NZB
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.10.2007 aufgehoben und die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechstzügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die der Klägerin bewilligte Hinterbliebenenrente mit dem ungeminderten Zugangsfaktor von 1,0 zu berechnen ist.
Die Klägerin ist die Witwe des am 00.00.1947 geborenen und am 00.00.2005 verstorbenen Versicherten. Die Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 27.12.2005 große Witwenrente ab 06.11.2005. Dabei legte sie einen verminderten Zugangsfaktor von 0,892 zugrunde und berücksichtigte eine Zurechnungszeit vom 01.12.2005 bis 18.11.2007. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin, der sich gegen die Minderung des Zugangsfaktors richtete, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2006 zurück: Nach § 77 Abs. 2 S. 1 Nr 4 SGB VI vermindere sich der Zugangsfaktor bei Hinterbliebenenrenten für jeden Kalendermonat, der sich vom Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist, bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres des Versicherten ergibt, um 0,003. Nach Abs. 2 S. 2 der genannten Vorschrift werde für die Bestimmung des maßgeblichen Zugangsfaktors nicht auf den Tod, sondern auf die Vollendung des 60. Lebensjahres abgestellt. Sterbe der Versicherte vor Vollendung des 60. Lebensjahres, so betrage der Zugangsfaktor für die Hinterbliebenenrente automatisch 0,892.
Zur Begründung ihrer am 17.08.2006 beim Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ausgeführt, die Minderung des Rentenzugangsfaktors sei mit der Vorschrift des § 77 SGB VI nicht zu vereinbaren. Sie hat sich vor allem auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.5.2006 – B 4 RA 22/05 R – bezogen. Außerdem sei der Versicherte anerkannter Schwerbehinderter gewesen und habe als vor dem in § 236 a SGB VI genannten Stichtag Geborener Vertrauensschutz besessen, so dass er bei Vollendung des 60. Lebensjahres Altersrente ohne Kürzung des Zugangsfaktors hätte beziehen können. Dann müsse aber auch ihre Hinterbliebenenrente ebenfalls ohne Verringerung des Zugangsfaktors gewährt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.12.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2006 zu verurteilen, ihr unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab dem 6.11.2005 eine höhere Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass sich das von der Klägerin angeführte Urteil des BSG nur auf Erwerbsminderungsrenten beziehe und die dort getroffenen Feststellungen nicht auf Hinterbliebenenrenten zu übertragen seien.
Mit Urteil vom 16.10.2007 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Es hat sich der Entscheidung des BSG vom 16.05.2006 und dem dieser folgenden (nicht rechtskräftig gewordenen) Urteil des LSG NRW vom 25.4.2008 – L 8 R 185/06 angeschlossen. Die Grundsätze jenes Urteils seien entgegen der Auffassung der Beklagten auf die Hinterbliebenenrente anwendbar. Danach sei die Rente mit dem ungeminderten Zugangsfaktor 1.0 zu berechnen gewesen.
Gegen das ihr am 05.11.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.12.2007 Berufung eingelegt. Sie sieht sich durch die mittlerweile ergangenen Entscheidungen des BSG vom 14.08.2008 (insbesondere in der Sache B 5 R 98/07 R ) bestätigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.10.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
Das SG hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Unrecht aufgehoben, denn diese sind nicht rechtswidrig. Die Beklagte gewährt der Klägerin Hinterbliebenrente in zutreffender Höhe. Insbesondere hat sie den Zugangsfaktor der Rente der Klägerin richtig berechnet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines ungekürzten Zugangsfaktors. Darin liegt nach Überzeugung des Senats keine Grundrechtsverletzung.
Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich gemäß § 63 Abs 6, § 64 Nr.1 bis 3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (EP), der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.
Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen EP, dessen Höhe in § 77 SGB VI näher geregelt ist, hier in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 21.07.2004 (RV-Nachhaltigkeitsgesetz – BGBl I 1791). Danach richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, ob die vom Versicherten während des Erwerbslebens erzielten EP in vollem Umfang oder nur zu einem Anteil bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche EP zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, gemäß § 77 Abs 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a SGB VI bei Hinterbliebenenrenten für jeden Kalendermonat zwischen dem Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist, und dem Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres des Versicherten um 0,003 niedriger als 1,0. Ist der Versicherte -wie hier- vor Vollendung des 60. Lebensjahres verstorben, so bestimmt § 77 Abs 2 Satz 2 SGB VI, dass die Vollendung des 60. Lebensjahres für die "Bestimmung des Zugangsfaktors" der dann zu zahlenden Hinterbliebenenrente maßgebend ist. Verstirbt der Versicherte vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist der Zugangsfaktor für die Rente wegen Todes im Ergebnis um maximal 0,108 zu mindern und somit auf mindestens 0,892 festzulegen.
