Auf Rev. d. Kl. wird Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Bekl. gegen das Urteil des SG Aachen vom 16.12.2008 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Klgerin weiteres Elterngels i.Hv. 1348,05 Euro zu zahlen ist.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 16.12.2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten haben sich die Beteiligten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Elterngeldes; die Klägerin beansprucht eine Nachzahlung von 1.634,29 EUR, weil sie nachträglich im Wege eines gerichtlichen Vergleichs Lohnnachzahlungen erstritten hat.
Die 1976 geborene Klägerin ist verheiratet. Seit 2001 war sie als Physiotherapeutin in einer physiotherapeutischen Praxis beschäftigt. Ihr Arbeitsvertrag sah eine leistungsbezogene Vergütung in Höhe eines festen Prozentsatzes (46 Prozent) der Vergütung vor, die seinerseits ihr Arbeitgeber mit dem Leistungsträger abrechnete. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit bestimmte sich die Vergütung nach den Durchschnittsverdienst der letzten drei voll abgerechneten Monate.
Ab Juli 2006 zahlte der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt sowie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht mehr in ordnungsgemäßer Höhe. Vom 26.10.2006 bis 21.01.2007 war die Klägerin wegen schwangerschaftsbedingter Gesundheitsstörungen arbeitsunfähig; sie bezog vom 07.12.2006 bis 21.01.2007 Krankengeld. Am 22.01.2007 gebar sie das Kind K. Vom 22.01. bis 28.05.2007 bezog sie Mutterschaftsgeld in Höhe von 13 EUR kalendertäglich.
Am 17.04.2007 beantragte die Klägerin Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat ihres Sohnes K. Sie legte hierzu Verdienstbescheinigungen des Arbeitgebers für die Monate Dezember 2005 bis November 2006 vor, wie sie bis dahin erstellt und abgerechnet waren.
Auf der Grundlage dieser Bescheinigungen bewilligte das zuständige Versorgungsamt Aachen durch Bescheid vom 15.05.2007 Elterngeld für den beantragten Zeitraum in Höhe von 904,79 EUR. Das vom Versorgungsamt zugrundegelegte Nettojahresentgelt der zwölf Monate vor der Geburt ergab ein durchschnittliches Monatsnettoentgelt von 1.350,44 EUR.
Gegen den Bewilligungsbescheid legte die Klägerin am 01.06.2007 Widerspruch ein. Sie wies darauf hin, dass der Arbeitgeber das Gehalt in den Monaten Juli bis November 2006 nicht vollständig abgerechnet habe. Ihr stehe noch eine Vergütung wegen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für diese Zeit von 4697 EUR zu. Sie führe deshalb ein arbeitsgerichtliches Verfahren. Diese noch ausstehende Vergütung müsse zu einem höheren Elterngeld führen. Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 18.09.2007 zurück mit der Begründung, Grundlage der Elterngeldberechnung seien die monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers, wie sie vorgelegt worden seien. Das in dem noch nicht abgeschlossenen Arbeitsgerichtsverfahren eingeklagte höhere Erwerbseinkommen könne nicht bei der Berechnung des durchschnittlichen Nettoeinkommens berücksichtigt werden. Zukünftige Ereignisse könnten nicht Gegenstand einer aktuellen Berechnung sein.
Dagegen hat die Klägerin am 15.10.2007 Klage erhoben. Während des Verfahrens vor dem Sozialgericht endete das von der Klägerin angestrengte arbeitsgerichtliche Verfahren über die von ihr begehrte Gehaltsnachzahlung für das Jahr 2006 rechtskräftig mit einem Vergleich (2 Ca 10/08 – Arbeitsgericht Aachen). Darin verpflichtete sich der Arbeitgeber der Klägerin zu einer Nachzahlung von insgesamt 4766 EUR brutto für das Jahr 2006.
