Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.04.2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin zum 01.03.2006 freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten geworden ist.
Die 1948 geborene Klägerin war vom 12.04.1986 bis 29.02.1996 bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied krankenversichert. Vom 01.01.2004 bis 31.12.2004 wurde sie im Rahmen des § 264 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) V durch die Beklagte wegen des Bezugs von Sozialhilfeleistungen durch den Fachbereich Soziales der Stadt I betreut. Vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 war sie aufgrund bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) II Pflichtmitglied der Beklagten. Ausweislich eines vom Fachbereich Gesundheit Amtsärztlicher Dienst der Stadt I erstatteten Gutachtens der Frau Dr. I vom 09.01.2006 war die Klägerin aufgrund ihrer geistigen Behinderung nur in der Lage, täglich weniger als 3 Stunden zu arbeiten. Das amtsärztliche Gutachten wurde unter Auswertung eines vom Amtsgericht I im März 2004 erstatteten Betreuungsgutachten erstellt. Seit 01.03.2006 bezieht die Klägerin Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem 9. Kapitel des SGB XII über die Stadt I.
Mit Schreiben vom 21.03.2006 beantragte die Klägerin die Durchführung einer freiwilligen Versicherung bei der Beklagten.
Mit Bescheid vom 12.07.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, eine freiwillige Versicherung ab 01.03.2006 könne nicht durchgeführt werden. Der Zeitraum vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 könne nicht gemäß § 9 Satz 1 Nr. 1 SGB V als Vorversicherungszeit berücksichtigt werden, da die Klägerin das Alg II infolge fehlender Erwerbsfähigkeit zu Unrecht bezogen habe. Dies ergebe sich aus dem von der ARGE I eingeholten amtsärztlichen Gutachten vom 09.01.2006. Die fehlende Erwerbsfähigkeit sei nicht erst zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens eingetreten, vielmehr habe diese bereits vor dem 01.01.2005 bestanden. Das ergebe sich aus dem für das Amtsgericht I erstellten Betreuungsgutachten aus dem Jahr 2004 und aus dem Umstand, das für die Klägerin bereits im Jahre 2002 eine amtliche Betreuung eingerichtet worden sei.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 11.08.2006 begründete die Klägerin damit, aus dem erst im Janur 2006 erstellten Gutachten könnten keine Rückschlüsse für die Vergangenheit gezogen werden. Daran ändere sich auch durch das für das Amtsgericht I erstellte Betreuungsgutachten nichts. Die Einrichtung einer Betreuung sei mit einer Erwerbsunfähigkeit nicht gleichzusetzen. Die Ansicht, die Klägerin habe im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 ALG II zu Unrecht bezogen, sei aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht nachvollziehbar. Ein Bescheid seitens der ARGE I über eine unrechtmäßige Zahlung liege nicht vor. Aus diesem Grunde sei davon auszugehen, die Klägerin habe die Leistung rechtmäßig erhalten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Über die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung hinaus vertrat die Beklagte die Ansicht, die Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V setze nicht voraus, dass die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II ivM § 330 SGB III und den § 44 ff SGB X aufgehoben worden sei. Dies würde dem Gesetzeszweck zu widerlaufen und die Frage der Zugangsberechtigung zur freiwilligen Krankenversicherung nach § 9 Abs. Satz 1 Nr. 1 SGB V, der einem besonderen, dort festgelegten Personenkreis zustehe, von dem Verwaltungshandeln und den Verwaltungsentscheidungen anderer Verwaltungsbehörden (z.B. Arbeitsgemeinschaften) abhängig machen. Auch aus dem Anlass zur Gesetzesänderung ergebe sich, dass eine Aufhebung oder Rücknahme der Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II seitens des zuständigen Leistungsträgers nicht erforderlich sei. Anlass zur Gesetzesänderung sei es gewesen, dass die Sozialämter mitunter auch Sozialhilfeempfänger in den Bezug von Alg II überführt hätten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen seien, eine berufliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Damit sei Personen der Zutritt zur gesetzlichen Krankenversicherung verschafft worden, die grundsätzlich keine Möglichkeit dazu gehabt hätten. Auch die Vorversicherungszeit von 24 Monaten in den letzten 5 Jahren vor dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht werde von der Klägerin nicht erfüllt, da im Zeitraum von 01.03.1996 bis 31.12.2004 die Übernahme der Krankenbehandlungskosten durch den Fachbereich Soziales der Stadt I garantiert und sie dieser Zeit nicht bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert gewesen sei.
