Anerkenntnis der Beklagten beim BSG
Auf die Berufung des Beklagten wird das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 14.10.2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten haben sich die Beteiligten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erziehungsgeld (Regelbetrag) für die Zeit vom 21.01.2005 bis 20.01.2006 in Höhe von monatlich 300,00 EUR, insgesamt 3.600,00 EUR.
Die 1971 geborene Klägerin ist libanesische Staatsangehörige. Sie reiste erstmals im März 1990 mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn N nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Während des Aslyverfahrens kehrte sie im Januar 1993 in den Libanon zurück, weil ihr Schwiegervater dort schwer erkrankt war. Das Asylverfahren wurde eingestellt.
Im Dezember 1997 stellte die Klägerin für sich und ihre Kinder Asylfolgeanträge. Zur Begründung gab sie Misshandlungen durch ihren Eheman im Libanon an; dieser habe sie u.A. vergewaltigt und vorgehabt, ihr die Kinder wegzunehmen. Beim Versuch einer Selbstverbrennung, bei dem ihr Ehemann sie angezündet habe, sei sie vor den Augen ihrer Kinder schwer verletzt worden und habe monatelang im Krankenhaus liegen müssen. Als allein stehende Frau mit zwei Kindern könne sie im Libanon nicht leben. Das zuständige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 16. 02.1998 ab, weil private Probleme der Kläger keine politische Verfolgung begründeten. Die Ablehnung wurde am 20.07.1998 rechtskräftig. Im Anschluss erhielt die Kläger Duldungen auf der Grundlage des Ausländergesetzes.
Am 8.10.1999 stellte eine amtsärztliche Stellungnahme fest, die Klägerin sei aufgrund einer massiven depressiven Symptombildung bei traumatische Belastungsreaktionen im lebensgeschichtlichen Zusammenhang auf nicht absehbare Zeit reiseunfähig. Eine weitere amtsärztliche Stellungnahme vom 24.09.1998 bestätigte die Reiseunfähigkeit der Klägerin, weil sie an der Schilddrüse sowie danach – infolge der von ihr im Libanon erlittenen Verbrennungen – plastisch-chirurgisch am Hals operiert werden müsse.
Am 17.12.1999 erhielt die Klägerin eine Aufenthaltsbefugnis gem. § 30 Abs. 3 Ausländergesetzes (AuslG) aus humanitären Gründen wegen der amtsärztlich feststellten dauerhaften Reiseunfähigkeit, die in der Folgezeit jeweils verlängert wurde.
Seit 28.11.2005 ist die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Ausübung einer (nicht selbstständigen) Beschäftigung ist ihr – zumindest seit 2003 – gestattet.
Am 21.01.2005 gebar die Klägerin das (dritte) Kind B. Dieses lebte mit ihr in einem Haushalt und wurde von ihr betreut und erzogen. Von der Geburt des Kindes bis zum Ende seines ersten Lebensjahres übte die Klägerin keine Erwerbstätigkeit aus.
Am 04.03.2005 beantragt die Klägerin Erziehungsgeld (Regelbetrag) für das erste Lebensjahr des Kindes B. Durch Bescheid vom 10.03.2005 lehnte das Versorgungsamt B. den Antrag ab mit der Begründung, die Klägerin sei nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels, der nach § 1 Abs. 6 BErzGG (BErzGG) einen Anspruch auf Erziehungsgeld begründe.
Dagegen legte die Klägerin am 22.03.2005 Widerspruch ein und wies auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.07.2004 (1 BvR 2515/95) hin.
Der Beklagte stellte mit Einverständnis der Klägerin die Entscheidung über den Widerspruch bis zum Erlass einer – vom BVerfG geforderten – Neuregelung zurück. Nach Erlass des "Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss" vom 13.12.2006 (BGBl. I S. 2915) wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 29.11.2007 zurück. Er vertrat die Auffassung, die Klägerin erfülle für den geltend gemachten Erziehungsgeldanspruch nicht die durch die Neuregelung geschaffenen Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 Nr. 3 lit b BErzGG; sie sei weder berechtigt erwerbstätig noch beziehe sie laufende Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) noch nehme sie Elternzeit in Anspruch.
Auf ihre rechtzeitig erhobene Klage hat das Sozialgericht der Klägerin Erziehungsgeld für ihr am 21.01.2005 geborenen Kind in Höhe des Regelbetrages (monatlich 300,00 EUR) für den Zeitraum vom 21.01.2005 bis 20.01.2006, insgesamt 3.600,00 EUR, zugesprochen.
Die Anspruchsvoraussetzungen ergäben sich nicht aus § 1 Abs. 6 BErzGG in der seit 01.01.2006 geltenden Fassung, sondern aus § 1 Abs. 6 BErzGG in der vom 01.01. bis 31.12.2005 geltenden Fassung. Dies folge aus § 24 Abs. 3 Satz 1 BErzGG, weil der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Erziehungsgeld für die Zeit vom 21.01.2005 bis 20.01.2006 gelte und die Entscheidung über diesen Anspruch, die vom 10.08.2006 datiere, am 19.12.2006 noch nicht bestandskräftig geworden war.
Der Erziehungsgeldanspruch der Klägerin bestimme sich nach § 1 Abs. 6 BErzGG a.F., weil die Neuregelung der Vorschrift durch das Gesetz vom 13.12.2006 für sie ungünstiger sei. Denn im streitbefangenen Anspruchszeitraum sei sie weder erwerbstätig gewesen, noch habe sie Leistungen nach dem SGB III oder Elternzeit in Anspruch genommen. Nach der Neuregelung des § 1 Abs. 6 BErzGG habe sie deshalb keinen Anspruch auf Erziehungsgeld.