Die Klägerin hat geltend gemacht, nicht das zunächst im Bemessungszeitraum zugeflossene, sondern das ihr tatsächlich zustehende und später mit Gehaltsbescheinigungen vom 20.02.2008 abgerechnete Arbeitsentgelt sei zur Bemessung des Elterngeldes heranzuziehen; anderenfalls hinge dessen Höhe von der Zahlungsmoral des Arbeitgebers ab.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten: Für das zur Berechnung des Elterngeldes heranzuziehende Bemessungsentgelt gelte das Zuflussprinzip. Nachträglich gezahltes Arbeitsentgelt könne nur dann berücksichtigt werden, wenn sich die Nachzahlung auf Lohnzahlungszeiträume beziehe, die im Kalenderjahr der Zahlung endeten; dies ergebe sich aus den Lohnsteuerrichtlinien. Lägen Zeitpunkt und Zeitraum der Nachzahlung in zwei verschiedenen Kalenderjahren, so sei die Nachzahlung als sonstiger Bezug anzusehen. Sonstige Bezüge dürften bei der Berechnung des Eiterngeldes jedoch nicht berücksichtigt werden.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 16.12.2008 hat das Sozialgericht Aachen den Beklagten zur Gewährung weiteren Elterngelds in Höhe von 1.634,29 EUR verurteilt. In die Bemessung des Elterngeldes der Klägerin sei auch das nachträglich für Juli bis November 2006 abgerechnete und ausgezahlte Erwerbseinkommen einzubeziehen, wie es sich aus den nach Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens erstellten Verdienstbescheingungen ergebe.
Die Auffassung des Beklagten, nur tatsächlich (jedenfalls im Kalenderjahr des maßgeblichen Lohnabrechnungszeitraums) zugeflossenes Arbeitsentgelt dürfe zur Bemessung des EIterngeldes herangezogen werden, finde im Gesetz keine Stütze. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits für andere Sozialleistungen (Unterhaltsgeld, Arbeitslosengeld, Krankengeld) das strenge Zuflussprinzip, das ein "Erzielen" von Arbeitsentgelt nur dann anerkannte, wenn es im Bemessungszeitraum nicht nur erarbeitet, sondern auch tatsächlich zugeflossenen war, modifiziert. Danach sei bei der Bemessung dieser Sozialleistungen auch zunächst vorenthaltenes Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das für den maßgeblichen Bemessungszeitraum bei Verzug des Arbeitgebers zur nachträglichen Vertragserfüllung zugeflossen ist (unter Berufung auf BSG, Urteile vom 28.06.1995 – 7 RAr 102/94 = BSGE 76,162; SozR 3- 4100 § 112 Nr. 22, vom 21.03.1996 -11 RAr 101/94 = BSGE 78,109 = SozR 3-1300 §48 Nr. 48 und vom 30.05.2006 – B 1 KR 19/05 R; BSGE 96,246 = SözR"4-2500 § 47 Nr.4). Dies gelte auch für die Berechnung des Elterngeldes.
Das Elterngeld sei eine – nach oben begrenzte – Lohnausfallleistung für das erste Lebensjahr des Kindes. Wenn der Gesetzgeber insoweit auf das durchschnittlich in den zwölf Kalendermonaten vor der Geburt "erzielte" (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)) Einkommen abstelle, sei jedenfalls auch solches Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das dem Elterngeldberechtigten im Bemessungszeitraum zugestanden habe, weil er es erarbeitet habe, und es ihm aufgrund Verzugs des Arbeitgebers erst nachträglich gezahlt und abgerechnet worden sei. Elterngeldberechtigte dürften für das vertragswidrige Verhalten ihres Arbeitgebers nicht doppelt bestraft werden. Dieses Ergebnis sei nicht mit der Absicht des Gesetzgebers des BEEG vereinbar, durch das Elterngeld Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlagen zu unterstützen, wenn sich die Eltern vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern, und dazu beizutragen, dass es beiden Elternteilen auf Dauer besser gelingt, ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern.
Die Differenzierung des Beklagten zwischen "laufendem Arbeitslohn" und "sonstigen Bezügen", erscheine für die Berechnung des Elterngeldes willkürlich (wird ausgeführt).
Mit seiner rechtzeitig eingelegten Berufung wendet sich der Beklagte gegen seine Verurteilung zur Zahlung weiteren Elterngeldes. Zur Begründung beruft er sich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag und die Weisungslage. Dem Sozialgericht sei zwar zuzugeben, dass Elterngeldberechtigte, die ihr Arbeitsentgelt vertragswidrig nicht zeitnah erhielten, zunächst bestraft würden und sich beim säumigen Arbeitgeber schadlos halten müssten. Eine ähnliche Variante finde sich indes bei der zeitlich verspätet erfolgenden Erteilung des anspruchsbegründenden Aufenthaltstitels durch die Ausländerbehörde. In dieser vergleichbaren Fallkonstellation habe das Bundessozialgericht keine zeitlich frühere Leistungsverpflichtung durch das mögliche Fehlverhalten eines Dritten angenommen. Ein solches Fehlverhalten sei also zunächst hinzunehmen.
