Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20.09.2006 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Zahlung einer sogenannten Abwesenheitspauschale an die in einer stationären Einrichtung untergebrachten Klägerin für die Zeit ihrer Abwesenheit aus der Einrichtung.
Die 1968 geborene Klägerin ist geistig behindert (Down-Syndrom) und lebt seit Mai 2001 im Wohnheim "Haus J" der Lebenshilfe Rhein-Sieg-Kreis in O. Kostenträger ist der Beklagte; er leistet Eingliederungshilfe und erbringt Grundsicherungsleistungen, die er direkt an die Einrichtung auszahlt. Rechtsgrundlage der Grundsicherungsleistungen war vom 01.01.2003 bis 31.12.2004 das Grundsicherungsgesetz (GSiG), für die Eingliederungshilfe das Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Seit dem 01.01.2005 erbringt der Beklagte Leistungen auf der Grundlage des Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch – (SGB XII).
Durch einen Bescheid vom 22.08.2003 wurden die Leistungen der Grundsicherung nach dem GSiG bis 30.06.2004 festgesetzt. In einem Kostenbeitragsbescheid vom gleichen Tag, der auf den genannten Bewilligungsbescheid ausdrücklich Bezug nahm, wurde die Leistung auf Grundsicherung in der gesamten Höhe bis 30.06.2004 als Kostenbeitrag für die Eingliederungsleistungen nach dem BSHG festgesetzt, da es sich bei der Grundsicherungsleistung um nach dem BSHG anrechenbares Einkommen handele. Weiter heißt es im Bescheid: "Für die Zeit einer vorübergehenden Abwesenheit aus der Einrichtung (z. B. wegen Urlaub bei Angehörigen) wird an ihre Betreute pro Abwesenheitstag ein Betrag i. H. v. 7,90 Euro bzw. 8,00 Euro ab dem 01.07.2003 ausgezahlt. Die Auszahlung erfolgt durch das Heim, sofern sie die beiliegende Einwilligungserklärung der Einrichtung vorlegen." Über die Bewilligung von Leistungen nach dem GSiG für die Zeit vom 01.07.2004 bis 31.12.2004 liegt kein Bescheid vor.
Für die Jahre 2003 und 2004 wurden der Klägerin tageweise für die Abwesenheitstage die im Kostenbeitragsbescheid vom 22.08.2003 genannten Beträge durch den Beklagten gezahlt.
Im Rahmen eines Widerspruchsverfahren, das die zu berücksichtigende Anzahl der Abwesenheitstage betraf, wies die Beklagte mit Schreiben vom 20.12.2004 darauf hin, dass ab 01.01.2005 das SGB XII gelte und es sich bei der Grundsicherung nunmehr um eine Sozialhilfeleistung handele, für die kein Kostenbeitrag mehr aus der Grundsicherung gefordert werden könne. Es erfolge "auch weiterhin" keine gesonderte Auszahlung der Grundsicherung, da diese in der Eingliederungshilfe mit enthalten sei. Für die Zeiten der vorübergehenden Abwesenheit aus der Einrichtung werde es ab 01.01.2005 eine Besuchsbeihilfe gem. § 54 Abs. 2 SGB XII geben. Hinsichtlich der Fahrtkostenerstattung erfolge keine Änderung.
Durch Schreiben vom 02.05.2005 beantragte der Betreuer der Klägerin auch für das erste Quartal 2005 die Leistungen der Abwesenheitspauschale und fügte eine Bescheinigung der Wohnhausleitung des Wohnhauses "J" über die Abwesenheitstage bei. Durch Bescheid vom 12.07.2005 wurde der Antrag abgelehnt. Der Beklagte legte dar, dass gem. § 36 SGB XII die Unterhaltsvermutung gelte, d. h. man gehe davon aus, dass ein Leistungsberechtigter, der in einer Haushaltsgemeinschaft mit anderen Personen lebe, von diesen Leistungen zum Lebensunterhalt erhalte. Hiergegen legte der Betreuer der Klägerin Widerspruch ein. Er führte aus, dass nach der Regelung des § 36 SGB XII die Vermutung nicht für nachfragende Personen gelte, die im Sinne des § 53 SGB XII behindert oder pflegebedürftig sind und von im Satz 1 genannten Personen betreut werden.
