Zu B 13 R 55/08 R = Urteil
Zurückverweisung jetzt: L 13 R 140/09
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 03.11.2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Witwenrente nach dem am 00.00.2004 verstorbenen NM (Versicherter), welchen die am 00.00.1940 geborene Klägerin am 00.00.2003 geheiratet hatte.
Von März 1959 bis Dezember 1973 war die Klägerin bereits früher mit dem am 00.00.1929 geborenen Versicherten verheiratet. Die Ehe wurde aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Zur Zeit der Scheidung hatten die Eheleute sechs gemeinsame Kinder. Die Klägerin hatte am 00.00.1974 die Zeugin SM1 geboren, die keine leibliche Tochter des Versicherten ist. Die Klägerin und der Versicherte führten nach der Scheidung jeweils einen eigenen Haushalt und haben nicht wieder geheiratet. Der Versicherte lebte als Eigentümer in seinem Haus in L. Dieses soll nach den Angaben der Klägerin zuletzt stark baufällig und renovierungsbedürftig gewesen und mittlerweile auch abgerissen worden sein. Es habe keine Zentralheizung und kein Badezimmer gehabt und die Fenster seien defekt gewesen. Die Klägerin lebte in einer Mietwohnung, zuletzt unter ihrer jetzigen Anschrift in X.
Sie hat vorgetragen, ihre Beziehung zu dem Versicherten sei auch nach der Scheidung nie ganz abgebrochen. So habe man sich regelmäßig bei Kindergeburtstagen und an Weihnachtsfesten getroffen und zusammen sog. Kaffee- bzw. Butterfahrten unternommen. Die Klägerin behauptet, sie habe seit etwa 1994 erneut eine Beziehung zu dem Versicherten aufgenommen. Die Entscheidung, erneut die Ehe miteinander einzugehen, hatten der Versicherte und die Klägerin nach ihren Angaben erst nach der ersten Krebsdiagnose im April 2003 gefasst, obwohl der Versicherte bereits zuvor immer auf eine Wiederverheiratung gedrängt habe.
Der Versicherte war an zwei Karzinomen, einem Larynxkarzinom sowie einem zentralen Bronchialkarzinom erkrankt. Die Karzinome wurden nicht operativ behandelt. Von April bis Juni 2003 fand eine von dem behandelnden X1B-Hospital in H als palliativ bezeichnete Chemotherapie statt.
Bei der Scheidung war die Klägerin Hausfrau. Seither lebte sie im Wesentlichen von Sozialhilfe. Von Juni 1993 bis Februar 2000 war sie als Spielhallenaufsicht und Verkäuferin versicherungspflichtig beschäftigt. Der Versicherte bezog seit dem 01.07.2003 von der Beklagten Versichertenrente in Höhe von 1.848,43 Euro (Netto). Die Klägerin verfügte seit dem 01.07.2003 über ein Einkommen in Höhe von 286,25 Euro (Netto) aus der eigenen Versichertenrente.
Am 09.02.2004 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenrente nach dem verstorbenen Versicherten. Sie führte an, der Versicherte sei plötzlich und unvermutet gestorben und die tödlichen Folgen seiner Krankheit seien bei Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten gewesen. Die Heirat sei zur Sicherung der erforderlichen Betreuung/Pflege des ständig auf Pflege angewiesenen Versicherten erfolgt.
Die Beklagte zog den Bericht des X1B-Hospitals in H (Klinik für Innere Medizin, Chefarzt Prof. Dr. S1) vom 27.01.2004 über eine stationäre Behandlung des Versicherten vom 17.01. bis 27.01.2004 bei, in welchem die Erstdiagnose der Karzinome im April 2003 sowie die Durchführung der als palliativ bezeichneten Chemotherapie beschrieben wurden. Auch holte sie einen Bericht des K-Krankenhauses S2 in E (Hämatologie-Onkologie, Chefarzt Prof. Dr. M2) vom 12.12.2003 über die stationäre Behandlung des Versicherten vom 01.12. bis 09.12.2003 bei. Danach hatte der Versicherte über eine seit ca. einem Monat zunehmende Dyspnoe geklagt und eine im November 2003 geplante Chemotherapie abgelehnt. Es sei eine Radiatio im Bereich des Larynx und pulmonal links bis Ende September 2003 erfolgt. Der Versicherte habe sich im Dezember 2003 in einem chronisch reduzierten Allgemeinzustand bei zufriedenstellendem Ernährungszustand befunden. Er sei wach und voll orientiert gewesen. Die grobe Kraft und die Mobilität seien leicht eingeschränkt.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 06.05.2004 den Rentenantrag ab, weil der Versicherte innerhalb eines Jahres nach Eheschließung verstorben sei. Es habe eine "Versorgungsehe" vorgelegen (§ 46 Abs. 2a des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – SGB VI -).
