Auf die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 07.09.2007 wird der Beschluss geändert. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Klageverfahren S 40 KN 291/06 KR zu erstatten. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I. Der am 00.00.1939 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Es besteht der Zustand nach Verlust des linken Unterschenkels im Kniegelenk. Am 21.03.2006 wurde die Versorgung mit einer C-Leg-Prothese ärztlich verordnet. Mit Bescheid vom 12.06.2006 lehnte die Beklagte die Versorgung des Klägers mit einem C-Leg ab. Am 26.06.2006 hat der Kläger dagegen durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch eingelegt. Eine weitere Begründung werde nach erfolgter Akteneinsicht abgegeben. Mit Schreiben vom 03.07.2006 übersandte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Kopie ihrer Entscheidungsunterlagen. Mit Schreiben vom 14.09.2006 bat der Prozessbevollmächtigte um Sachstandsmitteilung. Mit Schreiben vom 18.09.2006 teilte die Beklagte mit, nach Übersendung der Unterlagen am 03.07.2006 sei bislang der Eingang der Begründung des Widerspruchs nicht zu verzeichnen. Daraufhin teilte der Prozessbevollmächtigte mit, die Begründung des Widerspruchs bereits am 24.07.2006 der Beklagten gemäß vorliegendem Faxprotokoll erfolgreich zugefaxt zu haben. Mit Schreiben vom 20.09.2006 teilte die Beklagte mit, ihr liege im "hiesigen Dezernat" die Widerspruchsbegründung nicht vor. Sie bitte um erneute Übersendung. Mit Schreiben vom 22.02.2006 kam der Prozessbevollmächtigte dieser Aufforderung nach. In einem verwaltungsinternen Aktenvermerk vom 29.09.2006 wurde nach erneuter Sachprüfung vorgeschlagen, den Widerspruch zurückzuweisen. Sodann forderte die Beklagte mit Schreiben vom 16.10.2006 von dem Prozessbevollmächtigten die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht. Diese wurde sodann am 19.10.2006 der Beklagten übersandt. Am 20.11.2006 erhob der Prozessbevollmächtigte für den Kläger Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Dortmund (SG). Am 14.12.2006 entschied der in Widersprüchen der Kranken- und Pflegeversicherung tagenden Widerspruchsausschuss Castrop-Rauxel und wies mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2006 den Widerspruch zurück. Am 02.01.2007 erklärte der Prozessbevollmächtigte für den Kläger den Rechtsstreit für erledigt und beantragte, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.
Mit Beschluss vom 07.09.2007 hat das SG beschlossen: Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Zur Begründung der dagegen zum SG erhobenen Beschwerde meint der Kläger, die Beklagte habe Anlass zur Erhebung der Untätigkeitsklage gegeben. Spätestens nach der erneuten Prüfung der Sachlage gemäß Vermerk vom 29.09.2006 habe die Beklagte zeitnahe über den bereits am 23.06.2006 eingelegten Widerspruch entscheiden können. Der Zeitpunkt der Übersendung der Vollmachtsurkunde durch den Prozessbevollmächtigten sei unbeachtlich und habe keine erneute Entscheidungsfrist der Beklagten von 3 Monaten in Lauf gesetzt.
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Nach Eingang der Prozessvollmacht habe der Kläger nicht bis zum Zeitpunkt der Erhebung der Untätigkeitsklage mit einer Entscheidung durch den Widerspruchsausschuss rechnen können. Es sei allgemein bekannt, dass Widerspruchsausschüsse in unregelmäßigen Abständen tagen würden. Gegebenenfalls hätte er nach dem Entscheidungstermin zu fragen gehabt.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Es kann unentschieden bleiben, ob die Kostenentscheidung hier auf § 102 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Fassung bis zum 31.03.2008 oder auf § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG beruht. Nach beiden Vorschriften ist gerichtlich nach billigem Ermessen zu beurteilen, inwieweit die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Der ohne übergangsrechtliche Regelung ab dem 01.04.2008 in Kraft getretene Ausschluss der Beschwerde gegen eine Kostenentscheidung des SG nach § 102 SGG gem. § 102 Abs. 3 Satz 2 SGG in der Fassung ab 01.04.2008 (Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 – SGG ArbGGÄndG, BGBl. I S 444) hat das nach dem bis zum 31.03.2008 geltenden Recht zulässige Rechtsmittel (§ 172 Abs. 1 SGG) nicht unzulässig werden lassen. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts lässt die Verschärfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein Rechtsmittel, Rechtsmittel nicht unzulässig werden, die nach altem Recht noch zulässig eingelegt worden sind (BVerfGE 87, 48, 63 ff). Im Rahmen der unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffenden Billigkeitsentscheidung sind sowohl die Erfolgsaussichten der Klage als auch die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung des Rechtsstreits zu prüfen. In der Regel ist es gerechtfertigt, dass dem Beteiligten Kosten auferlegt werden, der voraussichtlich ganz oder teilweise unterlegen wäre. Zu beachten sind jedoch stets die Besonderheiten des Einzelfalles (Leitherer in Meyer/Ladewig, SSG-Kommentar, 9. Auflage, 2008, § 193 Rn ff). Für die Untätigkeitsklage gilt insoweit, dass die Frist des § 88 SGG zugleich eine angemessene Frist für eine Sachentscheidung darstellt. Es ist jedoch sachgerecht, diese Frist jeweils um diejenigen Zeiträume zu verlängern, die im konkreten Fall für eine vom Normalfall abweichende Sachbehandlung erforderlich waren und deshalb einen zureichenden Grund darstellen, noch nicht zu entscheiden. Überschreitung der Frist – ohne Kostentragungsrisiko seitens des Versicherungsträgers – setzt allerdings voraus, dass der Versicherte noch nicht mit einer Entscheidung rechnen durfte, ihm also der Grund für die Untätigkeit bekannt oder mitgeteilt worden ist (LSG NRW Beschluss vom 04.01.1993, L 10 S 17/92; Leitherer in Meyer/Ladewig aaO Rn 13 c).
