Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27.03.2007 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Wiedergewährung von Verletztenrente.
Der 1949 geborene marokkanische Kläger war in Deutschland bis 1981 im Steinkohlenbergbau unter Tage tätig und lebt jetzt wieder in Marokko. Am 19.9.1979 geriet er bei der Arbeit als Senker unter Tage zwischen Laufwagen und Laufschiene der Einschienenhängebahn und erlitt eine schwere Weichteilverletzung der Endglieder des 2. und 3. Fingers links mit Frakturen und ein Nagelbetthämatom des 4. Fingers links. In der Folge wurden der 2. und der 3. Finger links in Mittelgliedhöhe amputiert, der Nagel des 4. Fingers links wurde entfernt. Die Beklagte erkannte als Folgen des Arbeitsunfalls "Amputation der Finger 2 und 3 links in Mittelgliedhöhe und Nagelbetthämatom am 4. Finger links" an und gewährte vorläufig eine Teilrente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vom Hundert (vH) ab November 1979 (Bescheid vom 20.3.1980).
Bei einer Nachuntersuchung beschrieb Handchirurg Dr. E aus H als Unfallfolgen "Verheilte Nagelkranzfraktur des 4. Fingers links mit Schädigung des Nagelbettes, Teilamputation der 2. und 3. Finger links mit Behinderung des Faustschlusses" und hielt nur noch eine MdE von 10 vH für angemessen (Gutachten vom 29.5.1981). Nach Anhörung des Klägers entzog die Beklagte die vorläufige Rente mit Ablauf des Monats Juli 1981 und lehnte die Gewährung von Verletztenrente auf Dauer ab (Bescheid vom 26.6.1981). Der anschließende Rechtsstreit blieb für den Kläger ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts (SG) Gelsenkirchen vom 24.3.1982, Aktenzeichen (Az) S 18 BU102/81; Zurücknahme der Berufung, Az L 2 BU 23/82 LSG NRW). Das Gleiche galt in der Folgezeit für Anträge auf Wiedergewährung von Verletztenrente (Bescheid vom 23.12.1986; Widerspruchsbescheid vom 9.4.1987; Urteil SG Gelsenkirchen vom 22.6.1988, Az S 18 BU 73/87; Urteil des LSG NRW vom 27.10.1988, Az L 2 BU 39/88; Beschluss des BSG vom 10.3.1989, Az 8 BKnU 3/89; Bescheid vom 23.2.1990; Widerspruchsbescheid vom 8.8.1990; Urteil des SG Düsseldorf vom 24.3.1992, Az S 24 BU 17/90; Urteil des LSG NRW vom 6.5.1993, Az L 2 BU 49/92; Beschluss des BSG vom 29.11.1993, Az 8 BKnU 3/93; Bescheid vom 4.9.1998; Widerspruchsbescheid vom 23.6.1999; Urteil des SG Dortmund vom 6.9.2002, Az S 24 KN 95/98 U; Urteil des erkennenden Senats vom 24.7.2003, Az L 2 KN 165/02 U; Beschluss des BSG vom 29.12.2003, Az B 8 KN 9/03 U B).
Die Beklagte lehnte auch die Entschädigung einer Silikose als Berufskrankheit (BK) Nr 4101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ab, weil eine solche Berufskrankheit beim Kläger nicht erwiesen sei (Bescheid vom 12.12.1986; Widerspruchsbescheid vom 9.4.1987; Vorbescheid des SG Gelsenkirchen vom 2.11.1987, Az S 18 BU 99/87 ).
Erneut seit November 2003 wies der Kläger wiederholt auf seine Schmerzen infolge des Arbeitsunfalls vom 19.9.1979 hin, die sich nicht besserten. Bei einer Untersuchung im Provinzialkrankenhauszentrum Nador/ Marokko gab er an, unter rezidivierenden Schmerzen der rechten Hand zu leiden, die mit den Teilamputationen zusammenhingen (Bericht vom 18.3.2004). Dort wurden 2 Röntgenaufnahmen der linken Hand gefertigt, die der Kläger an die Beklagte übersandte. Die Beklagte schaltete als Gutachter Allgemeinmediziner Dr. M aus Nador ein. Dieser Arzt hat die noch bestehenden Unfallfolgen mit " Amputation des 3. Gliedes des 2. und 3. Fingers und der Kuppe des 4. Fingers links" bezeichnet. Unfallunabhängig bestehe eine Fraktur des rechten Daumens vom 25.10.1980. Eine Besserung sei nicht eingetreten, die MdE für die Unfallfolgen betrage 12% (Gutachten vom 20.5.2006). Beratender Arzt für Unfallchirurgie Dr. H aus Bochum hielt bei unveränderten Unfallfolgen eine MdE von 10 vH weiter für zutreffend und eine Nachuntersuchung für nicht erforderlich (Stellungnahme vom 30.7.2006).