Mit dem Widerspruch betonte die Klägerin, sie habe sich bereits seit Jahren mit dem Verstorbenen in einer gemeinsamen Beziehung befunden und sei bereits von 1959 bis 1973 mit ihm verheiratet gewesen. Sie habe auch sechs gemeinsame Kinder mit ihm gehabt. Nach der Scheidung sei der Kontakt nie ganz abgebrochen. Seit 1976 sei er wieder etwas enger geworden, auch weil die Kinder den Kontakt zum Vater gesucht hätten.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 07.09.2004 zurück: Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe bereits eine schwere Erkrankung des Versicherten vorgelegen, so dass die gesetzliche Vermutung einer "Versorgungsehe" bestätigt sei.
Die Klägerin hat am 06.10.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben, zu deren Begründung sie insbesondere ausgeführt hat, die Ehe mit dem Versicherten sei keine "Versorgungsehe" gewesen; denn weder beim Zusammenziehen im April 2003 noch bei der Eheschließung im Mai 2003 habe man absehen können, dass der Versicherte binnen eines Jahres nach Eheschließung versterben werde. Der Versicherte sei aufgrund der Erkrankung auf Betreuung und Pflege durch sie, die Klägerin und Mutter der sechs gemeinsamen Kinder, angewiesen gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.05.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2004 zu veurteilen, ihr Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann ab dem 01.02.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat Befundberichte eingeholt: Der behandelnde Hausarzt Dr. T hat unter dem 14.02.2005 mitgeteilt, der Versicherte sei in den letzten Monaten aufgrund der Karzinomerkrankung auf die ständige Pflege durch die Klägerin angewiesen gewesen, weil er größtenteils bettlägerig gewesen sei. Ob die tödlichen Folgen der Karzinomerkrankung schon im Mai 2003 zu erkennen gewesen seien, könne er nicht beantworten. Die Hoffnung sterbe zuletzt. Diese Frage müsse also von den Onkologen im Krankenhaus H beantwortet werden.
Im Befundbericht von Prof. Dr. S1 vom X1B-Hospital H vom 07.04.2005 heißt es, nach der Diagnose der Karzinomerkrankungen im April 2003 sei der Versicherte erstmals am 10.12.2003 aufgenommen worden. Zu dieser Zeit habe bei ihm ein sehr stark reduzierter Allgemeinzustand vorgelegen, der Karnofsky-Index habe bei 40 % gelegen. Er sei vollständig pflegebedürftig gewesen. Es habe ein sehr weit fortgeschrittenes Tumorleiden ohne Hoffnung auf drastische Besserung bestanden. Insgesamt müsse davon ausgegangen werden, dass auch zum Zeitpunkt der Erstdiagnose bei dem Versicherten ein weit fortgeschrittenes doppeltes Karzinomleiden vorgelegen habe. Es habe ein Karnofsky-Index von 70 % bei Erstdiagnose bestanden.