Bei der Berechnung des weiteren Elterngeldes habe das Sozialgericht zu dem die steuerlichen Abzüge gemäß § 2 Abs. 7 BEEG nicht berücksichtigt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Aachen vom 16.12.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf das angefochtene Urteil und die darin zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Modifikation des Zuflussprinzips bei der Bemessung anderer Sozialleistungen. Andernfalls läge es in der willkürlichen Hand des Arbeitgebers, in welcher Höhe sie Elterngeld erhalte.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltung- und Gerichtsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, weil die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig sind, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Elterngeld. Der Beklagte hat das Elterngeld nach § 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) richtig bestimmt; sie hat zu Recht die erst lange nach Ablauf des Bemessungszeitraums zugeflossenen Gehaltsnachzahlungen nicht berücksichtigt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Bei – dem auch hier streitbefangenen – Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit sind ferner die Berechnungsmodalitäten aus § 2 Abs. 7 BEEG zu beachten. Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 BEEG sind vom Einkommen u.a. die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern in Abzug zu bringen; hierbei gelten nach § 2 Abs. 7 Satz 3 BEEG als auf die Einnahmen entfallende Steuern die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.
Daher scheidet eine elterngeldsteigernde Berücksichtigung des nachträglich für Juli bis November 2006 abgerechneten und erst im Jahr 2008 ausgezahlten Erwerbseinkommens aus. Die Klägerin hat dieses Einkommen nicht im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG in den letzten zwölf Monaten vor der Geburt ihres Sohnes im Januar 2007 erzielt.
Erzielt ist Einkommen im vorgenannten Bemessungszeitraum nur, wenn es in dieser Zeit auch tatsächlich zugeflossen ist. Für die Einkommenserzielung genügt es hingegen nicht, lediglich den Anspruch auf Auszahlung des Einkommens erarbeitet zu haben (ebenso Urteil des Senates vom heutigen Tag in der Sache L 13 EG 24/09).
Während der Wortlaut eine Interpretation in beide Richtungen zulässt, geben sowohl die Entstehungsgeschichte als auch systematische Erwägungen den Ausschlag für dieses Auslegungsergebnis.
"Erzielen" enthält sowohl Elemente des Erlangens als auch des Erwirtschaftens, ohne eine Aussage zu treffen, zu welchem Zeitpunkt dies erfolgt sein muss (für § 112 Abs. 3 S. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), der auch auf die Einkommenserzielung im Bemessungszeitraum abstellt: Bundessozialgericht – BSG – , Urteil vom 28.06.1995 – 7 RAr 102/94).
Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich aber, dass Einkommen nur dann (im Bemessungszeitraum) erzielt worden ist, wenn es auch tatsächlich zugeflossen ist. Der Gesetzgeber wollte bei der Elterngeldgewährung das Einkommen berücksichtigt wissen, das der anspruchsberechtigten Person zuletzt tatsächlich monatlich zur Verfügung gestanden hat und das nun wegen der Unterbrechung oder Einschränkung der Erwerbstätigkeit nicht mehr zur Verfügung steht (BT-Drucks. 16/1889 S. 21). Ferner soll für die Berechnung des Elterngeldes das Nettoeinkommen in den zwölf Monaten vor der Geburt des Kindes herangezogen werden, weil dieser Zeitraum die durchschnittlichen Verhältnisse im Jahr vor der Geburt am besten abbildet (BT-Drucks. 16/1889, S. 20). Wenn Einkommen aber nicht in diesem Zeitraum zur Auszahlung gekommen ist, dann hat es auch nicht die durchschnittlichen Verhältnisse im Jahr vor der Geburt geprägt und ist insofern nicht durch das Elterngeld zum Teil zu ersetzen; nur zu beanspruchendes aber nicht zugeflossenes Einkommen hat tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden.
