Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.11.2009 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
Die Stadt C gewährt der am 00.00.1946 geborenen Antragstellerin im Anschluss an den Bezug von Sozialhilfe seit dem 01.01.2005 Grundsicherungsleistungen für Erwerbsfähige nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit formlosem Schreiben vom 20.08.2009 wies die Stadt C die Antragstellerin darauf hin, dass Hilfebedürftige, die das 63. Lebensjahr vollendet haben, vorrangig einen Rentenantrag wegen Alters stellen müssten, auch wenn jährlich 3,6 % Abschläge zu erwarten seien. Im Hinblick auf die Vollendung ihres 63. Lebensjahres im Oktober 2009 wurde sie aufgefordert, die Altersrente ab dem 01.01.2009 zu beantragen. Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein und hat am 07.10.2009 beim Sozialgericht (SG) Dortmund um vorläufigen Rechtsschutz gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung nachgesucht. Sie hat geltend gemacht, da sie am 01.01.2008 älter als 58 Jahre alt gewesen sei, werde sie von der gesetzlichen Neuregelung nicht erfasst und sei nur verpflichtet, eine abschlagsfreie Rente zu beantragen.
Mit Beschluss vom 11.11.2009 hat das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20.08.2009 angeordnet. Es hat ausgeführt, die Aufforderung zur Rentenantragstellung stelle einen Verwaltungsakt dar, gegen den der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung habe. Diese sei jedoch anzuordnen, weil die Antragstellerin unter die Bestandsschutzregelung des § 65 Abs. 4 SGB II falle. Der von dieser Bestimmung erfasste Personenkreis sei nur zur Beantragung einer ungeminderten Altersrente verpflichtet. Ausreichend für die Anwendung der Bestandsschutzregelung sei die Vollendung des 58. Lebensjahres und die Entstehung des Leistungsanspruchs vor dem 01.01.2008.
Mit ihrer dagegen eingelegten Beschwerde rügt die Antragsgegnerin, entgegen der Auffassung des SG könne die Bestandsschutzregelung des § 65 Abs. 4 SGB II auf die Antragstellerin keine Anwendung finden, weil hierdurch nur solche Leistungsempfänger erfasst würden, die die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II allein deshalb nicht erfüllten, weil sie nicht arbeitsbereit seien und nicht alle Möglichkeiten nutzten und nutzen wollten, ihre Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Arbeit zu beenden. Eine solche Einschränkung ihrer Leistungsbereitschaft habe die Antragstellerin jedoch zu keinem Zeitpunkt erklärt, weswegen sie sich auch nicht auf einen Vertrauensschutz berufen könne.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Das SG hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung angeordnet, wobei der Hochsauerlandkreis zulässiger Weise jedenfalls im Wege der gewillkürten passiven Prozessstandschaft als Antragsgegner am Verfahren beteiligt worden ist (vgl. Beschl. des Senats v. 20.02.2006 – L 19 B 118/05 AS ER)
Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die streitige Aufforderung ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X, weil hierdurch die Feststellung getroffen wird, dass die Leistungsempfängerin zu einer bestimmten Handlung verpflichtet ist und der Verstoß gegen diese Pflicht rechtliche Nachteile auf dem Gebiet des öffentlichen Leistungsrechts nach sich ziehen kann (einhellige Meinung, vgl. BSG SozR 3 – 4100 § 134 Nr. 22; Knickrehm, SozSich 2008, 192, 195 m.w.N.). Der Widerspruch gegen einen solchen Verwaltungsakt entfaltet gemäß § 39 Nr. 3 SGB II in der seit dem 01.01.2009 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl. I S. 2917) keine aufschiebende Wirkung. Deren Anordnung ist jedoch gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG angezeigt, weil mehr für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Aufforderung spricht und damit das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt.