Des weiteren hat das SG die Klägerin persönlich angehört sowie Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen DM1, SM1 und L1I. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften des SG vom 24.04.2006 sowie 03.11.2006 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 03.11.2006 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt: Die Klägerin habe Anspruch auf große Witwenrente nach § 46 Abs. 2 SGB VI, denn sie sei zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten mit diesem verheiratet gewesen und habe bereits das 45. Lebensjahr vollendet; zudem habe der Versicherte seinerseits die allgemeine Wartezeit zurückgelegt. Dem Anspruch stehe auch nicht der rechtshindernde Einwand der sogenannten Versorgungsehe nach § 46 Abs. 2a SBG VI entgegen. Der gesetzliche Vermutungstatbestand sei widerlegt, weil sich aus den besonderen Umständen des Falles ergebe, dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Grundsätzlich spreche für einen überwiegenden Versorgungszweck im Sinne des Gesetzes eine Kenntnis von der zeitnahen Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung. Kenntnis im vorgenannten Sinne liege allerdings nicht bereits dann vor, wenn nach dem Vorstellungsbild der Eheleute das Versterben des Ehepartners als abstrakte Möglichkeit ins Auge gefasst werde. Erforderlich sei vielmehr, dass der Tod als sich aufdrängende Folge der Erkrankung erkannt werde und als Motiv das weitere Handeln vornehmlich bestimme. Es sei auszuschließen, dass das Vorstellungsbild der Eheleute zum Zeitpunkt der Heirat in diesem Grade von der Erkrankung geprägt gewesen sei. Hier sei insbesondere zu beachten, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht erheblich abgesunken sei, was sich aus dem damals festgestellten Karnofsky-Index von 70 % sowie den Aussagen der Zeuginnen SM1 und L1I ergebe. Diese hätten die körperliche Aktivität (Gartenarbeit, Fahrradfahren) des Versicherten bestätigt. Jedenfalls sei die gesetzliche Vermutung einer "Versorgungsehe" aber deshalb widerlegt, weil seitens des Versicherten eine andere Motivation zum Eheschluss als die finanzielle Versorgung der Klägerin im Vordergrund gestanden habe. Dieser habe mit Kenntnis der Erkrankung die Überzeugung gewonnen, dass er unter seinen bisherigen Wohnbedingungen allein nicht mehr dauerhaft seine Versorgung werde sicherstellen können. Er habe sich daraufhin entschieden, in die Wohnung der Klägerin zu ziehen, die ihn bereits zuvor über einen längeren Zeitraum hauswirtschaftlich unterstützt habe. Nach den an sich selbst gestellten moralischen Ansprüchen habe es der Versicherte sich nicht vorstellen können, mit seiner ehemaligen Ehefrau zusammenzuleben, ohne mit dieser verheiratet zu sein. Dies sei von der Zeugin I glaubhaft bestätigt worden. Mithin sei nicht der Versorgungsgedanke beim Versicherten ursächlich für die Heirat gewesen, sondern dieser habe vielmehr seine nunmehr wieder räumlich enge Beziehung zu der Klägerin legitimieren und sich im Übrigen deren Fürsorge und Betreuung sichern wollen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 22.12.2006 zugestellte Urteil am 05.01.2007 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie im wesentlichen ausführt, die Umstände, die einen Schluss auf den Zweck der am 23.05.2003 geschlossenen Ehe zuließen, seien nicht richtig gewürdigt worden. Festzustellen sei vor allem, dass die zweite Ehe der Klägerin mit dem Versicherten unmittelbar nach Bekanntwerden der lebensbedrohenden Diagnose geschlossen worden sei. Im April 2003 sei das Krebsleiden weit fortgeschritten und nach dem Befundbericht von Dr. S1 vom 07.04.2005 sei der Versicherte damals luftnötig gewesen. Die Krankheit habe als unheilbar gegolten. Durch die lediglich palliativ durchgeführte Chemotherapie habe nur die Symptomatik gelindert werden können. Allen Betroffenen sei zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen, dass eine Heilung unmöglich sei. Der tödliche Ausgang des Leidens sei sowohl der Klägerin als auch dem Versicherten von Anfang an bekannt gewesen. Zudem sprächen auch die höchst unterschiedlichen Einkommensverhältnisse für das Vorliegen einer "Versorgungsehe". Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Eheschließung als konsequente Verwirklichung eines schon vor Auftreten der Erkrankung bestehenden Heiratsentschlusses erwiesen habe. Die Klägerin selbst habe ausgesagt, dass sie nicht in das baufällige Haus des Versicherten habe ziehen wollen. Die Eingehung einer Ehe, die beide Partner als unumgängliche Voraussetzung für ein gemeinsames Wohnen angesehen hätten, sei demnach an der Baufälligkeit einer Immobilie gescheitert, die dann aber doch noch zu Lebzeiten des Versicherten von dessen Sohn abgerissen worden sei. Auch die moralischen Ansichten über die Ehe als zwingende Voraussetzung für ein Zusammenleben seien wenig überzeugend. In jedem Fall müsse davon ausgegangen werden, dass im Mai 2003 überwiegend der Versorgungsgedanke für die schnelle Eheschließung ursächlich gewesen sei. Auch die Sicherung der erforderlichen Pflege und Betreuung des Versicherten könne nicht als Umstand zur Widerlegung der Versorgungsvermutung angesehen werden; denn es stehe fest, dass der Tod des Versicherten bei Eheschießung in absehbarer Zeit zu erwarten und vorhersehbar gewesen sei. Im übrigen hätte Pflege und Betreuung sicher auch im Haus des Versicherten gewährleistet werden können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 03.11.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat den Bericht des K-Krankenhauses S2 in E vom 30.05.2007 eingeholt, welcher wegen des Ausscheidens des vormaligen Chefarztes Prof. Dr. M2 von der Oberärztin Dr. Q erstellt wurde. Diese hat ausgeführt, zum Zeitpunkt der Diagnosestellung und zur Erstvorstellung dort im Mai 2003 sei der Versicherte in allen Bereichen und Verpflichtungen des täglichen Lebens selbständig gewesen. Im April 2003 seien zeitgleich zwei Karzinome diagnostiziert worden. Aufgrund der zugrunde liegenden Stadien bei Erstdiagnose sei nur das Bronchialkarzinom für die Prognose bezüglich des Gesamtüberlebens von Bedeutung gewesen. Es habe sich um ein Stadium III B gehandelt, für das folgendes gelte: Die mittlere Überlebenszeit betrage je nach Literatur zwischen 10 und 16 Monaten, was eine angenommene mittlere Überlebenszeit von 12 Monaten bedeute. Zu diesem Zeitpunkt seien 50 % der Patienten bereits verstorben. Das Zweijahres-Überleben sei mit 13 bis 40 % angegeben. Die tödlichen Folgen der Krebserkrankung seien im Mai 2003 zu erwarten gewesen. Ob der Tod des Versicherten früher als 12 Monate nach Eheschließung hätte eintreten können, lasse sich nicht zuverlässig sagen. Es sei bereits im N1-Krankenhaus St. Anna die Information an den Versicherten erfolgt, dass es sich um einen nicht heilbaren Zustand, sondern lediglich um eine Therapie zur Leidenslinderung und ggf. Lebensverlängerung handele. Es könne keine Stellung dazu genommen werden, ob auch die Klägerin über die Lebenserwartung und den zu erwartenden Verlauf der Erkrankung aufgeklärt worden sei. Insgesamt müsse bemerkt werden, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung der Tod des Versicherten sicherlich absehbar gewesen sei, jedoch der Zeitpunkt des Todes nicht sicher habe bestimmt werden können. Dass der Versicherte bereits 9 Monate nach Erstdiagnose verstorben sei, habe sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung für ihn im Einzelfall nicht ermitteln lassen.
Die Versichertenakten der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf ihren Inhalt und den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Sie hat zu Recht die von der Klägerin gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI begehrte Witwenrente unter Hinweis auf § 46 Abs. 2a SGB VI verweigert; denn die gesetzliche Vermutung einer "Versorgungsehe" ist nicht widerlegt.
Nach dem am 01.01.2002 in Kraft getretenen § 46 Abs. 2a SGB VI haben Witwen keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Regelung entspricht den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 SGB VII), des Bundesversorgungsgesetzes (§ 38 Abs. 2 BVG) sowie des Beamtenrechts (§ 19 BeamtVG ). Es soll eine finanzielle Besserstellung der Witwe verhindert werden, wenn diese ausschließlich oder überwiegend aus Versorgungsgesichtspunkten geheiratet hat. Die Regelung ist auch verfassungsgemäß. Sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 6 Grundgesetz (vgl. Beschluss des Bundessozialgerichts – BSG – vom 23.09.1997, 2 BU 176/97, sowie BSGE 35, 272 ff).