Die Klägerin erfülle aber die Voraussetzungen der zuvor geltenden Regelung des § 1 Abs. 6 BErzGG in der Fassung durch Art. 10 Nr. 4 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 (BGBl. I. S. 1950). Bei wörtlicher Anwendung dieser Vorschrift sei allerdings auch hiernach der Erziehungsgeldanspruch der Klägerin zu verneinen, weil sie im streitbefangenen Zeitraum über keinen der aufgezählten Aufenthaltstitel verfügt habe. Eine wörtliche Anwen-dung der Vorgängervorschrift stehe jedoch nicht im Einklang mit der Verfassung, wie sich aus dem Beschluss des BVerfG vom 06.07.2004 – Az. 1 BvR 2515/95 ergebe. Das BVerfG habe es darin grundsätzlich für legitim gehalten, dass der Gesetzgeber das Erziehungsgeld nur denjenigen Ausländern zukommen lasse, von denen erwartet werden könne, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben, habe es aber als verfassungswidrig beanstandet, diesen Personenkreis allein durch formal Anknüpfung an die Art eines Aufenthaltstitels zu erfassen. Es habe es konkret für verfassungswidrig angesehen, Ausländer, die lediglich eine Aufenthaltsbefugnis besaßen, – anders als nach dem bis 26.06.1993 geltenden Recht – ohne nähere Differenzierung von der Leistung des Erziehungsgeldes auszuschließen. Nach Auffassung des BVerfG habe der Gesetzgeber ohne Verfassungsverstoß als Voraussetzung für die Gewährung von Erziehungsgeld an Ausländern fordern dürfen, dass diese zumindest im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis waren. Die der Klägerin am 28.11.2005 erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei der früheren Aufenthaltsbefug-nis nach § 30 AuslG, die die Klägerin seit 1999 besessen hatte, vergleichbar (so: FG Düsseldorf, Urteil vom 23.01.2007 – 10 K 2661/04 Kg); § 25 Abs. 5 AufenthG entspreche inhaltlich § 30 Abs. 3 AuslG. Um dem Rechtsgedanken des BVerfG und der Anwendungsregel im zweiten Entscheidungssatz des Beschlusses vom 06.07.2004, der eine Überprüfung der Regelung des § 1 Abs. 6 BErzGG a.F. gefordert hatte, gerecht zu werden, sei der Personenkreis des § 1 Abs. 6 BErzGG in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 10 Nr. 4 des Zuwanderungsgesetzes verfassungskonform (jedenfalls) auch auf Ausländer anzu-wenden, die – wie die Klägerin – im Besitz einer (der früheren Aufenthaltsbefugnis ver-gleichbaren) Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG seien (unter Hinweis auf Urteil der 13. Kammer vom 12.02.2008 – S 13 EG 16/07 und SG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2007 – S 32 EG 6/05).
Mit seiner rechtzeitig eingelegten Berufung hat der Beklagte geltend gemacht, für eine verfassungskonforme Auslegung sei kein Raum. Der Wille des Gesetzgebers ergebe sich aus der seit dem 1.1.2006 gültigen Regelung, die rückwirkend anzuwenden sei.
Der Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen des Sozialgerichts. Nach ihrer Ansicht begegnet auch die Neuregelung des § 1 Abs. 6 BErzGG verfassungsrechtlichen Bedenken. Es gebe keinen sachlichen Grund, den Anspruch auf Erziehungsgeld für Inhaber der in § 1 Abs. 6 Nummer 2 lit. c BErzGG aufgeführten Aufenthaltstitel von zusätzlichen Voraussetzungen als dem Zugang zum Arbeitsmarkt abhängig zu machen. Die dort aufgeführten Titel seien nicht weniger auf Dauer angelegt als Aufenthaltstitel, bei denen bereits der Zugang zum Arbeitsmarkt einen Erziehungsgeldanspruch begründe. Die gesetzliche Neuregelung schließe weiterhin große Gruppen von Ausländern mit humanitären Aufenthaltstiteln und unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt verfassungswidrigerweise vom Erziehungsgeldbezug aus. Im Fall der Klägerin stehe fest, dass sie sich auf Dauer im Bundesgebiet aufhalten werde. Gerade ihr Fall zeige, dass die neue Regelung zu einer Verfassung und rechtlich nicht haltbarer und diskriminierender Ausgrenzung führe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die beigezogenen Verwaltungs- und Gerichtsakten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Unrecht unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur Gewährung von Erziehungsgeld für das Kind Abdul verurteilt, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erziehungsgeld.
Da die Klägerin nicht zu dem Personenkreis der freizügigkeitsberechtigten Ausländer (vgl. § 1 Freizügigkeitsgesetz/EU) zählt, kommt für sie ein Anspruch auf Erziehungsgeld nur nach Maßgabe der für sonstige Ausländer geltenden Voraussetzungen des Erziehungsgeldrechts in Betracht.
1. Wie die Klägerin selber einräumt, erfüllt sie weder die Voraussetzungen der der ab 01.01.2005 geltenden Fassung des § 1 BErzGG (neu gefasst durch Art. 10 Nr. 4 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 BGBl. 1, 1950; im Folgenden: BErzGG 2005) noch nach § 1 Abs. 6 BErzGG in der seit dem 01.01.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschriften vom 13.12.2006 (BGBl. 1, 2915; im Folgenden BErzGG 2006). Denn die Klägerin verfügt nur über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Dieser Aufenthaltstitel wird nicht in § 1 Abs. 6 S. 2 BErzGG 2005 bei den anspruchsbegründenden Titeln genannt und ist in § 1 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. c) BErzGG 2006 von den Kreis der Titel ausgenommen, deren Besitz zu einem Anspruch auf Erziehungsgeld führt. Inhabern eines solchen Titels räumt § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der Nr. 3 a.a.O. einen Anspruch auf Erziehungsgeld ein. Die Klägerin verfehlt aber die Voraussetzungen dieser Regelung, weil sie im Anspruchszeitraum weder erwerbstätig war, noch Leistungen nach dem SGB III bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen hat.
