Auf die Gegenvorstellung der Beklagten wird der Beschluss des vormaligen Berichterstatters vom 25.3.2010 aufgehoben.
Gründe:
I.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf höhere Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann (im Folgenden: Versicherter) unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten im Sinne von § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) im Ghetto Lodz in der Zeit v. Mai 1940 bis Mai 1942 gewesen, wo der am 00.00.1930 geborene Versicherte in einem Metallressort gearbeitet habe. Die Beklagte wertete mehrere von der Klägerin überreichte Zeugenaussagen sowie die Entschädigungsakte des Versicherten aus und holte eine Anfrage an das Staatsarchiv in Lodz ein, wonach der Versicherte von 1940 bis 1944 in Lodz als "Schüler" gemeldet gewesen sei. In den aufbewahrten Arbeitskarten sei sein Name nicht gefunden worden. Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin große Witwenrente ab dem 1.7.1997 und berücksichtigte dabei den Zeitraum von Juni 1942 (Vollendung des 12. Lebensjahres) bis August 1944 als Ghettobeitragszeit. Die Anerkennung vor diesem Zeitpunkt liegender Beitragszeiten lehnte sie ab (Bescheid v. 11.7.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 6.4.2004. Die dagegen erhobene Klage, mit der die Klägerin auch die Anerkennung des weiteren Zeitraums begehrte, hatte vor dem Sozialgericht Düsseldorf Erfolg (Urteil v. 13.7.2005, S 39 RJ 139/04). Die Beklagte hat ihre Berufung gegen dieses Urteil inzwischen zurückgenommen.
Im Berufungsverfahren hat zunächst die Historikerin Dr. C (Tel Aviv) am 3.2.2008 (nebst ergänzender Stellungnahme v. 4.4.2008) ein Sachverständigengutachten zu der Frage erstattet, ob bzw. wann in Lodz ein Ghetto bestanden habe, welche Arbeitsbedingungen dort geherrscht hätten und ob die Angaben des Versicherten zu seiner Beschäftigung glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit seien. Die Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Arbeitsaufnahme des Versicherten vor April/Mai 1942 nicht als wahrscheinlich angesehen werden könne. Sodann ist die Klägerin in Israel zum Verfolgungsschicksal des Versicherten gehört worden. Mit Beweisanordnung v. 21.4.2008 ist die Historikerin I zur Sachverständigen ernannt und gebeten worden, unter Verwertung der Aktenlage und einer Archivrecherche in Lodz Stellung zu der Frage zu nehmen, ob und ggf. von wann bis wann, wo und ggf. zu welchem Entgelt der Versicherte im Ghetto Lodz gearbeitet habe. Mit richterlichem Schreiben vom 1.7.2008 hat der Berichterstatter die Beklagte darauf hingewiesen, dass für die nun durchzuführenden gerichtlichen Ermittlungen auch die Neufassung des § 192 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingreife. Im Anschluss an diesen Hinweis haben folgende gerichtliche Ermittlungen stattgefunden:
Gutachten Dr. M1 (Touro College Berlin) zu der Frage, ob und inwieweit seine für Warschau ermittelten Erkenntnisse zur Entlohnung jüdischer Arbeit auch für Lodz zutreffend seien (682,50 EUR) Erstellung einer CD mit Bildern von Kindern in Arbeitsressorts des Ghettos Lodz durch Dr. M1 (162,50 EUR) Gutachten von Dr. M1 betreffend Datierung von Fotografien arbeitender Kinder im Ghetto Lodz (1.137,50 EUR) Stellungnahme der offenbar in anderen Verfahren zur Sachverständigen ernannten Historikern Dr. M2 zu einer Stellungnahme der Beklagten zu einer im Verfahren L 18 (8) R 19/06 eingeholten Stellungnahme des offenbar dort zum Sachverständigen ernannten Historikers Dr. M betreffend Kinderarbeit im Ghetto Lodz sowie Stellungnahme von Frau Dr. M2 zu drei ihr übersandten Schriftsätzen der Beklagten bzw. der Klägerbevollmächtigten (insgesamt 390,00 EUR) Stellungnahme des Historikers Dr. L zu denselben Schriftsätzen sowie zur Stellungnahme von Dr. L2 (658,35 EUR) Auswertung einer Liste der in der Metallabteilung I in Lodz beschäftigten Gesellen und Erläuterung dieser Liste im Termin in Israel durch den Sachverständigen Dr. U einschließlich Reisekosten von Lodz nach Tel Aviv (3.807,24 EUR), zzgl. Übersetzungen von der polnischen in die deutsche Sprache (354,03 EUR) Anhörung des Historikers Prof. Dr. H am 26.11.2009 in Tel Aviv (einschließlich Reisekosten von Lübeck nach Tel Aviv) in insgesamt 5 Verfahren (zusammen 4.683,39 EUR) Anhörung des Sachverständigen Dr. L am 26.11.2009 in Tel Aviv (2.608,58 EUR) Tätigkeit der vormaligen Sachverständigen I in Tel Aviv als Dolmetscherin im Erörterungstermin v. 26.11.2009 (956,83 EUR) Transkription des Audiomitschnitts des Erörterungstermins vom 26.11.2009 und Übersetzung "ausgewählter, sachdienlicher Stellen" (4.346,48 EUR) gutachterliche Stellungnahme des Historikers Dr. L zur Glaubwürdigkeit der Aussagen der Zeugen M und T im Erörterungstermin v. 26.11.2009 in Tel Aviv (455,00 EUR) Fotoforschung der Sachverständigen M3 in den Beständen des U.S. Holocaust Memorial Museums und YIVO (New York) (195,00 EUR) Gutachten des Arztes für Kinder- und Jugendmedizin Prof. Dr. P u.a. zur Frage des Alters von Kindern auf Fotos aus dem Ghetto Lodz (560,00 EUR) "Gutachterliche Stellungnahme zu den Ghetto-Rentenverfahren" des Sachverständigen Prof. Dr. H mit Analyse von Urteilen des LSG Nordrhein-Westfalen und allgemeinen Erwägungen, warum es des Einsatzes historischer Sachverständiger in den betreffenden Verfahren bedürfe (911,45 EUR) Gutachten Dr. M (in drei Verfahren, nicht aufgeschlüsselt), "zum Umgang mit historischen Fakten durch Verwaltung und Justiz" mit Analyse einer Vielzahl von ausschließlich nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides im vorliegenden Verfahrens ergangenen Urteilen (2.451,04 EUR) Stellungnahme "Die sozialgerichtliche Beweiswürdigung der Aussagen von Überlebenden der NS-Verfolgung im Rahmen der ZRBG-Verfahren" der Diplomsoziologin und Sozialpsychologin Q (3.157,50 EUR)
Die vier letztgenannten Sachverständigen sind darüber hinaus in einem Erörterungstermin v. 27.1.2010 gehört worden. In diesem Termin haben sich auch die historischen Sachverständigen Dr. X und Prof. Dr. C zur Frage geäußert, "inwieweit sich missverständliche Formulierungen gerade auch von Gerichten" in Beweiswürdigungen "vermeiden lassen". Diese Sachverständigengutachten sind in einem anderen Verfahren abgerechnet worden.
Auch im vorliegenden Verfahren veranlasst, jedoch in anderen Verfahren abgerechnet worden sind:
Stellungnahme Dr. N, I, zum vorliegenden Verfahren (ohne nähere Aufschlüsselung enthalten in einer 24 Verfahren betreffenden Gesamtliquidation von 1.625,00 EUR) Kosten der Vorbereitung von Dr. N zu einem aufgehobenen Termin v. 18.12.2008 (betreffend 5 verschiedene Verfahren, insgesamt 325,00 EUR) Gutachten Prof. Dr. P betreffend 3 Verfahren (insgesamt 1.870,00 EUR) ein weiteres Gutachten der Sachverständigen Q (1.460,06 EUR)
Mit Richterbrief vom 10.3.2009 an die Geschäftsführerin L der Beklagten hat der Berichterstatter eine Liste von Verfahren überreicht, die sich seiner Auffassung nach für eine ergänzende Überprüfung durch die Beklagte eigneten und in der auch das vorliegende Verfahren aufgeführt ist. In diesem Schreiben heißt es wörtlich:
"Abschließend ist zu betonen, dass mit der vorgenannten Verfahrensliste keinerlei generelle Kritik an der Arbeitsweise der DRV Rheinland bzw. ihrer Auslandsabteilung verbunden ist. Dass sich die Beurteilung der Ansprüche hier im Einzelfall mittlerweile eher positiv darstellt, hängt vielmehr mit umfangreichen historischen Ermittlungen sowie auch den persönlichen Anhörungen im Berufungsverfahren zusammen, die sicherlich in dieser Form das Maß dessen deutlich übersteigen, welches in einer regulären Verwaltungssachbearbeitung zu leisten ist. Auch liegen in einer Reihe von Verfahren erkennbare Defizite im Sachvortrag der jeweiligen Kläger-Bevollmächtigten vor, die nicht außer Betracht bleiben dürfen. Für die Kostenquote wäre daher jeweils eine hälftige Übernahme der gesamten Verfahrenskosten oder alternativ die Übernahme der hälftigen Kosten aus dem Berufungsverfahren denkbar. Auch eine Belastung der DRV Rheinland mit den Kosten der gerichtlichen Ermittlungen erscheint vor dem Hintergrund des Vorgesagten nicht angemessen, sodass auch hier keine Entscheidung zu ihren Lasten ergehen würde."
