Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.08.2008 geändert. Die Antragsgegnerin wird vorläufig, längstens bis zum 31.12.2008, verpflichtet, dem Antragsteller monatlich weitere 123,- EUR zu zahlen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Gründe:
Der 1959 geborene, zum Bankkaufmann ausgebildete Antragsteller, der infolge einer angeborenen Hirnschädigung an einer linksseitigen Halbseitenlähmung leidet, bezieht von der Antragsgegnerin Grundsicherungsleistungen für Erwerbsfähige nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seinen Antrag, ihm wegen seiner Behinderung einen Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 4 SGB II zu gewähren, lehnte die Antragsgegnerin ab.
Am 23.06.2008 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Dortmund beantragt, die Antragsgegnerin zur Zahlung des Mehrbedarfs zu verpflichten.
Mit Beschluss vom 11.08.2008 hat das SG den Antrag abgelehnt, weil dem Antragsteller keine Leistungen erbracht würden, die den Anspruch auf einen behinderungsbedingten Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 4 SGB II begründen könnten.
Die dagegen gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch – ein in der Hauptsache durchsetzbarer Rechtsanspruch – und Anordnungsgrund – Eilbedürftigkeit der begehrten Anordnung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).
Nach den Gesamtumständen ist ein Anspruch auf den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II als glaubhaft gemacht anzusehen. Diesen erhalten erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 3 SGB XII erbracht werden (§ 21 Abs. 4 S. 1 SGB II). Allerdings hat das SG zu Recht erkannt, dass die in dieser Norm genannten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bzw. sonstigen Hilfen tatsächlich erbracht werden müssen und nicht nur in Aussicht gestellt sein dürfen oder einen Anspruch erst bei Realisierung weiterer Voraussetzungen entstehen kann (vgl. BSG Urt. v. 25.06.2008 – B 11b AS 19/07 R – Rn. 22). Nicht erforderlich ist jedoch, dass es sich um Leistungen handelt, die nur an Behinderte oder in Rehabilitationseinrichtungen gewährt werden (vgl. dazu Urteil des Senats vom 12.03.2007 – L 19 AS 41/06).
Entgegen der Auffassung des SG erscheint es jedoch nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II nicht ausgeschlossen, die dem Kläger gewährte Kfz-Beihilfe als ausreichende Leistung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Zwar trifft es zu, dass es sich bei der Beihilfe um eine einmalige Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne des § 33 SGB IX handelt (vgl. dazu auch BSG, Urt. v. 29.07.1993 – 11/9b R Ar 27/92), die Anschaffung des Pkw hat jedoch Folgewirkung in Form finanzieller Belastungen des Behinderten, die regelmäßig nicht nach der Kfz-Hilfeverordnung (KfzHV) gefördert werden können, sondern vom Behinderten selbst zu tragen sind (vgl. BSG wie zuvor Rn 25). Ob eine solche in die Zukunft wirkende Leistungsgewährung, die in Form der getätigten Anschaffung noch beim Behinderten vorhanden ist, als Leistung, die im Sinne des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II erbracht wird, anzusehen ist, ist bisher in Rechtsprechung und Literatur nicht geklärt.
Unabhängig davon können jedoch die Leistungen, die die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter anderem aufgrund der Eingliederungsvereinbarung vom 06.03.2008 erbringt, als sonstige Hilfen im Sinne des § 21 Abs. 4 SGB II angesehen werden. Zwar ist die Antragsgegnerin nicht Rehabilitationsträger (§ 6a SGB IX), so dass die von ihr gewährten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht nach § 33 SGB IX erbracht werden. Die dem Antragsteller gemäß § 16 Abs. 1 S. 3 SGB II i.V.m. § 100 SGB III von dem Antragsteller gewährten Leistungen in Form der Vermittlung, Arbeitsangebote, Reise- und Bewerbungskosten sind jedoch mit den in § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX genannten Leistungen identisch. Auch wenn bisher offen ist, was unter sonstigen Hilfen im Sinne des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II anzusehen ist (vgl. dazu Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 21 Rn 45), erscheint es doch naheliegend, die von der Antragsgegnerin erbrachten Leistungen als solche zu qualifizieren. Der Zuschlag zum Regelbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II soll einen tatsächlichen Mehrbedarf abdecken, der durch die Teilhabe am Arbeitsleben aufgrund der Behinderung bzw. durch die in § 21 Abs. 4 SGB II benannten Maßnahmen entsteht (vgl. Knickrehm, NZS, 2007, 128; Kahlhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 21 Rn. 21). Ein solcher Mehrbedarf besteht auch beim Antragsteller infolge der ihm von der Antragsgegnerin u.a. durch die Eingliederungsvereinbarungen auferlegten Pflichten und der von ihr infolgedessen gewährten Leistungen. Ohne die Vorhaltung des behindertengerecht ausgestatteten Pkw ist er, was nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen unzweifelhaft ist, nicht in der Lage, Bewerbungsgespräche, Qualifizierungsmaßnahmen etc. wahrzunehmen. Mit der Haltung dieses Pkw s wird seine Erwerbsfähigkeit gerade erst gewährleistet. Die ihm dadurch entstehenden Kosten sind daher sowohl leistungs- wie behinderungsbedingt, weil er ohne seine Behinderung den Wagen aufgeben oder ein einfacheres Gefährt nutzen könnte. Es erscheint daher widersinnig, den Antragsteller zur Aufgabe des Pkw s zu zwingen, zumal er als Sozialhilfeempfänger ohne weiteres im Hinblick auf das bei ihm anerkannte Merkzeichen "G" einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII geltend machen könnte.
Die im Hinblick auf diese bisher nicht abschließend geklärten Rechtsfragen gebotene Interessenabwägung ist angesichts des drohenden Verlustes des für die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers unverzichbaren PKW s und der relativ geringfügigen Verpflichtung der Antragsgegnerin zugunsten ersteren vorzunehmen.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Zuschlag beträgt gemäß § 21 Abs. 4 S.1 SGB II 35 v.H. der nach § 20 SGB II maßgeblichen Regelleistung, entsprechend seit dem 01.07.2008 123,- Euro. Dieser Betrag versetzt den Antragsteller nach seinen glaubhaften Angaben in die Lage, die Finanzierung seines PKW s vorläufig sicherzustellen.
Die Befristung der vorläufigen Leistungsverpflichtung hat der Senat im Hinblick auf die in der Zukunft ungeklärten Leistungsverhältnisse als angemessen angesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 19.11.2008
Zuletzt verändert am: 19.11.2008