Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 09.01.2008 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten G I infolge einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4111 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Die Klägerin ist die Witwe des 1932 geborenen und am 01.07.2004 verstorbenen Versich-erten. Der Versicherte war ab 1947 als Maschinenschlosser und ab September 1950 im Untertage-Betrieb eingesetzt. Ab 1957 war der Versicherte in einem Kohlekraftwerk vor allem mit der Reinigung von Kesseln beschäftigt. Seit 1984 bezog der Versicherte Anpassungsgeld und ab 1992 Knappschaftsruhegeld. Mit Bescheid vom 19.07.1993 wurde bei dem Versicherten eine Silikose als Berufskrankheit ohne Anspruch auf Verletztenrente anerkannt. Klageverfahren im Hinblick auf die Gewährung einer Verletztenrente blieben ohne Erfolg. Die Anzeige einer BK Nr. 4111 erfolgte zu Lebzeiten nicht.
Während eines stationären Aufenthaltes wegen einer koronaren Herzkrankheit verstarb der Versicherte an einem Multiorganversagen nach einer Bypass-Operation.
Mit Schreiben vom 31.01.2006 teilte die Klägerin mit, dass ihr Ehemann unter fürchterlichen Hustenanfällen bis hin zu Erstickungsanfällen und Bewußtlosigkeit gelitten habe. Ein solcher Hustenanfall habe die bei der Bypass-Operation entstandene Wunde wieder auseinandergerissen. Die Beklagte solle die Feinstaubjahre bezüglich einer BK Nr. 4111 ermitteln und ihr Hinterbliebenenrente gewähren.
Der Präventionsbereich Bochum der Beklagten berechnete die bei dem Versicherten angefallene kumulative Feinstaubdosis mit insgesamt 72,61 Feinstaubjahren. Daraufhin lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass der BK Nr. 4111 mit Bescheid vom 13.11.2006 ab.
Die Klägerin legte Widerspruch ein. Sie trug vor, der Versicherte sei während seiner Tätigkeit im Steinkohlenbergbau unter Tage einer ganz erheblichen Feinstaubdosis ausgesetzt gewesen. Es werde zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass es nur "in der Regel" auf 100 Feinstaubjahre ankomme. Mithin könne gemäß der Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfallversicherung, wonach eine wesentliche Mitursächlichkeit vollkommen ausreichend sei, der Versicherungsschutz bereits aus einer Feinstaubdosis von 72,61 Feinstaubjahren abgeleitet werden. Dies folge aus der zwingenden Auslegungsvorschrift des § 2 Abs. 1 Er-stes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Hier sei außerdem zu berücksichtigen, dass der Versicherte zugleich an einer bereits zu Lebzeiten anerkannten Silikose vom Streugrad pq 2/2 ILO 1980 gelitten habe. Möglicherweise habe auch eine BK Nr. 4302 bestanden. Mithin hätten drei Krankheitsbilder zusammengewirkt. Außerdem habe man bei der Obduktion ein Karzinom festgestellt, was eine BK Nr. 4112 nahelege. Da der Versicherte in der Frühzeit des Bergbaus belastet worden sei, werde überdies auch eine höhere Anzahl der Feinstaubjahre als bisher errechnet geltend gemacht. So sei nicht von 220, sondern von 260 Arbeitsschichten pro Jahr auszugehen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen nach § 63 SGB VII seien nicht erfüllt, weil bei dem Versicherten kein Versicherungsfall einer BK Nr. 4111 vorgelegen habe. Die Feinstaubjahre seien nach den Vorgaben einer allgemein anerkannten Studie zur Staubbelastung der Bergleute im Steinkohlenbergbau berechnet worden. Die in dieser Studie anerkannten Staubkonzentrationswerte seien seit Mitte der 1950er Jahre vorzugsweise in Abbaurevieren gemessen worden. Es handele sich somit um Arbeitsplätze im untertägigen Steinkohlenbergbau, an denen in der Regel mit höchsten Staubbelastungen zu rechnen gewesen sei. Die zugrunde gelegte Anzahl der verfahrenen Schichten, die bei der Bestimmung der Gesamtdosis eine Rolle spiele, entspreche der für Bergleute im Ruhrgebiet typischen durchschnittlichen Schichtenzahl, wobei man von der jeweiligen Regelarbeitszeit unter Berücksichtigung von Überschichten, Urlaubs- und Krankheitstagen ausgegangen sei. Mit 72,61 Feinstaubjahren handele es sich um eine bedeutsame Abweichung von dem Grenzwert von 100, welche den Versicherungsfall ausschließe.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, es imponierten die beruflichen Belastungen im Sinne der BK Nr. 4111, denn 72,61 Feinstaubjahre seien eine ganz erhebliche Belastung. Im Rahmen des Wortlauts der BKV, wonach "in der Regel" auf 100 Feinstaubjahre abgestellt werde, genügten auch 72,61 Feinstaubjahre, wenn man die Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfallversicherung berücksichtige. Ferner sei es nicht hinnehmbar, dass einer gerichtlichen Entscheidung ein Gutachten zugrunde gelegt werde, welches die Beamten des beklagten Versicherungsträgers erstellt hätten.
