Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.11.2008 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein Versorgungsanspruch nach dem Ge-setz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
Der 1984 geborene Kläger kroatischer Staatsangehörigkeit mit unbefristetem Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik beantragte am 04.05.2007 beim Versorgungsamt T, ihm Versorgung nach dem OEG wegen einer Messerstichverletzung am 10.03.2007 zu gewähren. Dem Antrag legte er zur Schilderung des Tathergangs Kopien seiner polizeilichen Vernehmungen vom 12.03.2007 und 19.03.2007 bei. Dort hatte der Kläger angegeben, dass er am Abend des 10.03.2007 die Diskothek "W" in M besucht habe. Plötzlich habe ein guter Bekannter von ihm am Kopf heftig geblutet. Er selbst habe nicht gesehen, was passiert sei, aber gehört, dass B (B) den Bekannten mit einem Aschenbecher beworfen und verletzt habe. Er habe B nicht persönlich gekannt, aber ihm sei klar gewesen, um welche Person es sich handle. Im Freundes- und Bekanntenkreis sei erzählt worden, dass B vor ca. einem Monat einen Kollegen von ihm mit dem Messer ins Bein gestochen habe. Als er die Diskothek verlassen habe, sei er auf B getroffen und zu ihm hingegangen. B habe dort allein gestanden und er habe das Gefühl gehabt, dass dieser flüchten wollte. Er habe ihn angesprochen, dann hätten sie sich angeschrien. Er selbst habe B angeschrieen, weil er der Überzeugung gewesen sei, dass B Ursache des Streits war. Sie hätten sich gegenseitig geschubst. Bei diesem Schubsen seien sie sich auch näher gekommen. Er habe B festgehalten. Sie hätten sich ca. 1-2 Minuten gestritten. Plötzlich habe B ein Messer in der Hand gehabt und ihn mit diesem am linken Unterbauch verletzt. B sei dann weggelaufen und er selbst nach ein paar Schritten zu Boden gefallen.
Das Versorgungsamt zog die Akten des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen B (StA Q 000 kap) bei. Nach Auswertung auch des Entlassungsberichts des E-Hospitals vom 19.03.2007, in dem der Kläger wegen der Verletzung behandelt worden war, und eines Befundberichts der Hausärztin Dr. L vom 16.05.2007 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28.06.2007, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 23.07.2007 den Antrag des Klägers ab. Leistungen nach dem OEG ständen ihm nicht zu, da er die Verletzung mitverursacht habe (§ 2 Abs. 1 S. 1 1. Alt. OEG). Er sei dem Täter, von dem er gewusst habe, dass dieser einen Freund vorher mit dem Aschenbecher am Kopf verletzt habe, nachgelaufen, habe ihn provoziert und sich auf eine Auseinandersetzung mit ihm eingelassen. B selbst habe angegeben, der Kläger sei auf ihn zugelaufen um Streit zu suchen, und er – B – habe sich mit dem Messer verteidigen wollen.
Der Kläger hat am 30.07.2007 Klage beim Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben, mit der er Begehren weiter verfolgt. Er habe B nicht provoziert, sondern lediglich zur Rede stellen wollen. Dass dieser ein Messer bei sich getragen habe, habe er nicht geahnt.
Mit Urteil vom 14.11.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Es sei gem. § 2 OEG unbillig, dem Kläger Entschädigung zu gewähren. Dieser habe keinen vernünftigen Anlass gehabt, B zu den vorangegangen Vorfällen in der Disko zur Rede zu stellen. Darüber hinaus sei es bei einem verbalen Zugehen nicht geblieben. Vielmehr habe der Kläger in der polizeilichen Vernehmung selbst angegeben, B vor dem Messerstich geschubst und sich mit ihm angeschrieen zu haben. Der Zeuge P (P) habe darüber hinaus angegeben, dass sich beide mit Fäusten geschlagen hätten, die Zeugin L (L), dass der Kläger hinter B hergelaufen sei, diesen am T-Shirt festgehalten und sich mit ihm geprügelt habe, bevor der Messerstich erfolgt sei. Im übrigen habe der Kläger selbst erklärt, er habe B gekannt und gewusst, dass dieser einen Monat vorher einen Kollegen von ihm ins Bein gestochen habe. Nicht verständlich erscheine daher der Vortrag, er habe nicht ahnen können, dass B ein Messer bei sich getragen habe.