Im August 2005 reichte die Klägerin auch eine Bescheinigung über die Abwesenheitszeiten im zweiten Quartal 2005 ein.
Durch Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Beklagte legte im Wesentlichen dar, dass eine rechtliche Grundlage für die Zahlung der Abwesenheitspauschale nicht erkennbar sei. Bei der bisher nach dem GSiG gezahlten Abwesenheitspauschale habe es sich um die Erstattung zuviel geleisteter Kostenbeiträge gehandelt. Ab 01.01.2005 würden solche Kostenbeiträge nicht mehr gezahlt, so dass auch keine Überzahlung entstehen könne, die zu erstatten wäre. Die Leistungen der Grundsicherung seien nunmehr in den zum 01.01.2005 in Kraft getretenen SGB XII enthalten, mithin Leistungen der Sozialhilfe. Leistungen der Sozialhilfe seien im System immanent nicht als Einkommen des Leistungsempfängers anzusehen. Ein Kostenbeitrag werde insoweit ab 01.01.2005 nicht mehr gefordert. Der Antrag sei daher als Antrag auf Gewährung einer besonderen Besuchsbeihilfe nach § 54 Abs. 2 SGB XII aufgefasst worden. Aber auch aus dieser Rechtsgrundlage ergebe sich keine Leistungsverpflichtung.
Dagegen hat die Klägerin am 22.12.2005 vor dem Sozialgericht Köln (SG) Klage erhoben, mit der sie weiterhin die Gewährung der Abwesenheitspauschale begehrt. Die Klägerin hat im Wesentlichen dargelegt, dass der Kostenbeitragsbescheid vom 22.08.2003 die Rechtsgrundlage für die Gewährung der Abwesenheitspauschale sei. Eine Besuchbeihilfe sei nicht beantragt worden. Durch das Inkrafttreten des SGB XII habe sich keine Änderung der Rechtslage ergeben. Von anderen überörtlichen Trägern der Sozialhilfe, etwa vom Landeswohlfahrtsverband Hessen und vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe, werde weiterhin eine Abwesenheitspauschale gezahlt. Hierzu hat die Klägerin ein Rundschreiben des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom 17.11.2004 überreicht.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.07.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 zu verurteilen, ihr tageweise Leistungen der Abwesenheitspauschale rückwirkend für das Jahr 2005 und zukünftig zu gewähren ohne Begrenzung auf 35 Werktage pro Kalenderjahr.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat ergänzend zu den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden dargelegt, dass der Kostenbeitragsbescheid vom 22.08.2003 nichtig sei, da mit Inkrafttreten des SGB XII die Grundlage für diesen Bescheid entfallen sei. Die Regelungen anderer überörtlicher Träger der Sozialhilfe seien für ihn nicht relevant.
Das SG hat im Einverständnis mit den Beteiligten am 20.09.2006 ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden und den Beklagten antragsgemäß verurteilt, soweit Leistungen für das Jahr 2005 im Streit waren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Rechtsgrundlage für die Gewährung der Abwesenheitspauschale sei der Kostenbeitragsbescheid vom 22.08.2003, in dem für die Zeit einer vorübergehenden Abwesenheit aus der Einrichtung pro Abwesenheitstag ein Betrag i. H. 7,90 Euro und von 8,00 Euro ab 01.07.2003 festgesetzt werde. Der Bescheid sei nicht befristet. Er sei ferner vom Beklagten bisher nicht zurückgenommen oder aufgehoben worden. Nach Inkrafttreten des SGB XII am 01.01.2005 habe der Beklagte ferner keinen neuen Bescheid bezüglich der Gewährung von Grundsicherungsleistungen erlassen. Der Bescheid vom 22.08.2003 sei hinsichtlich der Festsetzung der Abwesenheitspauschale auch nicht nichtig.
