Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 13.06.2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (ASt’in) begehrt im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Versorgung mit dem Immunglobulin Octagam®, einer Lösung zur intravenösen Infusion, über den Zulassungsbereich hinaus im sog. "off-label-use".
Die 1954 geborene ASt’in, die bei der Antragsgegnerin (AG’in) gegen Krankheit versichert ist, leidet seit mindestens 1994 an der Erkrankung "Multiple Sklerose" (MS), wobei nach Angaben des behandelnden Arztes nicht feststeht, ob es sich dabei um eine primär chronisch progrediente oder eine sekundär chronisch progrediente Form bei primär nur kurzem schubförmig remittierendem Verlauf handelt. Seit 1995 behandelte die Fachärztin für Neurologie Dr. L die Erkrankung zulassungsüberschreitend durch die intravenöse Gabe von humanen Immunglobulinen in Form von Octagam®; die Zulassung dieses Arzneimittels beschränkt sich auf folgende Indikationen: Substitutionstherapie bei primären Immunmangelkrankheiten, Myelom oder chronischer lymphatischer Leukämie mit schwerer sekundärer Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden Infekten, auf die Behandlung von Kindern mit angeborenem AIDS und rezidivierenden Infekten sowie auf die Immunmodulation: idiopathische thrombozytopenische Purpura bei Kindern oder Erwachsenen mit hohem Blutungsrisiko oder vor einer Operation zur Korrektur der Thrombozytenzahl; Guillain-Barré-Syndrom; Kawasaki-Syndrom; allogene Knochenmarkstransplantation (nach Rote Liste 2008).
Wie dem Senat bereits aus einem Parallelverfahren (Beschluss vom 22.01.2008, Az.: L 16 B 102/07 KR ER, www.sozialgerichtsbarkeit.de) bekannt ist, wurde die die ASt’in behandelnde Ärztin für Neurologie Dr. L mit Entscheidung des Prüfungsausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 15.11.2000 über die Verordnungsweise (Arznei) wegen der ungenehmigten zulassungsüberschreitenden Behandlung von MS-Patienten mit Immunglobulinen zu Lasten gesetzlicher Krankenkassen für die Quartale I bis III/1998 zunächst in Regress genommen. Mit bestandskräftig gewordenem Beschluss des Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 12.12.2001 wurde diese belastende Entscheidung jedoch aufgehoben. In der Begründung dieses Beschlusses wurde ausgeführt: "Mit der Aufhebung der Regresse verbunden wurde die Forderung, dass ab dem Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Beschwerdeausschuss neue Patienten, die sich einer Therapie mit Immunglobulin unterziehen wollen, zunächst einen speziellen Antrag bei ihrer Krankenkasse stellen müssen. Die Ärztin muss die Therapie entsprechend begründen. Dies bedeutet auch, dass Patienten, bei denen diese Therapie bereits begonnen wurde, weiter mit Immunglobulin behandelt werden dürfen."
Die behandelnde Neurologin verordnete der ASt’in infolgedessen weiter fortlaufend intravenöse Immunglobuline und die AG’in trug die Kosten. Am 15.12.2006 beantragte eine gesetzliche Krankenkasse erneut die Prüfung der Verordnungsweise von Dr. L. Nach Überprüfung machte der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen im Juni 2007 dieser gegenüber Regressforderungen in Höhe von 80.000,00 Euro geltend. Der Praxisnachfolger von Dr. L, der Facharzt für Nervenheilkunde M aus T, der die Behandlung der ASt’in zunächst unverändert weitergeführt hatte, sah sich daraufhin veranlasst, am 07.02.2008 einen förmlichen Antrag auf Genehmigung der Weiterbehandlung der ASt’in im sog. "off-label-use" mit Octagam® zu stellen. Zur Begründung verwies er darauf, dass sich der EDSS (Expanded disability Status scale) -Score der von 1 bis 10 reichenden sog. erweiterten Kurtzke-Skala, an der das Ausmaß von Funktionsstörungen bei MS-Patienten gemessen wird, seit dem Jahr 1995 von 3,5 ("voll gehfähig, aber mit mäßiger Behinderung in einem funktionellen System und ein oder zwei funktionellen Systemen Grad 2 oder zwei funktionellen Systemen Grad 3 oder fünf funktionellen Systemen Grad 2") auf aktuell 5,5 ("gehfähig ohne Hilfe und Rast für etwa 100 m. Behinderung schwer genug, um normale tägliche Aktivitäten unmöglich zu machen") verschlechtert habe. Im Ergebnis liege aber dennoch eine erfolgreiche Behandlung mittels Octagam® vor. Bei den reglmäßigen kernspintomographischen Kontrollen sei bei der ASt’in keine Zunahme der Atrophie oder der Beherdung feststellbar gewesen. Eine Unterbrechung der Therapie sei weder medizinisch noch ethisch oder juristisch vertretbar. Hinsichtlich der Anwendung von Immunglobulinen gebe es ausreichende Erkenntnisse, die aus seiner Sicht sogar einen Zulassungsantrag zur Behandlung von MS rechtfertigen würden.
