Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 25.06.2008 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N, S, gewährt.
Gründe:
I. Die bei der Beklagten (d. Bekl.) versicherte Klägerin (d. Kl.) begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG).
Im Hauptsacheverfahren wendet sie sich gegen den Bescheid d. Bekl. vom 18.09.2007 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2008), mit dem diese abgelehnt hat, d. Kl. zwei mobile Badewannenhandgriffe mit Vakuum-Saugnäpfen als Hilfsmittel zu gewähren.
Die 1949 geborene Kl. leidet im Wesentlichen an massiven Einschränkungen der Geh- und Bewegungsfähigkeit aufgrund von stark ausgeprägten Verschleißerscheinungen der Kniegelenke, einer beginnenden, beidseitigen Hüftgelenksarthrose und an einem degenerativen Lendenwirbelsäulensyndrom. Sie ist linksseitig mit einer Knie-Endo-Prothese operativ versorgt. Wegen der Einschränkungen in der Kniebeugung kann sie nach ihren Angaben eine Badewanne nur verlassen, indem sie den Vierfüßlerstand einnimmt und sich unter Festhalten mit Mühe aus der Wanne bewegt.
Sie ist als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt (Schwerbehindertenausweis des Rheinisch-Bergischen Kreises vom 27.03.2008). Bei ihr sind die Nachteilsausgleiche "erhebliche Gehbehinderung" (Merkzeichen "G") und "Notwendigkeit ständiger Begleitung" (Merkzeichen "B") festgestellt.
Ab Juni 2007 war sie von d. Bekl. vorübergehend mit einem Badewannenlift versorgt worden. Dieses Hilfsmittel musste d. Kl. wieder zurückgeben, weil es in ihrer nur kurzen Badewanne nicht benutzt werden konnte. Stattdessen hat der Rehabilitationsberater der Fa. Reha-Aktiv, S, empfohlen, als Ein- und Ausstiegshilfen mobile Badewannengriffe mit Vakuum-Saugnäpfen zu verwenden. Dementsprechend verordneten die behandelnden Vertragsärzte Drs. Kargus/Unterbörsch d. Kl. am 06.09.2007 einen Vakuumhaltegriff (der Firma Roth) Nr. 04.40.05.0999, 100 mm lang. Mit Kostenvoranschlag vom 20.06.2007 bot die Fa. Reha-Aktiv einen Vakuumgriff mit einer Greiffläche von 430-555 mm zum Preis von 159,46 EUR an. Handschriftlich ergänzte sie "Vakuumgriff Einhand 100 mm -) 65,45 (EUR)". D. Bekl. verstand dies als Antrag auf Lieferung von zwei Handgriffen und lehnte das Begehren mit Bescheid vom 18.09.2007 ab. Die Funktionstauglichkeit des Hilfsmittels sei bisher noch nicht geprüft worden. Dies sei aber gerade besonders wichtig, da beim Abreißen des nur mit Saugtellern befestigten Einhandgriffs eine erhebliche Unfallgefahr bestehe. Mit dem Widerspruch brachte d. Kl. vor, die von der Fa. Roth hergestellten Griffe seien TÜV-geprüft und mit einer CE-Kennzeichnung versehen. Sie seien als Medizinprodukte anerkannt und hätten eine Pharmazentralnummer. Zwar hätten die Griffe noch keine Hilfsmittelnummer (nach dem Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung); die Vergabe stehe jedoch kurz bevor. Ergänzend wies sie im März 2008 darauf hin, der Hersteller habe jetzt die Hilfsmittelnummern 140052-56w 04.04.0003/4/5 (Anm. des Senats: für Griffe mit vier Saugtellern) erhalten. Ohne sich mit diesem neuen Umstand auseinanderzusetzen, wies d. Bekl. den Widerspruch d. Kl. mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2008 zurück und begründete ihre Entscheidung nunmehr damit, bei dem gewünschten Wannengriff handele es sich um eine Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Denn er sei nicht grundsätzlich für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen hergestellt worden. Es handele sich vielmehr um einen konfektionierten Griff. Entsprechende Stütz-/Haltegriffe seien in vielen Badezimmern bereits Standard.
