Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 08.12.2009 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten der Unterkunft des Klägers nach § 22 Abs. 7 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 26.03. bis 31.08.2009.
Der 1978 geborene Kläger studierte von März 2001 bis zum Abbruch seines Studiums Ende August 2006 Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule B. Am 26.03.2009 stellte er bei dem Beklagten den Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld II in Form eines Zuschusses zu den Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 7 SGB II. Er habe am 01.09.2008 eine Ausbildung zum technischen Zeichner bei der Firma W GmbH angefangen und erhalte dort ein nach Lehrjahren gestaffeltes Ausbildungsgeld, beginnend bei 735,16 Euro brutto (574,12 Euro netto) im ersten Lehrjahr. Leistungen der Bundesausbildungsförderung, die er zunächst beantragt habe, seien mit der Begründung abgelehnt worden, dass ihm nur 96 Cent zustünden und erst ab 10 Euro ausgezahlt würden (Bescheid vom 17.12.2008). Ein von ihm bei der Wohngeldstelle gestellter Leistungsantrag sei abschlägig beschieden worden, weil er im Grunde Anspruch auf Ausbildungsförderung habe (Bescheid vom 02.02.2009). Sein Ausbildungsgehalt sei zu gering, um davon leben und die Miete (ca. 268 Euro monatlich) zahlen zu können.
Mit Bescheid vom 25.06.2009 und Widerspruchsbescheid vom 03.08.2009 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, da dieser nicht gem. § 22 Abs. 7 SGB II "im Bezug" von Ausbildungsbeihilfe stehe. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift sei – anders als z.B. bei § 7 Abs. 5 SGB II – der tatsächliche Bezug von Ausbildungsförderung notwendige Voraussetzung für einen Anspruch. Allein ein nur dem Grunde nach bestehender Anspruch genüge nicht.
Der Kläger hat am 04.09.2009 Klage beim Sozialgericht Aachen erhoben und sein Begehren auf Zahlung eines Zuschusses zu den Unterkunftskosten weiter verfolgt.
Das Sozialgericht hat die Leistungsakten der Bundesagentur für Arbeit über die Berechnung der Bundesausbildungsbeihilfe beigezogen. Anschließend hat es die Klage mit Urteil vom 08.12.2009 abgewiesen. Die Vorschrift des § 22 Abs. 7 SGB II stelle klar auf den Erhalt von Ausbildungsförderung ab und nicht darauf, ob ein Anspruch dem Grunde nach gegeben sei. Soweit das Hessische Landessozialgericht in einem Beschluss vom 27.03.2009 (L 6 AS 340/08 B ER) in einem Fall wie dem des Klägers, in dem die Auszahlung an der Bagatellgrenze scheitere, einen Anspruch gem. § 22 Abs. 7 SGB II angenommen habe, sei dieser Auffassung nicht zu folgen. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber, der in der Gesetzesbegründung von "Beziehen" der Leistungen gesprochen habe, Auszubildende, die tatsächlich (wegen der Bagatellgrenze) keine Leistungen bezögen, in den Kreis der Berechtigten habe aufnehmen wollen. Dies stelle auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Jede Grenzziehung führe zu einer Ungleichbehandlung derer oberhalb und unterhalb der Grenze. Lasse man den Kläger als Berechtigten "noch" zu, so ergebe sich eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu demjenigen, der nur einen Euro mehr verdiene und damit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht leistungsberechtigt sei. Die vorgenommene Grenzziehung sei nicht ungerechtfertigt. Dem Gesetzgeber stehe ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Diesem werde das Merkmal "Bezug von Leistungen" als Differenzierungskriterium gerecht.
Gegen das ihm am 11.01.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10.02.2010 Berufung eingelegt: Wenn auf den "Bezug" von Ausbildungsförderungsleistungen abgestellt werde, müsse auch derjenige gem. § 22 Abs. 7 SGB II leistungsberechtigt sein, der nur wegen der Bagatellgrenze kein "Bezieher" von Leistungen der Bundesausbildungsbeihilfe (BAB) sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 08.12.2009 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 25.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2009 zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 26.03. bis 31.08.2009 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte und der Akte der Bundesagentur für Arbeit verwiesen; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Der Beklagte ist mit der Bezeichnung Jobcenter gemäß § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisher beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten. Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 25.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 26.03. bis 31.08.2009.