In seiner von der AG’in angeforderten, im Ergebnis für die ASt’in negativen Stellungnahme vom 19.02.2008 verwies der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Westfalen-Lippe darauf, dass Octagam® arzneimittelrechtlich nicht zur Behandlung von MS zugelassen sei. Es gebe alternative Arzneimittel, wie Ralenova® und das Interferon Betaferon®, die für das bei der ASt’in vorliegende Krankheitsbild über eine Zulassung verfügten und auf die die ASt’in verweisbar sei. Damit lägen die Voraussetzungen für einen "off-label-use" von Octagam® nicht vor. Im Übrigen seien Immunglobuline nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie auch nur als Behandlungsalternative bei schubförmiger MS empfohlen, nicht aber bei der chronisch progredienten Form, die bei der ASt’in diagnostiziert worden sei. Es handele sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der MS auch nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung, die eine die Zulassung überschreitende Verordnung des Arzneimittels rechtfertigen könne. Gestützt auf diese Begründung lehnte die AG’in gegenüber der ASt’in den Antrag auf Kostenübernahme mit Bescheid vom 26.02.2008 ab.
Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch vom 12.03.2008 machte die ASt’in geltend, durch die Immunglobulintherapie habe sich ihr Zustand innerhalb der letzten Jahre bis zu einem Stillstand der Krankheit gebessert. Seit dem Absetzen der Immunglobuline sei es zu erneuten Schüben gekommen, die gegenwärtig, jedoch aus ihrer Sicht ohne nennenswerten Erfolg, mit Cortison behandelt würden. In seiner erneuten medizinischen Stellungnahme vom 08.04.2008 verblieb der MDK bei seiner Auffassung. Unter Octagam® sei es bei der ASt’in gerade nicht zu einer Besserung des Zustandsbildes gekommen. Mit Avonex®, Imurek®, Copaxone® und Tysabri® sei in den letzten Jahren eine Vielzahl von Arzneimitteln für die Behandlung von MS zugelassen worden, deren Wirksamkeit die ASt’in sämtlich nicht erprobt habe.
Zur Begründung ihres am 29.05.2008 bei dem Sozialgericht (SG) Dortmund gestellten Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die ASt’in ergänzend geltend gemacht, ihr sei nicht zumutbar, die bewährte, gut verträgliche Therapie mit Octagam® abzubrechen. Ihr drohten ansonsten irreversible gesundheitliche Schäden. Es sei allgemein bekannt, dass die Therapeutika zur Behandlung von MS nicht beliebig austauschbar und mit unter Umständen tödlich verlaufenden Nebenwirkungen sowie Unverträglichkeiten bei der Umstellung verbunden seien. Außerdem sei völlig offen, ob die in den letzten Jahren zugelassenen Arzneimittel in ihrem Fall überhaupt positive Wirkungen zeigen würden. Dagegen habe sich die Immunglobulin-Behandlung als erfolgreich erwiesen. Sie sei zudem kostengünstiger als die vom MDK benannten Therapien. Der Anspruch rechtfertige sich aber zumindest unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Das BSG habe eine Lebensbedrohlichkeit bisher lediglich bei MS in sekundär-progredienter Verlaufsform verneint (Urt. vom 27.03.2007, Urteilssammlung für die gesetzliche Krankenversicherung -USK- 2007-25). Das BSG verkürze den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingeführten Begriff der Lebensbedrohlichkeit (vgl. Beschl. vom 06.12.2005, Sozialrecht -SozR- 4-2500 § 27 Nr. 5) zu Unrecht auf Fälle, in denen der Versicherte dem Tod quasi "ins Auge sehe". Auch die übrigen Voraussetzungen für einen Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG lägen vor. Aufgrund der jahrelangen erfolgreichen Behandlung bestehe eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Erfolg der Behandlung mit Octagam®. Zudem sei ihr das Immunglobulin aus Vertrauensschutzerwägungen zu gewähren, denn sie habe es bereits zu einer Zeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten, als selbst das BSG noch auf das Erfordernis einer Zulassung für die konkrete Indikation verzichtet habe. Sie könne und dürfe darauf vertrauen, dass sie in der Zukunft weiterhin mit Immunglobulinen behandelt werde, dies auch wegen der o. g. Entscheidung des Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 12.12.2001 gegenüber Dr. L. Eine Umstellung der Medikation sei ihr wegen einer Verletzung ihres Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) nicht zumutbar. Darüber hinaus sei ihr Recht auf freie Selbstbestimmung betroffen. Es könne für die Frage der Zulässigkeit des "off-label-uses" von Verfassungs wegen nur auf den Zeitpunkt des Therapiebeginns im Jahre 1995 abgestellt werden; später zugelassene Medikamente seien nicht einzubeziehen.