Hiergegen richtet sich die am 27.04.2006 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgte.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 12.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.2006 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, für sie die freiwillige Krankenversicherung ab 01.03.2006 durchzuführen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat die Beklagte sich auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides bezogen.
Die Beigeladene zu 1) hat sich der Argumentation der Klägerin angeschlossen und ergänzend ausgeführt, der Ausschluss der Vorversicherungzeit bei unrechtmäßigem Alg II – Bezug durch die Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sei auf den Fall der rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung durch den Leistungsträger nach dem SGB II beschränkt. Eine solche sei vorliegend aber nicht gegeben.
Mit Urteil vom 25.04.2007 hat das Sozialgericht unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides die Beklagte verurteilt, ab 01.03.2006 die freiwillige Versicherung der Klägerin durchzuführen. Die erforderliche Vorversicherungzeit sei aufgrund des Leistungsbezuges gegeben. Die Krankenkassen hätten in diesem Zusammenhang kein eigenes Beurteilungsrecht hinsichtlich des rechtmäßigen Bezugs von Alg II.
Nebst ihrer am 29.05.2007 eingelegten Berufung hält die Beklagte an ihrer erstinstanzlichen Auffassung fest, dass im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 SGB V die materielle Rechtslage maßgebend sei. Insoweit stehe aufgrund des ärztlichen Gutachtens fest, dass die Klägerin zu Unrecht Alg II bezogen habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.04.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und die Beigeladene zu 1) haben sich zur Sache nicht geäußert und keine Anträge gestellt. Der Senat hat im Berufungsverfahren die Stadt I als Träger der der Klägerin ab 01.03.2006 bewilligten Leistungen zur Grundsicherung beigeladen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte sowie der Akte S 17 Kr 151/06 ER SG Gelsenkirchen, die der Senat beigezogen und deren Inhalt er seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat sowie auf den Vortrag der Beteiligten im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Klägerin freiwilliges Mitglied der Beklagten geworden ist.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V (in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB III und andere Gesetze vom 22.12.2005, BGBl. I, 3676) können der freiwilligen Krankenversicherung Personen beitreten, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen zumindest 12 Monate versichert waren. Dabei sind Zeiten, in denen die Versicherung allein deshalb bestanden hat, weil Alg II zu Unrecht bezogen wurde, nicht zu berücksichtigen. Nach § 188 Abs. 2 SGB V beginnt die Mitgliedschaft der in § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V genannten Versicherungsberechtigten mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht. Nach § 188 Abs. 3 SGB V ist der Beitritt schriftlich zu erklären und den Krankenkassen innerhalb von 3 Monaten anzuzeigen (§ 9 Abs. 2 Ziffer 1 SGB V).
Danach ist die Klägerin ab 01.03.2006 wirksam der Beklagten beigetreten. Sie hat vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 Alg II bezogen und war somit nach § 5 Abs. 1 Ziffer 2 a SGB V pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Da nach § 190 Abs. 12 SGB V die Mitgliedschaft der Bezieher von Alg II mit Ablauf des letztes Tages, für den die Leistung bezogen wird, endet, ist die Klägerin zum 01.03.2006 als Pflichtversicherte bei der Beklagten ausgeschieden. Am 24.03.2006 ist die "Anmeldung zur freiwilligen Krankenversicherung" ab 01.03.2006 bei der Beklagten eingegangen, so dass der Beitritt fristgemäß (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 SGB V) und in der erforderlichen Schriftform (§ 188 Abs. 3 SGB V) erfolgt ist.
Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob die Vorversicherungszeit deshalb nicht erfüllt ist, weil die Mitgliedschaft der Klägerin aufgrund der ärztlichen Feststellung der fehlenden Erwerbsfähigkeit nicht berücksichtigt werden dürfe, da damit feststehe, dass sie seit diesem Zeitpunkt materiell Alg II zu Unrecht bezogen hat. Diese Auffassung der Beklagten teilt der Senat nicht. Er hält an seiner im Urteil vom 19.09.2007 (L 11 KR 2/07) vertretenen Auffassung fest, dass im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 letzter Halbsatz SGB V die Krankenkassen nicht eigenständig die materielle Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs überprüfen dürfen, sondern an die Leistungsbewilligungen des nach SGB II zuständigen Trägers gebunden sind.
Der Wortlaut der Vorschrift lässt allerdings eine Auslegung im Sinne der Beklagten zu, denn die Formulierung "zu Unrecht bezogen" lässt offen, ob die Bewilligung von Alg II gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 330 Drittes Buch Sozialgesetzbuch und den § 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben, also förmlich festgestellt worden sein muss, dass Leistungen nicht zugestanden haben oder ob unabhängig davon die materiellen Voraussetzungen des Leistungsbezugs überprüft werden können. Auch die Gesetzesbegründung gibt insoweit keinen eindeutigen Hinweis. Danach sollte die Nichtberücksichtigung von Zeiten einer Versicherung aufgrund des rechtswidrigen Bezugs von Alg II "insbesondere" verhindern, dass ein wegen Fehlens der Erwerbsfähigkeit rechtswidriger Bezug von Alg II dazu führt, dass nach dem Ende des unrechtmäßigen Leistungsbezugs eine dauerhafte freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung begründet werden kann (BT-Drucksache 16/245,9). Allerdings hätte ohne die vorgenommene Ergänzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V die Zeit der Versicherungspflicht aufgrund des Bezugs von Alg II selbst bei einer rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung berücksichtigt werden müssen, da nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V die Versicherungspflicht allein an den tatsächlichen Leistungsbezug anknüpft und nach dem letzten Halbsatz der Vorschrift auch durch eine rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht berührt wird. Somit geben weder die Gesetzesbegründung noch der Anlass der Gesetzesänderung etwas dafür her, dass den Krankenkassen ein eigenes Prüfungsrecht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Leistungsbezuges zustehen soll (in diesem Sinne aber wohl Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 19.09.2006 – L 5 B 376/06 KR ER).
Gegen die Befugnis der Krankenkassen zu einer eigenständigen Prüfung der Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs spricht jedoch schon grundsätzlich, dass mit der Bewilligung von Leistungen der Träger des SGB II das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB II) und Hilfebedürftigkeit (§ 9 Abs. 1 SGB II) bejaht. Ob insoweit von einer Tatbestandswirkung der Bewilligung ausgegangen werden muss (so das Hessische LSG, Beschluss vom 07.07.2006 – L 8 KR 109/06 ER) kann dahinstehen (vgl. zu Zweifeln an einer Tatbestandswirkung BSG SozR 3-1300 § 104 Nr. 15). Grundsätzlich gilt aber, dass innerhalb eines gegliederten Sozialleistungssystems die anderen Träger die Regelungsbefugnis des zuständigen Trägers zu akzeptieren haben. Soweit das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes anordnet, muss jeder Träger die Entscheidung der anderen Träger respektieren und inhaltlich seinen Entscheidungen zugrundelegen (vgl. BSG SozR 1300 § 103 Nr. 2; SozR 3-2200 § 183 Nr. 6; SozR 3-1300 § 86 Nr. 3). Die zitierte Gesetzbegründung gibt keinen Hinweis, dass im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V von diesen Grundsätzen abgewichen werden sollte.