2. Ein Anspruch auf Erziehungsgeld lässt sich nicht über § 24 Abs. 3 BErzGG in Verbindung mit einer "verfassungskonformen Auslegung" des § 1 Abs 6 BErzGG 2005 begründen.
Nach § 24 Abs. 3 BErzGG 2006 ist § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 in solchen Fällen, in denen eine Entscheidung über den Anspruch auf Erziehungsgeld für einen Bezugszeitraum zwischen dem 27. Juni 1993 und dem 18. Dezember 2006 noch nicht Widerstandskräfte geworden ist, anzuwenden, wenn dies für die Erziehungsgeld beantragende Person günstiger ist. Folgt aus § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 kein Anspruch, kann indes nicht die zu Beginn des Abrechnungszeitraums geltende Vorgängersteuerung des § 1 Abs. 6 BErzGG 2005 durch eine verfassungskonforme Auslegung erweitert werden und als (dann) günstigste Fassung angewandt werden.
Für eine solche erweiterte Auslegung des Einstimmigkeitsprinzip in § 24 Abs. 3 BErzGG lassen die Entstehungsgeschichte und der daraus folgende Zweck der Vorschrift keinen Raum. Mit der Norm ist der Gesetzgeber dem Überprüfungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seinem Beschluss vom 06.07.2004 (SozR 4-7833 § 1 Nr. 4) nachgekommen.
Das BVerfG hatte die vom 27.06.1993 bis 31.12.2001 geltende Regelung der Anspruchsberechtigung von Ausländern in § 1 Abs. 1 a BErzGG (in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des förderalen Konsolidierungsprogrammes vom 23.06.1993, BGBl. I, 944; im Folgenden: BErzGG 1993), die Ausländer vom Bezug von Erziehungsgeld ausschloss, die nur im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis (§§ 30, 31 Ausländergesetz in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung) waren, als verfassungswidrig beurteilt: Das von Gesetzgeber gewählte Kriterium zur – grundsätzlich legitimen – Beschränkung des Erziehungsgeldanspruchs auf Ausländer mit Daueraufenthalt könne diesen Personenkreis nicht adäquat erfassen, da sich die formale Art des Aufenthaltstitels allein nicht als Grundlage einer Prognose für die Dauer des Aufenthalts in Deutschland und damit nicht als Abgrenzungskriterium bei der Gewährung von Erziehungsgeld eigne (BVerfG a.a.O. Rdrn. ff.). Zugleich hat das BVerfG angeordnet, dass auf noch nicht bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Verfahren das bis zum 26.06.1993 geltende Recht anzuwenden sei, wenn der Gesetzgeber die verfassungswidrige Regelung nicht bis zum 01.01.2006 durch eine neue Regelung ersetze. Dagegen hat das BVerfG die Nachfolgeregelungen der für verfassungswidrig erklärten Norm, darunter die hier einschlägige ab 01.01.2005 geltende Fassung des § 1 Abs. 6 S. 2 BErzGG 2005, nicht in die Unvereinbarkeitserklärung mit einbezogen, weil diese Regelungen den Kreis der Berechtigten weiter gefasst hätten als die für verfassungswidrig erklärte Vorschrift. Diese Normen waren damit weiter anwendbar, der Gesetzgeber hatte sie aber im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.
Mit § 24 Abs. 3 BErzGG hat der Gesetzgeber diesen Überprüfungsauftrag erfüllt und bestimmt, dass die in seinen Augen nunmehr verfassungsmäßige Neuregelung des Erziehungsgeldbezugs von Ausländern durch § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 rückwirkend auf alle noch nicht bestandskräftig entschiedenen Erziehungsgeldansprüche seit dem 27.06.1993 anzuwenden ist, sofern dies für den Betroffenen günstiger ist. Der Gesetzgeber hat auch bei der Neuregelung erkannt, dass die Rechtsgedanken aus dem Beschluss des BVerfG auch auf die im Wesentlichen gleich lautenden späteren Fassungen des BErzGG zutreffen (vgl. BT-Drucks. 16/1368, 1), also die vom BVerfG gegen die vorgenommene Differenzierung geäußerten Bedenken auch für die Nachfolgeregelungen galten.
Folge der Regelung des § 24 Abs. 3 BErzGG ist somit, dass dann, wenn sich nicht schon bei Anwendung der "alten" Fassungen des BErzGG ein Anspruch auf Erziehungsgeld ergab, in den noch offenen Fällen der Anspruch in Anwendung des "neuen" Rechts zu prüfen ist.
Es überschreitet die Grenzen zulässiger Auslegung, diese vom Gesetzgeber zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes angeordnete Rückwirkung des § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 zu übergehen und stattdessen – ebenfalls mit dem Ziel, einen Verfassungs-verstoß auszuräumen – die Vorläuferfassung über ihren eindeutigen Wortlaut hinaus aus-zudehnen. Diese Erweiterung ist auch nicht als verfassungskonforme Auslegung gerecht-fertigt. Das gefundene Ergebnis, auch Ausländern, die lediglich im Besitz eines materiell einer Aufenthaltsbefugnis nach dem Ausländergesetz entsprechenden Aufenthaltstitels nach dem Aufenthaltsgesetz sind, entsprechend der bis zum 26.06.1993 geltenden Rechtslage einen Anspruch auf Erziehungsgeld einzuräumen, steht in Widerspruch zu dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 6 BErzGG in beiden Fassungen der Nachfolgeregelungen sowie dem ebenso eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Eine dahingehende verfassungskonforme Auslegung ist daher nicht möglich.