Wie das BSG in den Urteilen vom 14.08.2008 (B 5 R 32/07 R – den Beteiligten übersandt-, B 5 R 88/07 R, B 5 R 140 /07 R und B 5 R 98/07 R – zur Hinterbliebenenrente-) ausführlich und überzeugend dargelegt hat, sprechen für diese Auslegung Wortlaut und systematische Stellung des § 77 SGB VI wie auch Sinn und Zweck, systematischer Gesamtzusammenhang und Entstehungsgeschichte der Norm. Der Senat folgt diesen Entscheidungen in ständiger Rechtsprechung und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des BSG in den den Beteiligten bekannten Urteilen vom 14.08.2008 Bezug. Danach müssen Erwerbsminderungsrentner eine Absenkung des Zugangsfaktors (Rentenabschlag) auch dann hinnehmen, wenn sie bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (entsprechend auch Hinterbliebenrentner bei Tod des Versicherten vor Vollendung des 60.Lebensjahres).
An der anders lautenden Entscheidung des 4. Senats des BSG (Urteil vom 16.05.2006 – B 4 RA 22/05 R), auf die sich das SG gestützt hatte, halten die für die gesetzliche Rentenversicherung zuständigen Senate des BSG nicht fest (vgl. Beschluss vom 26.06.2008 (B 13 R 9/08 S) und auch der erkennende Senat vermag ihr aus den in den genannten Urteilen vom 14.08.2008 (a.a.O.) genannten Gründen nicht zu folgen.
Der Einwand der Klägerin, der Zugangsfaktor müsse in ihrem Falle ungekürzt bleiben, weil die Besonderheit bestehe, dass der Versicherte nach § 236a SGB VI bei Vollendung des 60. Lebensjahres abschlagfreie Altersrente hätte beziehen können, verfängt nicht. Dieses Vertrauen bezog sich allein auf die Möglichkeit des Versicherten, bereits ab Vollendung des 60.Lebensjahres eine Altersrente für schwerbehinderte Personen in Anspruch zu nehmen. Auf andere Leistungen als diese Altersrente konnte es sich nicht beziehen und auf Ansprüche Dritter erst recht nicht. Eine gesetzliche Regelung dahin, dass der Zugangsfaktor der Hinterbliebenenrente ungekürzt zu bleiben habe, wenn der Versicherte im Falle der Vollendung des 60. Lebensjahres von der Regelung des § 236a SGB VI begünstigt gewesen wäre, existiert aber nicht. Ihrer bedurfte es angesichts der vom Gesetzgeber in § 77 SGB VI zulässig vorgenommenen Typisierung auch nicht. Für die Kürzung des Zugangsfaktor spricht auch hier vielmehr, dass aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres wie im Falle des Eintritts von Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI) Leistungen zu gewähren waren. Unter Berücksichtigung der Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente wäre es zudem nur schwer verständlich, wenn ihr höhere EP zu Grunde zu legen wären als einer bis zum Tode des Versicherten zu zahlenden Erwerbsminderungsrente.
Die Kürzung des Zugangsfaktors verstößt auch im Falle der Klägerin nicht gegen das Grundgesetz (GG).
Eine Verletzung des Grundrechts der Klägerin aus Art 14 Abs 1 GG (Eigentumsgarantie) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil Hinterbliebenenrenten nicht dem Eigentumsschutz unterliegen (BVerGE 97,271,284 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 5). Die Regelungen des § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 4 Buchst a und Satz 2 SGB VI verstoßen ferner nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Wegen der Begründung nimmt der Senat auch insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Urteils des BSG vom 14.08.2008 – B 5 R 98/07 R- Bezug, dem er in ständiger Rechtsprechung folgt. Die Klägerin hat keinen Gesichtspunkt aufzeigen können, der die Darlegungen des BSG in Frage ziehen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
Erstellt am: 08.03.2010
Zuletzt verändert am: 08.03.2010