Die Beklagte lehnte erneut ab, wieder Verletztenrente zu gewähren (Bescheid vom 29.8.2006). Dagegen hat der Kläger am 27.9.2006 Klage zum SG Dortmund erhoben. Die linke Hand sei behindert, die rechte Hand sei gebrochen, er habe starke Schmerzen. Die Beklagte hat das Vorverfahren nachgeholt und den – zugleich in der Klageerhebung liegenden – Widerspruch zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 22.11.2006).
Die Beklagte hat die angefochtene Entscheidung weiter für richtig gehalten.
Das SG hat die Klage abgewiesen: Die seit über 20 Jahren stabilen Unfallfolgen an der linken Hand rechtfertigten weiter keine MdE von mindestens 20 vH. Die Verletzung des Daumens der rechten Hand sei nicht Folge des Arbeitsunfalls vom 19.9.1979 (im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil vom 27.4.2007).
Zur Begründung der dagegen eingelegten Berufung weist der Kläger darauf hin, dass sein linker sowie sein rechter Daumen verändert seien. Durch die Unfallfolgen an der linken Hand sei es zu einer Überlastung der Gelenke der rechten Hand gekommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für den Kläger niemand erschienen. Der Kläger hat mitgeteilt, er habe nach Erhalt der Benachrichtigung vom Termin vergeblich versucht, ein Visum zu erhalten, und könne deshalb nicht zum Termin erscheinen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurück zu weisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann entscheiden, obwohl für den Kläger zum Termin niemand erschienen ist. Denn der Kläger ist in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§§ 63 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 175 Zivilprozessordnung iVm Art 31 Abs 1 Satz 3 des Deutsch-Marokkanischen Sozialversicherungsabkommens (DMSVA) vom 25.3.1981, in Kraft seit dem 1.8.1986, BGBl II 1986; 550ff, 562, 772) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Sein Schreiben vom 27.9.2007 bietet keine Veranlassung, zur Wahrung des rechtlichen Gehörs von einer Entscheidung abzusehen und den Termin aufzuheben oder zu verlegen. Einen solchen Antrag hat der Kläger erkennbar weder ausdrücklich noch konkludent gestellt. Er hat vielmehr nur über seine vergeblichen Versuche berichtet, ein Einreisevisum zu erhalten, und damit seine Bemühungen dokumentiert, am Termin teilzunehmen. Dies sieht der Senat dadurch bestätigt, dass der Kläger auf das Schreiben des Senats vom 4.10.2007 (ua mit dem Hinweis, dass er nicht verpflichtet sei zu erscheinen) nicht weiter vorgetragen hat.
Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die (mit Erteilung des Widerspruchsbescheids zulässig gewordene) Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 29.8.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2006 (§ 95 SGG) beschwert den Kläger nicht, weil er nicht rechtswidrig ist. Die Beklagte hat zu Recht abgelehnt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 19.9.1979 Verletztenrente (auf Dauer) zu gewähren. Ein solcher Anspruch besteht nicht.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch bestimmt sich noch nach den alten, bis zum 31.12.1996 maßgeblichen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil er auf einem 1979 eingetretenen Versicherungsfall beruhen und die Rente nicht erstmals festgesetzt werden soll, §§ 212, 214 Abs 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), Artikel 36 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs- Einordnungsgesetz – UVEG). Nach § 581 Abs 1 Nr 2 RVO wird dem Verletzten als Verletztenrente der Teil der Vollrente (§ 581 Abs 1 Nr 1 RVO) gewährt, der dem Grad der MdE entspricht, solange seine Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens ein Fünftel (20 vH) gemindert ist. Daran fehlt es weiter.
