Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.11.2006 geändert. Die Bescheide vom 15.03.2005 und 23.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2005 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene auch über den 31.03.2005 bei der Beklagten familienversichert ist. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob die Beigeladene auch über den 31.03.2005 bei der Beklagten familienversichert ist.
Der Kläger und die Beigeladene sind deutsche Staatsangehörige marokkanischer Abstammung. Sie schlossen am 00. März 1971 in O/Marokko die Ehe (Heiratsurkunde Nr. 000, S. 276, Band II, Nr. 49/1971, Gericht O). Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger bereits verheiratet mit Frau E N (C); diese Ehe wurde nach marokkanischem Recht geschieden durch Scheidungsurkunde vom 11.06.2009, hinterlegt bei der Beurkundungsstelle der Familienabteilung des Amtsgerichts O im Heiratsregister Nr. 4, Bl. 5, unter der Nr. 9, sowie bei der Geschäftsstelle unter der Nr. 0000/09. Frau E N (C) hat sich – im Gegensatz zur Beigeladenen, die bei dem Kläger in Deutschland lebt – durchgehend in Marokko aufgehalten. Im Juli 1994 wurden der Kläger und die Beigeladene eingebürgert; das beim Standesamt L geführte Familienbuch weist als Eintragung u.a. die Eheschließung der Beigeladenen und des Klägers am 00.03.1971 aus.
Der am 00.00.1930 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Rentner pflichtversichert; die Beigeladene wurde von der Beklagten seit der Eheschließung mit dem Kläger als Familienversicherte geführt. Eine förmliche Entscheidung der Beklagten über das Bestehen der Familienversicherung der Beigeladenen ist allerdings nicht ergangen.
Durch die jeweils an den Kläger gerichteten Bescheide vom 15.03.2005 und 23.03.2005 stellte die Beklagte fest, dass die Familienversicherung der Beigeladenen zum 31.03.2005 ende. Zur Begründung verwies sie auf ein Rundschreiben des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 22.12.2004 an die Bundesverbände der Krankenkassen, dass die Ergebnisse eines Gesprächs am 13.12.2004 zum Thema der Familienversicherung von Frauen aus Vielehen zum Gegenstand hat. Diesem ist zu entnehmen, dass § 34 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) im Hinblick auf das Verbot der Vielehe nach § 1306 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) restriktiv auszulegen sei. Aus Abs. 2 dieser Vorschrift sei der Schluss zu ziehen, dass eine Anerkennung von Vielehen nur im Bereich der Rentenversicherung gewollt gewesen sei, in der die Leistungsansprüche auf mehrere Ehefrauen aufgeteilt werden könnten. Zweitfrauen sowie weitere Ehefrauen eines Mitglieds der gesetzlichen Krankenversicherung könnten nach dieser Rechtsauffassung nicht familienversichert werden bzw. bleiben. Dies gelte auch dann, wenn sich die Erstfrau im Heimatland aufhalte und nur die Zweitfrau ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe.
Dagegen legte der Kläger am 29.03.2005 Widerspruch ein, den die Beklagte durch den wiederum den an den Kläger gerichteten Widerspruchsbescheid vom 21.06.2005, zugestellt am 28.06.2005, zurückwies.
Der Kläger hat am 15.07.2005 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben.
Er hat die Ansicht vertreten, dass die Beigeladene auch weiterhin familienversichert sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Bescheide vom 15.03.2005 und 23.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Familienversicherung der Beigeladenen über den 31.03.2005 hinaus weiterzuführen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass die Voraussetzungen für die Familienversicherung der Beigeladenen nicht vorlägen, weil eine nach deutschem Recht wirksame Ehe nicht bestehe.
Die Beigeladene hat sich dem Antrag des Klägers angeschlossen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 28.11.2006 abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihm am 09.01.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.02.2007 Berufung eingelegt.
Zur Begründung bringt er vor, die Voraussetzungen für die Familienversicherung der Beigeladenen seien gegeben, denn die zwischen ihm und der Beigeladenen geschlossene Ehe sei auch nach innerstaatlichem deutschem Recht wirksam. Dies ergebe sich aus der Eintragung im Familienbuch des Standesamtes L.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.11.2006 zu ändern und unter Aufhebung der Bescheide vom 15.03.2005 und 23.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2005 fest- zustellen, dass die Beigeladene auch über den 31.03.2005 bei der Beklagten familienversichert ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Klägers an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn die Bescheide der Beklagten vom 15.03.2005 und 23.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2005 sind rechtswidrig. Die Beigeladene ist (auch) über den 31.03.2005 hinaus bei der Beklagten familienversichert.