Mit Beschluss vom 25.3.2010 hat der Berichterstatter – ebenso wie in zahlreichen anderen Verfahren – auf der Grundlage von § 192 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Beklagten "die ab dem 15.9.2008 entstandenen Kosten der gerichtlichen Ermittlungen aus dem Berufungsverfahren" auferlegt. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, die Beklagte habe in den Verfahren nach dem ZRBG ihre Pflicht zur Amtsermittlung verletzt. Eine seriöse Beantwortung der Beweisfragen nach dem ZRBG setze eine Archivrecherche zum individuellen Fall in den relevanten Archiven vor Ort, sorgfältig recherchierte historische Gutachten und eine psychologische Glaubwürdigkeitsbegutachtung voraus. Die Beklagte habe daher die später vom LSG durchgeführten Ermittlungen zu den generellen und individuellen Umständen der Kinderarbeit des verstorbenen Ehemannes der Klägerin im Ghetto Lodz bereits im Verwaltungsverfahren vornehmen müssen.
Mit der Gegenvorstellung trägt die Beklagte zusammenfassend vor, der Beschluss stelle einen Akt richterlicher Willkür dar. Der Berichterstatter erlege ihr ohne jede Differenzierung alle nach dem 15.9.2008 entstandenen Kosten auf. Es sei nicht erkennbar, welche der nach diesem Zeitpunkt angestellten Ermittlungen sie, die Beklagte, bereits im Verwaltungsverfahren habe durchführen müssen, zumal sich die Entscheidungserheblichkeit der vom Berichterstatter im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen nicht durchweg erschließe. Es entstehe vielmehr der Eindruck, dass dem Berichterstatter eine Zuordnung der Kosten selbst nicht mehr möglich gewesen sei und er sich deshalb gezwungen gesehen habe, ihr, der Beklagten, in einer "Blitzaktion" gleichzeitig in etwa 30 Verfahren sämtliche Ermittlungskosten aufzuerlegen. Der Berichterstatter habe ihr in rechtsstaatswidriger Weise in ungefähr 30 Fällen pauschal und mit wortgleicher Begründung die vollständigen Ermittlungskosten auferlegt und es dabei an jeglicher einzelfallbezogener Subsumtion oder Ermessensausübung fehlen lassen.
II.
Die zulässige Gegenvorstellung der Beklagten ist begründet und führt zur ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Die Gegenvorstellung gegen eine gerichtliche Entscheidung findet statt, wenn dem Betroffenen durch die Entscheidung grobes Unrecht zugefügt worden ist, das im Wege richterlicher Selbstkontrolle beseitigt werden muss (vgl. BSG, Beschluss v. 19.1.2010, B 11 AL 13/09 C, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen; Beschluss v. 28.9.2006, B 3 P 1/06 C, SozR 4-1500 § 178a Nr. 5; Beschluss v. 28.7.2005, B 13 RJ 178/05 B, SozR 4-1500 § 178a Nr. 3; zur Statthaftigkeit der Gegenvorstellung vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 25.11.2008, 1 BvR 848/07, NJW 2009, 829). Das ist hier der Fall.
Nach § 192 Abs. 4 SGG kann das Gericht durch gesonderten Beschluss der Behörde ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese mit Wirkung vom 1.4.2008 in Kraft getretene Vorschrift auch solche Verwaltungsverfahren erfasst, die bei ihrem Inkrafttreten bereits abgeschlossen waren. In jedem Fall ist die auf sie gestützte Kostenentscheidung des Berichterstatters nämlich unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar (vgl. zu diesem Maßstab zuletzt BVerfG, Beschluss v. 24.3.2010, 2 BvR 1257/09 u.a., www.bverfg.de).