3. Auch der Ansicht, ein Anspruch auf Erziehungsgeld in Fällen der vorliegenden Art ergebe sich schon daraus, dass § 24 Abs. 3 BErzGG unmittelbar die Anwendung der bis zum 26.06.1993 geltenden Fassung des BErzGG (im folgenden: BErzGG a.F.) anordne, vermag der Senat nicht zu folgen. Nach dieser Meinung habe der Gesetzgeber keine "explizite Neuregelung" des Erziehungsgeldrechts für die vom 01.01.2001 bis 18.12.2006 geltenden Fassungen getroffen. Stattdessen habe er entsprechend der Vorgabe des BVerfG für diese Fälle das BErzGG a.F. für anwendbar erklärt (so SG Düsseldorf, Urteil vom 11.09.2008 – S 32 EG 14/07). Diese Ansicht kann sich allenfalls auf die missverständliche und ersichtlich missglückte Begründung des Gesetzentwurfs des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss stützen. Dort heißt es zu Artikel 3 des Entwurfs (BT-Drucks. 16/1368, 10), erweise sich im Einzelfall die Anordnung des BVerfG als anwendbar, sei das bis zum 26.06.1993 geltende Recht anzuwenden, wenn dies günstiger sei. Diese Begründung geht ersichtlich am Regelungsgehalt des – in der Gesetz gewordenen Fassung bereits im Entwurf enthaltenen (s. Art. 3 Nr. 2 lit. b) des Entwurfs, BT-Drucks. 16/1368) – § 24 Abs. 3 BErzGG vorbei. Dieser ordnet nämlich nach seinem eindeutigen Wortlaut für alle noch nicht bestandskräftig beschiedenen Ansprüche aus dem Zeitraum vom 27.06.1993 bis 18.12.2006 die Anwendung des § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 (also nicht des BErzGG a.F.) an. Der Gesetzgeber hat zwar keine (rückwirkende) Gesetzesänderung für die Vergangenheit vorgenommen. Er hat aber sehr wohl eine "Neuregelung" in dem Sinne getroffen, dass die neue Fassung des § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 auch auf Zeiträume vor ihrem Inkrafttreten anzuwenden ist, wenn dies für den Betreffenden günstiger sei. Die zitierte Gesetzesbegründung ist auch deshalb verfehlt, weil die vom Bundesverfassungsgericht angeordnete Anwendung des BErzGG a.F. nur die offenen Ansprüche auf Erziehungsgeld erfasste, für die die verfassungswidrige Regelung, also die vom 27.06.1993 bis 31.12.2000 geltende Fassung des § 1 Abs. 1a BErzGG 1993, galt, während § 24 Abs. 3 BErzGG auch Ansprüche für den Zeitraum nach dem 31.12.2000 erfasst. Die Anwendung des BErzGG a.F. stand im Übrigen auch nicht mehr zur Disposition des Gesetzgebers, nachdem er seinem Neuregelungsauftrag nicht fristgerecht nachgekommen war. Vielmehr musste aufgrund der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts in diesen Fällen über den Anspruch der An-wendung des BErzGG a.F. schon vor Inkrafttreten der Neuregelung entschieden werden (was auch entsprechend von den zuständigen Behörden umgesetzt worden ist).
Die Auffassung, § 24 Abs. 3 BErzGG ordne "entsprechend den Vorgaben des BVerfG " die Anwendung des bis zum 26.06.1993 geltenden Erziehungsgeldrechts an, findet daher im Wortlaut und im Sinn und Zweck der Vorschrift keine Stütze und ist nach alledem nicht haltbar.
4. Ebenso wenig lässt sich ein Anspruch auf Erziehungsgeld aus dem Beschluss des BVerfG herleiten, weil der Gesetzgeber den Neuregelungsauftrag nicht fristgerecht erfüllt habe. Das BVerfG hat in dem zitierten Beschluss dem Gesetzgeber aufgegeben, die verfassungswidrige Norm ab dem 01.01.2006 durch eine Neuregelung zu ersetzen und hat für den Fall der nicht fristgerechten Umsetzung die Anwendung des bis zum 26.06.1993 geltenden Rechts auf die "offenen" Fälle angeordnet. Diese Sanktion betrifft aber nur die Fälle, die unter die für verfassungswidrig erklärte Regelung fallen. Die gemäß § 31 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz mit Gesetzeskraft versehene Entscheidungsformel des Beschlusses vom 06.07.2004 lautet
1.§ 1 Abs. 1 a S. 1 des Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG) ( …) vom 23.06.1993 ( …) war mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar.
2.Ersetzt der Gesetzgeber die verfassungswidrige Regelung nicht bis zum 01.01.2006 durch eine Neuregelung, ist auf noch nicht abgeschlossene Verfahren das bis zum 26.06.1993 geltende Recht anzuwenden.
"Noch nicht abgeschlossene" Verfahren im Sinne Nr. 2 des Tenors sind allein die Verfahren, in denen Erziehungsgeldansprüche unter die für verfassungswidrig erklärte Norm gefallen sind. Die Sanktion betrifft dagegen nicht die Fälle, in denen die späteren Fassungen des BErzGG anzuwenden waren, weil diese vom BVerfG nicht die Unvereinbarkeitserklärung einbezogen worden sind, sondern deren Prüfung dem Gesetzgeber überlassen worden ist. Das ergibt sich nicht nur aus dem Tenor, der sich nur auf die ver-fassungswidrige Regelung bezieht, sondern auch aus den Entscheidungsgründen. Das BVerfG hat erst nach der Anordnung der Sanktion bei nicht fristgerechter Umsetzung des Neuregelungsauftrages die Nachfolgeregelungen angesprochen und lediglich deren Überprüfung verlangt. Hätte es die Sanktion auf diesen Überprüfungsauftrag erstrecken wollen, hätte es nahe gelegen, die Sanktion abschließend (d. h. nach dem Überprüfungsantrag) anzuordnen. Ferner liegt es auf der Hand, dass die Sanktion nur deshalb angeordnet worden ist, um einen längeren "Schwebezustand" auszuschließen, weil mit der Unvereinbarkeitserklärung eine Anwendungssperre für die beanstandete Norm verbunden war und somit für die unter die verfassungswidrige Regelung fallenden Fälle zeitnah eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage für den Anspruch auf Erziehungsgeld geschaffen werden musste. Da aber die Nachfolgeregelungen ausdrücklich nicht in die Unvereinbarkeitserklärung einbezogen worden sind, waren diese Fassungen ohne weiteres weiter anzuwenden, es bestand also insoweit kein "rechtsfreier" Zustand, der in naher Zukunft behoben werden musste. Zudem würde es nicht einleuchten, dass eine Sanktion in Form der Anordnung der Fortgeltung des bis zum 26.06.1993 geltenden Rechts gelten sollte, wenn etwa der Gesetzgeber bei der geforderten Überprüfung der weiteren Gesetzesfassungen zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass diese Regelungen verfassungsgemäß gewesen sind und er diese deshalb nicht ersetzen oder ändern müsse. Die Sanktion ist also notwendig allein mit der Unvereinbarkeitserklärung verbunden.