Den mit der dagegen gerichteten Klage verbundenen Antrag auf Gewährung von PKH und Beiordnung von Rechtsanwalt (RA) N hat das SG ohne weitere Sachaufklärung durch Beschluss vom 25.06.2008 abgewiesen und sich der zuletzt geäußerten Ansicht d. Bekl. angeschlossen. Der von d. Kl. behauptete Unterschied zwischen fest angebrachten und mobilen Haltegriffen erschließe sich dem SG nicht. Auch bei einem mobilen Haltegriff handele es sich um einen konfektionierten Gegenstand, der in Sanitärgeschäften erhältlich sei. Standardisierte Griffe seien nicht grundsätzlich für die Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen hergestellt.
Der Senat hat aus der REHADAT-Datenbank "Hilfsmittel" Unterlagen über verschiedene mobile Badewannengriffe beigezogen (u.a. "Anwendungsbereiche Pflegebereiche und zu Hause"; "unterstützt die häusliche und ambulante Pflege", "als Positionierungshilfe für stationäre Griffe"; "ohne Schrauben an Stellen, wo nicht gebohrt werden kann", CE-Zeichen vorhanden für Mobeli-2-Hand-Teleskopgriff der Fa. Roth; ähnlich Mobeli-Einhandgriff, 100 mm, ebenfalls mit CE-Kennzeichnung für 70 kg Belastung; beide im GKV-Hilfsmittelverzeichnis weiterhin nicht aufgelistet). Nach den REHADAT-Mitteilungen werden verschiedene verschiedene Badehilfen im GKV-Hilfsmittelverzeichnis geführt (anklemmbare Animo-Wanneneinsteighilfe, anklemmbarer Sicherheitsgriff der Fa. Meyra-Ortopedia; drei mobile Wanneneinstieg-Kombigriffe der Fa. Roth mit vier Saugnäpfen (Aufrichthilfe – eingetragen am 15.12.2007)).
Wegen näherer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
II. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden, vgl. § 64 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Sie ist auch begründet. Dem Antrag d. Klägerin, ihr PKH für das Klageverfahren zu gewähren und RA N beizuordnen, ist entgegen der Auffassung des SG stattzugeben. Die Voraussetzungen des § 73a SGG und des § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) zur Gewährung von PKH sind erfüllt. Die Klage hat nämlich die nötige Erfolgsaussicht, insbesondere weil noch eine ergänzende Beweisaufnahme erforderlich erscheint, die den Anspruch d. Kl. stützen könnte.
Nach § 33 Abs. 1 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, u.a. um eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder sonst aus der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgeschlossen sind. Diese Voraussetzungen könnten im vorliegenden Falle entgegen der Auffassung d. Bekl. und des SG bei summarischer Prüfung eher erfüllt als zu verneinen sein.