Bei der Auslegung der Vorschriften zur "Versorgungsehe" ist vorrangig zu beachten, dass die Anknüpfung an eine Ehedauer von weniger als einem Jahr eine sogenannte gesetzliche Vermutung enthält. Bei dieser Zeitdauer wird unterstellt, dass beim Tod des Versicherten innerhalb der genannten Frist nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung das zumindest überwiegende Ziel der Eheschließung gewesen ist (Bundestagsdrucksache 14/4595, S. 44). Diese gesetzliche Vermutung ist zwar widerlegbar, die Widerlegung erfordert aber nach den §§ 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils (vgl. u.a. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand: April 2007, Rdnr. 46 b zu § 46 SGB VI mwN.; Urteil des Landessozialgerichts – LSG – Nordrhein-Westfalen – NRW – vom 13.01.2006, L 14 RJ 67/04 mwN.). Bei entsprechend kurzer Ehedauer ist damit grundsätzlich eine "Versorgungsehe" anzunehmen. Ein Anspruch auf Witwenrente besteht nur in begründeten Ausnahmefällen.
Diese Grundsätzen hat das SG nicht genügend Rechnung getragen. Es reicht insbesondere nicht aus, dass eine gute Möglichkeit gegen das Vorliegen einer "Versorgungsehe" spricht. Wenn sich im konkreten Einzelfall nicht genügend beweiskräftige Anhaltspunkte gegen die Annahme ergeben, dass es der alleinige oder zumindest überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, ist die gesetzliche Vermutung einer "Versorgungsehe" nicht widerlegt. Von Bedeutung ist es hierbei, dass diese gesetzliche Vermutung einer Typisierung folgt und insbesondere bezweckt , sowohl die Rentenversicherungsträger bzw. die anderen Leistungsträger als auch die Gerichte der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit der Notwendigkeit zu entheben, Ausforschungen im Bereich der Intimsphäre der Betroffenen zu vorzunehmen. Vielmehr sollen sich die Ermittlungen auf nach außen tretende Tatsachen beschränken und diese bewerten (so auch: Urteil des LSG NRW vom 13.01.2006, L 14 RJ 67/04 mwN.; Beschluss des Hessischen LSG vom 13.12.2006, L 2 R 220/06 mwN.). Dennoch hat das SG insbesondere Erwägungen zur Motivationslage des Versicherten im Hinblick auf dessen persönliche Moralvorstellungen angestellt und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Auch die Mutmaßungen der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung zu dem moralischen Standpunkt des Versicherten über einer erneute Heirat gehen daher fehl.
Nach den feststellbaren objektiven Umständen ist hier die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer "Versorgungsehe" nicht widerlegt. Es liegt kein Fall vor, der nach der Intention des Gesetzgebers gegen eine Versorgungsehe spricht. Ein solcher ist beispielsweise anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten aufgrund eines Unfalls eintrat (vgl. hierzu: Dopheide/Haas/Wagner, "Die Versorgungsehe nach § 46 Abs. 2a SGB VI in: Informationen der Regionalträger der DRV in Bayern 2006, 257 ff). In Fällen, in denen der Tod des Versicherten nicht in solcher Weise unerwartet (Unfall, Verbrechen, etc. ) eintritt, ist zunächst zu prüfen, ob der Tod in absehbarer Zeit zu erwarten war oder nicht.
Insoweit ist einzuräumen, dass es selbstverständlich nicht genügt, wenn das Versterben des Versicherten als abstrakte Möglichkeit ins Auge gefasst wird, zumal mit dem Tod eines Menschen allein aufgrund dessen Sterblichkeit immer gerechnet werden muss. Ins Gewicht fallen aber objektive Umstände, die den Schluss darauf zulassen, dass der Tod des Versicherten in nicht allzu ferner Zukunft unter Anstellung vernünftiger und naheliegender Erwägungen als konkrete und nicht abwegige Möglichkeit erwartet werden musste. Dies ist vorliegend der Fall. Der Versicherte litt an einer massiven und tödlichen Erkrankung, einem zentralen Bronchialkarzinom. Die Erkrankung war zum Zeitpunkt der Erstdiagnose im April 2003 nach dem Ergebnis der Ermittlungen bereits soweit fortgeschritten, dass keine operative Behandlung mehr möglich war. Die von April bis Juni 2003 durchgeführte Chemotherapie wurde vom behandelnden X1B-Hospital in H als nur palliativ bezeichnet. Ausmaß und Umfang der Erkrankung waren, was die Klägerin eingeräumt hat, sowohl ihr als auch dem Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt.