§ 192 Abs. 4 SGG setzt "im Verwaltungsverfahren" unterlassene "erkennbare und notwendige Ermittlungen" voraus. Zeitlich kommt es danach auf den Abschluss des Verwaltungsverfahrens, d.h. den Erlass des Widerspruchsbescheides an. Zu diesem Zeitpunkt müssen die später vom Gericht durchgeführten Ermittlungen "notwendig", d.h. entsprechend der Amtsermittlungspflicht der Verwaltung (§§ 20, 21 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) unverzichtbar gewesen sein; dass sie bloß (möglicherweise) sinnvoll waren, reicht demgegenüber nicht aus. Insofern geht die Rechtsauffassung des Berichterstatters, über § 192 Abs. 4 SGG könnten der Beklagten auch die Kosten für solche Ermittlungen auferlegt werden, die sie im laufenden Gerichtsverfahren noch hätte durchführen können, offensichtlich fehl. "Erkennbar" waren die Ermittlungen dabei nur dann, wenn sich der Behörde ihre Notwendigkeit ausgehend von den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer höchstrichterlichen Auslegung bzw. – mangels einer solchen – von einem vertretbaren Rechtsstandpunkt aus erschließen musste. Liegen diese Voraussetzungen vor, erfolgt die Entscheidung über die Auferlegung der Kosten nach billigem Ermessen. Sowohl die Prüfung der Voraussetzungen als auch die Ermessensausübung haben streng bezogen auf die Umstände des Einzelfalles, insbesondere die jeweilige konkrete Ermittlungsmaßnahme, zu erfolgen (vgl. zu den Grundsätzen für sozialgerichtliche Kostenentscheidungen BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 1.10.2009, 1 BvR 1969/09, juris). Insoweit kann für § 192 Abs. 4 SGG nichts anderes gelten als für die anderen Kostenentscheidungen nach §§ 192, 193 SGG, bei denen auch stets auf die individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Falles abzustellen ist (vgl. zu § 193 SGG BSG, Beschluss v. 16.5.2007, B 7b AS 40/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 4; Beschluss v. 7.9.1998, B 2 U 10/98 R, SozR 3-1500 § 193 Nr. 10; Beschluss v. 24.5.1991, 7 RAr 2/91, SozR 3-1500 § 193 Nr. 2; zu § 192 SGG BSG, Urteil v. 24.3.1976, RV 92/74, Breith 1976, 803).
Das Fehlen konkreter Feststellungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 192 Abs. 4 SGG lässt sich nicht durch allgemeine Überlegungen zur vermeintlichen Notwendigkeit historischer bzw. anderweitiger Ermittlungen, zumal es nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung auch insoweit auf die Umstände des Einzelfalles ankommt (BSG, Beschluss v. 14.10.2008, B 13 R 407/08 B, juris; BSG, Beschluss v. 14.4.2009, B 5 R 206/08 B, SozR 4-1500 § 160 Nr. 18 zur Notwendigkeit der persönlichen Anhörung von Klägern nach dem ZRBG). Dementsprechend hat sich das Bundessozialgericht in der Lage gesehen, am 2.6. und 3.6.2009 in fünf Fällen nach dem ZRBG abschließend zu entscheiden, ohne dass in allen Verfahren auf den konkreten Fall bezogene historische Gutachten vorlagen. In keinem Fall hatte eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung stattgefunden.
Den genannten Anforderungen entspricht der angefochtene Beschluss in keiner Weise.
Bereits sein Tenor hat keinen vollstreckbaren Inhalt. Es ist nicht erkennbar, welche der durch das vorliegende Berufungsverfahren veranlassten Kosten von der Beklagten übernommen werden sollen. Wie die Aufstellung der entstandenen Kosten zeigt, gibt es neben ausschließlich dieses Verfahren betreffenden Liquidationen solche, die unter dem hiesigen Aktenzeichen abgerechnet worden, aber zugleich auch in anderen Verfahren angefallen sind. Ebenso liegen Rechnungen vor, die zwar auch Ermittlungen des vorliegenden Verfahrens betreffen, aber unter anderen Aktenzeichen angewiesen worden sind. Auf die genaue Zuordnung käme es allenfalls dann nicht an, wenn pauschal angenommen werden könnte, dass die Beklagte letztlich ohnehin sämtliche der vom Berichterstatter in den ihm zugewiesenen Streitsachen nach dem ZRBG angefallenen Ermittlungskosten zu übernehmen hätte. Eine derartige generalisierende Betrachtungsweise wäre jedoch mit den dargelegten Grundsätzen der einzelfallbezogenen Kostenentscheidung und daher mit Bundesrecht unvereinbar. Sie muss folglich außer Betracht bleiben.