Zudem hatte der Gesetzgeber ursprünglich beabsichtigt, die Einnahmen aus Erwerbstätigkeit – bis zum Erlass einer eigenen Rechtsverordnung – unter entsprechender Anwendung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (in der Fassung vom 22.08.2005) zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Satz 2 BEEG-Entwurf vom 20.06.2006, BT-Drucks. a.a.O S. 5 und 21). Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 dieser Verordnung waren bei der Berechnung des Einkommens aus nichtselbständiger Arbeit laufende Einnahmen in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Die Bezugnahme auf die Einkommensermittlung bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende hat der Gesetzgeber zwar später aufgegeben, aber auch die jetzt Gesetz gewordene Einkommensermittlung nach den Grundsätzen des Einkommenssteuerrechts (BRat-Drucks. 426/06 S. 1 f.; BT-Drucks. 16/2785 S. 43 f.) spricht für die Geltung des Zuflussprinzips. Im Steuerrecht wird die Einkünfteerzielung in einen Erwerbstatbestand und einen Erwerbserfolg aufgegliedert und nur derjenige verwirklicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung, der beide Voraussetzungen herbeiführt (Blümich-Ratschow, EStG, KStG und GewStG, 102. Auflage, § 2 EStG Rn. 56).
Systematische Erwägungen bestätigen das vom Senat gefundene Auslegungsergebnis. Wenn § 2 Abs. 1 S. 2 BEEG das Einkommen aus Erwerbstätigkeit als die Summe der positiven Einkünfte definiert (vergleiche dazu im einzelnen BSG, Urt. v. 25.06.2009 – B 10 EG 9/08 R, Rz. 16, 19 ff. des amtlichen Umdrucks sowie LSG NRW, Urteil vom 26.09.2008 – L 13 EG 27/08, Juris, Rz. 25), so spricht das dafür, dass der Zufluss vorausgesetzt wird, weil es andernfalls an positiven Einkünften fehlt. Dann aber wird die Voraussetzung der Erzielung von Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Bemessungszeitraum in § 2 Abs. 1 S. 1 BEEG nur beim Zufluss der Einkünfte im vorgenannten Zeitraum erfüllt.
Weiter lässt sich anführen, dass nach § 2 Abs. 7 S. 4 BEEG Grundlage für die Feststellung des Einkommens die Lohn- und Gehaltsbescheinigungen sind, die in der Regel keine Aussagen über nachzuzahlendes Einkommen enthalten.
Auch ein Vergleich zum Einkommen aus selbständiger Arbeit ergibt nichts anderes. Denn hier wird nach § 2 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 8 BEEG auf den Gewinn im Bemessungszeitraum abgestellt. Ein Gewinn setzt – zumindest für die Ermittlung durch Überschussrechnung – den Zufluss des Geldes voraus (Schmidt-Heinicke, EStG, 28. Auflage, § 4 Rn. 370 ff.).
Schließlich war dem Gesetzgeber die Fragestellung, ob sich nachgezahltes Arbeitsentgelt auf die Höhe der Sozialleistung auswirkt, aus anderen Bereichen bekannt. Insbesondere im Recht der Arbeitsförderung wird nach § 131 Abs. 1 Satz 2 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) bei der Ermittlung des für die Höhe des Arbeitslosengeldes entscheidenden Bemessungsentgeltes fingiert, dass Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, als erzielt gelten, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind. Im Unfallversicherungsrecht hat der Gesetzgeber in § 82 Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) für die Höhe der Leistung darauf abgestellt, dass das Arbeitsentgelt im Jahr vor Eintritt des Versicherungsfalls verdient worden ist (Jahresarbeitsverdienst); ob es auch tatsächlich gezahlt worden ist, spielt hingegen keine Rolle (Kasseler Kommentar-Ricke, § 82 SGB VII Rn. 5). In anderen Leistungsbereichen hat der Gesetzgeber hingegen solche Regelungen nicht getroffen, z.B. bei der Bemessung des Krankengeldes nach § 47 Fünftes Sozialgesetzbuch ((SGB V)). Daraus schließt der Senat, dass der Gesetzgeber beim Elterngeld bewusst darauf verzichtet hat, außerhalb des Bemessungszeitraums nachgezahltes Arbeitsentgelt bei der Elterngeldberechnung zu berücksichtigen und es beim tatsächlich im Bemessungszeitraum gezahlten Einkommen zu belassen (ähnlich für die tatsächlich innegehabte Steuerklasse nach Lohnsteuerklassenwechsel: BSG, Urteile vom 25.06.2009 – B 10 EG 3/08 R und B 10 EG 4/08 R).