Das Urteil ist dem Beklagten am 28.09.2006 zugestellt worden. Am 12.10.2006 hat er dagegen Berufung eingelegt. Nach seiner Auffassung komme durch den zeitlichen Zusammenhang beider Bescheide vom 22.8.2003 sowie aus der gegenseitigen Bezugnahme aufeinander unmissverständlich zum Ausdruck, dass sich die Bewilligung der Grundsicherung, der Kostenbeitrag und die Abwesenheitspauschale gegenseitig bedingten. Es sei doch offensichtlich, dass die Befristung der Grundsicherungsleistung auch den Kostenbeitragsbescheid erfasse. Das SG übersehe bei seiner Urteilsfindung diesen Sachzusammenhang. Zudem verkenne das SG, dass der Beklagte die Klägerin über die künftige Rechtsänderung zusätzlich mit Schreiben vom 20.12.2004 informiert und hier deutlich gemacht habe, dass es keinen Kostenbeitrag mehr geben würde. Dieses Schreiben sei vom SG Köln nicht gesehen worden.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20.09.2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil für zutreffend. Im Übrigen verweist sie darauf, dass eine Änderung der Rechtslage mit dem 01.01.2005 nicht erkennbar sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Es besteht kein Anspruch der Klägerin auf eine sogenannte Abwesenheitspauschale für das Jahr 2005, so dass sich der Bescheid des Beklagten vom 12.07.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 als rechtmäßig erweist.
Soweit die Klägerin im Klageverfahren auch Ansprüche für den Zeitraum ab 01.01.2006 geltend gemacht hat, ist dies nicht Streitgegenstand des Berufungsverfahrens. Denn vorliegend hat nur der Beklagte Berufung eingelegt. Eine Verurteilung des Beklagten durch das SG zur Erbringung von Leistungen über den 31.12.2005 hinaus erfolgte indes nicht.
Entgegen der Auffassung des SG kann der geltend gemachte Anspruch nicht auf den Kostenbeitragsbescheides vom 22.08.2005 gestützt werden. Entsprechend den Auslegungsgrundsätzen, die für Willenserklärungen gelten, ist auch der Inhalt von Verwaltungsakten nach seinem objektiven Sinngehalt zu bestimmen. Abzustellen ist auf den sogenannten objektiven Empfängerhorizont, d.h. darauf, wie ein Empfänger den Verwaltungsakt bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen muss (vgl. nur von Wulfen, § 31 SGB X, Rz. 26 m.w.N.).
Eine Auslegung des Kostenbeitragsbescheids vom 22.08.2005 ergibt, dass die sogenannte Abwesenheitspauschale nur im Zusammenhang mit den Leistungen nach dem GSiG erbracht werden sollte, welche durch Bescheid vom gleichen Tage bewilligt wurden. Dies folgt aus der ausdrücklichen Bezugnahme im Kostenbeitragsbescheid auf den Bewilligungsbescheid an sich und auf die jeweiligen bis 30.06.2004 bewilligten Monatsbeträge. Zudem regelte der Kostenbeitragsbescheid nicht die Bewilligung einer zusätzlichen Sozialleistung, sondern er enthielt lediglich eine besondere Anordnung zur Auszahlung einer Sozialleistung, nämlich der unabhängig von den Eingliederungsleistungen nach dem BSHG zu erbringenden Leistungen nach dem GSiG. Der Kostenbeitragsbescheid setzt mithin erkennbar die Gewährung der Grundsicherungsleistungen voraus. Wird diese nicht mehr gezahlt, wie es für die Zeit ab 01.01.2005 der Fall war, fehlt einer Regelung zur Auszahlung aber die Grundlage. Die Regelungswirkung des Kostenbeitragsbescheides hat sich daher spätestens erledigt mit dem Auslaufen der Leistungen nach dem GiSG zum 31.12.2004 (vgl. § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X -).
