Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 30.10.2008 geändert. Der Klägerin zu 1) wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren bewilligt und Rechtsanwalt D, E, beigeordnet. Im Übrigen wir die Beschwerde der Kläger zu 2) und 3) zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Kläger vom 05.11.2008 ist insoweit begründet, als das Sozialgericht es mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt hat, der Klägerin zu 1) für das gegen den Sanktionsbescheid der Beklagten vom 29.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2008 gerichtete Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Die Kinder der Klägerin zu 1), die Kläger zu 2) und 3), sind durch den an die Klägerin zu 1) gerichteten Sanktionsbescheid nicht beschwert. Mit dem Bescheid vom 29.01.2008 wird lediglich die Regelleistung der Klägerin zu 1) abgesenkt. Dies entspricht auch den Vorgaben und der Zielrichtung des § 31 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Adressat der Absenkung ist immer nur derjenige, der individuell gegen eine Pflicht verstoßen hat. § 31 SGB II beabsichtigt einen individuellen erzieherischen Effekt, der auch durch die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft nicht unterlaufen werden kann und darf (vgl. etwa Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 31 Rn. 45c). Auch mit Blick auf die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II kann eine Beschwer nicht angenommen werden. Diese Vorschrift entfaltet Wirkung bei der Ermittlung des Bedarfs und der (individuellen) Hilfebedürftigkeit. Sie gibt die sog. horizontale Berechnungsmethode vor. In der Bedarfsgemeinschaft bleiben die Individualansprüche ihrer Mitglieder erhalten (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 18.06.2008 – B 14 AS 55/07 R). Die Sanktion setzt das Ergebnis dieser Ermittlung ihrerseits voraus und knüpft an den Individualanspruch an.
Hinsichtlich der Klägerin zu 1) kann der Klage hingegen hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung zur Überzeugung des Senats nicht abgesprochen werden.
In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ist zunächst bisher nicht hinreichend geklärt, welche Anforderungen an die subjektive Vorwerfbarkeit (vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 18.10.2006 – L 1 B 27/06 AS ER) der einzelnen sanktionierenden Tatbestände des § 31 SGB II im Allgemeinen und eines Meldverstoßes im Sinne des § 31 Abs. 2 1. Alternative SGB II zu stellen sind. In der einschlägigen Kommentarliteratur wird insoweit etwa vertreten, die Sanktionstatbestände des § 31 SGB II seien grundsätzlich nur vorsätzlich begehbar (vgl. etwa Rixen, a.a.O., Rn. 9a).
Es bedarf – soweit man auch Vorsatz hinsichtlich des Meldeversäumnisses verlangt (vgl. unter diesem Gesichtspunkt und zur Problematik des Zugangs einer mit der Meldeaufforderung verbundene – auch vorliegend erforderlichen – Belehrung über die Rechtsfolgen – aber zum Arbeitsförderungsgesetz BSG, Urteil vom 25.04.1996 -11 RAr 81/95) ggf. der weiteren Prüfung, ob die Klägerin zu 1) entsprechend der Auffassung des Sozialgerichts die Nichtwahrnehmung des Termins billigend in Kauf nahm, weil sie gewusst habe, dass sie Postsendungen wegen des Verlustes des Briefkastenschlüssels nicht erreichen würden. Es fehlen insoweit bisher Anhaltspunkte dafür, dass sie davon ausgehen musste oder auch nur damit rechnen konnte, dass eine Meldeaufforderung ergehen würde. Soweit man die Auffassung vertritt, die Regelung zur sog. Residenzpflicht in § 1 der sog. Erreichbarkeitsanordnung könnten zur Begründung eines dolus eventualis hinsichtlich des Meldeversäumisses herangezogen werden, bedarf es der grundsätzlichen Klärung der Geltung dieser Regelung. Der Senat hat hierzu bereits an anderer Stelle (Beschluss vom 15.04.2008 – L 20 B 24/08 AS) ausgeführt:
"Zwar kann sich der Kläger bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Sozialgerichts, die Anordnung zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können (EAO vom 23.10.1997 [ANBA S. 1685, 1998 S. 1100], geändert durch AnO vom 16.11.2001 [ANBA S. 1476]), sei auch hinsichtlich der in § 1 der EAO geregelten Verpflichtungen anwendbar, nicht mit Erfolg auf seine Ortsabwesenheit berufen. Dabei scheint der Wortlaut des § 7 Abs. 4a SGB II letzter Halbsatz (die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend) die Auffassung des Sozialgerichts zunächst nahe zu legen (vgl. auch Mergler/Zink, SGB II, Stand August 2007, § 7 Rn. 54b). Auch im Schrifttum wird ohne weitere Problematisierung davon ausgegangen, den zeit- und ortsnahen Bereich im Sinne des § 7 Abs. 4a SGB II verlasse nicht, wer sich täglich nach dem Eingang der Briefpost wenigstens einmal in der Wohnung aufhalte (Winkler, Die Erreichbarkeit in SGB II und III, info also 1/2007, S. 3ff.). Auch andernorts wird von der Geltung der Regelungen des § 1 EAO zur sog. Residenzpflicht (Erreichbarkeit an jedem Werktag durch Briefpost) ausgegangen (vgl. etwa Brühl/Schoch, LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 7 Rn. 92; Geiger, Leitfaden zum Arbeitslosengeld II, 4. Auflage 2007, S. 19).