Gegen das ihm am 01.12.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04.12.2008 Berufung eingelegt. Er hat zunächst geltend gemacht, dass das SG die Zeugenaussagen unkritisch übernommen habe, da die Zeugen zum Zeitpunkt ihrer Aussage noch unter Alkoholeinfluss gestanden hätten und die Gegend schlecht beleuchtet gewesen sei. Dass er B in der Annahme angesprochen habe, dieser sei Auslöser für die ganzen Streitereien gewesen, könne nicht als ein Verhalten ohne vernünftigen Grund angesehen werden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger vorgetragen, er habe den B lediglich festhalten wollen, weil dieser an ihm vorbeigelaufen sei und andere Personen "Haltet ihn, haltet ihn!" gerufen hätten. Diese Handlung sei durch das Festnahmerecht nach § 127 StPO gerechtfertigt. Würde man hier eine Mitverursachung im Sinne des § 2 OEG annehmen, so würde dies jede Zivilcourage unterbinden. Er habe auch nicht richtig gewusst, dass B vorher in der Diskothek jemanden verletzt habe und was genau vorgefallen sei. Soweit er bei der polizeilichen Vernehmung eine andere Schilderung der Tatumstände abgegeben habe, so habe er seinerzeit unter Medikamenteneinfluss gestanden und sein Anwalt mehr geredet als er selbst.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 14.11.2008 zu verurteilen, den Bescheid vom 28.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2007 zu ändern und ihm Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend und sieht sich in dieser Auffassung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt. Der Senat hat Beweis erhoben und die Zeugen P und L zu der Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und B vernommen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten (StA Paderborn 310 Js 54/07 kap) sowie der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 28.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.07.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG.
Der Kläger, der sich seit mehr als drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (s. § 1 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 OEG), hat infolge des Messerstichs vom 10.03.2007 als vorsätzlichem, rechtswidrigem tätlichem Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten. Versorgung wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen steht ihm aber nicht zu. Dies folgt aus § 2 Abs. 1 S. 1 1. Alt. OEG. Danach sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat. Hierbei handelt es sich um einen Sonderfall des in dieser Vorschrift an zweiter Stelle genannten Versagungsgrundes der Unbilligkeit, der abschließend regelt, wann die unmittelbare Tatbeteiligung des Geschädigten Leistungen ausschließt (BSG, Urteil vom 09.12.1998, B 9 VG 8/97 R m.w.N. = SGb 1999, 300). Eine Mitverursachung und damit Verursachung im Sinne der sozialrechtlichen Kausalitätslehre ist dann anzunehmen, wenn das Gewaltopfer im unmittelbaren, insbesondere zeitlich engen Zusammenhang mit dem eigentlichen schädigenden Tatgeschehen einen eigenen Beitrag zur Tat geleistet hat, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Angriff entfiele und wenn der Beitrag von seinem Gewicht her mit dem rechtswidrigen Verhalten des Angreifens vergleichbar ist (st. Rspr, vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2007, B 9a VG 2/05 R = SozR 4-3800 § 2 Nr. 2).
Von einem solchen mitverursachenden Tatbeitrag des Klägers ist der Senat nach Auswertung der aktenkundigen Aussagen und Umstände, der Ausführungen des Klägers, der Angaben der vernommenen Zeugen und des Inhaltes der Gerichts- und Beiakten überzeugt.
Danach traf der Kläger außerhalb der Diskothek auf B, nachdem dieser kurz zuvor einen guten Bekannten des Klägers verletzt hatte. Er lief B hinterher, hielt ihn (am T-Shirt) fest und schrie ihn an, woraufhin ein gegenseitiges Streiten und Schubsen, evtl. auch Prügeln begann, im Verlaufe dessen B den Kläger nach kurzer Zeit mit dem Messer verletzte. Dieser Geschehensablauf entspricht den aktenkundigen Aussagen, die der Kläger in der zeitnahen polizeilichen Vernehmung am 19.03.2007 gemacht hat und ist durch die Aussagen des Zeugen P ("gegenseitiges Schubsen") und der Zeugin L ("Hinterherlaufen und Festhalten") bestätigt worden. Die objektiven Umstände des Hinterherlaufens, Festhaltens, Anschreiens und Schubsens zeigen nach Auffassung des Senats deutlich den Willen des Klägers, B für dessen vorheriges Verhalten in der Diskothek mittels einer körperlichen Auseinandersetzung zur Rechenschaft zu ziehen.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, er habe B lediglich in Ausübung eines Festnahmerechts nach § 127 StPO festhalten wollen, weil Andere "Haltet ihn, haltet ihn!" gerufen hätten, so sieht der Senat dies als einen dem (negativen) Verlauf des Entschädigungsverfahrens angepassten Schutzvortrag an. Den inneren Willen, B festzunehmen, um ihn der Polizei zu übergeben, hat der Kläger weder in der polizeilichen Vernehmung vom 12.03.2007, noch nach deren Ergänzung im anwaltlichen Beisein am 19.03.2007 angegeben. Seine Behauptung im Termin zur mündlichen Verhandlung, sein Anwalt habe für ihn einen Sachverhalt geschildert, der nicht zutreffend gewesen sei, ist unglaubhaft. Denn der Kläger hat noch in der Vernehmung vom 12.03.2007 selbst angegeben, er wisse nicht, wie es zu seiner Verletzung gekommen sei. Seine (angekündigte) Aussage vom 19.03.2007 zum unmittelbaren Geschehensablauf, mit der er die Aussage vom 12.03.2007 ausdrücklich ergänzt hat, enthält ebenfalls keine entsprechenden Hinweise. Dieser Umstand ist für den Senat deshalb von Bedeutung, weil die Angaben zum einen zeitnah, zum anderen aber nach anwaltlicher Beratung erfolgt sind und der Kläger bei der Erstellung der Aussage darüber hinaus noch nicht die Zielsetzung eines OEG-Verfahrens vor Augen hatte. Soweit er behauptet, sein Anwalt habe in der Vernehmung überwiegend allein geredet und den Sachverhalt unzutreffend dargestellt, folgt ihm der Senat nicht. Bereits die Diktion der Sachverhaltsschilderung am 19.03.2007 als solche entspricht nicht anwaltlicher Darstellung, sondern derjenigen des Klägers etwa auch in der mündlichen Verhandlung. Darüber hinaus hat der Kläger das Vernehmungsprotokoll wie üblich auf jeder Seite unterschrieben. Hätte die Schilderung des Anwalts aus Sicht des Klägers dem tatsächlichen Sachverhalt massiv widersprochen, wie er dies jetzt geltend macht, so hätte er vor Unterzeichnung des Protokolls auf Änderungen drängen können und müssen.
