Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 27.07.2006 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 07.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2005 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Kostenersatz der Sozialhilfe bei schuldhaftem Verhalten. Auf seinen Antrag vom 20.08.2003 gewährte die Beklagte dem Kläger und seiner Familie ab 01.09.2003 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Höhe von monatlich 1.000,37 EUR. Aufgrund des Angebots einer Beschäftigung als Zentralheizungsbauer des Arbeitsamtes I vom 20.08.2003 stellte sich der Kläger am 27.08.2003 bei der Q Dienstleistungen GmbH in I vor. Danach teilte das Unternehmen dem Arbeitsamt mit, der Bewerber werde nicht eingestellt, weil ihm der Arbeitsweg zu weit bzw. die Pendelzeiten zu lang seien. Der Einsatz in Bad Oeynhausen sei ihm zu weit. Er wolle immer Fahrgeld haben. Weitere Vorschläge seien erwünscht, das Stellenangebot bleibe unverändert. Der Kläger gab in der "Erklärung über das Nichtzustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses" gegenüber dem Arbeitsamt an, er solle warten, bis Q eine Stelle für ihn finde, Nachricht erfolge telefonisch oder per Post, ohne die in dem Formularvordruck möglichen Erklärungen anzukreuzen, dass er die Angebote nach Arbeit abgelehnt habe und der Arbeitgeber ihn nicht eingestellt habe. Daraufhin stellte das Arbeitsamt I mit Bescheid vom 13.10.2003 für die Zeit vom 28.08.2003 bis 17.09.2003 eine Sperrzeit wegen erstmaliger Ablehnung einer Arbeit fest. Der Kläger, der diesen Bescheid bindend werden lies, trat am 02.05.2004 eine Vollzeitstelle an, worauf die Beklagte zum 31.05.2004 die Sozialhilfeleistungen einstellte.
Mit Bescheid vom 07.10.2004 forderte die Beklagte vom Kläger für die in der Zeit vom 01.09.2003 bis 31.05.2004 gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt die Erstattung von 3.795,96 EUR. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt sei unmittelbare Folge der schuldhaften Nichtannahme der von der Arbeitsagentur I angebotenen Arbeit durch den Kläger.
Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, es sei nicht richtig, dass er die ihm von der Firma Q angebotene Beschäftigung als Heizungsbauer nicht angenommen habe. Richtig sei vielmehr, dass man ihm bei seiner Vorsprache gesagt habe, dass man ihn telefonisch benachrichtigen werde, wenn er eine Stelle antreten könne. Denn bekanntlich handele es sich bei der Firma Q um eine Zeitarbeitsfirma.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2005 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, entweder habe der Kläger das Arbeitsangebot direkt mit der Begründung abgelehnt, dass ihm der Arbeitsweg zu weit, bzw. die Pendelzeiten zu lang seien oder er habe die Verhandlungen aufgrund der überzogenen Forderungen nach Fahrtkostenerstattung scheitern lassen. In beiden Fällen sei sein Verhalten jedenfalls ursächlich dafür gewesen, dass er die angebotene Arbeitsstelle nicht bekommen habe. Die Rechtmäßigkeit der Sperrzeitverhängung zeige sich im Übrigen darin, dass der Kläger keinen Widerspruch dagegen erhoben habe. Dass der Kostenersatz für den Kläger eine besondere Härte bedeuten würde, sei nicht ersichtlich.
Am 02.03.2005 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Detmold Klage erhoben und zur Begründung auf sein Vorbringen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren verwiesen. Um Stellungnahme gebeten, warum er gegen den Sperrzeitbescheid keinen Widerspruch erhoben habe, hat der Kläger schriftsätzlich vortragen lassen, zwar habe er seinerzeit nach Erhalt des Sperrzeitbescheides beim Arbeitsamt vorgesprochen, allerdings formell keinen Widerspruch gegen diesen Bescheid erhoben. Der wesentliche Grund dafür seien seine mangelnden Sprachkenntnisse und fehlende Rechtsberatung gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 07.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2005 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung festgehalten.
Mit Urteil vom 27.07.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe durch ein sozialwidriges, d. h. durch ein aus Sicht der Solidargemeinschaft zu missbilligendes Verhalten die Sozialhilfeleistungen der Beklagten unmittelbar herbeigeführt. Aufgrund des bestandskräftig gewordenen Sperrzeitbescheides könne davon ausgegangen werden, dass das Verhalten des Klägers ursächlich für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses sei.
Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 22.08.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.08.2006 Berufung eingelegt. Er nimmt Bezug auf sein erstinstanzliches Vorbringen und rügt, dass das Sozialgericht eine Stellungnahme des seinerzeitigen Mitarbeiters der Q Dienstleistungen GmbH hätte einholen müssen. Aus seinem Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Sperrzeitbescheid könne nicht auf die Richtigkeit des von der Q GmbH behaupteten Sachverhalts oder aber auf ein sozialwidriges Verhalten geschlossen werden. Bei Erlass des Bescheides wäre zudem zu prüfen gewesen, welches Einkommen der Kläger bei Aufnahme der Beschäftigung tatsächlich erzielt hätte und ob der Kläger dann mit seiner Familie aus der Hilfebedürftigkeit und auch für den gesamten Zeitraum von September 2003 bis April 2004 heraus gefallen wäre. Die Heranziehung zum Kostenersatz bedeute für den Kläger auch eine Härte.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 27.07.2006 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 07.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Sozialwidrigkeit der Handlungsweise des Klägers liege gerade darin, dass er "im wirtschaftlichen Erledigungsinteresse" nicht gegen den Sperrzeitbescheid vorgegangen sei.
Bei der Beurteilung des sozialwidrigen Verhaltens komme es nicht auf eine Prüfung an, ob und ggfs. in welchem Umfang sich das für die Gewährung der Hilfe maßgebende Einkommen und Vermögen durch die Handlung des Ersatzpflichtigen vermindert habe.
Eine vorübergehende Beschränkung der finanziellen Möglichkeiten des Ersatzpflichtigen könne grundsätzlich keine Härte begründen.
Auf die schriftliche Anfrage des Senats hat der vom Kläger als Zeuge benannte Mitarbeiter der Q Dienstleistungen GmbH, M. Jüttner, mit Schreiben vom 29.11.2006 geantwortet, er könne die vom Senat an ihn gerichteten Fragen nicht beantworten, da er sich nicht mehr an das Gespräch erinnern könne. Aus Datenschutzgründen bestünden auch keine schriftlichen Aufzeichnungen mehr von diesem Gespräch.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, der ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Das Urteil des Sozialgerichts ist dahingehend abzuändern. Die Bescheide sind aufzuheben.
Rechtsgrundlage des hier angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 07.10.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2005 ist § 103 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 12. Buch – Sozialhilfe – (SGB XII). Der von der Beklagten noch im Widerspruchsbescheid vom 03.02.2005 herangezogene § 92 a Abs. 1 BSHG ist mit Ablauf des 31.12.2004 gemäß § 68 Abs. 1 Nr. 1, § 70 Abs. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003 (BGBl I S. 3022) aufgehoben worden. Die Anfechtungsklage ist gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative Sozialgerichtsgesetz (SGG) die richtige Klageart. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Klage ist regelmäßig der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Da der Widerspruchsbescheid erst am 03.02.2005 ergangen ist, ist auf den am 01.01.2005 in Kraft getretenen § 103 SGB XII abzustellen.
Nach dieser Vorschrift kann die Beklagte keinen Kostenersatz vom Kläger verlangen. Gemäß § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe derjenige verpflichtet, der nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat.
Das Heranziehen zum Kostenersatz nach dieser Vorschrift erfordert zunächst, dass die Leistungen nach materiellem Sozialhilferecht rechtmäßig waren. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte geht es damit nicht um Rückgängigmachung rechtswidrig erbrachter Leistungen durch Rücknahme der Leistungsbescheide und Rückforderung des geleisteten.