Die ASt’in hat schriftsätzlich beantragt,
die AG’in bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Leistungspflicht in einem Hauptsacheverfahren zu verpflichten, vorläufig die Kosten für ihre Behandlung mit dem Arzneimittel Octagam® zu tragen.
Die AG’in hat schriftsätzlich beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass es bereits an einem Anordnungsanspruch fehle. Die Voraussetzungen für einen "off-label-use" lägen nicht vor. Weder sei MS – unabhängig von der Verlaufsform – eine lebensbedrohliche, noch eine tödlich verlaufende Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung. Es stünden auch in ausreichendem Umfange alternative Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die bisher nicht ausgeschöpft worden seien. Erkenntnisse, dass die neuen Medikamente keine Wirkung zeigen würden, habe die ASt’in mangels Durchführung eines Behandlungsversuchs nicht. Die arzneimittelrechtliche Zulassung impliziere zudem die Wirksamkeit und Verträglichkeit, diene damit auch dem Patientenschutz. Aus einer rechtswidrigen Gewährung der Immunglobuline in der Vergangenheit könne die ASt’in keinen Vertrauensschutz für die Zukunft herleiten. Vielmehr sei jeder neue Antrag auf der Grundlage der jeweils aktuellen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung zu bewerten.
Mit Beschluss vom 13.06.2008 hat das SG Dortmund den Antrag der ASt’in auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es fehle sowohl an einem Anordnungsanspruch als auch an einem Anordnungsgrund. Der Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Medikamenten sei im Grundsatz auf Arzneimittel beschränkt, die zugelassen seien und im Rahmen ihrer zulassungsbezogenen Indikation zur Anwendung gelangen sollten. Fehle es an einer arzneimittelrechtlichen Zulassung für die streitgegenständliche Indikation – wie hier -, komme eine Verordnung zugunsten der Versicherten und zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen in der Regel nicht in Betracht. Es liege auch kein Fall eines zulässigen "off-label-uses" vor. Es fehle bereits an der Voraussetzung, dass für die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung, wie der MS, keine andere Therapie zur Verfügung stehe. Der MDK habe auf die in jüngerer Zeit für die Behandlung von MS zugelassenen Arzneimittel verwiesen. Auf Grund der Zulassung könne auch deren Wirksamkeit vermutet werden; denn gemäß § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Arzneimittelgesetz (AMG) dürfe ein Arzneimittel nur zugelassen werden, wenn u. a. eine therapeutische Wirksamkeit durch entsprechende Unterlagen nachgewiesen worden sei. Gemäß § 22 Abs. 1 u. 2 AMG habe der Hersteller insoweit umfangreiche Dokumente beizubringen. Mit der pauschalen Behauptung, dass sämtliche zugelassenen Mittel bei ihr keine Behandlungserfolge erzielen würden, könne die ASt’in daher nicht durchdringen. Auch aus den Leitlinien der Gesellschaft für Neurologie ergäben sich vorrangig Behandlungsempfehlungen für die einschlägig zugelassenen Arzneimittel. Für den Einsatz von Immunglobulinen bei Vorliegen einer sekundär progredienten MS bestehe sogar eine Kontraindikation. Damit aber lägen unabhängig davon, ob die bei der ASt’in diagnostizierte Verlaufsform von MS eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darstelle, die weiteren Voraussetzungen für einen "off-label-use" nicht vor. Es stünden in Form der vom MDK aufgelisteten, für die Behandlung von MS zugelassenen Arzneimittel gerade allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethoden zur Verfügung, auf die die ASt’in verweisbar sei. Die ASt’in könne sich auch nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutzerwägungen berufen. Spätestens seit dem Jahre 2002 habe sich die Rechtsprechung zum "off-label-use" grundlegend geändert. Der ASt’in habe bewusst sein müssen, dass sie Immunglobuline zu Unrecht erhalte und sich dies auf eine zukünftige Gewährung auswirken könne. Entscheidungen des Prüfungs- bzw. Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen richteten sich gegen die betroffenen Ärzte; Patienten könnten den gesetzlichen Krankenkassen gegenüber daraus keine Ansprüche herleiten. Zudem habe die ASt’in das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht. Ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei ihr zumutbar, weil andere zugelassene Behandlungsoptionen bestünden, von denen sie bislang keinen Gebrauch gemacht habe.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 18.06.2008 zugestellten Beschluss hat die ASt’in am 18.07.2008 Beschwerde erhoben. Zur Begründung nimmt sie auf ihren bisherigen Vortrag Bezug und hebt hervor, dass ihren Grundrechten auf Gesundheit und Leben höchste Wertigkeit zugebilligt werden müsse. Im Hinblick auf die in der Rechtsprechung des BSG im letzten Jahrzehnt eingetretenen Änderungen könne dem Hauptsacheverfahren nicht von vornherein jeder Erfolg abgesprochen werden. Dann aber müsse ihr, der ASt’in, in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren die begehrte Leistung vorläufig zugestanden werden.
Die ASt’in beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des SG Dortmund vom 13.06.2008 zu ändern und die AG’in bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Leistungspflicht in einem Hauptsacheverfahren zu verpflichten, vorläufig die Kosten für ihre Behandlung mit dem Arzneimittel Octagam® zu tragen.
Die AG’in beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde der ASt’in zurückzuweisen.
Sie erachtet den angefochtenen Beschluss als rechtmäßig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2008 hat die AG’in den Widerspruch der ASt’in gegen den ablehnenden Bescheid vom 26.02.2008 zurückgewiesen. Bei dem SG Dortmund ist ein Hauptsacheverfahren anhängig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- sowie der Verwaltungsakte der AG’in Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde der ASt’in ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht mit Beschluss vom 13.06.2008 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der angefochtene Bescheid der AG’in vom 26.02.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2008 ist rechtmäßig. Der ASt’in steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erfolgen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind insoweit glaubhaft zu machen, vgl. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Das einstweilige Rechtsschutzverfahren dient vorläufigen Regelungen. Nur wenn dies zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den ASt. unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, weil dem Rechtsschutzsuchenden ein bestimmter Anspruch zusteht (vgl. Bundesverwaltungsgericht -BverwG-, Beschl. vom 13.08.1999, Az.: 2 VR 1/99, www.juris.de; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b RdNr. 31 m. w. N.), ist ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache, wie sie hier von der ASt’in begehrt wird, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zulässig (vgl. BVerwG, Beschl. vom 13.08.1999, a. a. O.; Meyer-Ladewig, a. a. O.; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. Beschlüsse vom 16.10.2002, Az.: L 16 KR 219/02 ER; vom 13.05.2004, Az.: L 16 B 20/04 KR ER; vom 29.11.2005, Az.: L 16 B 90/05 KR ER; vom 06.04.2006, Az.: L 16 B 3/06 KR ER; vom 11.07.2006, Az.: L 16 B 43/06 KR ER; vom 22.08.2007, Az.: L 16 B 19/07 KR ER, vom 22.01.2008, Az.: L 16 B 102/07 KR ER, vom 07.02.2008, Az.: L 16 B 123/07 KR ER, Beschl. vom 17.06.2008, Az.: L 16 B 23/08 KR ER, www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Das SG hat zu Recht die Auffassung vertreten, es sei bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der Ausgang eines Hauptsacheverfahrens ist derzeit nicht einmal als offen zu bewerten. Zur Begründung bezieht sich der Senat entsprechend § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden erstinstanzlichen Entscheidungsgründe, denen er sich nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage vollinhaltlich anschließt. Das SG hat im Ergebnis und in der Begründung zutreffend und erschöpfend dargelegt, dass der geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Dass sich die vom SG zugrunde gelegte Sachlage geändert haben könnte, hat die ASt’in im Beschwerdeverfahren weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Insbesondere hat die ASt’in die von ihr geltend gemachte negative Gesundheitsentwicklung nicht ärztlich belegt. Unabhängig davon vermag der Senat aber auch nicht zu erkennen, dass die von der ASt’in beschriebenen Schübe nach Umstellung der Behandlung auf Cortisonpräparate zu dauerhaften Funktionsbeeinträchtigungen und Gesundheitsschäden geführt haben sollten, so dass der Schweregrad einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden (vgl. BSG SozR 4- 2500 § 31 Nr. 4) oder einer zumindest wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7) im Sinne der Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat ausdrücklich anschließt, erreicht wäre. Der Senat vermag sich nicht der weiten Auslegung der ASt’in anzuschließen, die eine – ebenfalls nicht glaubhaft gemachte – Verkürzung der Lebenserwartung um zehn Jahre bei Vorliegen der MS-Erkrankung ausreichen lassen möchte. Mit dem BSG ist der Senat vielmehr der Auffassung, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium der Lebensbedrohlichkeit einer Erkrankung "bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) und die dazu bestehenden untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen" (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 10 Randnummer – RN 34)."Vielmehr ist in die Beurteilung einzubeziehen" (vgl. BSG USK 2007-36), "ob sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu konkretisieren droht (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8, RN 19; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 6.2.2007, Az.: 1 BvR 3101/06, www.juris.de) und eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8 RN 20)", an der es bei der ASt’in offensichtlich fehlt.
Der Senat weist weiter ergänzend darauf hin, dass die ASt’in auch fehl in der Annahme geht, sie könne aus der Gewährung der Leistungen in der Vergangenheit einen Leistungsanspruch für die Zukunft herleiten. Im Gegensatz zur Auffassung der ASt’in ist bei der Frage, ob eine Leistungspflicht einer gesetzliche Krankenkasse besteht, nicht auf den Zeitpunkt der erstmaligen Behandlung einer Krankheit, sondern auf den Zeitpunkt der Ausstellung der jeweiligen ärztlichen Verordnung des Arzneimittels, das zur Behandlung eingesetzt wird, abzustellen (vgl. beispielhaft zur vergleichbaren Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln: BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 21; SozR 4-2500 § 33 Nr 11). Die Anspruchsvoraussetzungen müssen auch im Zeitpunkt der erneuten Gewährung vorliegen und sind deshalb jeweils aktuell zu prüfen. Dass die AG’in aber auch nur ein einziges Mal seit 1995 der ASt’in gegenüber eine Zusicherung abgegeben hätte, diese werde – unabhängig von Änderungen der Sach- und Rechtslage – bis an ihr Lebensende mit dem Arzneimittel Octagam® versorgt werden, behauptet nicht einmal die ASt’in.
Darüber hinaus vermag der Senat auch keinen Anordnungsgrund zu erkennen. Die ASt’in, die seit Februar 2008 nicht mehr mit Immunglubolinen behandelt wird, hat den Wechsel offensichtlich ohne größere Auswirkungen auf ihren Gesundheitszustand toleriert, wobei sie keinerlei Einzelheiten zu der gegenwärtigen Behandlung vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht hat. Jedenfalls sind dem Vortrag der ASt’in keine Umstände zu entnehmen, die ein Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens unzumutbar machen könnten. Vielmehr ist die ASt’in darauf hinzuweisen, dass sie sich bei Gewährung der begehrten Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes und einem Unterliegen in einem Hauptsacheverfahren erheblichen Erstattungsansprüchen der AG’in ausgesetzt sähe, denen sie im Hinblick auf die Kosten der begehrten Leistungen einerseits und ihre und ihres Ehemannes eingeschränkte finanzielle Verhältnisse andererseits kaum erfüllen können dürfte; denn in einem einstweiligen Rechtsschutz könnte sie lediglich eine vorläufige Versorgung erstreiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §§ 193, 183 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 02.09.2008
Zuletzt verändert am: 02.09.2008