Berücksichtigt man vorliegend diese Grundsätze sowie den gesamten Sach- und Streitstand bis zum Abschluss des Rechtsstreits, so entspricht es dem billigen Ermessen, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers in vollem Umfang trägt. Mit der am 20.11.2006 erhobenen Untätigkeitsklage hätte der Kläger letztlich Erfolg gehabt. Die Untätigkeitsklage war zulässig, weil sie gemäß § 88 Abs. 2 SGG nach Ablauf der Sperrfrist von 3 Monaten – hier dem 23.09.2006 – erhoben wurde. Die Klage war auch begründet. Die Beklagte hätte zur Erteilung eines Widerspruchsbescheides verurteilt werden müssen, da der Kläger bis zur Klageerhebung (20.11.2006) mit einer Entscheidung über den Widerspruch rechnen durfte. Ihm waren Gründe, die die Beklagte an einer Entscheidung hinderten weder bekannt noch hätte er solche kennen müssen. Allein die Vorlage der Vollmacht seines Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 19.10.2006 gegenüber der Beklagten musste aus Sicht des Klägers nicht zu einer verlängerten Sachbearbeitung führen. Diese ist auch objektiv nicht dafür verantwortlich gewesen, dass die Beklagte erst Mitte Dezember 2006 entschieden hat, dem Widerspruch nicht abzuhelfen.
Die Vorlage der Vollmacht am 19.10.2006 seitens des Prozessbevollmächtigten stellt keinen zureichenden Grund dar, die Frist des § 88 SGG zu überschreiten. Dabei kann offen bleiben, ob es nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt Aufgabe der Beklagten gewesen wäre, die von ihr für ihre Entscheidung für erforderlich erachtete Vorlage der Vollmacht des Prozessbevollmächtigten zu fordern, der sich bereits mit Einlegung des Widerspruchs am 23.06.2006 für den Kläger gemeldet hatte. Selbst wenn es für die Entscheidung über den Widerspruch erforderlich gewesen wäre, die Vorlage der Vollmacht durch den Prozessbevollmächtigten zu fordern, waren dem Kläger die Gründe, die die Beklagte bis zur Klageerhebung – also binnen weiterer ca. 4 Wochen – an einer Entscheidung hinderten, nicht erkennbar gewesen. Vor diesem Hintergrund lässt sich – entgegen der Auffassung der Beklagten – auch keine Verpflichtung des Prozessbevollmächtigten begründen, vor Erhebung der Untätigkeitsklage nochmals nachzufragen, ob und wann mit einer Entscheidung gerechnet werden könne. Vielmehr oblag es der Beklagten, nach der bereits am 29.09.2006 beklagtenintern erfolgten Entscheidung über die Zurückweisung des Widerspruchs und der am 19.10.2006 erfolgten Vorlage der für erforderlich erachteten Prozessvollmacht dem Prozessbevollmächtigten des Klägers, zeitnah mitzuteilen, dass der zur Entscheidung über den Widerspruch berufene Widerspruchsausschuss erstmals wieder am 14.12.2006 zusammentreten werde und entscheiden könne. Es bleibt unverständlich, warum die Beklagte nicht spätestens am 20.10.2006 zur Vermeidung ihres Kostenrisikos den Kläger vollständig über das weitere Prozedere informiert hat.
Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist in der verfahrenabschließenden Entscheidung gesondert zu befinden (LSG NRW, Beschluss vom 08.02.2006, L 2 B 19/05 KN KR).
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 10.12.2008
Zuletzt verändert am: 10.12.2008