Entgegen der Auffassung des SG und der Bekl. lässt sich nicht ohne Weiteres erkennen, dass es sich bei den begehrten Wannengriffen lediglich um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt. Ob es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt, hängt im Wesentlichen davon ab, ob es sich um Geräte handelt, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind oder nicht (vgl. grundlegend etwa BSG, Urteil vom 16.09.1999, BSGE 84, 266 ff., Randnummer 14 m.w.N). Zur Ermittlung ist dabei allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstands abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist; Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen hergestellt worden sind und ausschließlich oder ganz überwiegend von diesem Personenkreis benutzt werden, sind keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Zu ermitteln ist dies durch Anhörung der Hersteller, ggf. Anhörung erfahrener Sachverständiger aus dem Reha-Artikel-Vertrieb. Hinweise auf die Hilfsmitteleigenschaft ergeben sich auch indiziell auch schon daraus, dass mobile Einstiegs- und Aufrichthilfen im Verzeichnis der Gesetzlichen Krankenkassen über Hilfsmittel aufgelistet sind, interessanterweise auch sog. Kombigriffe mit Vakuum-Füßen. Aus welchen Gründen die von d. Kl. gewünschten Griffe desselben Herstellers nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgelistet sind, ist nicht bekannt; es mag sein, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass sie nur zwei Füße haben und deshalb den Krankenkassen als nicht ausreichend sicher genug erscheinen. Indes ist dies nicht maßgebend, nachdem auch für diese Griffe CE-Bescheinigungen erteilt sein und TÜV-Gutachten existieren sollen. Im Übrigen dürfte zu beachten sein, dass entsprechend der Auffassung des SG fest angebrachte Haltegriffe durchaus zum Standard der Badezimmereinrichtung mehr oder weniger älterer Menschen gehören dürften. Indes sind Griffe, die aufgrund einer spezifischen Behinderung mobil angebracht werden müssen, eher nicht dem üblichen Standard eines Badezimmers zuzurechnen. Dies dürfte auch der Grund für die Aufnahme bestimmter mobiler Steck- oder Vakuum-Wannengriffe in das Hilfsmittelverzeichnis gewesen sein.
Soweit sich d. Bekl. zeitweilig auch darauf berufen hat, die von d. Kl. begehrten Griffe seien zu unsicher und könnten deshalb nicht bewilligt werden, könnte dem – sofern dies angesichts der CE-Kennzeichnung ohne Verstoß gegen Europäisches Rechts überhaupt noch zulässig wäre – ggf. nur durch eine ergänzende Begutachtung nachgegangen werden.
Der Umstand, dass die Griffe mit nur zwei Füßen (anders als die mit vier Füßen) nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet sind, steht einer Leistungsgewährung indes nicht entgegen; denn die fehlende Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis schließt eine Qualifizierung als sachgerechtes Hilfsmittel nicht aus, weil das Hilfsmittelverzeichnis nur eine unverbindliche Auslegungshilfe darstellt (so schon BSG Sozialrecht (SozR) 3-2500 § 33 Nr 25; vgl auch SozR 4-2500 § 33 Nr 13). Darüber hinaus könnte d. Bekl. zur Leistung der im Hilfsmittelverzeichnis seit Dezember 2007 neu gelisteten Wannengriffe (mit vier Vakuumfüßen) gehalten sein, wenn sich herausstellen sollte, dass ihre Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Wannengriffen mit nur zwei Vakuumfüßen durchgreifen. Ob insofern d. Kl. eine Antragserweiterung im Verwaltungsverfahren bei anschließender Klageänderung mit dem Ziel der Lieferung der gelisteten, aber teureren Griffe anzuraten ist, bleibt der Beratung durch ihren Bevollmächtigten vorbehalten.
Offen bleiben kann dabei noch, ob dem Anspruch entgegensteht, dass die behandelnden Ärzte nur eine Greifhilfe von 100 mm verordnet haben, d. Kl. aber offenbar zwei Griffe benötigt. Hierzu sei darauf hingewiesen, dass das Fehlen einer vertragsärztlichen Verordnung den Leistungsanspruch auf ein Hilfsmittel nicht ausschließt (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 41).
Angesichts der vorliegenden Einkommensnachweise, die durch die Urkundsbeamtin der Geschäftstelle nachvollziehbar überprüft worden sind, bestehen keine Bedenken gegen die für eine PKH-Bewilligung erforderliche Bedürftigkeit d. Kl. im Sinne von §§ 114, 115 ZPO. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes erscheint angesichts der Komplexität des streitigen Sachverhalts und der Notwendigkeit sachgerechter Beweiserhebungen gemäß § 121 Abs. 2 ZPO erforderlich.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 20.10.2008
Zuletzt verändert am: 20.10.2008