Es ist auch ausgeschlossen, die vom BVerfG angeordnete Sanktion auf die Nachfolgeregelungen zu übertragen. Auch wenn diese – trotz weiterer Fassung als die beanstandete Vorschrift – inhaltlich den gleichen Bedenken ausgesetzt gewesen sein sollten wie sie gegenüber der für verfassungswidrig erklärten Fassung des BErzGG bestanden haben, können die Gerichte nicht in eigener Zuständigkeit die nur für den § 1 Abs. 1a BErzGG 1993 geltende Sanktion des BVerfG auf die nachfolgenden Regelungen übertragen. Dies fällt ausschließlich in die Kompetenz des BVerfG (so zu der gleich gelagerten Problematik im Kindergeldrecht BFH Urteil vom 22.11.2007 – III R 54/02).
Es verfängt auch nicht die Argumentation, die angeordnete rückwirkende Anwendung des BErzGG 2006 führe zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlung von Betroffenen. Aufgrund der Nichterfüllung des Neuregelungsauftrages habe in allen noch offenen Fällen auf der Grundlage des bis zum 26.06.1993 geltenden Rechts Erziehungsgeld gewährt werden müssen. Entscheidungen seien vielfach mit Blick auf die anstehende Neuregelung zurückgestellt worden. Wenn nunmehr aufgrund der rückwirkenden Anwendung der Neuregelung Betroffene keinen Anspruch auf Erziehungsgeld erlangten, führe dies zu einer ungleichen Behandlung gegenüber denjenigen, über deren Anspruch bereits entschieden worden sei. Der Gesetzgeber dürfe es nicht in der Hand haben, den "klaren Sanktionsausspruch" des BVerfG durch eine rückwirkende Anwendung der Neuregelung zu umgehen (so zur gleich gelagerten Problematik im Kindergeldrecht FG Köln, Urteil vom 09.05.2007 – 10 K 6472/03, juris Rdnr. 21). Diese Argumentation beruht auf der – wie dargelegt – unzutreffenden Annahme, die Sanktionsregelung betreffe auch die Nachfolgeregelungen der beanstandeten Norm.
Der Gesetzgeber hat vielmehr den Überprüfungsauftrag durch § 24 Abs. 3 BErzGG in nicht zu beanstandender Weise erfüllt. Soweit Ansprüche auf Erziehungsgeld im Zeitraum zwischen dem 27.06.1993 und dem 18.12.2006 noch offen sind (was nur denkbar ist, wenn nach dem "alten" Recht kein Anspruch bestand), ist § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 heranzuziehen und unter dessen Anwendung ein Anspruch auf Erziehungsgeld zu prüfen. Die Neuregelung in § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 geht über die Vorgängervorschrift hinaus. So wird nunmehr Ausländern mit einem Titel aus humanitären Gründen wie demjenigen der Klägerin nach § 25 Abs. 5 AufenthG, die nach § 1 Abs. 6 Satz 2 BErzGG 2005 in jedem Fall vom Erziehungsgeldbezug ausgeschlossen waren, nunmehr in § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 unter den zusätzlichen Voraussetzungen von Nr. 3 der Vorschrift ein Anspruch auf Erziehungsgeld eingeräumt. Soweit daher die Vorgängerregelungen verfassungsrechtlich bedenklich waren, hat der Gesetzgeber einen evtl. Verfassungsverstoß durch die rückwirkende Anwendbarkeit der weitergehenden Neuregelung "geheilt".
5. Der Senat teilt nicht die Auffassung, auch die Neuregelung des BErzGG sei verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber wiederum ohne sachliche Rechtfertigung für die Anspruchsberechtigung unter den Aufenthaltstiteln differenziere. Er hat dazu in seinem Urteil vom 27.09.2009 – L 13 EG 25/08 – ausgeführt:
"Im Übrigen kann der Senat die Bedenken des Sozialgerichts und der Klägerin gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 6 Nr. 3 lit. b BErzGG nachvollziehen, teilt sie aber im Ergebnis nicht (wie hier SG Potsdam, Urt. v. 7.3.2008 – S 29 EG 2/05; ebenso im Ergebnis zur inhaltlich gleich lautenden Regelung des § 62 Abs. 2 EStG BFH, Urteil vom 22.11.2007 – III R 60/99; FG Münster, Urteil vom 13.8.2008 – 7 K 2922/06 Kg; FG Düsseldorf, Urteil vom 12.2.2008 – 10 K 30108 Kg; a.A.: FG Köln, Beschluss vom 9.5.2007 – 10 K 1690/07, das allerdings auf die faktische Aufenthaltsdauer und nicht den rechtlich gefestigten Aufenthaltsstatus abstellt; Bedenken auch bei Werner, lnfAusIR 2007, 112, 113 ohne nähere Ausführungen; Guttmann, InfAuslR 2007, 309). Einer Aussetzung des Verfahrens und einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG bedurfte es daher nicht.
Die unterschiedliche Behandlung von Ausländern mit einem Aufenthaltstitel wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG beim Erziehungsgeldbezug im Vergleich zu Inhabern anderer Titel verfolgt ein legitimes Ziel (1), mit einem geeigneten Mittel (2) und ist durch hinreichend gewichtige, sachliche Gründe gerechtfertigt (3) (vgl. BSG, Urt. v. 23.01.2008 – B 10 EG 4/07 R, Juris Rz. 15).
