Auf die Beschwerde der Klägerin vom 19.03./20.03.2008 wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 25.02.2008 geändert. Die der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites trägt die Beklagte. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte (d. Bekl.) die außergerichtlichen Kosten eines inzwischen erledigten Klageverfahrens wegen Untätigkeit (§ 88 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -) zu tragen hat. Im Hauptsacheverfahren begehrte die Klägerin (d. Kl.) die Gewährung einer stationären Vorsorgemaßnahme in Form einer Mutter-Kind-Kur (§ 24 Abs. 1 und 2, § 23 Abs. 5 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs – SGB V -).
Die bei d. Bekl. versicherte, 1977 geborene, verheiratete Kl. beantragte am 21.05.2007 für sich und ihre 2003 sowie 2006 geborenen Kinder T und E-F, ihnen eine gemeinsame Mutter-Kind-Kur als Vorsorgeleistung zu bewilligen; sie bezog sich dabei auf die von den Ärzten U/F, X-F und R sowie der B-Klinik, T, des Krankenhauses Q und des Kinderkrankenhauses L ausgestellten Berichte und Stellungnahmen. Die Ärzte hatten d. Kl. psychosomatische Beschwerden, Unruhe und Erschöpfung und ihren Kindern z.T. erhebliche Atemwegsinfekte (Sohn E ) und psychische Störungen (Tochter T) bescheinigt. Den Antrag lehnte d. Bekl. durch Bescheid vom 22.08.2007 ab und bezog sich dabei auf eine ärztliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 25.07.2007, wonach im Wesentlichen erst die wohnortnahen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden müssten.
Mit ihrem Widerspruch vom 24.09.2007 kündigte d. Kl. eine Begründung in den nächsten Tagen an und reichte diese unter Vorlage weiterer medizinischer und sozialpsychologischer Unterlagen am 22./25.10.2007 bei d. Bekl. ein. Diese leitete den Vorgang am 05.11.2007 dem MDK zur erneuten Prüfung zu. Dr. N erstellte dazu am 19./22.11.2007 ein ergänzendes Gutachten, mit welchem er die bisherige Auffassung des MDK bestätigte: Es bestünden keine psychosozialen Faktoren, die eine Mutter-Kind-Kur zwingend indiziert erscheinen ließen. Eine nur vorübergehende Herausnahme aus dem familiären Umfeld sei nicht geeignet, an der Gesamtsituation etwas zu ändern, zumal der arbeitslose Ehemann d. Kl. zu Hause unterstützen könne. Am 29.11.2007 teilte d. Bekl. d. Kl. mit, sie habe die Sache an die Widerspruchsstelle abgegeben; sie sei bemüht, den Widerspruch innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten zu bescheiden. Per e-mail wandte sich am 17.12.2007 die Familienhelferin C vom Familienhilfedienst "fips" e.V. an d. Bekl. und wies darauf hin, dass d. Kl. sich am Ende ihrer Kräfte befinde. Bereits vor drei Wochen sei ihr fernmündlich von d. Bekl. mitgeteilt worden, dass "der Antrag abgelehnt wurde". Sie bat um eine "baldige" Antwort. Eine Reaktion d. Bekl. erfolgte nicht.
Daraufhin hat Kl. am 11.01.2008 – anwaltlich vertreten – beim Sozialgericht (SG) Köln Untätigkeitsklage erhoben und geltend gemacht, mangels Reaktion auf die Mahnung vom 17.12.2007 sei nunmehr Klage geboten. Nach Erteilung eines (den Anspruch ablehnenden) Widerspruchsbescheides vom 05.02.2008 hat d. Kl. das Untätigkeitsverfahren am 15.02.2008 für erledigt erklärt und beantragt,
d. Bekl. die außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens aufzuerlegen.
D. Bekl. ist dem Kostenantrag d. Kl. entgegengetreten und hat im Wesentlichen herausgestellt, wegen der Weihnachtsfeiertage und des Jahreswechsels habe sich die Erteilung des Widerspruchsbescheides verzögert. Auch habe d. Kl. (im Oktober 2007) Unterlagen nachgereicht, die dem MDK erst verspätet hätten zugeleitet werden können.
Das SG hat mit Beschluss vom 25.02.2008 entschieden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien, weil d. Bekl. erst ab dem 25.10.2007 in der Lage gewesen sei, das Prüfungsverfahren nach Vorlage der ergänzend von d. Kl. eingereichten Unterlagen einzuleiten. Der Beschwerde d. Kl. vom 19.03.2008, beim SG eingegangen am 20.03.2008, hat es nicht abgeholfen (Beschluss vom 26.03.2008).
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Der durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) vom 26.03.2008 (Bundesgesetzblatt -BGBl.- I, 444) verfügte Ausschluss der Beschwerde bei Kostengrundentscheidungen (§ 172 Abs. 3 SGG neue Fassung (n.F.)) berührt die Zulässigkeit der bereits am 20.03.2008 erhobene Beschwerde nicht. Denn das neue Recht ist erst auf Beschwerden anwendbar, die nach dem 31.03.2008 mit Inkrafttreten des Gesetzes eingegangen sind (vgl. Art. 8 des Gesetzes vom 26.03.2008).
2. Die Beschwerde ist begründet. Nach § 193 Abs. 1 S. 3 SGG entscheidet das Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders als durch Urteil endet. Die Entscheidung ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts. Im Regelfall ist es angemessen, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt. Jedoch darf nicht nur auf das Ergebnis des Rechtsstreites abgestellt werden, auch ist das Veranlassungsprinzip zu beachten (etwa bei unrichtiger Beratung, falscher oder fehlerhafter Begründung durch den Leistungsträger, fehlende Zwischennachrichten des Trägers; vgl. dazu insbesondere Meyer-Ladewig/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, 2005, § 193 Randnummer (RNr.) 13c).
