Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 27.10.2009 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch für den Zeitraum vom 01.08.2009 bis zum 31.01.2010 vorläufig zu bewilligen. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für die erste Instanz in vollem Umfang und für die zweite Instanz zu 3/4.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
1. Das Sozialgericht (SG) Köln hat mit Beschluss vom 27.10.2009 den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).
a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch hinsichtlich der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) glaubhaft gemacht.
aa) Der Antragsteller erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Insbesondere ist er nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich vorzunehmender summarischer Prüfung hilfebedürftig gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1 SGB II. Auch die Antragsgegnerin selbst bekräftigte mit Schriftsatz vom 10.12.2009, dass seine "Hilfebedürftigkeit ( …) von hier nie bestritten" wurde.
bb) Ob dem Anspruch des Antragstellers die rechtsvernichtende Einwendung des § 7 Abs. 4a SGB II entgegensteht, ließ sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend feststellen.
Nach dieser Regelung erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23.10.1997 (geändert durch Anordnung vom 16.11.2001) definierten zeit- und ortsnahem Bereiches aufhält.
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, lässt sich derzeit nicht abschließend feststellen. Der Antragsteller hat vorgetragen, mit dem PKW könne er die Strecke von Alsbach nach Blankenheim in 1 Stunde und 15 Minuten zurücklegen (Schriftsatz vom 13.11.2009, Seite 3). Die Antragsgegnerin hat erwidert, diese vom Antragsteller genannte Fahrzeit "mag ja zutreffen" (Schriftsatz vom 01.12.2009, Seite 1). Trifft sie tatsächlich zu, könnte dies gegen die Anwendung des § 7 Abs. 4a SGB II sprechen (vgl. Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 7 Rn. 79).
Angesichts des insoweit nach wie vor ungeklärten Sachverhaltes war dem Antragsteller die Regelleistung des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung (BVerfG a.a.O.) einstweilen und vorläufig zu bewilligen. Bei dieser Folgenabwägung hat der Senat maßgeblich berücksichtigt, dass die Anspruchsvoraussetzungen insoweit nach derzeitigen Stand unstreitig vorliegen und allein der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4a SGB II in Frage steht, der aber wie ausgeführt nach bisherigem Sach- und Streitstand eher nicht greifen dürfte.
Der Senat hat ferner in den Blick genommen, dass der hörbehinderte Antragsteller, bei dem ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt ist, in besonderem Maße auf das Vorliegen des mit der Leistungsgewährung verbundenden gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes angewiesen sein dürfte.
cc) Die Leistungshöhe folgt aus § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II.
Es wird im sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahren zu prüfen sein, ob zwischen dem Antragsteller und Frau Spohr eine Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II besteht, die zur Gewährung der reduzierten Regelleistung des § 20 Abs. 2 Satz 2 SGB II berechtigt. Dies ist unter Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls festzustellen. Dort wird auch zu ermitteln sein, ob die Voraussetzungen der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II erfüllt sind. Dies bisherigen Feststellungen und insbesondere Ermittlungen der Antragsgegnerin reichen nicht aus, um dies abschließend beantworten zu können.
dd) Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin folgt aus § 43 Abs. 1 Satz 2 (i.V.m. § 37 Satz 1) Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Danach hat der zuerst angegangene Leistungsträger Leistungen vorläufig zu erbringen, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist.
Dies Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn zwischen Antragsgegnerin und Beigeladener ist streitig, wer zur Leistung verpflichtet ist. Nach derzeitigem Erkenntnisstand besteht, wie zuvor ausgeführt, auch ein Anspruch auf Sozialleistungen, nämlich auf die Regelleistung des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II.
Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin ist der "gewöhnliche Aufenthalt" keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, sondern dient dazu, die örtliche Zuständigkeit der verschiedenen Grundsicherungsträger nach dem SGB II gegeneinander abzugrenzen (§ 36 Satz 1 SGB II). Andernfalls säße ein hilfebedürftiger Mensch trotz unstreitig bestehender Hilfebedürftigkeit "zwischen den Stühlen" der streitigen Zuständigkeit. Dass dieses Ergebnis bei existenzsichernden Leistungen wie den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II nicht sein kann, versteht sich bereits angesichts der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des (jedenfalls physischen) Existenzminimums ohne Weiteres von selbst (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG)). Einfachrechtlich verdeutlicht zudem die Regelung des § 44a Abs. 1 Satz 3 SGB II, dass die Gesetzgebung einen Zuständigkeitsstreit auf dem Rücken des Hilfebedürftigen (dort einen sachlichen Zuständigkeitstreit zwischen einem Grundsicherungs- und einem Sozialhilfeträger) auf jeden Fall und von vornherein verhindern will. Vor diesem Hintergrund ist die Verweigerung der Leistungserbringung durch die Antragsgegnerin und zugleich die Beigeladene für den erkennenden Senat rechtlich nicht nachvollziehbar.
Wo der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt derzeit hat, steht nicht abschließend fest. Denn nach der Legaldefintion des "gewöhnlichen Aufenthalts" in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist damit die über eine vorübergehende Verweildauer hinausgehende Dauerhaftigkeit des tatsächlichen Aufenthalts an bestimmten Orten, die sich in bestimmten Umständen manifestieren müssen. "Gewöhnlich" ist der Aufenthalt nicht nur dann, wenn er ein ständiger Aufenthalt ist. Dauerhaftigkeit liegt bereits dann vor, wenn und solange der Aufenthalt nicht auf Beendigung angelegt, er also zukunftsoffen ist. Entscheidend ist, dass die Umstände auf einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt schließen lassen (zum Ganzen Schlegel in: jurisPK-SGB I, § 30 Rn. 37-37 m.w.N.).
Der Antragsteller hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt ursprünglich und unstreitig bei seinen Eltern. Ob er den gewöhnlichen Aufenthalt mittlerweile nach Alsbach verlagert hat, kann auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse angesichts der zuvor genannten maßgeblichen rechtlichen Vorgaben nicht abschließend beurteilt werden. Gemäß § 36 Satz 3 SGB II ist, wenn der gewöhnliche Aufenthaltsort nicht feststellbar ist, der Grundsicherungsträger örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Hilfebedürftige tatsächlich aufhält.
b) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund hinsichtlich der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II glaubhaft gemacht.
Denn es ist einstweilen nicht erkennbar, dass der Antragsteller derzeit über Einkommen und/oder Vermögen verfügt. Seine Hilfebedürftigkeit steht vielmehr wie dargelegt nicht im Streit.
c) Hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II), die der Antragsteller im Beschwerdeverfahren erstmals begehrt hat, hat er demgegenüber keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Im Verhandlungstermin vom 27.10.2009 vor dem SG Köln hat der Vater des Antragstellers als Zeuge (und Vermieter des Antragstellers) ausgesagt, dass der Antragsteller Miete nicht gezahlt habe, weil er über kein Einkommen verfügt habe. Es ist weder vorgetragen noch zu erkennen, dass der Vater des Antragstellers aus der tatsächlich unterbliebenen Mietzahlung bereits rechtliche Konsequenzen gezogen hätte (Ausspruch einer Kündigung etc.).
d) Der Senat hat dem Antragsteller die Regelleistungen für einen sechsmonatigen Leistungszeitraum zugesprochen, wie dies die Vorschrift des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II für das Verwaltungsverfahren als Regelfall vorsieht. Die Bewilligung der Regelleistung als vorläufige Leistung basiert, wie ausgeführt, auf § 43 Abs. 1 Satz 2 (i.V.m. § 37 Satz 1) SGB I und ergibt sich im Übrigen aus der Rechtsnatur des vorläufigen (einstweiligen) Rechtsschutzverfahrens.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Der Senat hat dabei dem Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen Rechnung getragen.
3. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 14.01.2010
Zuletzt verändert am: 14.01.2010