist auch befugt, das Verfahren in eigenem Namen zu betreiben, §§ 56 Abs 2 Satz 1 iVm Abs 1 Satz, 55 Abs 1 Satz 1 RVG.
Die Beschwerde ist nicht begründet, weil die zusätzlich geltend gemachte Terminsgebühr nicht angefallen ist, § 3 Abs 1 Satz 1 RVG iVm mit Nrn 3205, 3106 der Anlage 1 zum RVG (Vergütungsverzeichnis – VV). Nach diesen Vorschriften ist nicht vorgesehen, dass in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen – wie hier – Beitragsrahmengebühren entstehen, eine Terminsgebühr anfällt, wenn in einem Verfahren, für das – wie hier – eine mündliche Verhandlung vorgesehen ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Das ergibt sich zweifelsfrei aus dem Wortlaut der Bestimmungen, der Gesetzbegründung (vgl BT-Drucksache 15/1971 S.212) und systematisch – argumentum e contrario – aus der abweichenden Regelung in Nrn 3202, 3104 VV, die den Regelfall der Abrechnung nach einem Gebührenstreitwert (Gegenstandswert) betreffen (im Ergebnis ebenso: LSG NRW. Beschlüsse vom 10.5.2006 und vom 16.8.2006. Aktenzeichen L 10 B 13/05 SB und L 20 B 137/06 AS). Dies meint offenbar auch der Erinnerungsführer, wenn er ausführt, es sei unstreitig, dass die angefochtenen Beschlüsse dem einfachen Recht entsprechen (Schriftsatz vom 28.9.2006).
Es besteht auch keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind die Richter nur berufen, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (so BSGE 39, 143, 136 = SozR 2200 § 1251 Nr 11; BSGE 60, 176, 178 = SozR 2600 § 57 Nr 3; vgl ferner BSGE 58, 110, 114 f = SozR 5755 Art 2 § 1 Nr 6). Keine dieser Voraussetzungen ist hier gegeben. Eine andere ("verfassungskonforme") Auslegung oder eine Analogie zu VV Nrn 3202, 3104, die § 3 Abs 1 Satz 1 RVG iVm mit Nrn 3205, 3106 VV mit einem anderen (hier: gegenteiligen) Inhalt versieht, ist deshalb rechtsmethodisch nicht möglich.
Dass der Gesetzgeber der Rechtsprechung die Lösung der Frage überlassen wollte, ob bei Verfahrensbeendigung durch schriftlichen Vergleich eine Terminsgebühr anfällt, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls finden sich in den Gesetzesmaterialien keinerlei Hinweise für eine derartige Absicht des Gesetzgebers (vgl BT-Drucks 15/1971). Es liegt auf der Hand, dass das Problem nicht erst durch eine – für den Gesetzgeber noch nicht erkennbare – Veränderung der Lebensverhältnisse entstanden ist. Es bestehen aber auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Versehen des Gesetzgebers, also eine planwidrige Regelungslücke, vorliegen könnte. Dem Gesetzgeber war erkennbar bekannt, dass bei der Entwicklung der neuen Vergütungsstruktur zu bedenken und entscheiden war, ob bei Beendigung eines sozialgerichtlichen Verfahrens durch schriftlichen Vergleich eine Terminsgebühr anfällt. Dies zeigt die Regelung in Nrn 3202, 3104 VV (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S.209). Es liegt fern, vor diesem Hintergrund bei der unterschiedlichen Regelung für Betragsrahmengebühren einerseits und Wertgebühren andererseits von einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers zu sprechen. Lässt sich aber nicht feststellen, dass eine planwidrige Gesetzeslücke gegeben ist, fehlen die speziellen Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Nrn 3202, 3104 VV. Eine Rechtsfortbildung durch Richterrecht – auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – ist ebenfalls ausgeschlossen (so auch LSG NRW. aaO). Letztlich kommt es auf die Frage, ob diese Differenzierung durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, für die Entscheidung nicht an. Selbst wenn es daran fehlte, bestünde noch keine Rechtsgrundlage für die Geltendmachung einer Terminsgebühr. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Art 3 des Grundgesetzes könnte nur sein, Verfassungsrecht dadurch Geltung zu verschaffen, die dagegen verstoßende Norm nicht anzuwenden. Die vom Erinnerungsführer behauptete sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung könnte indes nur der Gesetzgeber beheben, indem er die bezeichneten Vorschriften für beide Vergütungsalternativen so anpasst, dass die Terminsgebühr in beiden Fällen unter den gleichen Voraussetzungen (nicht) anfällt. Es ist überdies zweifelhaft, ob für den hier erheblichen Unterschied in den Vergütungsregelungen ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst einleuchtender Grund nicht vorliegt, die Differenzierung also schlechterdings willkürlich ist, weil keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (zu diesem Maßstab vgl. BVerfGE 112, 50, 67; 78, 104, 121 mwN; 74, 182, 200 mwN; st Rspr des BVerfG). So ist immerhin denkbar, dass der Gesetzgeber bei Betragsrahmengebühren die Möglichkeit gesehen hat, die nicht anfallende Terminsgebühr über die Höhe der Rahmengebühr(en) (zB nach Nrn 1005ff VV) zu kompensieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs 2 Sätze 2 und 3 RVG.
Diese Entscheidung ist durch den Berichterstatter als Einzelrichter zu treffen ist (§§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 8 Satz 1 RVG). Auch wenn das SGG den "Einzelrichter" nicht ausdrücklich erwähnt, zeigt § 155 SGG, dass der Berichterstatter als Einzelrichter fungiert. Hier wie dort wird dem Bedürfnis Rechnung getragen, in geeigneten Fällen das Kollegialgericht zu entlasten.
Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, §§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 4 Satz 3 RVG (s. auch § 177 SGG).
Erstellt am: 05.09.2007
Zuletzt verändert am: 05.09.2007