Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 02. 0ktober 2008 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger gewährten Gründungszuschusses (GZ). Der Kläger meldete sich nach einer Beschäftigung als Schädlingsbekämpfer von April 2001 bis Dezember 2006 zum 01.01.2007 arbeitslos. Die Beklagte bewilligte für die Dauer von 360 Tagen Arbeitslosengeld nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 69,12 EUR.
Am 17.06.2008 beantragte der Kläger die Gewährung eines GZ wegen der zum 30.09.2007 beabsichtigten Aufnahme eines Einzelhandels mit technischen Geräten per Internet.
Im August 2007 nahm der Kläger eine geringfügige Beschäftigung als LKW-Fahrer auf. Laut Abrechnung des Arbeitgebers vom 21.09.2007 betrug das Arbeitsentgelt für August 2007 144,65 EUR und laut Abrechnung vom 10.10.2007 für September 2007 399,40 EUR.
Am 08.11.2007 meldete der Kläger den Handel mit technischen Geräten per Internet zum 30.09.2007 an. Mit Bescheid vom 09.11.2007 hob die Beklagte die Bewilligung des Arbeitslosengeldes für September 2007 in Höhe von 141,22 EUR wegen des anzurechnenden Nebeneinkommens auf.
Den GZ bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 09.01.2008 für die Zeit vom 30.09.2007 bis 29.06.2008 in Höhe von monatlich 932,70 EUR als Zuschuss. Hiergegen legte der Kläger am 21.01.2008 Widerspruch mit der Begründung ein, sein monatliches Arbeitslosengeld habe 807,00 EUR betragen, so dass der GZ zuzüglich der gesetzlich vorgesehenen Pauschale von 300,00 EUR 1.107,00 EUR betrage. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück, weil das aus der kurzzeitigen Beschäftigung erzielte Nebeneinkommen den Anspruch auf Arbeitslosengeld auf zuletzt monatlich 632,70 EUR gekürzt habe (Widerspruchsbescheid vom 12.03.2008).
Der Kläger hat am 15.04.2008 vor dem Sozialgericht (SG) Detmold Klage erhoben, weil er die Anrechnung seines Nebeneinkommens für nicht rechtmäßig erachtet hat. Er habe auch tatsächlich vor Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit Arbeitslosengeld ohne Anrechnung von Nebeneinkommen in Höhe von 807,00 EUR bezogen. Da er ein variables Nebeneinkommen erzielt habe, sei er auch erst zum Ende des dritten Beschäftigungsmonats – also Ende 0ktober 2007 – verpflichtet gewesen, seine Nebeneinkommensbescheinigung der Beklagten vorzulegen. Die Aufnahme der Beschäftigung habe er ordnungsgemäß angezeigt. Schließlich unterfalle es auch nach der Geschäftsanweisung der Beklagten nicht der Anrechnung, weil es sich nur um eine gelegentliche kurzzeitige Beschäftigung gehandelt habe, die von der Anrechnung auszunehmen sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.10.2008 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides verurteilt, dem Kläger nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften GZ in Höhe von 1.107,00 EUR monatlich zu gewähren. Es hat die Auffassung vertreten, das zuletzt bezogene Arbeitslosengeld, das für die Höhe des GZ maßgeblich sei, sei das ohne Nebeneinkommen zustehende Arbeitslosengeld, weil andernfalls der Gesetzgeber die Wortwahl "tatsächlich ausgezahltes Arbeitslosengeld" hätte wählen müssen.
Gegen den ihr am 13.10.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 10.11.2008 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass jedenfalls in Fällen, in denen wie hier die Nebentätigkeit auch noch nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit fortgesetzt werde, das um das anrechenbare Nebeneinkommen verminderte Arbeitslosengeld dem GZ zugrundezulegen sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Detmold vom 02.10.2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass sowohl der Wortlaut wie auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung für die vom SG gefundene Lösung sprächen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, den höheren GZ unter Zugrundelegung des ungekürzten Arbeitslosengeldes zu gewähren.