Die auf die Aufhebung der oben genannten Bescheide und die Feststellung des Bestehens der Familienversicherung der Beigeladenen gerichtete Klage ist zulässig. Zwar ist seit dem 01. Januar 1989 die Familienversicherung nach § 10 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als eigene Versicherung des Ehegatten oder Angehörigen ausgestaltet, so dass dieser eigene Leistungsansprüche erwirbt. Damit ist er nicht mehr nach früherem Recht (§ 205 der Reichsversicherungsordnung [RVO]) lediglich in die Versicherung des allein anspruchsberechtigten Stammversicherten einbezogen (vgl. BSG Urteil vom 29.06.1993, Az.: 12 RK 13/93 m.w.N.). Deshalb hätte die Beklagte die Beigeladene an dem Verwaltungsverfahren beteiligen (§ 12 Absatz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und (auch) gegenüber ihr eine Entscheidung über das Bestehen der Familienversicherung treffen müssen. Jedoch bleibt auch der Stammversicherte weiterhin berechtigt, die Feststellung der Familienversicherung zu betreiben (vgl. BSG Urteil vom 29.06.1993, Az.: 12 RK 48/01; Urteil vom 18.03.1999, Az.: B 12 KR 8/98 R). Die Familienversicherung nach § 10 SGB V ist nämlich trotz ihrer Ausgestaltung als eigene Versicherung des Familienangehörigen zur Versicherung des Stammversicherten streng akzessorisch und hängt in ihrem Beginn und Ende von dieser ab. Ihr Bestehen oder Nichtbestehen betrifft damit zugleich die Ausgestaltung und den Umfang der Stammversicherung und berührt somit eine eigene Rechtsposition des Stammversicherten (BSG Urteil vom 29.06.1993 a.a.O.).
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, denn die Beklagte hat zu Unrecht festgestellt, dass die Beigeladene (ab 01.04.2005) nicht (mehr) familienversichert ist.
Gemäß § 10 Abs. 1 SGB V sind versichert der Ehegatte, der Lebenspartner und die Kinder von Mitgliedern sowie die Kinder von familienversicherten Kindern, wenn diese Familienangehörigen
1.ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben,
2.nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 bis 8, 11 oder 12 oder nicht freiwillig versichert sind,
3.nicht versicherungsfrei oder nicht von der Versicherungspflicht befreit sind; dabei bleibt die Versicherungsfreiheit nach § 7 außer Betracht,
4.nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind und
5.kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat 1/7 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet; bei Renten wird der Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt; für geringfügig Beschäftigte nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, § 8a SGB IV beträgt das zulässige Gesamteinkommen 400,- Euro.
Es ist nicht zweifelhaft – und unter den Beteiligten auch nicht umstritten -, dass die Beigeladene die Voraussetzungen der Familienversicherung nach § 10 SGB V erfüllt, sofern sie als "Ehegatte" des Klägers i.S. dieser Vorschrift zu beurteilen ist. Dies ist zu bejahen, denn die Beigeladene ist mit dem Kläger (nach deutschem Recht) wirksam verheiratet.
Ehegatte i.S.d. § 10 SGB V ist, wer mit dem Mitglied aufgrund einer nach deutschem Recht geschlossenen oder als gültig anerkannten Ehe verheiratet ist (vgl. Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Kommentar, § 10 SGB V Rdn. 21).
Die von dem Kläger und der Beigeladenen am 00.03.1971 in Marokko geschlossene Ehe ist – nachdem diesen die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt worden ist – im Jahre 1994 in das beim Standesamt L geführte Personenstandsregister eingetragen worden. Damit liegt eine nach deutschem Recht wirksame Ehe vor.
Das Familienbuch im Personenstandsregister des Standesamtes L ist für den Kläger und die Beigeladene auf ihren Antrag gemäß § 15a Personenstandsgesetz in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Familiennamensrechts vom 16.12.1983, Bundesgesetzblatt I, 2054, in Kraft getreten am 01.04.1994 (PstG a.F). angelegt worden; in dieses Familienbuch ist gemäß § 12 Abs. 2 Personenstandsgesetz a.F. u.a. die Eheschließung eingetragen worden. Gemäß § 60 Absatz 1 PStG a.F.(jetzt: § 54 Absatz 1 PStG) beweisen die Personenstandsbücher (bei ordnungsgemäßer Führung) Eheschließung, Geburt und Tod und die darüber gemachten näheren Angaben. Ob die Eintragung der Eheschließung im Personenstandsregister zu Recht erfolgt ist oder im Hinblick auf die bestehende weitere Ehe des Klägers nicht hätte erfolgen dürfen, ist unerheblich, denn nach den zum 01.07.1998 in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingefügten §§ 1313 bis 1318 besteht bei fehlerhaften Ehen nur noch die Möglichkeit, sie mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (vgl. dazu BGH NJW 2001, S. 2394; BGH NJW 1991 S. 3088). Dies bedeutet, dass von der Rechtswirksamkeit der zwischen dem Kläger und der Beigeladenen geschlossenen und beurkundeten Ehe auszugehen ist, bis gegebenenfalls eine förmliche Aufhebung der Ehe erfolgt ist, die dann aber Rechtswirkungen erst für die Zukunft entfalten würde.
Aus § 34 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergibt sich für die hier zu beurteilende Fallgestaltung nichts anderes. Das hier umstrittene familienrechtliche Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen – ihre Ehe – ist gerade nicht nach dem Recht eines anderen Staates, sondern vielmehr nach deutschem Recht zu beurteilen. Die Vorschrift des § 34 Absatz 1 SGB I ist deshalb von vornherein nicht einschlägig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.
Erstellt am: 04.06.2010
Zuletzt verändert am: 04.06.2010