Das gefundene Auslegungsergebnis hält auch einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Zunächst gebietet es das Verfassungsrecht nicht, den in § 2 BEEG normierten Zuflussgrundsatz zu modifizieren. Das Bundessozialgericht hat diesen Weg für das Arbeitslosen-, Unterhalts- und Krankengeld beschritten und bei der Bemessung der vorgenannten Leistungen im Wege der verfassungskonformen Auslegung auch das Einkommen berücksichtigt, das dem Versicherten für den maßgeblichen Bemessungszeitraum bei Annahmeverzug des Arbeitgebers zur nachträglichen Vertragserfüllung zugeflossen ist (BSG, Urteil vom 28.06.1995 – 7 RAr 102/94 für das Unterhaltsgeld; Urteil vom 21.03.1996 – 11 RAr 101/94 für das Arbeitslosengeld und Urteil vom 16.02.2005 – B 1 KR 19/03 R für das Krankengeld); diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber inzwischen für das Arbeitslosengeld – wie zuvor dargestellt – aufgegriffen. Nach dieser Rechtsprechung ist der eigentlich vom Gesetz bei der Einkommenserzielung vorgesehene Zuflussgrundsatz verfassungskonform im Lichte von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in dem Sinne auszulegen, dass auch nachgezahltes Arbeitsentgelt die Leistung erhöht. Andernfalls käme es zu Äquivalenzabweichungen bei Versichertengruppen mit gleicher Beitragsleistung, für die kein hinreichender sachlicher Grund ersichtlich sei. Insoweit sei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen Berücksichtigung von Einmalzahlungen in der Arbeitlosenversicherung einschlägig (BVerfG, Beschluss vom 11.01.1995 – 1 BvR 892/88). Diese Überlegungen lassen sich von vornherein nicht auf das Elterngeld übertragen, weil hier mangels Beitragsleistung keine Äquivalenzabweichungen zu besorgen sind. So hat das Bundesverfassungsgericht auch die Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe für verfassungsmäßig erachtet und hierbei klargestellt, dass die vorgenannten Überlegungen zum Erfordernis des gleichen Erfolgswertes von Beiträgen nicht greifen, weil die Arbeitslosenhilfe nicht beitragsfinanziert ist (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.09.2005 – 1 BvR 1773/03).
Es ist ferner aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Mutterschaftsgeld auf das Elterngeld zu übertragen (u.a. Urteil vom 06.04.1994 – 5 AZR 501/93). Das BAG argumentiert, nachgezahltes Arbeitsentgelt müsse den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld erhöhen, da die maßgebliche gesetzliche Grundlage des § 14 Mutterschutzgesetz bezwecke, schwangere Frauen während der Schutzfristen vor Nachteilen in Bezug auf ihre wirtschaftliche Situation zu bewahren. Da hinter bleibt der Zweck des Elterngeldes zurück, weil (nur) die Unterstützung der kinderbetreuenden Eltern bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage beabsichtigt ist (BT-Drucks. 16/1889 S. 2). Es handelt sich zudem um unterschiedliche Leistungen. Der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld ist vom Arbeitgeber zu tragen, während das Elterngeld allein steuerfinanziert ist.
