Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.10.2009 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Gelsenkirchen vom 13.10.2009 ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237).
Das SG hat die Antragsgegnerin zu Recht einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 01.10.2009 für die Dauer von 6 Monaten, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 668,- EUR zu zahlen.
Der Antragsteller hat einen Anordungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben bzw. die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Die Antragsteller ist Berechtigter im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB II. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet und noch nicht die Altersgrenze erreicht, ist erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Bedarf des Antragstellers in Höhe von 668,- EUR ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II hat das SG bei dem Antragsteller, der bei der Antragsgegnerin seit Januar 2005 im Leistungsbezug steht, zu Recht auch für den Zeitraum ab 01.10.2009 bejaht.
Nach summarischer Prüfung ist der Antragsteller nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt durch verwertbares Vermögen in Gestalt der Kapitallebensversicherung ohne Leistungen nach dem SGB II zu bestreiten. Zwar überschritt der Verkehrswert der Lebensversicherung in dem nach § 12 Abs. 4 S. 1 SGB II maßgeblichen Zeitpunkt im September 2009 die Freibetragsgrenze nach § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 4 SGB II. Für den im April 1965 geborenen Antragsteller errechnet sich ein Gesamtfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 4 SGB II (in der Fassung vom 20.04.2007, berechnet nach der ab 01.01.2008 gültigen Fassung) in Höhe von 7350,- EUR (44 x 150,- EUR + 750,- EUR). Dem gegenüber betrug der Rückkaufswert der Lebensversicherung 10706,59 EUR zum 01.09.2009.
Die Verwertung der Lebensversicherung ist für den Antragsteller jedoch offensichtlich unwirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 1. Alt SGB II. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits in mehreren Entscheidungen ausgeführt hat, liegt eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit dann vor, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht ( BSG, Urteile vom 15.04.2008 – B 14 AS 27/07 R, B 14/7b 53/06, B 14 AS 56/06 R; BSG, Urteil vom 6.09.2007 – B 14/7b AS 66/06 R; BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990 – 11 RAr 133/88, DBlR 3785a, § 137 AFG; BSG, Urteil vom 25. April 2002 – B 11 AL 69/01 R, DBlR 4750a, AFG/137). Umgekehrt ist offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen Wert nur geringfügig abweicht (zur Alhi BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 7). Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Verwertung ist auf das ökonomische Kalkül eines rational handelnden Marktteilnehmers abzustellen (zum Recht der Alhi vgl Spellbrink, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 13 RdNr 208). Es ist mithin zu ermitteln, welchen Verkehrswert der Vermögensgegenstand gegenwärtig auf dem Markt hat. Dieser gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert gegenüber zu stellen. Dieser ergibt sich bei einem Lebensversicherungsvertrag aus den eingezahlten Beiträgen und der Verkehrswert aus dem Rückkaufswert der Versicherung. Welche Verlustgrenze im Einzelnen zur offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit führt, wird vom BSG derzeit noch nicht einheitlich bewertet. Der 11b. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 23. November 2006 (B 11b AS 17/06 R, Rn. 24 juris) angedeutet, dass er Verluste von mehr als 10 % als noch im Bereich des Wirtschaftlichen liegend betrachten würde. Der 14. Senat hat die Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II bei einem Verlust von 12,9 % noch nicht als erreicht angesehen (BSG, Urteile vom 15.04.2008, a.a.O.). Zugleich hat das BSG darauf hingewiesen, dass der Substanzwert einer Lebensversicherung nicht nur darin besteht, dass Beiträge einbezahlt wurden, sondern dass zugleich mit einer Lebensversicherung eine Chance bzw Anwartschaft auf eine wesentlich höhere Gesamtsumme im Fall der Auszahlung bzw der Rentenzahlung verbunden ist. Angesichts dessen ist es als zweifelhaft angesehen worden, ob ein Verlust von 18,5 % (bei rein isolierter Betrachtung des Verhältnisses von eingezahlten Beträgen und Rückkaufswert) noch im Bereich der Wirtschaftlichkeit liegt.
Die Verwertung der Lebensversicherung stellt sich nach diesen Grundsätzen als offensichtlich unwirtschaftlich dar. Denn der zu erzielende Gegenwert steht vorliegend in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes. Dabei kann der Senat offen lassen, welche Verlustgrenze ausgehend von der oben dargelegten Rechtsprechung des BSG zur offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit führt. Denn der Rückkaufswert lag mit 10706,85 EUR um 4459,74 EUR unter den eingezahlten Beiträgen in Höhe von 15165,59 EUR. Der sich daraus errechnende Verlust bei rein isolierter Betrachtung des Verhältnisses von eingezahlten Beträgen und Rückkaufswert von mehr als 29 % liegt offensichtlich nicht mehr im Bereich der Wirtschaftlichkeit im Sinne des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 1. Alt. SGB II.
Die Antragsgegnerin war bei der Prüfung der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung der Lebensversicherung nicht befugt, zusätzlich zu dem von der Allianz Lebensversicherungs-AG mitgeteilten Rückkaufswert die dem Antragsteller am 18.04.2005 ausgezahlte und dem Girokonto gutgeschriebene Überschussbeteiligung in Höhe von 2959,30 EUR "fiktiv" zur Ermittlung des Rückkaufswertes hinzu zu rechnen. Diese Berechnung führte im Ergebnis zur Verneinung der Hilfebedürftigkeit, da der nunmehr ermittelte "fiktive" Rückkaufswert von 13666,15 EUR dann in Höhe von 17,12 EUR über dem maßgeblichen Wert von 90 % der eingezahlten Beiträge lag. Zum einen widerspricht diese Berechnung der Antragsgegnerin der Rechtsprechung des BSG. Denn das BSG hat ausgeführt, dass der Rückkaufswert gerade den gegenwärtigen, d.h. aktuellen Verkaufswert widerspiegelt (BSG, Urteil vom 15.04.2008 – B 14 AS 27/07 R Rn. 42 juris). Werden als Rechnungsposten Beträge hinzu addiert, erfolgt keine realistische Abbildung des Marktwertes des Vermögensgegenstandes mehr. Zum anderen steht dem Antragsteller die Überschussbeteiligung als bereites Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes nicht mehr zur Verfügung. Denn der (bereits) im April 2005 zugeflossene Betrag hat er für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis und zur Tilgung eines Darlehens verwendet.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Verwertung der Lebensversicherung ist ihm nicht zuzumuten. Darüber hinaus ist nur noch ein Betrag von 350,- EUR aktenkundig. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ist nicht zumutbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 18.03.2010
Zuletzt verändert am: 18.03.2010