Die Klägerin hat nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13.11.2006 und des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2007 zu verurteilen, bei dem Versicherten G I eine Berufskrankheit nach der Nr. 4111 der Anlage zur BKV festzustellen und der Klägerin aus Anlass dieses Versicherungsfalls Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten.
Mit Gerichtsbescheid vom 09.01.2008 hat das Sozialgericht Duisburg die Klage abgewie-sen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Es sei nicht hin-reichend wahrscheinlich, dass eine BK Nr. 4111 den Tod des Versicherten zumindest wesentlich mitverursacht habe. Das Multiorganversagen, dem der Versicherte erlegen sei, Iasse sich einer BK Nr. 4111 der Berufskrankheitenverordnung nicht zuordnen. Dies folge daraus, dass ein Versicherungsfall nach der BK Nr. 4111 bei dem Versicherten zu keinem Zeitpunkt eingetreten gewesen sei. Denn der Versicherte sei bei seiner Tätigkeit im Steinkohlenbergbau unter Tage lediglich einer kumulativen Feinstaubdosis von 72,61 Feinstaubjahren ausgesetzt gewesen. Das Vorbringen der Klägerin sei nicht geeignet, die Berechnung der kumulativen Feinstaubdosis zu widerlegen. Dies gelte insbesondere für den Einwand der Klägerin, dass der Versicherte in der Zeit von 1950 bis 1956 nicht nur 220, sondern 260 Schichten pro Jahr verfahren habe. Wie sich aus der Multiplikation der im Berechnungsvordruck vorgesehen 220 jährlichen Arbeitsschichten mit dem Faktor 1,18 ergebe, habe die Beklagte den gesamten Zeitraum vom 13.09.1950 bis zum 31.12.1956 mit 260 Arbeitsschichten pro Jahr veranschlagt. Eine deutlich geringere kumulative Feinstaubdosis als 100 Feinstaubjahre sei nicht geeignet, einen wesentlichen ursächlichen Beitrag zur beim Versicherten aufgetretenen sehr komplexen Lungenerkrankung darzustellen, und bereits mit dem Wortlaut der Berufskrankheit nicht vereinbar.
Gegen den am 01.02.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 03.03.2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung trägt sie im Wesentlichen vor, auch 72,61 Feinstaubjahre lägen noch in der entschädigungspflichtigen Bandbreite der BK Nr. 4111. Zudem sei außer Acht gelassen worden, dass bei dem Versicherten eine Silikose pq 2/2 vorgelegen habe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 09.01.2008 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2007 zu verurteilen der Klägerin in Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 4111 der Anlage zur BKV beim Versicherten G I Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, die Entschädigungsvoraussetzungen für eine BK Nr. 4111 der Berufskrankheitenverordnung seien nicht gegeben. Zu Recht sei die Klage abgewiesen worden.
Der Senat hat die Verwaltungsakten bezüglich der BK Nr. 4101 beigezogen. Im Rahmen der seit 1993 als Versicherungsfall anerkannten Silikose ist der Versicherte mehrfach untersucht und begutachtet worden. In einem Gutachten von Prof. Dr. X aus Mai 1994 ist ausgeführt worden, dass der Versicherte an einer Silikose der Kategorie p/q 2/2 em (pi, co und od (Aortenskleorse) leide. Bei der eingehenden Lungenfunktionsprüfung habe kein Hinweis auf eine restriktive oder obstruktive Ventilationsstörungen vorgelegen. Das Residual-Volumen sei nicht vergrößert; lediglich eine leichte Störung des respiratorischen Gasaustausches in Ruhe sei vorhanden. Dies sei auf die kardiozirkulatorischen Faktoren zurückzuführen, weil der Versicherte an einer ausgeprägten koronaren Sklerose gelitten habe.
Mehrfache weitere Begutachtungen innerhalb von Klageverfahren sind zum gleichen Ergebnis gekommen. In der letzten gutachterlichen Stellungnahme zu Lebzeiten des Versicherten von Dr. N, Internist, hat dieser unter Berücksichtigung von 7 Röntgenaufnahmen vom 19.09.2002 ausgeführt, bei der im Wesentlichen röntgenkonstanten Silikose nach der Kategorie p/q 2/2 sei weiterhin nicht von einem Leistungsfall auszugehen.
Aus dem Bericht über die stationäre Behandlung ab 11.04.2004 bis zum Todeszeitpunkt ist als Todesursache ein Multiorganversagen bei septisch-toxischem Schock aufgrund einer Mediastinitis infolge einer Sternum-Infektion bei Zustand nach aortokoronarer Bypass-Operation angegeben worden.