Zwar erfüllt er die grundsätzlichen Leistungsvoraussetzungen des § 19 iVm § 7 Abs. 1 SGB II: Er hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II), hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II) und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Doch kann er deshalb keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beanspruchen, weil er als Auszubildender mit grundsätzlicher Förderfähigkeit nach §§ 60 ff. SGB III gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hat, einer der Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB II nicht vorliegt und auch kein Härtefall nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II gegeben ist.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses zu seinen Kosten der Unterkunft (KdU) gemäß § 22 Abs. 7 SGB II.
Nach § 22 Abs. 7 SGB II erhalten abweichend von § 7 Abs. 5 SGB II Auszubildende, die BAB oder Ausbildungsgeld nach dem SGB III oder Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhalten und deren Bedarf sich nach § 65 Abs. 1, § 66 Abs. 3, § 101 Abs. 3, § 105 Abs. 1 Nr. 1, 4, § 106 Abs. 1 Nr. 2 des SGB III oder nach § 12 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3, § 13 Abs. 1 iVm Abs. 2 Nr. 1 BAföG bemisst, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 S. 1), sofern die Übernahme der KdU nicht nach § 22 Abs. 2a SGB II ausgeschlossen ist. Im streitigen Zeitraum hat der Kläger keine derartigen Ausbildungsförderungsleistungen erhalten, wie sich dies auch aus dem ablehnenden bindenden Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 17.12.2008 ergibt.
Der Senat folgt nicht der Auffassung des Klägers, ihm stünden Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II zu, da er Anspruch auf Leistungen der Ausbildungsförderung in Höhe von tatsächlich 94 Cent gehabt habe, die allein deshalb nicht ausgezahlt worden seien, weil der Förderbetrag unter der sog. Bagatellgrenze des § 75 S. 2 SGB III gelegen habe. Um die Förderung im Sinne des § 22 Abs. 7 SGB II zu erhalten, reicht diese bloße Anspruchsberechtigung nicht aus.
Der Inhalt einer gesetzlichen Vorschrift ist zunächst durch "einfache" Auslegung zu ermitteln, für die der in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend ist, so wie er sich aus dem Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), aus ihrem Zusammenhang (systematische Auslegung) und aus dem Sinn (teleologische Auslegung) ergibt. Auch der Entstehungsgeschichte der Vorschrift kommt Bedeutung zu (historische Auslegung), dies insoweit, als sie die Richtigkeit einer nach den übrigen Methoden ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die anders nicht ausgeräumt werden können (BVerfG, Entscheidung vom 17.06.1960, 2 BvL 11/59 Rn 18, 19 mwN in BVerfGE 11, 126).
Der Wortlaut des § 22 Abs. 7 SGB II, der den Begriff des "Erhaltens" von Leistungen verwendet, ist vom Wortsinn her eindeutig bestimmt und umfasst lediglich den tatsächlichen Bezug von Leistungen (Herold-Tews in Löns/Herold-Tews, SGB II, 2. Aufl. 2009, § 22 Rn 74; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn 137 mwN; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn 120; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, 39. Ergänzungslieferung 2010 Rn 111; Breitkreuz in Beck’scher Online-Kommentar, Stand 01.12.2010, § 22 Rn 36; Piepenstock in juris-Praxiskommentar SGB II, 2. Aufl. 2007, § 22 Rn 155; vgl. auch BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 36/06 R Rn 26 in BSGE 99, 67 ff; LSG NRW, Beschluss vom 14.11.2008, L 7 B 262/08 AS). Dies wird gesetzessystematisch dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber in § 7 Abs. 5 SGB II die Formulierung eines "Anspruchs dem Grunde nach" gewählt hat und somit deutlich zwischen den verschiedenen Tatbestandsmerkmalen differenziert. Auch der Sinn der Vorschrift des § 22 Abs. 7 SGB II, wie er in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommt, bestärkt die nach Wortlaut und Systematik bestimmte Auslegung. Die Norm ist durch Art. 1 Nr. 21 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006, BGBl I 1706 (1709) mit Wirkung zum 01.08.2006 neu in das SGB II eingefügt worden. Sie soll der Gefahr eines etwaigen Ausbildungsabbruchs bei den Auszubildenden bzw. Studenten begegnen, bei denen die bezogenen Ausbildungsleistungen zusammen mit den ggf. nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II möglichen Härtefallleistungen nicht für eine Existenzsicherung ausreichen (BT-Drucks 16/1410, S. 24 zu Nr. 21 Buchstabe d; vgl. auch BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 36/06 R Rn 26 in BSGE 99, 67 ff.).