Materiell gibt es zunächst keinerlei Grundlage, der Beklagten die Kosten für die im Zusammenhang mit dem Erörterungstermin am 27.1.2010 erstatteten Gutachten der Sachverständigen Q, Dr. M und Prof. Dr. H aufzuerlegen. Alle drei Gutachten beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit der Analyse sozialgerichtlicher Entscheidungen aus historischer bzw. sozialwissenschaftlicher und sozialpsychologischer Sicht. Es ist dabei schon denkgesetzlich ausgeschlossen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sein kann, im Verwaltungsverfahren Gutachten zur Analyse von sozialgerichtlichen Urteilen einzuholen, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gesprochen waren. Unabhängig davon gehört die nicht auf den konkreten Fall bezogene abstrakte historische oder sozialwissenschaftliche Auswertung von insgesamt 1.700 Gerichtsentscheidungen erster und zweiter Instanz nicht zu den Aufgaben, die die Beklagte im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht erfüllen müsste oder – im Hinblick auf ihre Bindung an das Haushaltsrecht – auch nur dürfte.
Zu den übrigen mehr als 20 im Kostenheft ausgewiesenen Rechnungsposten fehlt jede einzelfallbezogene Begründung, aus welchen Gründen sich die Beklagte bereits im Verwaltungsverfahren gerade zu diesen Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Das gilt umso mehr, als der Berichterstatter im angefochtenen Beschluss selbst ausgeführt hat, dass sich der Stand der Geschichtswissenschaft laufend vertiefe und verändere. Vor diesem Hintergrund hätte es besonders eingehender Begründung bedurft, welche der von ihm herangezogenen Erkenntnisquellen der Beklagten bereits bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens (Widerspruchsbescheid v. 6.4.2004) zur Verfügung standen und von ihr herangezogen werden mussten, zumal noch die gerichtliche Sachverständige Dr. C im Berufungsverfahren den Vortrag des Klägerin für nicht glaubhaft gehalten hatte, ohne ihrerseits aus historischer Sicht weitere Ermittlungen zu empfehlen.
Unabhängig davon, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 192 Abs. 4 SGG nicht vorliegen bzw. nicht belegt sind, verletzt der angefochtene Beschluss das prozessuale Grundrecht der Beklagten auf ein faires Verfahren. Dieses aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Grundrecht (vgl. BSG, Beschluss v. 21.7.2009, B 7 AL 9/09 B, juris; BVerfG, Beschluss v. 15.4.2004, 1 BvR 622/98, NJW 2004, 2149), das gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch der Beklagten zusteht (vgl. zur Anwendung prozessualer Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts BVerfG, Beschluss v. 18.9.2004, 2 BvR 622/03, NVwZ 2005, 82), verbietet es dem Gericht, von einer einmal geäußerten Rechtsansicht abzurücken, ohne die Beteiligten zuvor über eine mögliche andere Auffassung zu informieren (BSG, Beschluss v. 2.4.2009, B 2 U 281/08 B, juris). Insofern ist zu berücksichtigen, dass der Berichterstatter in seinem Richterbrief vom 10.3.2009 an die Geschäftsführerin der Beklagten selbst ausgeführt hatte, die von ihm veranlassten Ermittlungen überstiegen auch aus seiner Sicht deutlich das Maß dessen, was in einer regulären Verwaltungssachbearbeitung zu leisten sei. Jedenfalls für den Fall einer "nochmaligen Überprüfung" ihrer Entscheidung durch die Beklagte werde keine Kostenentscheidung zu ihren Lasten ergehen. Die Beklagte konnte daher davon ausgehen, dass der Berichterstatter die Voraussetzungen des § 192 Abs. 4 SGG im Streitfall nicht als gegeben ansah und zudem für den Fall einer nicht streitigen Verfahrensbeendigung (hier: Berufungsrücknahme) von einer Anwendung dieser Vorschrift absehen werde. Wenn der Berichterstatter an dieser Ankündigung nicht festhalten wollte, hätte er der Beklagten die Gründe hierfür darlegen und Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Überdies hätten die Ausführungen im Richterbrief vom 10.3.2009 und das durch sie begründete prozessuale Vertrauen der Beklagten im Rahmen der bei § 192 Abs. 4 SGG erforderlichen Ermessensausübung berücksichtigt werden müssen. Auch hieran fehlt es vollständig.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 14.03.2013
Zuletzt verändert am: 14.03.2013