Nach § 57 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitslose vom 20.07.2006 (BGBl I 1706) haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhaltes und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen GZ. Dieser wird geleistet, wenn der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit a) einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch hat oder b) eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach diesem Buch gefördert worden ist, 2. bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfügt, 3. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 4. seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt (§ 57 Abs. 2 S. 1 SGB III). Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger im streitigen Leistungszeitraum. Er hatte Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zum 31.12.2007 und damit zum Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 30.09.2007. Dieser betrug auch noch 90 Tage (01.10. bis 31.12.2007). Ferner hatte der Kläger der Beklagten die Tragfähigkeit seiner Existenzgründung durch Vorlage der Stellungnahme der Steuerberaterin Brüggemann nachgewiesen, die die Voraussetzungen einer fachkundigen Stelle i.S. des § 57 Abs. 2 S. 2 SGB III zur Überzeugung des Senats erfüllte. Schließlich hatte der Kläger der Beklagten seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der beabsichtigten selbständigen Tätigkeit u. a. durch Vorlage seines Lebenslaufes und eines Businessplans dargelegt. Seiner Förderfähigkeit mittels GZ standen auch nicht die Bestimmungen des § 57 Abs. 3 u. 4 SGB III entgegen, da der Arbeitslosengeldanspruch des Klägers nicht nach den Bestimmungen der §§ 142 bis 144 SGB III ruhte und er bisher nicht durch Leistungen der Beklagten zwecks Gründung einer selbständigen Existenz gefördert worden war. Die selbständige Tätigkeit hat der Kläger seit dem 30.09.2007 für die Dauer der hier streitigen Leistungsbewilligung durchgehend als Vollzeittätigkeit ausgeübt. Diese Tatsachen stehen zur Überzeugung des Senats aufgrund der aktenkundigen Vorgänge sowie des Vortrags der Beteiligten, die über diese Punkte auch nicht streiten, fest.
Der GZ wird gemäß § 58 Abs. 1 SGB III ebenfalls in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitslose für die Dauer von neun Monaten in Höhe des Betrages, den der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld zuletzt bezogen hat, zuzüglich von monatlich 300,00 EUR, geleistet. Was als zuletzt bezogenes Arbeitslosengeld in diesem Sinne zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber nicht näher definiert. Auch die Gesetzgebungsmaterialien verhalten sich hierzu nicht (vgl. BT-Drucks. 16/1696 S. 30 zu § 58). Der Wortlaut lässt vier verschiedene Auslegungen zu (zur Unklarheit des Begriffs vgl. BSG, Urt. v. 18.12.2008 – B 11 AL 48/07 R – zu § 158 SGB III sowie Urt. v. 31.10.2007 – B 14 AL 30/07 R – Rn 18 zu § 24 SGB II). Zum Ersten kann damit das tatsächlich ausgezahlte Arbeitslosengeld gemeint sein (so Bayr. LSG Urt. v. 30.04.2008 – L 10 AL 360/07). Zum Zweiten könnte auf den Betrag abgestellt werden, der vor der Existenzgründung zuletzt bescheidmäßig bewilligt worden war (vgl. Link in Eicher/ Schlegel, SGB III, § 58 Rn 24). Drittens könnte der dem Grunde nach auf der Grundlage des maßgeblichen Bemessungsentgelts (§ 131 SGB III) erworbene Leistungsentgeltanspruch (§ 133 SGB III) als maßgeblich angesehen werden. Viertens könnte der Betrag zu Grunde gelegt werden, der rechtmäßig – auch unter nachträglicher rückwirkender Anrechnung von Nebeneinkommen – zugestanden hätte (vgl. dazu Link a.a.0. Rn 25). Da dem Kläger bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ungekürztes Arbeislosengeld in Höhe des Leistungsentgelts bewilligt und anrechenbares Nebeneinkommen noch nicht abgerechnet und ausgezahlt worden war, könnte nur unter Anwendung der vierten Alternative die Berufung der Beklagten Erfolg haben. Sinn und Zweck der Bestimmungen über den GZ stehen dem jedoch entgegen.
Der GZ, der das bisherige Überbrückungsgeld und den früheren Existenzgründungszuschuss als Förderinstrument der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit abgelöst hat (vgl. Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 57 Rn 1), soll nach dem Willen des Gesetzgebers den Verlust des Arbeitslosengeldes kompensieren (BT-Drucks. 16/1696 S. 30 zu § 57 Abs. 1). Hat aber wie hier der Existenzgründer ungekürztes Arbeislosengeld bislang ausgezahlt erhalten und war ihm sein Nebeneinkommen noch nicht zugeflossen, so hat allein das Arbeitslosengeld seinen Lebensunterhalt maßgeblich bestimmt. Insoweit wird daher nur die Berücksichtigung des vollen Arbeitslosengeldes dem Kompensationsgedanken gerecht. Eine andere Betrachtungsweise führte auch zu willkürlichen Ergebnissen. Der Kläger hat seine Selbständigkeit am Ende des Monats September aufgenommen; wäre dies dagegen zum Beginn des Monats erfolgt, so wäre das ungekürzte Arbeitslosengeld zugrundezulegen gewesen, weil das Nebeneinkommen des Vormonats unter der Anrechnungsgrenze des § 141 Abs. 1 SGB III geblieben war. Dies belegt die Manipulationsmöglichkeit, die ein Abstellen allein auf den gesetzmäßig zustehenden Auszahlungsanspruch auslöst. Verringert nämlich der Existenzgründer sein Nebeneinkommen vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit entsprechend, könnte er den ungekürzten GZ erhalten, obwohl seine frühere Lebensgrundlage wesentlich durch das Arbeitslosengeld zuzüglich des Nebeneinkommens geprägt war. An diesem Ergebnis würde sich nichts ändern, wenn er nach Beginn der selbständigen Nebentätigkeit sein Nebeneinkommen wieder erhöhen würde.