Zur Klärung der Todesursache ist eine Obduktion durch Prof. Dr. N1 erfolgt. Er hat ausgeführt, bei dem Versicherten habe ein schwerwiegendes Herzleiden im Vordergrund gestanden. Es seien zwei Herzinfarkte dokumentiert und vor Todeseintritt sei eine Bypassoperation vorgenommen worden. Der Versicherte sei an einer Komplikationen dieser Operation verstorben. An Lungenerkrankungen habe bei dem Versicherten eine Lungenfibrose bestanden, die unabhängig von den Staubablagerungen entstanden sei, ferner eine chronische Bronchitis mit Lungenemphysem, eine Blutstauung in den Lungen und ein Drüsen-krebs in der Lungenperipherie. Es sei jedoch zu Lebzeiten eine Überinterpretation der nur sehr geringen Staublungenveränderungen vorgenommen worden. Des Weiteren hat die Beklagte Prof. Dr. T, Pathologe, mit einem Gutachten zur Frage, welches Leiden den Tod verursacht habe, beauftragt. Er hat als Todesursache ein septisches Multiorganversagen infolge Infektionen der Wunde durch einen multiresistenten Staphylokokkus angenommen. Eine Berufskrankheit habe nicht den Eintritt des Todes um mindestens ein Jahr vorverlegt.
Aus dem Verfahren betreffend die Gewährung einer Hinterbliebenenrente infolge einer Silikose (S 26 Kn 19/07 Sozialgericht Duisburg) sind die dort eingeholten pneumologischen Gutachten von Dr. T1 (vom 20.07.2006) und Dr. X1 (vom 08.02.2008) beigezogen worden. Übereinstimmend haben die Sachverständigen ausgeführt, dass der Tod wesentlich durch eine postoperativ aufgetretene, vermutlich auf mangelnde Hygiene im Krankenhaus zurückzuführende Infektionen bedingt sei. Auch unter der Annahme einer möglicherweise seit 1996 bestehenden chronischen obstruktiven Bronchitis bzw. eines Lungenemphysems im Sinne einer BK Nr. 4111 sei die dadurch ausgelöste Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht als so schwerwiegend einzustufen, dass sie den Tod des Versicherten wesentlich mitverursacht haben könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Duisburg hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht gemäß § 54 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente zu. Insoweit bezieht sich der Senat auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 SGG).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Begriff "in der Regel 100 Feinstaubjahre" in der Bezeichnung der streitigen BK Nr. 4111 weiterhin maßgeblich ist. Die Bekanntmachung vom 01.10.2006 (Bundesarbeitsblatt 12-2006, 149) hat daran nichts geändert. Diese Bekanntmachung hat nach ihrem Wortlaut letztlich zu einer Privilegierung der Nie-Raucher dahin gehend geführt, dass für diese der Grenzwert nur noch 90 Feinstaubjahre beträgt und unter Berücksichtigung eines 5 %igen Konfidenzintervalls sich ein unterer Grenzwert von 86 Feinstaubjahren (genau wären es wohl 85,5) ergibt. Es verbleibt danach bei einem Grenzwert von 100 Feinstaubjahren für Raucher. Der untere Grenzwert für Raucher ist weiterhin ein solcher von 95 Feinstaubjahren, wie der Senat bereits entschieden hat (LSG NRW Urteil vom 13.05.2004, L 2 KN 95/03 U, Breithaupt 2004, 919). Dieser untere Grenzwert ist für den Versicherten maßgeblich, da er zumindest nicht als Nie-Raucher angesehen werden kann. Denn der Versicherte hat gegenüber dem Sachverständigen Dr. C in einem von der Beklagten beigezogenen fachinternistischen Gutachten vom 03.12.1996 für das Sozialgericht Duisburg angegeben, dass er seit 1989 Nichtraucher sei und vorher kaum bzw. nicht geraucht zu haben. Mit den festgestellten 72,61 Feinstaubjahren erreichte der Versicherte den unteren Grenzwert bei weitem nicht. Der Geschäftsbereich Prävention der Beklagten hat – ausweislich der Verwaltungsakten – Dauer und Umfang der Untertagetätigkeit des Versicherten ermittelt und im Einzelnen die Berechnung der Feinstaubjahre dargelegt (Stellungnahme vom 18.10.2006). Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Stellungnahme lässt der Vortrag der Klägerin vermissen. Anhaltspunkte dafür, dass die Feinstaubjahre unzutreffend errechnet worden sind, hat der Senat indes nicht.
Darüber hinaus schließen auch die beigezogenen medizinischen Unterlagen die Annahme eines wesentlichen Todesursachenbeitrages durch eine BK Nr. 4111 aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Erstellt am: 23.12.2008
Zuletzt verändert am: 23.12.2008