1. Mit der Regelung des § 1 Abs. 6 BErzGG verfolgt der Gesetzgeber das verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Ziel (vgl. BVerfG B. v. 06.07.2004 – 1 BvR 2515/95, Juris Rz. 32), den Erziehungsgeldbezug auf solche Ausländer zu beschränken, die voraussichtlich auf Dauer in Deutschland bleiben werden. Auf Dauer bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur auf unbestimmte Zeit (bis zum Wegfall des Aufenthaltszwecks), sondern auf der rechtlichen Basis einer Niederlassungserlaubnis und damit – anders als bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 7 AufenthG – unabhängig von einem konkreten, potentiell immer zeitlich begrenzten Aufenthaltszweck (vgl. Entwurf des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss, BT-Drucks. 16/1368, 8).
2. Das vom Gesetzgeber gewählte Mittel, die Anknüpfung der Erziehungsgeldberechtigung für Inhaber eines Titels nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG an eine aktuelle oder kurz zurückliegende Erwerbstätigkeit eignet sich auch dazu, das beschriebene legitime Ziel zu erreichen, den Erziehungsgeldbezug auf Ausländer mit der Perspektive eines rechtlich gesicherten Daueraufenthalts zu beschränken.
Die Eignung eines vom Gesetzgeber gewählten Mittels liegt bereits dann vor, wenn es die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der angestrebte Erfolg eintritt (BVerfG 67, 157 (173)). Prognostische Elemente der Eignungsbeurteilung senken die Anforderungen an die Geeignetheit zusätzlich (vgl. Sachs, in, ders., Grundgesetzkommentar, 2 Aufl. 20 Rz. 150 m.Nw. d. Rspr. d. BVerfG), weil insbesondere die für eine Vielzahl von Fällen getroffenen gesetzgeberischen Prognosen ihrem Wesen nach mit Unsicherheiten behaftet sind und daher allenfalls auf zutreffende Tatsachengrundlagen und die Anwendung richtiger Prognosemaßstäbe überprüft werden können.
3. Auch vor dem Hintergrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht zum Erziehungs- und Kindergeldbezug für Ausländer verfügte der Gesetzgeber daher bei der Festlegung geeigneter Kriterien für die Prognose über den Daueraufenthalt nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer über einen weiten Spielraum.
a) Nach der ursprünglichen Konzeption des Gesetzentwurfs sollte allerdings allein eine Aufenthaltserlaubnis verbunden mit der Berechtigung zur Ausübung einer Beschäftigung die Prognose eines Daueraufenthaltes tragen, sofern der Aufenthaltstitel nicht nach seiner Natur von vornherein auf einen zeitlich begrenzten Aufenthalt angelegt war (Entwurf des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss, BT-Drucks. 16/1368, 8). Zu diesem Gesetzentwurf schlug der Bundesrat eine Einschränkung des Kreises der berechtigten Ausländer vor, indem Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG keinen Anspruch auf Kindergeld, Erziehungsgeld oder Unterhaltsvorschuss (BT-Drucks. 16/1368, 13) haben sollten. Zur Begründung führte der Bundesrat aus, Erziehungsgeld werde bei Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG angerechnet, weshalb es den Berechtigten ohnehin nicht zugute komme, sondern lediglich zu erhöhtem Verwaltungsaufwand führe (a.a.O.). Mit ihrer Gegenäußerung machte die Bundesregierung Bedenken geltend, weil der Entwurf die Differenzierung danach vornehme, ob in dem Aufenthaltstitel eine Erwerbstätigkeit erlaubt sei und bei Personen, die zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigt seien, nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass sie keine Perspektive der Aufenthaltsverfestigung in Deutschland hätten (BT-Drucks. 16/1368, 14)
Die jetzige Fassung des 1 Abs. 6 BErzGG geht auf Änderungen durch den 13. Ausschuss zurück, der insoweit noch über den Vorschlag des Bundesrats hinausgegangen ist, als auch die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG von dem Kreis der anspruchsberechtigenden Titel ausgenommen worden ist. Eine Begründung für die vorgenommene Einschränkung enthält der Ausschussbericht nicht. Die Mehrheitsfraktionen der CDU und SPD haben lediglich – bei ersichtlich divergierenden Ausgangspunkten – betont, die Änderungen gegenüber dem Entwurf bewegten sich noch in dem vom BVerfG vorgegebenen Rahmen, der Spielraum werde "differenzierter" ausgelegt (BT-Drucks. 16/2940, 11). Demgegenüber äußerten die Fraktionen der Opposition verfassungsrechtliche Zweifel an der Einschränkung der Leistungsberechtigung (a.a.O.; s. auch den Entschließungsantrag der FDP, BT-Drucks. 16/3029 zu Nr. 4).
b) Zwar ist dem Sozialgericht daher zuzugestehen, dass jedenfalls den Gesetzesmaterialien keine tragfähige Begründung des Gesetzgebers für die getroffene Differenzierung entnommen werden kann. Indes bilden die Gesetzesmaterialien lediglich eine mögliche, aber keine unverzichtbare Hilfe für die Normauslegung. Es genügt, wenn System und Sinn eines Gesetzes sich mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden dem Text des Gesetzes selbst entnehmen lässt. Insoweit ist der Senat der Auffassung, dass objektiv der Gesetzgeber seinen Spielraum mit der Entscheidung für eine aktuelle oder nur kurz zurückliegende Erwerbstätigkeit als maßgebliches Prognosekriterium eines Daueraufenthalts in § 1 Abs. 6 nr. 3 lit. b BErzGG nicht überschritten hat.
