Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 22.05.2006 und unter Aufhebung des Bescheides vom 27.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.1998 sowie des Bescheides vom 14.10.2005 und unter Änderung des Bescheides vom 20.08.2009 verurteilt, über den Teilvergleich vom 02.07.2009 hinaus, bei dem Kläger infolge der Quasi-BK chronisch obstruktive Emphysembronchitis Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. bereits seit dem 07.02.1992 zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt über einen Teilvergleich hinaus die Gewährung von Leistungen infolge chronisch obstruktiven Emphysembronchitis als Quasi-Berufskrankheit (BK) ab dem 07.02.1992.
Der Kläger war vom 01.04.1958 bis 31.01.1994 im Bergbau angelegt, seit dem 01.02.1960 unter Tage, bis 1979 als Hauer, danach als Bandaufseher und Lokfahrer.
Unter dem 29.08.1996 erstattete der praktische Arzt Dr. G eine BK-Anzeige und verwies auf ein COPD-Lungenemphysem. Die Beklagte ermittelte zunächst nach dem Berechnungsmodell von Prof. Dr.-Ing. C bei Unterstellung niedriger Staubkonzentration (aus differenzierter "worst-case" Betrachtung abgeleitet) insgesamt 113,2 Staubjahre bis einschließlich September 1993. Ferner zog sie ein Sachverständigengutachten aus dem Rentenstreitverfahren S 14 KN 171/78 Sozialgericht Dortmund vom 19.10.1978 bei. Das anschließend von der Beklagten eingeholte Gutachten des Internisten Dr. T vom 01.04.1997 gelangte zu dem Ergebnis, dass beim Kläger seit dem 19.10.1978 eine chronisch obstruktive Bronchitis mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. vorliege.
Mit Bescheid vom 27.08.1997 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung für eine Quasi-BK mit der Begründung ab, dass ihr ein Entwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur Neuordnung der Berufskrankenheitenverordnung (BKV) vorliege, wonach künftig die in Rede stehende Erkrankung als BK erkannt werden solle, jedoch rückwirkend nur in den Fällen, in denen Versicherungsfälle nach dem 31.12.1992 eingetreten seien. Da beim Kläger seit dem 05.09.1978 eine chronisch obstruktive Bronchitis und ein Emphysem bestünde, sei der Versicherungsfall vor diesem Stichtag eingetreten.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, der Entwurf einer Verordnung dürfe nicht angewandt werden, vielmehr habe eine Entschädigung nach geltendem Recht gem. § 551 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu erfolgen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.1998 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 13.02.1998 Klage zum Sozialgericht Dortmund erhoben, mit der er sein Begehren auf Gewährung von Entschädigungsleistungen weiterverfolgt hat. Nach dem Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23.06.2005 (1 BvR 235/00) hat die Beklagte vorgetragen, dass im Zeitpunkt der Erkrankung einer chronisch obstruktiven Bronchitis und Lungenemphysems am 05.09.1978 die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien. Im laufenden Verfahren hat die Beklagte mit Bescheid vom 14.10.2005 eine Entschädigung der BK Nr. 4111 mit der Begründung abgelehnt, dass beim Kläger die erforderlichen 100 Feinstaubjahre nicht vorliegen würden. Die Berechnung des Technischen Aufsichtsdienst (TAD) habe lediglich eine kumulative Feinstaubdosis von 88,87 Jahren bis zum 05.09.1978 ergeben. Dem Bescheid war die Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, dass er gem. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als im laufenden Verfahren mit angefochten gelte.