Wie der Senat bereits mit Urteil vom 24.7.2003 entschieden hat (aaO S 5f), liegen beim Kläger als (Dauer-)Folgen des Arbeitsunfalls vom 19.9.1979 ein Verlust der Endglieder des 2. und 3. Fingers der linken Hand sowie eine Nageldeformität mit Verlust der Fingerkuppe am 4. Finger der linken Hand vor. Daran hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert. Diese Erkenntnis stützt der Senat auf das – als Urkundsbeweis verwertbare – Gutachten des Dr. M, der die Unfallfolgen gleichlautend den früher gehörten Gutachtern und Sachverständigen umschreibt. Dabei legt der Senat das insoweit klare und widerspruchsfreie für die gesetzliche Unfallversicherung erstattete Gutachten dieses Arztes zugrunde. Soweit Dr. M im am gleichen Tage für die gesetzliche Rentenversicherung erstatteten Gutachten die abweichenden Formulierungen "Amputation des 2. bis 3. und 4. Fingers links mit Gebrauchsunfähigkeit dieser Hand" benutzt (ähnlich auch das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils), sieht der Senat darin nicht die Feststellung eines abweichenden Sachverhalt, sondern eine ungenaue Bezeichnung der Unfallfolgen in einem anderen Zusammenhang. Dafür spricht auch die von Dr. M beschriebene teilweise noch erhaltene Kreisfunktion der linken Hand, die bei kompletter Amputation der Finger 2 und 3 so nicht möglich wäre. Auch nach der abschließenden Bemerkung von Dr. M handelt es sich um einen unveränderten Zustand ("alte Verletzung seit 19.9.1979"). Seither im Zustand der Unfallfolgen etwa eingetretene Veränderungen erwähnt er in keinem der beiden Gutachten. Letztlich und vor allem behauptet der Kläger selbst keine Nachamputationen im Bereich der Finger der linken Hand.
Ob die MdE 10 vH (so – Dr. H folgend – die Beklagte im angefochtene Bescheid) oder 12 vH (Dr. M) beträgt, kann dahin stehen. Der für den Rentenanspruch maßgebliche Grenzwert von 20 vH wird jedenfalls nicht erreicht. Das steht auch in Einklang mit den Erfahrungswerten der gesetzlichen Unfallversicherung, nach denen die Amputation der Endglieder des 2. und 3. Fingers mit 0 vH, die Amputation von jeweils zwei vollständigen Gliedern dieser Finger mit 20 vH zu bewerten ist (Mehrhoff/Meindl/Muhr. Unfallbegutachtung. 11. Auflage Berlin 2005. S 316, 319). Daraus ist zu entnehmen, dass die beim Kläger vorliegenden Funktionsstörungen unter Einschluss der Schmerzen mit einer MdE unter 20 vH zutreffend bemessen sind. Die Tatsache, dass der Kläger Linkshänder ist, spielt für die Bemessung der MdE keine Rolle (Schönberger/Mehrtens/Valentin. Arbeitsunfall und Berufskrankheit. 7. Auflage 2003. S 615 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Funktionelle Beeinträchtigungen im Bereich der rechten Hand – insbesondere des rechten Daumens – sind bei der Bemessung der MdE nicht zu berücksichtigen, da sie nicht ursächlich auf dem Unfall vom 19.9.1979 beruhen, sondern auf einem Unfall vom 25.10.1980 ("Quetschung rechtes Daumenendglied mit Bruchschädigung und kleiner Quetschwunde"), der nicht in Zusammenhang mit der Berufstätigkeit des Klägers stand. Dies ergibt sich bereits aus den ersten Gutachten des Dr. E vom 13.2. und 29.5.1981, der von einer "unfallunabhängigen Deformierung des rechten Daumenendgliedes bei knöchern verheiltem Stückbruch" spricht, und wird im Folgenden von allen Ärzten bis hin zu Dr. M bestätigt. Etwaige funktionelle Auswirkungen dieses Körperschadens sind bei der Bemessung der MdE für die Unfallfolgen nicht zu berücksichtigen, da es sich um einen unfallunabhängigen, später eingetretenen Nachschaden handelt, dessen Auswirkungen dem Unfallereignis (auch nicht mittelbar) zugerechnet werden können (Bereiter-Hahn/Mehrtens. Gesetzliche Unfallversicherung. Handkommentar. 5. Auflage Stand August 2007. § 56 Rdnr 10.10 iVm § 48 SGB X Rdnr 5.10 mwN). Überdies dürften insoweit keine wesentlichen Funktionsstörungen vorliegen. Dr. M hat nämlich für die rechte Hand einen funktionellen Normalbefund in allen Qualitäten erhoben.
Ausreichende Anhaltspunkte für eine Stützrentensituation (vgl dazu Bereiter-Hahn/Mehrtens. aaO. § 56 Rdnrn 7ff), die zur Rentengewährung bereits bei einer MdE um 10 vH führte (§ 580 Abs 3 Satz 1 und 2 RVO), sind (weiter) weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere spricht auch nach dem eigenen Sachvortrag des Klägers nichts dafür, dass er bei versicherter Tätigkeit in Deutschland einen weiteren Arbeitsunfall mit Verletzungsfolgen an der rechten Hand erlitten hat oder dass nunmehr im Hinblick auf die bereits früher geprüfte BK Nr 4101 eine andere Beurteilung in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs 2 SGG.
Erstellt am: 23.01.2008
Zuletzt verändert am: 23.01.2008