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass für den Zeitraum vom 01.07.2004 bis 31.12.2004 ein Bescheid über die Bewilligung von Leistungen nach dem GSiG – soweit ersichtlich – nicht ergangen ist. Dies könnte allenfalls die Zahlung der Abwesenheitspauschale bereits für Abwesenheitstage in diesem Zeitraum in Frage stellen. Eine Dauerwirkung des weit vorher ergangen Kostenbeitragsbescheides vermag sie nachträglich keinesfalls zu begründen.
Die Frage der Nichtigkeit des Kostenbeitragsbescheides stellt sich vor diesem Hintergrund nicht. Schon eher hätte das SG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung problematisieren können, ob das Schreiben des Beklagten vom 20.12.2004 als Aufhebungsbescheid gem. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X anzusehen ist. Doch hierauf kommt es ebenfalls nicht an.
Weitere mögliche Anspruchgrundlagen für den geltend gemachten Anspruch vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Klägerin ist seit Mai 2001 als behinderter Mensch i.S.d. § 53 Abs. 1 SGB XII in einer Einrichtung (§ 13 Abs. 2 SGB XII) stationär untergebracht und arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Sie kann seit dem 01.01.2005 Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII beanspruchen und erhält diese auch. Ihr notwendiger Lebensunterhalt ist nach Maßgabe des § 35 SGB XII sicherzustellen. Weder § 54 SGB XII noch § 35 SGB XII sehen die Zahlung eines pauschalen Abwesenheitsgeldes für Tage der Abwesenheit aus der Einrichtung an die Klägerin vor. Vielmehr ist nach dem Normgehalt und der Systematik der Vorschriften davon auszugehen, dass der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen grundsätzlich durch die in der Einrichtung erbrachten Leistungen sichergestellt ist (§ 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) und darüber hinaus für den weiteren notwendigen Lebensunterhalt Leistungen (nur) nach Maßgabe des § 34 Abs. 2 SGB XII zu erbringen sind; genannt werden insoweit beispielhaft ("insbesondere") Leistungen für Kleidung und ein angemessener Barbetrag.
Ein Anspruch auf die von der Klägerin begehrte Abwesenheitspauschale könnte daher auf § 34 Abs. 2 SGB XII allenfalls dann gestützt werden, wenn diese Pauschale von ihrer Bedeutung her und ihrem Zweck nach den genannten Regelbeispielen vergleichbar wäre (vgl. LSG NRW, Urteil v. 18.06.2007 – L 20 SO 3/07 – zu einer "Weihnachtsbeihilfe"). Dies ist indes nicht der Fall, was zur Überzeugung des Senats bereits daraus folgt, dass in § 54 Abs. 2 SGB XII eine eigenständige Anspruchsgrundlage für eine Besuchsbeihilfe enthalten ist.
Eine solche Besuchbeihilfe begehrt die Klägerin jedoch ausdrücklich nicht. Vielmehr scheint ihr Betreuer die Vorstellung zu haben, an den von dem Beklagten bzw. der Einrichtung möglicherweise durch die Abwesenheit der Klägerin ersparten Aufwendungen partizipieren zu können. Abgesehen von der fehlenden rechtlichen Grundlage erscheint dies auch aus allgemeinen Billigkeitsgesichtspunkten heraus nicht gerechtfertigt, solange die Aufwendungen des Beklagten für die Eingliederungshilfe die Höhe der ansonsten zu erbringenden Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII trotz der tageweisen Abwesenheit der Klägerin noch weit übersteigen. Von Letzterem dürfte vorliegend auszugehen sein. Im Übrigen steht es der Klägerin im Rahmen des § 13 SGB XII durchaus frei, auf stationäre Leistungen zu verzichten und stattdessen teilstationäre oder ambulante Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, weil der Senat dem Rechtsstreit eine besondere Bedeutung i.S.d. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG beimisst.
Erstellt am: 23.01.2009
Zuletzt verändert am: 23.01.2009