Im Gegenteil kann vor dem Hintergrund des in den §§ 44 a, 45 SGB II getroffenen Regelungssystems zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit des Hilfesuchenden den Krankenkassen keine eigenständige Befugnis zur Prüfung der materiellen Leistungsvoraussetzungen des Alg II-Bezugs zugestanden werden. Nach § 44 a Satz 1 SGB II (in der bis zum 31.07.2006 geltenden Fassung) bzw. § 44 a Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006, BGBl. I, 2535) stellt die Agentur für Arbeit fest, ob der Hilfesuchende erwerbsfähig ist. Gemäß Satz 2 a.a.O. entscheidet bei einem Streit um die Feststellung die gemeinsame Einigungsstelle (§ 45 SGB II). Bis zu deren Entscheidung hat der Leistungsträger nach dem SGB II Leistungen zu erbringen (§ 44 a Satz 3 SGB II a.F., § 44 a Abs. 1 Satz 3 SGB II in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes vom 02.12.2006, BGBl. I, 2742). Diese Bestimmung enthält eine Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 SGB III. Ein Streit über die Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen soll sich nicht zu seinen Lasten so auswirken, dass er weder von dem Träger des SGB II noch dem Träger des SGB XII Leistungen erhält. Seine Erwerbsfähigkeit wird vielmehr mit der Folge der Leistungszuständigkeit des Trägers nach dem SGB II fingiert (Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 44 a RdNr. 24). Die Zahlungspflicht des Leistungsträgers des SGB II bis zur Entscheidung der Einigungsstelle gilt auch für den Fall, dass er von einer fehlenden Erwerbsfähigkeit ausgeht, sich aber nicht um eine Klärung der Angelegenheit mit dem zuständigen Leistungsträger des SGB XII bemüht hat. Er darf fehlende Erwerbsfähigkeit nicht annehmen, ohne den zuständigen Sozialhilfeträger eingeschaltet zu haben (so ausdrücklich BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 2; zu § 44 a Abs. 1 SGB II n.F. ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.03.2007 – L 8 AS 6504/06). Die endgültige Zuständigkeit des Leistungsträgers des SGB II bis zur Einschaltung des Sozialhilfeträgers wird durch die Einfügung des Abs. 2 in § 44 a SGB II zum 01.08.2006 bestätigt. In Abs. 2 Satz 1 ist den Trägern des SGB II ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) eingeräumt worden, wenn die Einigungsstelle entschieden hat, dass kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestand. Da nach § 44 a Abs. 2 Satz 2 SGB II als Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Vorliegen seiner Leistungspflicht im Sinne des § 103 Abs. 3 SGB X der Tag des Widerspruchs des Sozialhilfeträgers gegen die Feststellung der Agentur für Arbeit gilt, ergibt sich daraus, dass nach Ansicht des Gesetzgebers bis zu diesem Zeitpunkt die Träger des SGB II materiell zur Leistung verpflichtet sind. Mit dieser gesetzlichen Zuständigkeitsabgrenzung wäre kaum vereinbar, im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V anzunehmen, Alg II, zu dessen Gewährung der Träger des SGB II nach den obigen Ausführungen verpflichtet war, sei "zu Unrecht" bezogen worden, mögen auch tatsächlich mangels Erwerbsfähigkeit die materiellen Leistungsvoraussetzungen nicht vorgelegen haben.