Durch das 7. SGB III-Änderungsgesetz ist die Regelung des § 12a S. 2 in das SGB II einfügt worden, wonach Hilfebedürftige bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Damit wollte der Gesetzgeber einheitlich für alle Hilfebedürftigen eine Altersfestlegung, ab der sie eine vorzeitige Altersrente (auch) mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen haben (BT-Drucks. 16/7460 S. 12 zu Nr. 3) regeln. Von dieser Verpflichtung, eine geminderte Altersrente zu beantragen – wie sie auch von der Antragstellerin nur beansprucht werden könnte (Altersrente für langjährig Versicherte gemäß § 36 SGB VI, Minderungsumfang gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a SGB VI maximal 7,2 % für zwei Jahre) -, besteht neben den in der Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeits-V) vom 14.04.2008 (BGBl. I S. 734) geregelten Sonderfällen, die bei der Antragstellerin offensichtlich und unstreitig nicht vorliegen, eine Ausnahme für die Leistungsempfänger, die die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II allein deshalb nicht erfüllen, weil sie nicht bereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen und nutzen wollen, ihre Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Arbeit zu beenden, wenn die Vollendung des 58. Lebensjahres und die Entstehung des Leistungsanspruchs vor dem 01.01.2008 liegen. § 65 Abs. 4 SGB II, der für diese älteren Leistungsempfänger im Wesentlichen zur Sicherstellung des Vertrauensschutzes für Arbeitslosengeld-/Arbeitslosenhilfeempfänger, die schon zuvor unter entsprechend erleichterten Voraussetzungen Leistungen bezogen haben, geschaffen worden ist (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 65 Rn. 7), verweist ergänzend auf § 428 SGB III. Bezüglich der in dieser Vorschrift vorgesehenen Möglichkeit der Aufforderung zur (vorzeitigen) Rentenantragstellung bestimmt § 428 Abs. 2 S. 1 HS. 2 SGB III, dass die Aufforderung zur Rentenantragstellung nicht für solche Altersrenten ergehen soll, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können. Hierdurch soll deutlich gemacht werden, dass der Versicherte nur aufgefordert werden soll, wenn er eine Altersrente ohne Rentenminderung beziehen kann (vgl. Brand in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 428 Rn. 9).Aufgrund der Verweisung in § 65 Abs. 4 S. 3 SGB II wird allgemein angenommen, dass auch die Leistungsemfpänger nach dem SGB II nur eine ungeminderte Altersrente beantragen müssen, wenn sie die Leistungen unter der entsprechenden Beschränkung ihrer Arbeitsbereitschaft bezogen haben (vgl. Berlit a.a.O. Rn. 9; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 65 Rn. 29 ff; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 12a Rn. 29; Hünecke in Gagel, SGB II und III, § 65 SGB II Rn. 30)
Allerdings sind die §§ 65 Abs. 4 SGB II, 428 Abs. 2 S. 1 HS. 2 SGB III nicht unmittelbar auf die Antragstellerin anwendbar, weil sie eine entsprechende Einschränkung ihrer Arbeits-/Vermittlungbereitschaft nie erklärt hat. Gegen die entsprechende Anwendung dieser Bestimmungen spricht, dass mangels Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen auch kein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der gesetzlichen Bestimmungen entstehen konnte. Andererseits ist es bedenklich, die älteren Leistungsempfänger, die das 63. Lebensjahr vollendet haben und bisher keine Einschränkung ihrer Leistungsbereitschaft und damit dem Grunde nach ihren Willen zur Entlastung der Gesellschaft erklärt haben, schlechter zu stellen, als die Leistungsempfänger, die unter den Vorraussetzungen des § 65 Abs. 4 SGB II Leistungen bezogen haben, zumal wenn wie hier der Leistungsträger nichts unternommen hat, die über 58-Jährige in Arbeit zu vermitteln (für eine Gleichbehandlung daher die Hinweise der Bundesagentur zu § 12a SGB II unter 1.5.3; dem folgend Hengelhaupt a.a.O.). Auch scheint fraglich, ob der Gesetzgeber eine solche unterschiedliche Behandlung bezweckt oder lediglich die Reichweite der Verweisung auf § 428 SGB III in § 65 Abs. 4 SGB II übersehen hat. Die Gesetzesbegründung zu § 12a SGB II bezieht sich nämlich lediglich auf § 65 Abs. 4 SGB II, soweit vor der Vollendung des 63. Lebensjahres Rentenansprüche bestehen, dagegen hat der Gesetzgeber nach der Vollendung des 63. Lebensjahres ausdrücklich die einheitliche Behandlung aller Hilfebedürftigen im Sinn gehabt (BT-Drucks. a.a.O.).
Diese Frage kann jedoch dahinstehen, weil auch bei Zugrundelegung der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung die angefochtene Aufforderung rechtswidrig ist. Diese steht nämlich im Ermessen der Leistungsträger, wovon hier jedoch kein Gebrauch gemacht worden ist. Nach § 5 Abs. 3 S. 1 SGB II können die Leistungsträger, sofern Hilfebedürftige trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Daraus folgt aber, dass nicht nur die Stellung des Antrags an Stelle des Leistungsempfängers im Ermessen des Leistungsträgers steht ("können stellen"), sondern schon die Aufforderung einer Ermessensentscheidung bedarf (Knickrehm a.a.O., dieselbe in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 5 Rn. 32; Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, § 5 Rn. 119; einschränkend Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl. § 5 Rn. 57). Andernfalls wäre der Leistungsempfänger, der den Antrag aufforderungsgemäß stellt, benachteiligt, weil in seinem Fall die Ermessensentscheidung vor Vollziehung des Antrags nicht mehr stattfände. Daher muss diese Entscheidung vorverlegt werden und schon im Rahmen der Aufforderungsprüfung erfolgen. Dieses hat die Stadt C aber nicht beachtet, da sie die Antragstellerin allein auf die – aus ihrer Sicht – gesetzliche Verpflichtung hingewiesen hat. Da die Aufforderung daher in rechtswidriger Weise erfolgt ist, ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Interesse der Antragstellerin geboten.
Die Beschwerde ist daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 10.02.2010
Zuletzt verändert am: 10.02.2010