Ist über einen Widerspruch in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden worden, so ist eine Untätigkeitsklage zulässig, jedoch nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Zeitpunkt, zu dem der Widerspruch eingelegt worden ist, § 88 SGG. Die genannte Mindestfrist war bereits am 24.12.2007 abgelaufen, weil d. Kl. ihren Widerspruch schon am 24.09.2007 schriftlich eingereicht hatte. Zwar hat das SG zutreffender Weise darauf abgestellt, dass d. Kl. zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt von vornherein mit einer Entscheidung hätte rechnen müssen, da sie ihrerseits maßgebliche medizinische Unterlagen erst verspätet am 22. und 25. Oktober 2007 eingereicht hat. Dennoch hat d. Bekl. über den Widerspruch nicht in angemessener Zeit entschieden. Bei der Bewertung, ob d. Bekl. über den Widerspruch in angemessener Zeit entschieden hat, ist nicht von einer starren Verlängerung der Bearbeitungsfristen auszugehen, wenn etwa Unterlagen zur Begründung des Widerspruchs nachgereicht werden. Denn die Dreimonatsfrist des § 88 Abs. 2 SGG erfasst auch, dass es zu Verzögerungen des Verfahrens durch das Verhalten der Versicherten kommen kann. Wesentlich für die Ermessensentscheidung nach § 193 SGG ist in solchen Fällen, ob die Widerspruchsführerin die Gründe für die Verzögerung kannte oder kennen musste und deshalb nicht mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (vgl. dazu etwa eingehend Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 05.03.2007 – Aktenzeichen (Az.): L 17 B 26/06 U – in: www.sozialgerichtsbarkeit.de und juris.de). Hierbei ist im vorliegenden Falle besonders zu berücksichtigen, dass der Bekl. die abschließende medizinische Stellungnahme des MDK bereits Ende November 2007 vorgelegen und sie d. Kl. weder unmittelbar nach dem 17.12.2007 noch direkt nach Jahresbeginn darüber informiert hat, weshalb es zu der abermaligen Entscheidungsverzögerung gekommen ist. Gerade in Fällen der Bewilligung von Heilverfahren ist es von besonderer Bedeutung (verstärkt bei der Bewilligung von Mutter-Kind-Kuren, Grundsatz des Art. 6 des Grundgesetzes (GG) – Schutz von Ehe und Familie -) möglichst rasch zu einer abschließenden Sachentscheidung zu kommen und die besondere Eilbedürftigkeit auch im Verfahrensgang deutlich zu machen. Dazu hätte es im vorliegenden Falle gehört, d. Kl. kurzfristig und ohne größere Formalitäten, ggf. telefonisch über den Familienhilfedienst, eine Gewissheit zukommen zu lassen, dass ihr seit Mai 2007 bekanntes, dringliches Anliegen nicht weiter verzögert werde (zur Bedeutung einer Zwischennachricht bei drohendem Ablauf der Sperrfrist des § 88 SGG: siehe Meyer-Ladewig/Leitherer, a.a.O., § 88 RNr. 7a; § 193 RNr. 13c; LSG NRW, Beschluss vom 05.03.2007, a.a.O.; auch LSG NRW, Beschluss vom 27.12.2004, Az.: L 4 B 10/04; LSG Hamburg, Urteil vom 18.02.2004, Az: L 1 KR 71/03; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.09.2003, Az.: L11 KR 2720/03 AK-B; LSG Nieder-sachsen-Bremen, Beschluss vom 14.06.2002, Az.: L 6 B 226/02 U, alle in www.sozialgerichtsbarkeit.de). Dies hätte auch schon deshalb nahe gelegen, weil es seit der im Mai 2007 erfolgten Antragstellung immer wieder zu (wenn auch kleineren) Lücken in der Antragsbearbeitung gekommen ist. Auch der Umstand, dass in der Zeit vor und nach Weihnachten/nach dem Jahreswechsel die Widerspruchsausschüsse nicht oder nur mit Verzögerung tagen, hätte d. Kl. kurz und nachvollziehbar mit der Zusage eines schnellen Entscheidungstermins noch für Januar 2008 mitgeteilt werden können.
Da d. Bekl. weder zum Ablauf der Sperrfrist des § 88 SGG (24.12.2007) eine Zwischenmitteilung über den Verfahrensstand noch durch ihre Widerspruchsstelle bereits Anfang Januar 2008 zügig entschieden hatte noch ihre Entscheidung zu diesem Zeitpunkt zumindest in Aussicht gestellt hat, muss dieses Verhalten dem Leistungsträger als unangemessen angerechnet und bei der Ermessensentscheidung nach § 193 SGG berücksichtigt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und trägt dem Gedanken Rechnung, dass das Beschwerdeverfahren für d. Kl. kostenaus-lösend im Sinne des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG; vgl. im Einzelnen etwa § 18 Nr. 5 sowie Nr. 3501 des Vergütungsverzeichnisses) ist (vgl. ausführlich LSG NRW, Beschluss vom 05.08.2007, Az.: L 20 B 132/07 AS, sowie ihm folgend LSG NRW, Az.: L 5 B 95/07 KR, beide in: www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Erstellt am: 29.05.2008
Zuletzt verändert am: 29.05.2008