Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 23.11.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerinnen ist sowohl hinsichtlich der Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung (L 20 B 53/09 AY ER) als auch hinsichtlich der Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (L 20 B 54/09 AY) unbegründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) anstelle der von den Antragstellerinnen bezogenen Leistungen nach § AsylbLG abgelehnt.
Allerdings weist der Senat darauf hin, dass er in Fällen, in denen das Bestehen des geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruches (sog. Anordnungsanspruch) nicht zweifelhaft ist, nicht mehr (wie allerdings noch im von der Antragsgegnerin angeführten Beschluss vom 21.12.2005 – L 20 (9) B 37/05 SO ER) vom Fehlen einer Eilbedürftigkeit für eine gerichtliche Entscheidung (sog. Anordnungsgrund) ausgeht. Denn auch die höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG entsprechen nur den Leistungen auf Sozialhilfeniveau und damit allein dem sog. soziokulturellen Existenzminimum, dessen Unterschreitung bei glaubhaft gemachtem Leistungsanspruch nicht über die Dauer eines ggf. mehrere Jahre dauernden Hauptsacheverfahrens zumutbar ist.
Anders ist es jedoch, wenn wie im vorliegenden Fall erhebliche Zweifel am Bestehen eines Anspruches nach § 2 AsylbLG bestehen und deshalb die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches nicht glaubhaft gemacht sind:
Der Bezug der von den Antragstellerinnen (Mutter und Tochter, geb. 1963 bzw. 1997) begehrten sog. Analogleistungen (entsprechend denjenigen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII)) setzt nach § 2 Abs. 1 AsylbLG voraus, dass die Leistungsempfänger über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.
Zwar besteht insoweit zwischen den Beteiligten kein Streit, dass die Antragstellerinnen (jedenfalls für den Zeitraum seit Antragstellung beim Sozialgericht im September 2009) die 48-monatige Vorbezugsfrist von Leistungen nach § 3 AsylbLG erfüllt haben.
Jedoch bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Antragstellerinnen ihren Aufenthalt in Deutschland nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben; die Klärung dieser Zweifel kann allein – wegen der Gewichtigkeit der Zweifel auch zumutbar – im Hauptsacheverfahren erfolgen. Eine Rechtsmissbräuchlichkeit in diesem Sinne setzt ein auf die Aufenthaltsverlängerung zielendes vorsätzliches, sozialwidriges Verhalten unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles voraus, wobei eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer schon dann vorliegt, wenn bei generell-abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise die Aufenthaltsdauer verlängern kann (BSG, Urteil vom 17.06.2008 – B 8/9b AY 1/07 R).
Jedenfalls im Einzelfall der Antragstellerinnen lässt das nach Einreise im Oktober 2003 erst auf nachdrückliches Drängen der Stadt L erfolgte Stellen eines Asylantrages erst im Dezember 2008 eine rechtsmissbräuchliche Verlängerung der Aufenthaltsdauer in Deutschland überwiegend wahrscheinlich erscheinen. Ein solcher Asylantrag wurde, wie die Antragstellerinnen selbst unter Vorlage eines entsprechenden Schreibens vom 23.04.2008 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vortragen, jedenfalls vom BAMF gefordert, um die in seiner Zuständigkeit liegende asylrechtliche Prüfung (z.B. wegen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse) durchführen zu können. Eine derart späte Stellung des Asylantrags (zu sehen im Zusammenhang mit der Ankündigung der Stadt L im Schreiben vom 09.12.2008, wenn bis zum 18.12.2008 kein Asylantrag gestellt werde, werde die Abschiebung angekündigt und die Passersatzpapierbeschaffung eingeleitet) erscheint geeignet, die Dauer des Aufenthalts in Deutschland zu verlängern. Dies zeigt sich deutlich darin, dass das Asylverfahren der Antragstellerinnen bisher nicht abgeschlossen ist; eine frühere Antragstellung hätte ein früheres Einleiten des Asylverfahrens und damit auch ein früheres bestandskräftiges Abschließen höchstwahrscheinlich gemacht.