Arbeit ist ein Schlüssel für Integration. Sie zwingt zur Auseinandersetzung mit den Normen, Werten, der Sprache und den Menschen des Gastlandes. Bei Ausländern, die gearbeitet haben oder noch arbeiten, kann der Gesetzgeber deshalb in typisierender Betrachtungsweise eher von einem Daueraufenthalt ausgehen, als bei nicht arbeitenden Ausländern (vgl. BVerfG, B. v. 06.07.2004 – 1 BvL 4/97 v. 6.7.2004, Juris Rz. 66). Wer dagegen bloß arbeiten darf, aber es nicht tut oder wie die Klägerin nur zeitweise getan hat, unterscheidet sich unter diesem Blickwinkel in seiner Aufenthaltsverfestigung weniger von einem Ausländer, dem die Erwerbstätigkeit verboten ist, als von einem Ausländer, der tatsächlich arbeitet und damit ins Erwerbsleben eingegliedert ist. Die tatsächliche Erwerbstätigkeit und ihre Nachwirkungen in Form des ALG-I-Bezugs oder der Elternzeit eignen sich besser, eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt festzustellen, als das bloße Recht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, das nicht oder, wie von der Klägerin, nur sporadisch genutzt wird.
Eine weitere Erwägung stützt die Geeignetheit der Anknüpfung der Aufenthaltsprognose an eine tatsächliche oder kurz zurückliegende Erwerbstätigkeit. Die Niederlassungserlaubnis setzt in der Regel die Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes voraus, § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG, die normalerweise durch Erwerbstätigkeit erfolgen kann.
Ebenso wie eine aktuelle Erwerbstätigkeit eignet sich das zweite von § 1 Abs. 6 Nr. 3 lit b Var. 2 BErzGG genannte Kriterium des Bezug von Leistungen nach dem SGB III als Grundlage für eine positive Aufenthaltsprognose. Wer Arbeitslosengeld bezieht, hat versicherungspflichtig gearbeitet und war daher in den Arbeitsmarkt integriert. Die nach Dauer der Tätigkeit gestaffelte Bezugsdauer, vgl. § 127 Abs. 2 SGB III, verstärkt die Eignung des laufenden ALG-I-Bezugs als Indiz für einen längeren Verbleib in Deutschland. Eine längere Erwerbstätigkeit vertieft die Integration in den Arbeitsmarkt und verbessert die Prognose für einen Daueraufenthalt in Deutschland.
Die gesetzgeberische Wertung, nach ausgelaufenem ALG-I-Bezug das Indiz für einen Daueraufenthalt entfallen zu lassen, kann der Senat angesichts des weiten gesetzgeberischen Prognosespielraums nicht widerlegen. Denn nach Ende des Arbeitslosengeldbezugs lässt sich eine Integration in den Arbeitsmarkt kaum verlässlich feststellen und wird tatsächlich auch oft aufgelöst sein. In der Zusammenschau mit dem Kriterium der Inanspruchnahme von Elternzeit, das bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und damit einer nur gelockerten, aber jederzeit reaktivierbaren Integration in den Arbeitsmarkt zum Bezug von Erziehungsgeld berechtigt, eignet sich das Kriterium des andauernden Bezugs von Arbeitslosengeld I noch als brauchbares Indiz für eine Arbeitsmarkteingliederung und damit für einen längeren Verbleib in Deutschland. Denn sein Vorliegen erhöht insgesamt die Möglichkeit des rechtlich gesicherten Daueraufenthalts.
3. Die vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung zwischen Ausländern mit einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG und solchen mit anderen Titeln, die schon in Verbindung mit einer Berechtigung zur Erwerbstätigkeit zum Erziehungsgeldbezug berechtigen, lässt sich schließlich in der dem Gesetzgeber erlaubten generalisierenden und typisierenden Betrachtungsweise durch hinreichend gewichtige Gründe rechtfertigen (vgl. BSG, Urt. v. 23.01.2008 – B 10 EG 4/07 Juris Rz. 15).
a) Dies gilt zunächst für den Vergleich von Ausländern wie der Klägerin mit ausländischen Staatsangehörigen, denen nach § 18 Abs. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit erteilt wird und bei denen kein Höchstzeitraum festgelegt ist. Bereits bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 2 AufenthG im Ermessenswege hat die Ausländerbehörde allgemeine Integrationsgesichtspunkte zu berücksichtigen (Storr/Kreuzer in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/Kreuzer, ZuwG, 2. Aufl., § 18 AufenthG Rn. 20 f.) Bei Inhabern eines Titels nach § 18 Abs. 2 AufenthG geht der Gesetzgeber davon aus, dass unbeschadet der zunächst bestehenden Befristung von einem dauerhaften Aufenthalt ausgegangen werden kann, wenn die Erlaubnis und die Zustimmung zur Beschäftigungsausübung unmittelbar verlängert werden können oder es einer solchen Zustimmung gar nicht bedarf (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss, BT-Drs. 1368, 3).
b) Nichts Anderes ergibt der Vergleich mit der Gruppe von Ausländern mit einem Titel auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 AufenthG. Die Vorschrift ermächtigt die obersten Landesbehörden zu einer gerichtlich nicht überprüfbaren Leitentscheidung (GK-AufenthG, Stand Juni 2007, § 23 Rz. 17 m.w.Nw.), Flüchtlinge aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen aufzunehmen, insbesondere durch Beschlüsse der Innenministerkonferenz in Form so genannter Bleiberechtsregelungen. Eine Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage einer Regelung nach § 23 Abs. 1 AufenthG sieht vom konkreten Fluchtschicksal ab und verbessert dadurch den Status der Begünstigen. Zudem hat eine allgemeine politische Entscheidung nach § 23 Abs. 1 AufenthG größere Tragweite und lässt sich schwerer rückgängig als einzelne Schutzgewährungen durch Behörden und Gerichte. Soweit es um echte Bleiberechtsregelungen geht, zielen diese schließlich gerade darauf ab, den Begünstigten zu einem Daueraufenthalt zu verhelfen, wenn sie gewisse Integrationskriterien wie die Sicherung des Lebensunterhalts, Deutschkenntnisse, Schulbesuch der Kinder und Gesetzestreue erfüllen.