Auch die weitere Änderung des § 44 a SGB II durch das Gesetz vom 20.07.2006 (a.a.O.) spricht dagegen, dass die Krankenkassen eigenständig die Erwerbsfähigkeit als Leistungsvoraussetzung überprüfen dürfen. Sie haben nunmehr nach § 44 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II ebenfalls die Möglichkeit, der Feststellung der Erwerbsfähigkeit durch die Agentur für Arbeit zu widersprechen und eine Entscheidung der Gemeinsamen Einigungsstelle (§ 45 SGB II) herbeizuführen. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung berücksichtigt, dass von den finanziellen Folgen eines rechtswidrigen Bezugs von Alg II aufgrund fehlender Erwerbsfähigkeit auch die Krankenkassen betroffen sind (BT-Drucksache 16/1410, 27). Die Krankenkassen sind aber nur in das Einigungsstellenverfahren einbezogen, so dass diese abschließend für alle Beteiligte über die Erwerbsfähigkeit entscheidet. Mit dieser verfahrensrechtlichen Lösung wäre ein eigenes materielles Prüfungsrecht der Krankenkassen im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V nicht vereinbar.
Für eine Bindung der Krankenkassen an die Entscheidung des Trägers nach dem SGB II (bzw. der Einigungsstelle) spricht schließlich noch, dass damit bei der Entscheidung über die freiwillige Versicherung Auseinandersetzungen über die Richtigkeit der Entscheidungen des Leistungsträgers des SGB II vermieden werden (vgl. insoweit BSG SozR 3-2200 § 183 Nr. 6). Es wäre für die Betroffenen unzumutbar, wenn über längere Zeit der Krankenversicherungsschutz ungeklärt bliebe.
Somit ist im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V unbeschadet der Regelung des letzten Halbsatzes so lange davon auszugehen, dass die Leistungen nicht "zu Unrecht" bezogen worden sind, als der Arbeitssuchende auf der Grundlage einer Bewilligung des zuständigen Trägers Alg II erhalten hat und damit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V versichert war. "Zu Unrecht bezogen" im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 letzter Halbsatz SGB V hat ein Versicherter Alg II somit nur dann, wenn die Bewilligung zurückgenommen (§ 45 Abs. 1 SGB X) oder aufgehoben (§ 48 Abs. 1 SGB X) worden ist. Der förmlichen Beseitigung der Leistungsbewilligung steht die Entstehung eines Erstattungsanspruchs gemäß § 44 a Abs. 2 SGB II gleich. Da bei Bestehen eines Erstattungsanspruchs gemäß § 107 SGB X die Leistung des unzuständigen Trägers als Leistung des zuständigen Trägers gilt, steht diese Erfüllungsfiktion einem Rückgriff bei dem Leistungsempfängern nach § 45, 48, 50 SGB X entgegen (vgl. von Wulffen in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl., § 107 RdNr. 2 mit Nachweisen der Rechtsprechung). In diesem Fall kommt die Aufhebung der Bewilligung durch den Träger des SGB II gegenüber dem Leistungsempfänger nicht mehr in Betracht. Gleichwohl steht auch in diesem Fall fest, dass der Leistungsbezug nach dem SGB II "zu Unrecht" erfolgt ist, so dass ebenso wie bei einer förmlichen Aufhebung der Bewilligung für die Beurteilung der Vorversicherungszeit von einer rechtswidrigen Leistungsgewährung ausgegangen werden kann.
An dieser Auffassung hält der Senat fest.
Nach dem Vorstehenden ist somit die Vorversicherungszeit erfüllt, da die Klägerin 14 Monate wegen des Bezugs von Alg II pflichtversichert war. Die Bewilligung ist erst mit Wirkung vom 01.03.2006 aufgehoben worden, der Beigeladene zu 2) hat insoweit auch keinen Erstattungsanspruch gegenüber der Beigeladenen zu 1) geltend gemacht. Somit ist die gesamte Zeit der durch den Leistungsbezug begründeten Mitgliedschaft zu berücksichtigen. Der Kläger ist damit zum 01.03.2006 freiwilliges Mitglied der Beklagten geworden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat dem Rechtsstreit auch im Hinblick auf die nach Angaben der Beteiligten zahlreichenden ruhenden Verfahren zur gleichen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) beigemessen und daher die Revision zugelassen.
Erstellt am: 04.03.2008
Zuletzt verändert am: 04.03.2008