Dabei ist auch keineswegs überwiegend wahrscheinlich, dass die von den Antragstellerinnen vorgetragenen Gründe für die Notwendigkeit ihres Verbleibens in Deutschland letztlich zu einem dauerhaft rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland führen werden, so dass sich die verspätete Antragstellung gar nicht auf die Aufenthaltsdauer auswirken könnte. Zwar berufen sich die Antragstellerinnen darauf, in ihrem Herkunftsland Serbien drohe ihnen durch Landsleute ihrer Volksgruppe (Roma) Blutrache (mit der Folge, dass möglicherweise unabhängig von einem Asylrecht jedenfalls eine Abschiebung ins Heimatland nicht erfolgen könne). Das Sozialgericht hat jedoch zutreffend ausgeführt, dass gegen die Richtigkeit dieses Vortrags erhebliche Zweifel bestehen. Denn der Vortrag erfolgte erstmals im Juni 2005, nachdem der Rechtsweg gegen eine Ausweisungsverfügung vom 11.12.2003 gescheitert war (Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Köln vom 20.09.2004 – 12 K 1678/04) und die Stadt L unter dem 17.02.2005 die Abschiebung für die Zeit nach dem 29.03.2005 angekündigt und die Bundesrepublik Jugoslawien einer Rückführung zugestimmt hatte. Nach ihren ursprünglichen Angaben vom 04.11.2003 nach Einreise in die Bundesrepublik am 27.10.2003 kamen die Antragsteller keineswegs aus Furcht vor Blutrache nach Deutschland, sondern weil sie arm seien und in ihrer Heimat nichts mehr zu essen gehabt hätten; Verfolgung aus politischen, religiösen oder sonstigen Gründen hätten sie nicht erlitten, und sie suchten auch keinen Schutz vor Verfolgung bzw. Rückführung. Eine Rückkehr ins Heimatland sei möglich; es sei jedoch ein dauerhafter Aufenthalt im Bundesgebiet beabsichtigt. Bereits bei dieser Befragung sind die Antragsteller ausweislich des gefertigten (und von der Antragstellerin zu 1 unterschriebenen) Protokolls darauf hingewiesen worden, die Voraussetzungen für einen Asylantrag gem. § 13 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) lägen vor; allerdings könnten sie zu einem solchen Antrag nicht gezwungen werden. Die Antragsteller haben seinerzeit daraufhin allerdings erklärt, kein Asyl beantragen zu wollen. Das Sozialgericht hat im Übrigen zutreffend ergänzend darauf hingewiesen, dass eine Ausreise aus Furcht vor Blutrache erst lange Jahre nach einem angeblichen Tötungsdelikt des Ehemannes der Antragstellerin zu 1, welches diese Rachegefahr ausgelöst haben solle, wenig wahrscheinlich sei. Bereits bei der Befragung am 04.11.2003 hat sich im Übrigen erwiesen, dass die Antragstellerin zu 1 offenbar zu zweckgerichteten, aber unwahren Angaben bereit ist. Denn sie erklärte zunächst, noch nie in Deutschland oder einem sog. Schengenstaat gewesen zu sein; ihre ebenfalls befragte Tochter U gab sodann auf erneute Nachfrage jedoch an, die Familie sei vor einigen Monaten schon einmal ungemeldet in Deutschland gewesen, sei dann aber auf der Suche nach Verwandten nach Italien gereist, und man habe ihnen dort gesagt, sie sollten wieder nach Deutschland gehen, wo es Asyl gebe. Wenn sich die Antragstellerinnen darüber hinaus auf eine fehlende Kausalität eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens für den längeren Verbleib in Deutschland deswegen berufen, weil Roma generell nicht hätten rückgeführt werden können, so betrifft diese Situation ggf. das Kosovo, aus dem die Antragstellerinnen jedoch nicht stammen.
Insgesamt sprechen deshalb die überwiegenden Gründe für die Annahme, dass Antragstellerinnen den Asylantrag bewusst erst spät und zum Zwecke der weiteren Verlängerung ihres Aufenthaltes bei Fehlen eines zum Aufenthalt berechtigenden Grundes gestellt haben. Dann aber sind wegen rechtsmissbräuchlicher Beeinflussung der Aufenthaltsdauer in Deutschland die Leistungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht glaubhaft gemacht. Verbleibende Zweifel müssen der Klärung im Hauptsacheverfahren mit den nur dort möglichen, ggf. langwierigen Ermittlungen (etwa in Bezug auf den vorgetragenen Anlass für die Gefahr einer Blutrache) vorbehalten bleiben.
Aus den genannten Gründen fehlte dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes eine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO), so dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt wurde.
Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG, hinsichtlich der Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe aus § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 27.01.2010
Zuletzt verändert am: 27.01.2010