Das Heranziehen zum Kostenersatz erfordert des Weiteren in objektiver Hinsicht, dass das Verhalten, durch das die Voraussetzungen für die Leistung der Sozialhilfe herbeigeführt worden sind, "sozialwidrig" ist (vgl. Schönfeld in: Grube/Wahrendorf SGB XII, § 3 Rdnr. 5 m.w.N.). Ob das Verhalten des Klägers, das zu dem Sperrzeitbescheid führte, als sozialwidrig, also aus Sicht der Solidargemeinschaft als ein zu missbilligendes Verhalten (vgl. Schönfeld, a.a.O.) zu beurteilen ist, folgt entgegen der Beklagten und dem Sozialgericht nicht bereits aus dem Umstand, dass der Kläger den Sperrzeitbescheid der Arbeitsverwaltung bestandskräftig werden ließ. Denn daraus ist, unabhängig davon, ob das im Sperrzeitbescheid festgestellte "versicherungswidrige" Verhalten ohne wichtigen Grund (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III), dem nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erforderlichen "sozialwidrigen" Verhalten ohne weiteres gleichzusetzen ist, jedenfalls nicht auf die Rechtmäßigkeit des Sperrzeitbescheides zu schließen. Dies hängt nicht davon ab, ob der Betroffene einen Rechtsbehelf dagegen einlegt oder nicht, sondern allein davon, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass des Sperrzeitbescheides erfüllt sind. Allein aus der Bestandskraft eines Bescheides folgt nicht, dass er auch rechtmäßig ist. Auch wenn der bestandskräftige Sperrzeitbescheid zwar zur Sozialhilfebedürftigkeit führte, bleibt mithin die Frage zu beantworten, ob der Kläger sich bei dem Vorstellungsgespräch sozialwidrig verhielt.
Dabei geht der Senat zunächst davon aus, dass ein sozialwidriges Verhalten des Klägers vorgelegen hätte, wenn er die einzig zur Verfügung stehende Arbeitsstelle in Bad Oeynhausen abgelehnt hätte, weil ihm die Fahrt von seinem Wohnort Spenge nach Bad Oeynhausen zu weit war und er keine Fahrtkosten dafür erhalten sollte. Denn ein Arbeitsweg von nicht mehr als ca. 40 km ist mit eigenem PKW zweifellos zumutbar und auch die Übernahme der Fahrtkosten durch den Arbeitgeber ist allgemein unüblich. Zudem besteht grundsätzlich die steuerliche Absetzbarkeit der Fahrtkosten zur Arbeit als Werbungskosten.
Zweifelhaft ist jedoch, ob der Kläger mit der oben genannten Begründung tatsächlich entweder die Beschäftigung bei der Q Dienstleistungen GmbH nicht annahm oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses bei diesem Unternehmen verhinderte. Denn es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger entsprechend seinen Angaben davon ausgehen konnte, sein mit der Ablehnung des Einsatzortes Bad Oeynhausen zum Ausdruck kommender Wunsch nach einem seinem Wohnort näheren Einsatzort sei von der Q Dienstleistungen GmbH, einem Zeitarbeitsunternehmen, insoweit akzeptiert worden, dass dies nicht endgültig die Nichteinstellung zur Folge hatte, sondern ihm stattdessen ein seinem Wohnort näherer Einsatzort angeboten werde, sobald dies möglich war. Wenn dies aber Inhalt und Ergebnis des Vorstellungsgesprächs gewesen wäre, wäre ein gem. § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII grob fahrlässiges Verhalten des Klägers, das die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat, zu verneinen.
Welchen Inhalt und welches Ergebnis das Vorstellungsgespräch des Klägers am 27.08.2003 hatte, lässt sich nicht mehr feststellen.
Die Angabe der Q Dienstleistungen GmbH gegenüber dem Arbeitsamt I vom 27.08.2003 ist zwar eindeutig, dass nämlich der Kläger nicht eingestellt werde, weil ihm der Arbeitsweg zu weit, bzw. die Pendelzeiten zu lang seien. Jedoch schließt diese lediglich durch Ankreuzen in den Formularvordruck gemachte Angabe nicht aus, dass das Vorstellungsgespräch den vom Kläger angegebenen Inhalt und das von ihm angegebene Ergebnis hatte. Die Angaben des Klägers sind auch nicht unglaubhaft. Er hat an seinen von Anfang an gemachten Angaben festgehalten und diese im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholt und bestätigt. Sie sind auch glaubhaft, weil der Kläger sich an Einzelheiten seiner mit dem Vorstellungsgespräch bei der Q Dienstleistungen GmbH im Zusammenhang stehenden Vorsprachen beim Arbeitsamt I erinnert und er auf den Senat einen insgesamt glaubwürdigen Eindruck gemacht hat.
Kann damit im Ergebnis ein schuldhaftes Verhalten des Klägers bei dem Vorstellungsgespräch nicht festgestellt werden, geht dies zu Lasten der Beklagten. Sie ist für die anspruchsbegründende Voraussetzung des Ersatzanspruchs des § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII des schuldhaften Verhaltens des Klägers beweispflichtig (vgl. Schönfeld, a.a.O., Rdnr. 15).
Nach alledem war das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Erstellt am: 11.12.2008
Zuletzt verändert am: 11.12.2008