Auch im Übrigen vermag der Senat keinen Verstoß gegen die Verfassung zu erkennen, insbesondere nicht gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Denn die Ungleichbehandlung derjenigen, deren Einkommen bereits im Bemessungszeitraum zur Auszahlung gekommen ist, im Vergleich zu denjenigen, deren Einkommen zunächst vom Arbeitgeber vorenthalten und erst nach Ablauf des Bemessungszeitraums gezahlt worden ist, ist gerechtfertigt. Vor dem Hintergrund des weiten Gestaltungsspielraum, den der Gesetzgeber bei steuerfinanzierten Sozialleistungen hat (zur Arbeitslosenhilfe: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26.09.2005 – 1 BvR 1773/03), gibt es ausreichende sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung, hinter denen die auch von der Klägerin angeführten "Gerechtigkeitsgesichtspunkte" zurücktreten, die v.a. darin bestehen, dass der Betroffene keinen Einfluss darauf hat, ob sich sein Arbeitgeber vertragskonform verhält oder ob er Änderungen – wie hier dem Anspruch auf den Familienzuschlag – zeitnah Rechnung trägt. Maßgeblich lässt sich zunächst die bereits oben wiedergegebene Gesetzesbegründung anführen. Das Elterngeld soll das Erwerbseinkommen zum Teil ersetzen, das der Familie im Jahr vor der Geburt tatsächlich zur Verfügung gestanden hat. Deswegen soll für die Berechnung des Elterngeldes das Nettoeinkommen in den zwölf Monaten vor der Geburt des Kindes herangezogen werden, weil dieser Zeitraum die durchschnittlichen Verhältnisse im Jahr vor der Geburt am besten abbildet (BT-Drcks. 16/1889, S. 20). Wenn Einkommen aber nicht im Bemessungszeitraum zur Auszahlung gekommen ist, dann hat es auch nicht die durchschnittlichen Verhältnisse im Jahr vor der Geburt geprägt, es hat tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden. Es lässt sich auch schwerlich argumentieren, dass Elterngeldberechtigte auf die spätere Nachzahlung vertrauen und sich deshalb darauf einrichten könnten. Werden etwa die Lohnansprüche, wie bei der Klägerin, vom Arbeitgeber bestritten und müssen sie gerichtlich durchgesetzt werden, steht ihre Realisierung im Bemessungszeitraum auch keineswegs sicher fest.
Abgesehen hiervon lassen sich Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität im Rahmen einer Massenverwaltung anführen, insbesondere wenn wie hier im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht feststeht, ob überhaupt und falls ja in welcher Höhe und für welche Zeiträume eine Nachzahlung erfolgen würde. Wie der von der Klägerin geführte Arbeitsgerichtsprozess zeigt, kann sich die Durchsetzung bestrittener Lohnansprüche in die Länge ziehen. Führt zudem der Rechtsweg, anders bei der Klägerin, durch mehrere Instanzen, erfolgt die Nachzahlung unter Umständen erst Jahre später. Demgegenüber liegt eine durch die typisierende Regelung geförderte beschleunigte Feststellung der Leistung im Interesse aller Elterngeldberechtigten und trägt dazu bei, den Gesetzeszweck zu verwirklichen; denn nur ein zeitnah gewährtes Elterngeld ist geeignet, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen, wenn sich die Eltern vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern (BT-Drucks. 16/1889 S. 2). Diesen Gesichtspunkten der Verwaltungspraktikabilität und Beschleunigung hat das BSG bei der Krankengeldberechnung zwar mit dem Argument keine Bedeutung beigemessen, dass sie für alle Sozialleistungen gelten (BSG, Urteil vom 16.02.2005 – B 1 KR 19/03 R). Diese Ausführungen sind aber im Lichte des strengeren Prüfungsmaßstabes der Beitragsäquivalenz zu sehen, der bei der hier in Rede stehenden steuerfinanzierten Leistung nicht gilt. Insgesamt scheidet daher die Berücksichtigung des nachgezahlten Arbeitsentgelts schon deshalb aus, weil die Klägerin es nicht im Sinne von § 2 Abs. 1 BEEG erzielt hat. Keine Rolle spielt es damit für den vorliegenden Fall, ob eine Berücksichtigung des nachgezahlten Entgelts beim Elterngeld zusätzlich daran scheitern würde, dass es sich bei den im Jahr 2008 für Lohnzahlungszeiträume des Jahres 2006 nachgezahlten Gehältern um "sonstige Bezüge" im Sinne von § 38a Abs. 1 S. 3 EStG handelt, die § 2 Abs. 7 Satz 3 BEEG nach seinem Wortlaut von der Bemessungsgrundlage des Elterngeldes ausschließt (vgl. Urteil des Senats im Verfahren L 13 EG 25/09 vom heutigen Tage).
Nach alldem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat misst den hier zu entscheidenden Fragen grundsätzliche Bedeutung für eine Vielzahl von Fällen bei und lässt daher – ebenso wie in der Parallelentscheidung L 13 EG 24/09 vom heutigen Tag – die Revision zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 14.12.2010
Zuletzt verändert am: 14.12.2010