Eine über diesen Wortsinn hinausgehende erweiternde Auslegung ist nicht möglich. Diese wäre im Rahmen einer sog. verfassungskonformen Auslegung einer einfachgesetzlichen Vorschrift im Sinne richterlicher Rechtsfortbildung nur dann zulässig und geboten, wenn hierdurch ein Verstoß der Norm gegen Verfassungsrecht vermieden werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.04.2004, 1 BvR 1372/98 Rn 26 in SozR 4-5868 § 85 Nr. 3). Es ist dann legitime richterliche Aufgabe, den Sinn einer Gesetzesbestimmung aus ihrer Einordnung in die gesamte Rechtsordnung zu erforschen, ohne am Wortlaut des Gesetzes zu haften (BVerfG, Beschluss vom 23.10.1958, 1 BvL 45/56 Rn 28 in BVerfGE 8, 210 ff). Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt (Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz – GG) fordert dabei eine Auslegung, die die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers wahrt. Die Deutung darf nicht dazu führen, dass das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.12.2010, 1 BvR 2760/08 Rn 16; Beschluss vom 21.12.2010, 1 BvR 2742/08 Rn 16; Beschluss vom 16.11.2010, 2 BvL 12/09 Rn 104; Beschluss vom 12.03.2008, 2 BvF 4/03 Rn 140 in BVerfGE 121, 30 ff.; Beschluss vom 14.12.1999, 1 BvR 1327/98 Rn 52 in BVerfGE 101, 312 ff.; Beschluss vom 22.10.1985, 1 BvL 44/83 Rn 56 in BVerfGE 71, 81 ff; Beschluss vom 30.06.1964, 1 BvL 16/62 Rn 50 in BVerfGE 18, 97 ff.; Beschluss vom 11.06.1958, 1 BvL 149/52 Rn 29 in BVerfGE 8, 28 ff.). Unzulässig ist entsprechend eine Interpretation contra legem, durch die einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz ein entgegengesetzter Sinn gegeben würde, weil das Gericht dann in verfassungsrechtlich unhaltbarer Weise in die Kompetenzen des Gesetzgebers eingriffe (BVerfG, Beschluss vom 23.10.1958, 1 BvL 45/56 Rn 28 in BVerfGE 8, 210 ff).
Eine von Verfassungs wegen gebotene erweiternde Auslegung in dem vom Kläger erstrebten Sinne ist nicht zulässig. Die gesetzliche Regelung in dem hier entscheidungserheblichen Anwendungsbereich begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Ausschluss des Klägers von Zuschussleistungen zu den Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 7 SGB II verstößt weder gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen das Sozialstaatsgebot.
Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010, 1 BvL 14/09 Rn 44 in MDR 2010, 1452 ff; Beschluss vom 21.07.2010, 1 BvR 611/07 Rn 78 in NJW 2010, 2783 ff.; Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 m.w.N. in BVerfGE 78, 104 ff.). Die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (Beschluss vom 21.07.2010, 1 BvR 611/07 Rn 83 in NJW 2010, 2783 ff.; Beschluss vom 22.05.2003, 1 BvR 452/99 Rn 17 in FamRZ 2003, 1084 ff.; Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92 Rn 63 in BVerfGE 99, 165 ff.; Beschluss vom 12.03.1996, 1 BvR 609/90 Rn 54 in BVerfGE 94, 241 ff.).
Die vom Kläger gerügte Ungleichbehandlung von Auszubildenden, die Leistungen der Ausbildungsförderung ausgezahlt bekommen und Auszubildenden, bei denen die Auszahlung an der Bagatellgrenze des § 75 Abs. 3 S. 2 SGB III scheitert, ist nicht im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG ungerechtfertigt.
Tatsächlich erfolgt nach der gesetzgeberischen Regelung eine Ungleichbehandlung dieser Personengruppen. Vergleichbar sind die Personengruppen insofern, als bei beiden ein Anspruch auf Ausbildungsförderung dem Grunde nach besteht. Die Differenzierung erfolgt dann dergestalt, dass nur die Personengruppe Anspruch auf einen Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II hat, der tatsächlich Leistungen ausbezahlt werden, die andere Personengruppe, bei der es nicht zur Auszahlung kommt, hingegen nicht.