Der Kläger hat hierzu eingewandt, er könne der Berechnung des TAD nicht zustimmen, dass jetzt eine Feinstaubbelastung von 88,87 Jahren und früher eine solche von 113,2 Jahren festgestellt worden sei. Im Übrigen hat er die Auffassung vertreten, die Beklagte dürfe nicht nur die Staubjahre bis zum 05.09.1978 berücksichtigen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.08.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.1998 sowie des Bescheides vom 14.10.2005 zu verurteilen, bei ihm eine chronisch obstruktive Emphysembronchitis als Berufskrankheit anzuerkennen und dementsprechend eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. seit dem 01.01.1992 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 22.05.2006 hat das Sozialgericht Dortmund die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, dem Kläger Leistungen wegen der streitbefangenen Berufskrankheit zu gewähren, denn der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Entschädigung der bei ihm bestehenden chronisch obstruktiven Emphysembronchitis als BK. Dieser Anspruch sei noch nach der bis zum 31.12.1996 gültigen RVO zu prüfen, weil der Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 (Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches – SGB VII) eingetreten sei. Ein Anspruch des Klägers auf Entschädigung gem. § 551 Abs. 2 RVO sei nicht gegeben, weil die Voraussetzungen für die Anerkennung der beim Kläger seit 1978 vorliegenden chronisch obstruktiven Emphysembronchitis im Sinne einer Anerkennung "wie eine BK" nicht gegeben seien. Zwar habe die Beklagte mit dem Ausgangsbescheid vom 27.08.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.1998 zu Unrecht im Sinne der sogenannten "Vorgriffsregelung" die Anerkennung der streitbefangenen BK sowie die Gewährung von Leistungen deswegen abgelehnt, weil der Versicherungsfall vor dem Stichtag des 31.12.1992 bzw. 01.01.1993, nämlich am 05.09.1978 eingetreten sei. Eine Bezugnahme auf die zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 27.08.1997 noch nicht in Kraft getretene Stichtagsregelung (jetzt § 6 Abs. 2 BKV) sei der Beklagten aber aus verfassungsrechtlichen Gründen bis zum Inkrafttreten der Regelung zum 01.12.1997 verwehrt gewesen. Von daher hätte ein ablehnender Bescheid mit dieser Begründung nicht ergehen dürfen. Jedoch scheitere die Anerkennung einer chronisch obstruktiven Emphysembronchitis daran, dass auch die gem. § 551 Abs. 2 RVO a.F. ggf. anzuerkennende BK ebenso wie die der BK entsprechend der Nr. 4111 der Anlage zur BKV die Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren ({mg/m3 x Jahre) voraussetze. Eine ausreichende Feinstaubdosis in diesem Sinne müsse im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein, und zwar bis zum Eintritt des Versicherungs- bzw. Leistungsfalles der jeweils in Rede stehenden BK und nicht bis zur Aufgabe der staubbelastenden Untertagetätigkeit. Diese Voraussetzungen des Nachweises der Einwirkung einer Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren bis zum Erkrankungsbeginn im September 1978 seien nicht erfüllt, weil bis dahin lediglich eine Feinstaubdosis von 88,87 Jahren nachgewiesen sei.
Gegen das am 30.06.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.07.2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, er könne sich nicht mit dem erstinstanzlichen Urteil einverstanden erklären. Zum einen habe bei ihm eine entschädigungspflichtige BK erst zu einem späteren Zeitpunkt unter Zugrundelegung eines ausreichenden Maßes an Feinstaubjahren vorgelegen, zum anderen sei seine Erkrankung als Quasi-BK zu entschädigen. Diese Anspruchsnorm sehe keinen Stichtag vor.
Die Beteiligten haben einen Teilvergleich mit dem Inhalt geschlossen, dass die Beklagte dem Kläger infolge der BK Nr. 4111 ab dem 05.04.1995 eine Verletztenrente in Höhe 20 v.H. und ab dem 26.09.2007 i.H.v. 30 v.H. gewährt.
Der Kläger beantragt darüberhinaus,
die Beklagte unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 22.05.2006 und unter Aufhebung des Bescheides vom 27.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.1998 sowie des Bescheides vom 14.10.2005 und unter Änderung des Bescheides vom 20.08.2009 zu verurteilen, über den Teilvergleich vom 02.07.2009 hinaus, bei ihm infolge der Quasi-BK chronisch obstruktive Emphysembronchitis Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. bereits seit dem 07.02.1992 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verneint eine weitergehende Entschädigung des Klägers, weil der Weg einer Entschädigung als Quasi-BK erst seit dem Vorliegen genügender neuer medizinischer Erkenntnisse gegeben sei. Dies sei erst am 04.04.1995 der Fall gewesen. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten habe an diesem Tag die Anerkennungsempfehlung für die Berufskrankheit chronisch obstruktive Bronchitis/ Lungenemphysem ausgesprochen.
Der Senat hat Beweis erhoben und nach Beiziehung der Patientenunterlagen der behandelnden Ärzte, Dr. A, Pneumologe, mit einem Gutachten beauftragt. Dieser hat ausgeführt, der Nachweis einer obstruktiven Bronchitis gelinge ab dem 07.02.1992. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger aufgrund beruflicher Einwirkungen mit mehr als 100 Feinstaubjahren belastet gewesen. Ab dem 07.02.1997 liege eine MdE von 20 v.H. und ab dem 26.09.2007 eine MdE von 30 v.H. vor.