Des weiteren führt die pauschale Berücksichtigung des zuletzt unter Anrechnung des Nebeneinkommens bezogenen Arbeitslosengeldes zur Ungleichbehandlung der Arbeitslosen, die – was häufig der Fall sein dürfte – ihre bisherige Nebentätigkeit zur ihrer hauptberuflichen Tätigkeit machen, und derjenigen Existenzgründern, die – wie hier – ein anderes Gewerbe ausüben. Letztere können grundsätzlich ihre Nebentätigkeit fortsetzen, erstere in aller Regel nicht. Soll durch den GZ aber die Ausübung der selbständigen Tätigkeit aktiv gefördert werden und stellt dieser damit gegenüber den Entgeltersatzleistungen eine gemäß § 3 SGB III vorrangig einzusetzende Leistung dar (vgl. Petzold a.a.0.), wäre die Anreizfunktion des GZ deutlich geschmälert, wenn der Arbeitslose wüsste, dass er nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit seine Nebentätigkeit nicht mehr oder nicht mehr im selben Umfang ausüben könnte, er aber den GZ nur auf Basis des verminderten Arbeitslosengeldes erhalten könnte, obwohl dieses gerade nicht die alleinige Lebensgrundlage zuvor gebildet hatte.
Ebenso führte die uneingeschränkte Berücksichtigung des Nebeneinkommens bei Arbeitslosengeldbeziehern zu einer Ungleichbehandlung gegenüber Personen, deren Anspruch auf GZ ohne tatsächlichen Bezug von Arbeitslosengeld entsteht, wenn deren grundsätzlicher Arbeitslosengeldspruch auf einer versicherten Beschäftigung beruht, während der eine geringfügige versicherungsfreie Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 S. 1 SGB IV) zusätzlich ausgeübt worden ist. Da der Anspruch auf GZ gemäß § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB III nicht den tatsächlichen Bezug, sondern nur den Erwerb des Stammrechts auf Arbeitslosengeld voraussetzt (vgl. Link a.a.0. Rn 23 sowie derselbe in SGb 2007, 17, 19), berechnet sich das dann maßgebliche fiktive Arbeitslosengeld (vgl Stratmann in Niesel, SGB III, 4. Aufl.,§ 58 Rn 4) in diesem Fall ohne das Nebeneinkommen, das über der Freigrenze des § 141 Abs. 1 SGB III liegen kann. Dieses würde auch dann gelten, wenn der Existenzgründer seine Nebentätigkeit nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit fortsetzte, weil es auf den fiktiven Bezug vor Beginn der selbständigen Tätigkeit ankommt, zu dem aber kein Anrechnungstatbestand gegeben war.
Die gegenteilige Betrachtungsweise brächte auch eine erhebliche Planungsunsicherheit für den Existenzgründer mit sich, wenn die rückwirkende Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung wegen nachträglich abgerechneten Nebeneinkommens Einfluss auf seinen Anspruch nehmen könnte (vgl. dazu BSG Urt. v. 21.03.2007 – B 11a AL 11/06 R – Rn 14). Für die Verwaltungspraxis ergäben sich ebenfalls Schwierigkeiten, weil in entsprechenden Fällen entweder der GZ nur vorläufig oder verzögert bewilligt werden könnte, wenn sich die Beklagte nicht den Schwierigkeiten einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung ausgesetzt sehen wollte. Hieraus ergäben sich für den Existenzgründer ebenfalls unkalkulierbare Risiken.
0b die Fälle, in denen der Arbeitslose vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit Nebenein-kommen erarbeitet und entsprechend gemindertes Arbeitslosengeld erhalten hat und an seiner Nebentätigkeit mit entsprechendem Einkommen nach der Existenzgründung festhält, anders zu beurteilen sind (vgl. Link a.a.0 Rn. 26 sowie derselbe in SGb 2007, 17, 23), braucht hier nicht entschieden zu werden.
Da das ungekürzte monatliche Arbeitslosengeld des Klägers 807,00 EUR betrug, hat das SG die Beklagte zu Recht für verpflichtet erachtet, dem Kläger den GZ für die ersten 9 Monate in Höhe von 1.107,00 EUR zu bewilligen. Die Berufung der Beklagten war daher mit der auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 13.07.2009
Zuletzt verändert am: 13.07.2009