Diese Kriterien verdeutlichen wiederum den Unterschied zu Menschen wie der Klägerin und ihrer Familie. Ihre Eltern haben die Bleiberechtsregelung u.A. wegen fehlender Sicherung des Lebensunterhalts verfehlt, weil sich ihre Aufenthaltsperspektive nicht durch Integration in den Arbeitsmarkt in Richtung eines Daueraufenthalts entwickelt hatte. Von einer solchen Sicherung des Lebensunterhalts kann auch bei der Klägerin, die bislang nur ein Jahr lang versicherungspflichtig gearbeitet hat und weiter von Sozialleistungen lebt, kaum die Rede sein.
c) Auch der Aufenthaltsstatus von Inhabern von Titeln nach § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG unterscheidet sich wesentlich demjenigen von Ausländern wie der – als Asylbewerber abgelehnten – Klägerin, die einen Titel nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG besitzen.
Asylberechtigte nach § 25 Abs. 1 AufenthG haben einen grundrechtlichen Anspruch darauf, in Deutschland zu bleiben und dafür einen rechtlich gesicherten Aufenthalt zu erhalten (GK-AufenthG/Burr, § 25 Rz. 3 m.w.Nw.). Bei Genfer Konventionsflüchtlingen ergibt sich ein ähnlicher Status aus dem Völkerrecht. Aus diesem Grund erhalten beide Gruppen sogleich einen Titel für drei Jahre, § 26 Abs. 1 S. 2 AufenthG, und haben danach, wenn keine Widerrufsgründe vorliegen, nach § 26 Abs. 3 AufenthG Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis. Dieser Rechtsanspruch eröffnet ihnen von vornherein eine Perspektive für einen Daueraufenthalt in Deutschland.
Das unterscheidet beide Gruppen maßgeblich von Inhabern eines Titels nach § 25 Abs.5 S. 1 AufenthG. Ihre Titel sind vom Prinzip der vorübergehenden Schutzgewährung geprägt, wie etwa § 26 Abs. 2 AufenthG zeigt. Ob sie trotzdem nach 26 Abs. 4 AufenthG nach sieben Jahren rechtmäßigem Aufenthalt zu einer Niederlassungserlaubnis erstarken, hängt von der Erfüllung einer Reihe weiterer Voraussetzungen – darunter Sicherung des Lebensunterhalts – ab und steht zudem im Ermessen der Ausländerbehörde.
Der Fall der Klägerin verdeutlicht diese von Anfang an bestehende unterschiedliche Aufenthaltsperspektive. Vor allem die Paßlosigkeit habe die Klägerin und ihre Familie vor einer Abschiebung geschützt. Dieser Umstand begründete indes keinen von Anfang an auf Verfestigung angelegten Aufenthalt, der mit dem eines Asylberechtigten vergleichbar wäre.
d) Auch die unterschiedliche Behandlung von Ausländern mit dem Aufenthaltsstatus des Klägers mit Inhabern von Titeln nach §§ 28 ff. AufenthG zum Familiennachzug ist nicht unverhältnismäßig. Es liegt auf der Hand, dass eine nach Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Ehegatten oder deutschem minderjährigen Kind ebenso wie mit einem Ausländer mit Niederlassungserlaubnis die Prognose für einen Daueraufenthalt im Verhältnis zu Ausländern mit Titel nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG maßgeblich verbessert.
Nachgezogene Ehegatten Deutscher haben nach § 28 Abs. 2 S. 1 AufenthG bei Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft bereits nach drei Jahren Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis.
Die Aufenthaltsrechte nachgezogener Ehegatten können zudem schon nach zwei Jahren ehelicher Lebensgemeinschaft – in Fällen besondere Härte sogar früher- zum eigenständigen Aufenthaltstitel erstarken, vgl. § 28 Abs. 3 und § 31 AufenthG. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 31 AufenthG Ausländer schützen, die aufgrund der akzessorischen Verknüpfung mit dem Aufenthaltsrecht des Stammberechtigten auf einen dauerhaften Aufenthalt vertraut und in diesem Vertrauen begonnen haben, sich zu integrieren (vgl. BMI, vorläufige Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz, Ziff. 31.1.4.). Das unterscheidet sie maßgeblich von humanitären Flüchtlingen wie der Klägerin, die für ein solches schützenswertes Vertrauen keinen Grund haben.
Schließlich erhöht die Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen oder einem bereits in Deutschland integrierten Ausländer auch faktisch beträchtlich die Integrationschancen des nachgezogenen Verwandten und damit seine Aussicht auf eine Niederlassungserlaubnis. Dies gilt vergleichbar beim Familiennachzug zu Ausländern mit Aufenthaltserlaubnis nach §§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3., 30 AufenthG, weil hier bereits ein Familienmitglied mit einer gewissen Integrationsleistung existiert. Die Vorschrift verlangt insbesondere, dass ausreichender Wohnraum vorhanden und, nach der Regelvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, der Lebensunterhalt gesichert ist. Zudem muss sich der nachziehende Ehegatte auf einfache Weise auf in deutscher Sprache verständigen können und damit eine erste Grundlage der Integration gelegt haben, § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung hinsichtlich der Anspruchsberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer durch (noch) hinreichend sachliche Gründe gerechtfertigt ist und somit nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt."
An dieser Auffassung hält der Senat fest. Da auch aufgrund der verfassungsrechtlich unbedenklichen Anspruchsregelung für Ausländer in § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 kein Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld besteht, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG), da noch in einer großen Anzahl von Fällen sowohl die Fragen der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung des § 1 Abs. 6 BErzGG 2006 als auch der rechtlichen Behandlung der bis zum Inkraftreten der Neuregelung offenen Verfahren zu entscheiden sind.
Erstellt am: 06.06.2013
Zuletzt verändert am: 06.06.2013