Der Entschluss zur erneuten Eheschließung wurde erst nach der Diagnose der tödlichen Erkrankung gefasst. Die Klägerin selbst hat eindrucksvoll geschildert, dass zwar der Versicherte auch zuvor immer wieder auf eine Wiederheirat gedrängt habe, sie selbst diese jedoch immer wieder abgelehnt hatte. Bereits vor dem SG hat die Klägerin ausdrücklich ausgeführt, dem Vorschlag des Versicherten, erneut zu heiraten, sei sie erst nach der Krebsdiagnose gefolgt. Aus welchen Gründen es vor der Diagnose nicht zu einer Eheschließung kam und ob bei dem Entschluss zu heiraten das "Prinzip Hoffnung", wie vom Hausarzt Dr. T geschildert, im Vordergrund stand, kann für die Entscheidung zur Überzeugung des Senats nicht entscheidungserheblich seien, weil man insoweit zur innersten und nicht nachprüfbaren intimen Motivationslage der Betroffenen Stellung nehmen müsste. Objektiv feststellbar sind allein die genannten Daten, wonach vor der Diagnose der tödlichen Erkrankung jedenfalls seitens der Klägerin kein Entschluss zur Wiederheirat gefasst war und nach der Diagnosestellung diese ihre Meinung geändert hatte und den Versicherten in ihre Wohnung aufnahm.
Die Klägerin kann auch auf keine besonderen äußeren Umstände hinweisen, welche die gesetzliche Vermutung einer "Versorgungsehe" widerlegen könnten. Derartige äußere Umstände können bspw. gegeben sein, wenn die Eheleute vor der Eheschließung langjährig zusammengelebt hatten. Wie bereits das hessische LSG in seinem Beschluss vom 13.12.2006 (L 2 R 220/06) ausgeführt hat, kann die Dauer einer vorehelichen Lebensgemeinschaft im Rahmen der Prüfung der "Versorgungsehe" ein Argument sowohl für als auch gegen das Vorliegen einer solchen sein. Jedenfalls kann nach den objektiven Umständen des Falles von einer solchen langjährigen vorehelichen Lebensgemeinschaft vorliegend nicht ausgegangen werden. Die Eheleute sind erst ganz kurz vor der Heirat in einen gemeinsamen Haushalt zusammengezogen. Beide führten zuvor einen eigenen Haushalt, der sich darüber hinaus in verschiedenen Orten befand. Ob und inwiefern die Klägerin insoweit bereits hauswirtschaftliche Tätigkeiten für den Versicherten in dessen Wohnung bzw. Haus durchgeführt hatte, kann dahin stehen, weil sich allein hieraus nicht das Vorliegen einer vorehelichen gefestigten Lebensbeziehung ergibt. Der langjährige Kontakt wurde im Wesentlichen durch die gemeinsamen Kinder vermittelt, die eine erneute Verbindung ihrer Eltern befürworteten. Erst nach der Diagnose im April 2003 entschloss sich auch die Klägerin, ihren früheren Ehemann, der Versicherten, wieder zu heiraten.
Gegen die Annahme einer "Versorgungsehe" kann auch die Betreuung und Erziehung gemeinsamer minderjähriger Kinder sprechen. Auch dieser objektive Umstand ist vorliegend nicht gegeben.
Schließlich könnte auch die Tatsache, dass sich der Versicherte von der Ehe Pflege und Betreuung durch die Klägerin versprach, die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI widerlegen. Diesem Umstand hat das SG besondere Bedeutung beigemessen. Ihm kommt zur Überzeugung des Senats jedoch kein solches Gewicht zu, dass er vor dem Hintergrund der objektiv feststellbaren Umstände die Annahme einer "Versorgungsehe" widerlegen könnte. Dies gilt insbesondere, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, angesichts der höchst unterschiedlichen Einkommensverhältnisse der Ehegatten bei der Wiederheirat. Dem im Verhältnis zur Klägerin hohen Einkommen des Versicherten stand auf ihrer Seite ein nur äußerst geringes und unter dem Sozialhilfebedarf liegendes Einkommen gegenüber, so dass auch objektive finanzielle Gründe nicht gegen, sondern für die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe sprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Erstellt am: 08.10.2009
Zuletzt verändert am: 08.10.2009