Auch bei vergleichbaren Tatbeständen verbietet der allgemeine Gleichheitssatz nicht jegliche Differenzierung. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitsgrundsätze reichen (BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010, 1 BvL 14/09 Rn 45 in MDR 2010, 1452 ff; Beschluss vom 21.07.2010, 1 BvR 611/07 Rn 79 in NJW 2010, 2783 ff.; Beschluss vom 16.09.2009, 1 BvR 2275/07 Rn 38 in NVwZ-RR 2009, 985 ff.). Insbesondere bei der – wie hier – gewährenden bzw. darreichenden Staatstätigkeit ist dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zuzuerkennen (BVerfG, Beschluss vom 22.05.2003, 1 BvR 452/99 Rn 17 in FamRZ 2003, 1084 ff.; Beschluss vom 14.03.2001, 1 BvR 1931/96 Rn 29; Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92 Rn 63 in BVerfGE 99, 165 ff.; Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.; Beschluss vom 13.01.1982, 1 BvR 848/70 Rn 67 in BVerfGE 59, 231 ff.), weil sozialpolitische Entscheidungen grundsätzlicher Art zu treffen sind (BVerfG, Beschluss vom 22.05.2003, 1 BvR 452/99 Rn 17 in FamRZ 2003, 1084 ff.). Hier obliegt den Gerichten größte Zurückhaltung, dem Gesetzgeber über den Gleichheitssatz zusätzliche Leistungsverpflichtungen aufzuerlegen (BVerfG, Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.).
Dem Umfang des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums (bei der gewährenden bzw. darreichenden Staatstätigkeit) entspricht die Kontrolldichte richterlicher Überprüfung: ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nur dann festzustellen, wenn die Unsachlichkeit einer Differenzierung evident ist (BVerfG, Beschluss vom 16.09.2009, 1 BvR 2275/07 Rn 38 in NVwZ-RR 2009, 985 ff.), d.h. wenn für die gesetzliche Unterscheidung kein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund vorliegt und die Regelung damit als willkürlich angesehen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.11.2008, 1 BvL 3/05 Rn 73 in BVerfGE 122,151 ff.; Beschluss vom 15.03.2000, 1 BvL 16/96 Rn 72 in BVerfGE 102, 68 ff; Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92 Rn 63 in BVerfGE 99, 165 ff.; Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.; Beschluss vom 06.10.1983, 2 BvL 22/80 Rn 30 in BVerfGE 65, 141 ff.; Beschluss vom 19.06.1973, 1 BvL 39/69 Rn 30 in BVerfGE 35, 263 ff.).
Das Differenzierungsmerkmal des tatsächlichen Bezugs von Leistungen der Ausbildungsförderung, das sich bei am Wortsinn orientierter Auslegung der Vorschrift des § 22 Abs. 7 SGB II ergibt, ist nicht willkürlich.
Welches Differenzierungskriterium der Gesetzgeber heranzieht, um Leistungsansprüche zu gewähren, ist entsprechend dem o.g. Gestaltungsspielraum zunächst seine Entscheidung. Ihm obliegt die Feststellung, welche Sachverhaltselemente so wesentlich sind, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist (BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92 Rn 63 in BVerfGE 99, 165 ff.; Beschluss vom 12.03.1996, 1 BvR 609/90 Rn 54 in BVerfGE 94, 241 ff.; Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.; Beschluss vom 06.10.1983, 2 BvL 22/80 Rn 30 in BVerfGE 65, 141 ff.; Beschluss vom 13.01.1982, 1 BvR 848/70 Rn 67 in BVerfGE 59, 231 ff.; Beschluss vom 09.08.1978, 2 BvR 831/76 in BVerfGE 49, 148 ff.; Beschluss vom 19.06.1973, 1 BvL 39/69 Rn 30 in BVerfGE 35, 263 ff.). Gerade im Sozialleistungsrecht dürfen zur Ordnung von Massenerscheinungen typisierende und pauschalierende Regelungen getroffen werden (BVerfG, Beschluss vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 Rn 205 in BVerfGE 125, 175 ff.; Beschluss vom 20.07.2004, 1 BvR 2515/95 Rn 40; Beschluss vom 08.06.2004, 2 BvL 5/00 Rn 72 in BVerfGE 110, 412 ff.; Beschluss vom 08.02.1983, 1 BvL 28/79 Rn 38 in BVerfGE 63, 119 ff.; Beschluss vom 24.07.1963, 1 BvL 11/61 Rn 59 in BVerfGE 17, 1 ff.). Das gilt auch für Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Beschluss vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 Rn 205 in BVerfGE 125, 175 ff.). Von den Gerichten nicht zu prüfen ist, ob der Gesetzgeber mit der von ihm getroffenen Regelung die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hat (BVerfG, Beschluss vom 16.09.2009, 1 BvR 2275/07 Rn 38 in NVwZ-RR 2009, 985 ff.; Beschluss vom 08.06.2004, 2 BvL 5/00 Rn 71 in BVerfGE 110, 412 ff.). Ebenso wenig kommt es darauf an, was aus Sicht desjenigen, der Unterstützungsbedarf hat, wünschenswert oder unerlässlich erscheint (BVerfG, Beschluss vom 22.05.2003, 1 BvR 452/99 Rn 18 in FamRZ 2003, 1084 ff.).
