Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 14.12.2007 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.10.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.11.2007 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
Die Antragstellerin ist Mutter von sechs Kindern. Sie ist rechtskräftig geschieden und lebt mit fünf ihrer Kinder zusammen in einer Wohnung. Die Antragsgegnerin gewährte ihnen Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) einschließlich eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende zuletzt für den Zeitraum 01.10.2007 bis 31.03.2008 (Änderungsbescheid vom 06.09.2007). Nachdem die Antragsgegnerin aufgrund einer anonymen Anzeige ermittelt hatte, dass zwischen der Antragstellerin und Frau K (K.) eine Beziehung besteht, hob sie die Bewilligung des Mehrbedarfs ab Dezember 2007 auf (Bescheid vom 24.10.2007, Widerspruchsbescheid vom 26.11.2007).
Die Antragstellerin hat dagegen Klage erhoben und am 29.11.2007 beim Sozialgericht (SG Aachen) um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 14.12.2007 abgelehnt, weil die Rechtslage derzeit offen und es der Antragstellerin und ihren Kindern im Hinblick auf die im Übrigen gewährten Grundsicherungsleistungen zuzumuten sei, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Die dagegen gerichtete Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 21.01.2008), ist zulässig und begründet.
Das SG hat zutreffend erkannt, dass das einstweilige Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu beurteilen ist, weil die Antragsgegnerin durch den angefochtenen Bescheid die Leistungsbewilligung teilweise aufgehoben hat. Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt hier gemäß § 39 Nr. 1 SGB II, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung haben. Ob diese Norm auch rückwirkende Aufhebungs-/ Rücknahmebescheide und Erstattungsforderungen erfasst (so die bisherige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschl. v. 31.03.2006 – L 19 B 15/06 AS ER -; a. A. jetzt LSG NRW Beschl. v. 25.02.2008 – L 7 B 339/07 AS ER- und Beschl. v. 29.11.2007 – L 9 B 101/07 AS ER) kann dahinstehen, weil die Antragsgegnerin nur eine Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft getroffen hat.
Die aufschiebende Wirkung der Klage ist jedoch anzuordnen, weil mehr gegen als für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides spricht, so dass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt.
Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides beurteilt sich nach § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. §§ 45 Abs. 1 SGB X, 330 Abs. 2 SGB III. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf, soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin, die ihre (Widerspruchs-) Entscheidung auf § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X – Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse – gestützt hat, sind hier keine Anhaltspunkte für eine Änderung der Verhältnisse nach der letzten Leistungsbeiwilligung vom 06.09.2007, die die Antragsgegnerin abgeändert hat, ersichtlich. Die Beziehung zwischen der Antragstellerin und K. bestand, was der Antragsgegnerin bekannt war, bereits zuvor. Dafür, dass sich der Umfang der Betreuung der Kinder der Antragstellerin durch K. erst nach der letzten Bewilligung maßgeblich erhöht haben könnte, findet sich im Bericht des Außendienstes der Antragsgegnerin vom 22.10.2007 nichts und ist angesichts der seit sechs Jahren bestehenden Beziehung zwischen der Antragstellerin und K. auch nicht wahrscheinlich.
Eine Umdeutung (§ 43 SGB X) der Aufhebungsentscheidung nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X in eine Rücknahme nach § 45 Abs. 1 SGB X kommt aber nur in Betracht, wenn letztere ebenfalls als gebundene Entscheidung zu ergehen hätte (vgl. BSG SozR 1300 § 43 Nr. 1). Anders als § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X stellt § 45 Abs. 1 SGB X die Entscheidung über die Leistungsrücknahme jedoch grundsätzlich in das Ermessen der Behörde (vgl. BSG SozR 3 – 1300 § 45 Nr. 11 S. 40 m.w.N.). Eine Ausnahme gilt gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III nur, soweit die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also der Leistungsempfänger die unrechtmäßige Leistungszuerkennung durch schuldhaftes Verhalten herbeigeführt hat oder in zurechenbarer Weise die Rechtswidrigkeit der Bewilligung erkennen musste. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, haben weder die Antragsgegnerin, die für die Voraussetzungen der Rücknahmeentscheidung beweispflichtig ist, noch das SG geprüft. Sie erscheinen angesichts der weder abschließend geklärten Beziehungen zwischen der Antragstellerin und K. wie auch der nicht einfach zu verstehenden Regelung über den Mehrbedarf für Alleinerziehende in § 21 Abs. 3 SGB II fraglich.
Unabhängig davon spricht derzeit aber auch mehr für als gegen den Anspruch der Antragstellerin, so dass sich schon die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung nicht feststellen lässt.
Einen Mehrbedarf erkennt § 21 Abs. 3 SGB II für Personen an, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammen leben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen. Diese Bestimmung knüpft, wie das SG zu Recht dargelegt hat, an die entsprechende Mehrbedarfsregelung im früheren Sozialhilferecht an (vgl. BT-Drucks. 15/ 1516 S. 57). Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entfiel der Status des Alleinerziehenden aber nur, wenn ein anderer Erwachsener gleichberechtigt und unentgeltlich an der Bedarfsdeckung des Kindes in erheblichem Maße mitwirkt bzw. wenn der hilfesuchende Elternteil von einer anderen Person so nachhaltig unterstützt wird, wie es sonst der andere Elternteil zu tun pflegt (OVG NW Urt. v. 25.08.1998 – 24 A 6169/96 -; OVG Lüneburg Beschl. v. 22.07.1988 – 4 B 227/88 – = FEVS 38, 209; ebenso LSG Hamburg Beschl. v. 26.09.2005 – L 5 B 196/05 ER AS). Im Zweifelsfall ist insoweit auf die erzieherische Verantwortung abzustellen (Behrend in jurisPK – SGB II, 2. Aufl., § 21 Rn 27). Eine solche Unterstützung der Antragstellerin durch K. ist jedoch nicht belegt. Sie selbst hat eine entsprechende Verantwortung mit der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgelegten "eidesstattlichen Versicherung" verneint. Angesichts des Umstandes, dass K. eine eigene Wohnung hat und sich tagsüber nur zeitweise in der Wohnung der Antragstellerin aufhält, sind die Lebensumstände auch nicht derart, dass sie auf einen Betreuungsumfang seitens K. hinweisen, der üblicherweise von einem Elternteil geleistet wird (vgl. dazu Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl.,§ 21 Rn 30).
Spricht damit deutlich mehr für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, kann das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin auch nicht im Hinblick auf die ansonsten von der Antragsgegnerin gewährten Leistungen verneint werden. Durch den Mehrbedarf soll der höhere Aufwand der Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege / Erziehung der Kinder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Aufwendungen für Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter ausgeglichen werden (Lang/Knickrehm a.a.O. Rn. 26 m.w.N.). Er ist damit wesentlicher Bestandteil der Grundsicherungsleistungen, dessen (zeitweiser) Verzicht dem Leistungsempfänger nicht zugemutet werden kann, wenn nach der bestehenden Rechtslage ein Anspruch überwiegend wahrscheinlich ist.
Der Beschwerde ist daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 02.04.2008
Zuletzt verändert am: 02.04.2008