Für die Glaubhaftigkeit der Schilderung des Klägers in den polizeilichen Vernehmungen am 12.03. und 19.03.2007 spricht auch, dass er im Verwaltungsverfahren den Sachverhalt nicht neu geschildert, sondern vollumfänglich auf die von ihm beigefügten polizeilichen Vernehmungsprotokolle verwiesen hat. In der polizeilichen Vernehmung vom 19.03.2007 hat der Kläger noch angegeben, B angeschrieen zu haben, weil er ihn für die Ursache des Streits (in der Diskothek) gehalten habe. Die Atmosphäre nach den Vorkommnissen in der Diskothek war insgesamt von Streit, Aggressivität und Rache geprägt, wie dies die Aussagen der im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vernommenen zahlreichen Zeugen belegen. So konnte die Polizei am Tatort zunächst keine Personalienzuordnung vorzunehmen, da es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen kam, die durch die Einsatzkräfte getrennt werden mussten. Die Behauptung des Klägers, er habe (als Einziger) B festhalten wollen, um ihn in Ausübung des Festnahmerechts nach § 127 StPO der Polizei zu übergeben, erscheint in dieser Situation realitätsfremd. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass der Kläger B wegen der Vorfälle in der Diskothek festhalten und ihn mit körperlicher Gewalt zur Verantwortung ziehen und bestrafen wollte, wie dies dann später Andere taten. B ist nach der Auseinandersetzung mit dem Kläger von mehreren weiteren Personen erheblich geschlagen und getreten worden und hat hierdurch gravierende Verletzungen (Gehirnerschütterung, Kopfplatzwunde, Nasenbeinfraktur, Orbitalhämatome beidseitig und ein schweres stumpfes Bauchtrauma) erlitten.
Der Annahme einer Mitverursachung durch den Tatbeitrag des Klägers steht auch nicht entgegen, dass sein Ursachenbeitrag nicht in ähnlich schwerwiegender Weise gegen die Rechtsordnung verstoßen hat wie die von B begangene gefährliche Körperverletzung. Zum einen kann bei einem Handgemenge, bei dem die Folgen von Körperverletzungen unvorhersehbar sind, kein enger Maßstab an den Vergleich der beiderseitigen Tatbeiträge geknüpft werden (BSG, Urteil vom 10.09.1997, 9 RVg 9/95 = SozR 3-3800 § 2 Nr. 7). Zum anderen zwingt das Verhalten des Klägers zur Versagung von Leistungen unter dem Gesichtspunkt der vermeidbaren Selbstgefährdung. Ein Opfer verursacht seine Schädigung mit, wenn es sich, ohne sozial nützlich oder sogar von der Rechtsordnung erwünscht zu handeln, bewusst oder leichtfertig der Gefahr einer Schädigung ausgesetzt hat. Leichtfertiges Handeln ist durch einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit gekennzeichnet, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht. Im Gegensatz zu letzterem gilt aber nicht der auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichtete objektive Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch, sondern ein individueller Sorgfaltsmaßstab, der auf die persönlichen Fähigkeiten des Opfers abstellt (BSG, Urteil vom 21.10.1998, B 9 VG 6/97 R m.w.N. = SozR 3-3800 § 2 Nr. 9). Der Kläger hat sich in diesem Sinne leichtfertig der Gefahr einer Körperverletzung ausgesetzt, als er B, von dem er wusste, das dieser bereits in der Diskothek jemanden verletzt hatte und gewaltbereit war, hinterhergelaufen ist und ihn herausgefordert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Erstellt am: 02.02.2010
Zuletzt verändert am: 02.02.2010