Der Senat hat Unterlagen, Auskünfte und ein Gutachten von Prof. Dr. X, ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigen-Beirats, (eingeholt in der Streitsache L 2 KN 126/05 U) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Mit Gutachten vom 08.01.2007 hat der Prof. Dr. X Stellung genommen zur Frage, zu welchem Zeitpunkt in der medizinischen Wissenschaft diejenigen wissenschaftlichen Erkenntnisse gesichert vorlagen, die zur Aufnahme der BK Nr. 4111 in die so genannte BK-Liste geführt haben. In seinem Gutachten und dem darauf folgenden Stellungnahmen vom 04.05.2007, vom 17.09.2007 und vom 20.11.2007 hat er ausgeführt, dass der medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand in Form der Entwurfsfassung der wissenschaftlichen Begründung unter Einbeziehung der medizinischen Ausarbeitungen erstmals am 14.09.1993 für die Sitzung im Bundesarbeitsministerium in Bonn vorgelegen habe.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 20.08.2009 die Einrede der Verjährung erhoben. In Ausübung ihres Ermessens hat sie auf die Gleichbehandlung der Versicherten und Haushaltsgesichtspunkte verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und somit zulässig. Sie ist auch begründet, denn dem Kläger steht ein Anspruch auf Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. bereits seit dem 07.02.1992 zu.
Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich der Bescheid vom 27.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.1998. Nur diese Bescheide beziehen sich auf die Gewährung einer Quasi-BK, während sich der nicht streitgegenständliche Bescheid vom 14.10.2005 über eine BK gem. Nr. 4111 der BKV verhält.
Auf den hier streitigen Anspruch und damit auf die Frage, wann die Verletztenrente beginnt, ist das alte, vor Inkrafttreten des SGB VII maßgebliche Recht der RVO anwendbar, da ein Versicherungsfall und Rentenansprüche für eine Zeit vor dem 01.01.1997 streitig sind, §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII, Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz.
Zwischen den Beteiligten ist mittlerweile unstreitig, dass der Kläger wegen einer chronischen obstruktiven Bronchitis zu entschädigen ist. Dementsprechend hat die Beklagte dem Kläger mit Teilvergleich vom 02.07.2009 Leistungen ab dem 05.04.1995 gewährt. Darüberhinaus hat der Kläger aufgrund § 551 Abs. 2 RVO Anspruch auf Leistungen wegen dieser Erkrankung ab dem 07.02.1992.
Gemäß § 580 RVO werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Versicherungsfall eingetreten ist (wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist.) Versicherungsfälle sind gemäß § 551 Abs. 2 RVO/§ 9 Abs. 2 SGB VII auch Erkrankungen wie eine Berufskrankheit (Quasi-BK).
Nach den medizinischen Feststellungen (Gutachten Dr. A) lässt sich eine obstruktive Verlaufsform der chronischen Bronchitis, die eine MdE in Höhe von 20 v.H. bedingt, ab dem 07.02.1992 nachweisen. Ab diesem Zeitpunkt sind dem Kläger Leistungen (Rente) nach § 551 Abs. 3 RVO zu gewähren.
Auf der Grundlage der beigezogenen Unterlagen aus dem Parallelverfahren und den dortigen Ausführungen von Prof. Dr. X muss davon ausgegangen werden, dass der medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand in Form der Entwurfsfassung der wissenschaftlichen Begründung unter Einbeziehung der medizinischen Ausarbeitungen erstmals am 14.09.1993 für die Sitzung im Bundesarbeitsministerium in Bonn vorgelegen hat. Damit lagen die für die Anerkennung einer Quasi-BK genügenden medizinischen Anhaltspunkte vor, die eine Entschädigung der chronischen obstruktiven Bronchitis über eine Quasi-BK ermöglichen. Dies wird letztlich auch nicht von der Beklagten bestritten.