Das gewählte Differenzierungsmerkmal rechtfertigt sich zunächst bereits dadurch, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei förderungsfähigen Ausbildungen im Grundsatz nicht durch das SGB II, sondern durch ein anderes Sozialleistungssystem erfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007 zur Vorschrift des § 7 Abs. 5 SGB II, B 14/7b AS 36/06 R Rn 28 in BSGE 99, 67 ff. ).
Sozialpolitisch sind unterschiedliche, grundsätzlich voneinander getrennte Förder- bzw. Unterstützungssysteme für unterschiedliche Lebensbereiche vorgesehen. So wird die Förderung von Ausbildung und Studium durch das SGB III bzw. das BAföG geregelt, während die Grundsicherung von Arbeitsuchenden ihre Grundlage im SGB II findet. Die Unterstützung bzw. Förderung ist im jeweiligen Fördersystem in einem ausreichenden Umfang grundsätzlich abschließend geregelt; Leistungen aus einem anderen Förderbereich sind in der Regel nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 28/06 R Rn 25 in NJW 2008, 2285 ff.; Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 36/06 R Rn 28 in BSGE 99, 67 ff.). Dies spiegelt sich in der Ausschlussvorschrift des § 7 Abs. 5 SGB II wieder, die auf die Erwägung zurückzuführen ist, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder gem. §§ 60 bis 62 SGB III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und deshalb die Grundsicherung nicht dazu dient, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 28/06 R Rn 25 in NJW 2008, 2285 ff.). Nach dem gesetzgeberischen Willen soll neben den gesetzlich vorgesehenen "Ausbildungshilfen" über das SGB II kein weiteres Hilfesystem installiert werden (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 36/06 R Rn 24 in BSGE 99, 67 ff.). Die Ausschlussregelung soll die nachrangige Grundsicherung mithin davon befreien, eine – versteckte – Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 28/07 R Rn 14 in SozR 4-4200 § 7 Nr. 9).
Die Differenzierung ist darüber hinaus in der Gesamtschau aus einem weiteren Grund nicht willkürlich. Wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt, stellen Einkommensgrenzen jeder Art, die zu einem Leistungsanspruch führen, für diejenigen, die die Grenze gerade eben nicht erreichen, eine "Benachteiligung" gegenüber den wegen Erreichens der Grenze Leistungsberechtigten dar. Befindet sich eine Personengruppe wie der Kläger wegen der Besonderheit der Bagatellvorschrift des § 75 S. 2 SGB III gerade "auf der Schwelle" zwischen einem Leistungsanspruch und einer Leistungsablehnung, muss die Zuordnung in die eine oder andere Richtung erfolgen. Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass er anders behandelt wird als die Auszubildenden, denen Leistungen der Ausbildungsförderung ausgezahlt werden. Er übersieht dabei aber, dass er gleich behandelt wird wie all die Auszubildenden, deren eigenes Einkommen – und sei es auch gerade eben – ihren Bedarf deckt und wie all die Auszubildenden, die wegen der Anrechnung von Einkommen ihrer Eltern keine Ausbildungsleistungen erhalten. Die Gleichstellung mit diesen Auszubildenden ist dabei sachlich nachvollziehbar. Personen, die wegen der Bagatellgrenze keine Ausbildungsförderungsleistungen ausbezahlt bekommen, sind auch im System der Ausbildungsförderung denjenigen Personen gleichgestellt, die bereits dem Grunde nach keinen Anspruch auf Förderleistungen haben.