Allerdings wird mit gewichtigen Argumenten demgegenüber auch vertreten, § 7 Abs. 4a SGB II sanktioniere einen Verstoß gegen § 1 der EAO nicht. Diese Vorschrift sei ersichtlich nicht durch § 7 Abs. 4 a SGB II in Bezug genommen, weshalb ein weiteres Eingehen auf die Probleme des § 1 EAO nicht erforderlich sei (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 7 Rn. 80). Der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II setze nicht voraus, dass der Hilfebedürftige täglich unter seiner Postanschrift erreichbar sein muss (Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, 10. Erg.-Lfg. II/07, § 7 Rn. 26, 76). Es finde nur § 3 der EAO im Geltungsbereich des SGB II Anwendung.
Der Senat verkennt nicht, dass es vorliegend nicht um den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II wegen Verstoßes gegen die sog. Residenzpflicht geht. Es stellt sich angesichts der vorstehenden Ausführungen allerdings die grundsätzliche Frage der (entsprechenden) Geltung des § 1 der EAO.
Auch die Gesetzesbegründung löst diese Problematik nicht zweifelsfrei. Allerdings ist zu den Motiven des Gesetzgebers zunächst ausgeführt, der Leistungsanspruch solle künftig bei einem Verstoß gegen den in § 7 Abs. 4a SGB II genannten Grundsatz entfallen, um die missbräuchliche Inanspruchnahme bei einem nicht genehmigten vorübergehenden auswärtigen Aufenthalt innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden (BT-Drs. 16/1696 S. 26).
Dafür, dass die entsprechende Anwendung der übrigen Vorschriften der EAO vor dem Hintergrund dieses gesetzgeberischen Anliegens, eine im Vergleich zur nach § 31 SGB II ggf. möglichen Sanktionierung härtere Konsequenz zu ermöglichen, nur eingeschränkt gilt, mag die weitere Gesetzesbegründung herangezogen werden, wenn dort zur entsprechenden Anwendung lediglich ausgeführt ist:
Die Erreichbarkeits-Anordnung …sieht Ausnahmen vom Aufenthalt im zeit- und ortsnahen Bereich vor. Sie soll entsprechende Anwendung finden.
Bei Annahme der Geltung auch der Residenzpflicht aus § 1 der EAO wäre ggf. zu problematisieren – verlangt man Vorsatz hinsichtlich des Meldeversäumnisses (s.o.) -, ob der Klägerin diese Verpflichtung bekannt war (die mit ihr getroffene Eingliederungsvereinbarung verhält sich hierzu nicht) oder bekannt sein musste.
Zusammengefasst könnte der Frage, ob der Verstoß der Klägerin zu 1) subjektiv vorwerfbar ist, damit entscheidende Bedeutung zukommen. Schon wegen der insoweit ungeklärten Rechtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung hat die Klage auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Darüber hinaus haben Beklagte und Sozialgericht nicht hinreichend problematisiert, ob der Vortrag der Klägerin zu 1) glaubhaft ist, der Schlüssel sei von ihren Kindern verlegt worden und erst nach zwei Tagen aufgefunden worden. Ggf. wird die Klägerin zu 1) hierzu persönlich zu hören sein (Gab es nur einen Schlüssel? Konnte Post ggf. nicht auch ohne Schlüssel entnommen werden? etc.), was dem Sozialgericht im übrigen – hätte es die diesbezüglichen Bedenken des Senats geteilt – nach der Vorschrift des § 118 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO auch vor der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch möglich gewesen sein dürfte.
All dies könnte aber ggf. dahinstehen:
Der Senat weist darauf hin, dass die Meldeaufforderung sich nicht in den Akten der Beklagten befindet. Insofern wird das Sozialgericht vorab zu klären haben, ob die Klägerin zu 1) überhaupt vorab Kenntnis von dem für den 21.01.2008 vorgesehenen Termin erlangte bzw. erlangen konnte (auch der Sanktionsbescheid musste im Übrigen erst von der Klägerin zu 1) zu den Akten gereicht werden, da er laut Beklagter nicht mehr "im System" gespeichert war). Nach einem in den Verwaltungsakten der Beklagten befindlichen Vermerk vom 28.01.2008 wurde die Einladung (EWE) vom 21.01.2008 am 22.01.2008 um 10:45 Uhr durch den TNT eingeworfen. Sanktionierte wurde das Nichterscheinen zu einem Termin vom 21.01.2008, einem Zeitpunkt also, an dem die Klägerin ggf. noch keine Kenntnis von dem Termin haben konnte. Erst nach Vorlage der Meldeaufforderung kann im Übrigen auch geprüft werden, ob die konkrete Rechtsfolgenbelehrung – ungeachtet der Frage des Zugangs (s.o.) den gesetzlichen Anforderungen entsprach.
Kosten sind nicht zu erstatten (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 27.01.2009
Zuletzt verändert am: 27.01.2009