Der Leistungsbeginn ist entgegen der Auffassung der Beklagten bereits der 07.02.1992. Dem steht nicht entgegen, das neue (medizinisch-wissenschaftliche) Erkenntnisse, die zur Aufnahme der chronischen obstruktiven Bronchitis in die BKV geführt haben, erst nach dem Zeitpunkt vorgelegen haben. Denn die Vorschrift des § 551 Abs. 2 RVO, eine Erkrankung wie eine BK zu entschädigen, falls neue Erkenntnisse vorliegen, die zur Anerkennung einer BK Veranlassung geboten haben ist originäre Anspruchsgrundlage und ermöglicht eine Entschädigung auch für die Vergangenheit (vgl. BSG, Urteil vom 25.08.1995, Az. 2 RU 42/93 in BSGE 75, 51ff = SozR 3-2200 § 551 Nr. 6, BSG Urteil vom 14.11.1996, Az. 2 RU 9/96 in Soz-R 3-2200 § 551 Nr. 9).
Für die Auffassung der Beklagten, Leistungen der beim Kläger zu entschädigenden Quasi-BK erst ab dem Zeitpunkt der neuen (medizinischen) Erkenntnisse zu entschädigen, findet sich keine gesetzliche Grundlage. Der Zeitpunkt für den Beginn der den Versicherten grundsätzlich zustehenden Leistung bestimmt sich vielmehr unabhängig vom Zeitpunkt in dem (gesicherte) neue (medizinische) Erkenntnisse vorlagen. Sobald die Anspruchsgrundlage für eine Quasi-BK eröffnet ist, kommt es nicht weiter darauf an, ab wann die gesicherten medizinischen Erkenntnisse vorlagen. Weder dem Wortlaut des § 551 Abs. 2 RVO noch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass die Entschädigung nur begrenzt ab dem Zeitpunkt der Festigung neuer (medizinischer) Erkenntnisse erfolgen soll und kann. Denn nach § 551 Abs. 2 RVO soll eine Erkrankung – unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen – wie eine BK entschädigt werden. Dementsprechend müssen für die Quasi-BK dieselben gesetzlichen Regelungen, die auch für die Berufskrankheiten der BKV gelten, Anwendung finden. So erhält beispielsweise der Versicherte, der einen Antrag unmittelbar nach Inkrafttreten der BKV (am 01.12.1997) gestellt hat, gem. § 44 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB X), § 45 Erstes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB I) Leistungen zumindest ab dem 01.01.1993 (bei einem im Dezember 1997 gestellten Antrag, einem 1993 eingetretenen Versicherungsfall und Berufung des Versicherungsträgers auf die Einrede der Verjährung). Es sind keine sachlichen Gründe erkennbar, den Versicherten, der seinen Antrag im November 1997 (unmittelbar vor Inkrafttreten der BKV) gestellt hat, schlechter zu stellen, d. h. mit Hinweis auf die "gesicherten medizinischen Erkenntnisse" erst ab April 1995 zu entschädigen, während der Versicherte, der seinen Antrag im Dezember 1997 gestellt hat – unter den weiteren Voraussetzungen – einen Anspruch bereits ab dem 01.01.1993 hat. Dies zeigt, dass das Kriterium "neue Erkenntnisse" nicht geeignet sein kann, den Anspruch des Versicherten zu beschränken.
Es würde zu einer ungleichen Rechtsanwendung bzw. uneinheitlichen Verwaltungspraxis führen, wenn die Quasi-BK erst ab dem Zeitpunkt neuer (medizinischer) Erkenntnisse zu entschädigen wäre. Denn stets müsste ermittelt werden, wann genau die gesicherten medizinischen Erkenntnisse tatsächlich vorlagen. Dies lässt sich angesichts der Vielzahl der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die letztlich zur BK-Reife führen, zeitlich nur schwer fixieren, wie der vorliegende Fall zeigt. Während die Beklagte die Auffassung vertritt, die gesicherten medizinischen Erkenntnisse hätten erst am 04.04.1995 vorgelegen, geht Prof. Dr. X davon aus, dass diese bereits am 14.09.1993 vorgelegen hätten. Der Gesetzgeber/Verordnungsgeber möchte Unsicherheiten im Hinblick auf die Frage, in welchem Umfang neue Berufskrankheiten für die Vergangenheit zu entschädigen sind, gerade vermeiden, wie der Blick auf § 6 Abs. 1 BKV zeigt. Die Vorschrift will insbesondere Unsicherheiten bei der Entscheidung über Entschädigungsanträge vermeiden, die sich daraus ergeben, dass sich die Aufklärung des Sachverhalts und die Ursachenfeststellung für die Vergangenheit schwierig gestalten. Es erscheint daher nicht überzeugend, Ansprüche von der unsicheren Feststellung des Zeitpunkts neuer (medizinischer) Erkenntnisse abhängig zu machen. Vielmehr zeigen die Stichtagsreglungen, dass der Verordnungsgeber Ansprüche für zurückliegende Zeiträume abstrakt und generell regeln möchte und auf eine einfach zu handhabende Beurteilung für die Verwaltung abstellt. Dem entspricht es gerade, nicht auf den – möglicherweise streitigen – Zeitpunkt der neuen (medizinischen) Erkenntnisse, sondern auf die allgemeinen gesetzlichen Regelungen – § 44 Abs. 4 SGB X, § 45 Abs.1 SGB I – abzustellen.
Letztlich würde der Versicherungsträger den Anspruch des Versicherten durch Festsetzung eines Zeitpunkts, die neuen (medizinischen) Erkenntnisse betreffend, in eigener Kompetenz begrenzen. Dies muss dem Versicherungsträger in gleicher Weise verwehrt sein, wie es ihm verwehrt ist, aus eigener rechtlicher Kompetenz Stichtage für die Beurteilung eines Sachverhalts festzulegen und damit Ansprüche zeitlich rückwirkend zu beschränken (vgl. zu letzterem BVerfG, Beschluss vom 23.06.2005, Az. 1 BvR 235/00, SozR 4-1100 Art 3 Nr. 32). Der Versicherungsträger ist nicht befugt, einen Zeitpunkt festzusetzen, zu dem er meint neue (medizinische) Erkenntnisse lägen vor. Denn auch damit würde der Beginn von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung begrenzt, ohne das der Wille des Gesetz- bzw. des Verordnungsgebers erkennbar wird, Ansprüche in entsprechender Weise beschränken zu wollen.
Es muss daher dabei bleiben, dass die Vorschrift des § 551 Abs. 2 RVO – erforderlichenfalls unter Beachtung der Verjährungsvorschriften und der §§ 44 ff SGB X; im Übrigen jedoch uneingeschränkt – eine Entschädigung auch für die Vergangenheit ermöglicht. Erst wenn der Verordnungsgeber die neuen Erkenntnisse durch Aufnahme der Erkrankung in die BK-Liste umgesetzt hat und mit einer Rückwirkungsregelung verbunden hat, ist der Versicherungsträger an einer Entschädigung von Altfällen außerhalb des vorgeschriebenen Rückwirkungszeitraums gehindert (vgl. BSG Urteil vom 14. 11.1996, Az. 2 RU 9/96 in BSGE 79,250 ff = SozR 3-2200 § 551 Nr. 9).
Jedenfalls erscheint es – selbst unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagen – nicht nachvollziehbar, Leistungen gerade bis zum 04.04.1995 nicht zu gewähren. Unzweifelhaft lagen die neuen (medizinischen) Erkenntnisse bereits zu einem früheren Zeitpunkt vor. Denn zu diesem Zeitpunkt erfolgte allein die Anerkennungsempfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten (vgl. Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 01.08.1995, BArbBl 1995 Heft 10, S 39 ff) und damit lediglich die verwaltungsmäßige Feststellung, dass neue (medizinische) Erkenntnisse vorliegen. Eine gesetzliche Grundlage nach der Ansprüche durch den Zeitpunkt der Anerkennungsempfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten begrenzt werden ist ebenso wenig erkennbar.
Der Versicherungsträger kann einzig und allein durch die Verjährungsvorschriften die Wirkung der Entschädigung in die Vergangenheit begrenzen. Die Beklagte hat aus Sicht des Senates mit zutreffenden Ermessenserwägungen die Verjährungseinrede erhoben. Folglich hatte der Senat grundsätzlich die Verjährungsvorschriften (hier § 45 SGB I in der Fassung vom 04.11.1982 BGBl. I 1450 mW vom 01.07.1983) zu beachten. Allerdings ist der "medizinische Leistungsfall" nach dem überzeugenden Gutachten von Dr. A, dem der Senat uneingeschränkt folgt, erst am 07.02.1992 eingetreten. Eine Verjährung ist daher bei der zugrundezulegenden Antragstellung im Jahre 1996 erst für Ansprüche vor dem 01.01.1992 gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestand nicht.
Erstellt am: 10.02.2010
Zuletzt verändert am: 10.02.2010