Nach der gesetzgeberischen Entscheidung in § 75 S. 2 SGB III ist es Auszubildenden und Studenten zumutbar, in der geringen Toleranzgrenze von 10 Euro auf die Auszahlung von Förderungsleistungen zu verzichten. Hierdurch soll der – zulasten der Allgemeinheit gehende – hohen Verwaltungsaufwand solcher Auszahlungen vermieden werden. Die Einführung einer "Kleinstbetragsregelung" oder "Bagatellgrenze" bringt neben der Verwaltungsökonomie einen weiteren Aspekt der Regelung zum Ausdruck: Ein unter dieser Grenze liegender Betrag ist so niedrig, dass auf die Auszahlung verzichtet werden kann, ohne einen wichtigen Zweck der Ausbildungsförderung zu gefährden, nämlich den Lebensunterhalt des Auszubildenden sicherzustellen (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Bagatellgrenze des § 51 Abs. 4 BAföG: BVerwG, Urteil vom 13.10.1983, 5 C 75/80 Rn 11 in BVerwGE 68, 80 ff.; zur Bagatellgrenze des § 5 Abs. 4 S. 3 Bundeserziehungsgeldgesetz a.F.: BSG, Urteil vom 10.02.2005, B 10 EG 2/03 R Rn 21 in SozR 4-7833 § 5 Nr. 1). Ist aber im Bereich der Ausbildungsförderung davon auszugehen, dass das Existenzminimum von Auszubildenden auch dann gedeckt ist, wenn deren Einkommen bis zu 10 Euro unter ihrem Bedarf bleibt, so kann nichts Anderes für etwaige Zuschussleistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II gelten. Von einer willkürlichen Benachteiligung kann entsprechend nicht ausgegangen werden.
Die Differenzierung ist auch angesichts des der Vorschrift des § 22 Abs. 7 SGB II zugrundeliegenden Normzwecks nicht willkürlich und sachfremd. Ebenso wie bei den Härtefallleistungen des § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II soll vermieden werden, dass Auszubildende und Studenten die Ausbildung deshalb abbrechen müssen, weil die in der Ausbildungsförderung berücksichtigten Leistungen in besonderen Fallkonstellationen nicht für eine Existenzsicherung ausreichen (BT-Drs 16/1410, S. 24). Es ist nicht davon auszugehen, dass ein Auszubildender allein wegen eines Betrags bis zu 10 Euro, der ihm zur Bedarfsdeckung fehlt, seine Ausbildung abbricht (BVerwG, Urteil vom 13.10.1983, 5 C 75/80 Rn 11 in BVerwGE 68, 80 ff.). Hier ist mit einem Abbruch um so weniger zu rechnen, da dem Kläger sogar nur ein unter einem Euro liegender Betrag zur Bedarfsdeckung fehlte. Eine relevante, deckungswürdige Unterversorgung liegt damit sicher nicht vor. Im Übrigen wäre es dem Kläger möglich und zumutbar gewesen wäre, seinen Bedarf durch eine Senkung der Kosten der Unterkunft zu reduzieren und damit durch sein Einkommen aus eigener Kraft zu decken. So hätte er sich um eine kostengünstigere Unterkunft, z.B. auch in Form einer Wohngemeinschaft, bemühen können.
Der vom Kläger begehrte Anspruch auf Zuschussleistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II ist auch nicht aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) abzuleiten. Dieses Prinzip verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieses Prinzips lässt sich ihm jedoch kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Wie der Gesetzgeber den Gestaltungsauftrag des verfassungsrechtlich nicht näher konkretisierten Sozialstaatsprinzips erfüllt, ist seine Sache. Zwingend ist lediglich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft (BVerfG, Beschluss vom 08.06.2004, 2 BvL 5/00 Rn 94 in BVerfGE 110, 412 ff.; Beschluss vom 27.04.1999, 1 BvR 2203/93 Rn 56 in BVerfGE 100, 271 ff.; Beschluss vom 12.03.1996, 1 BvR 609/90 Rn 62 in BVerfGE 94, 241 ff.; Beschluss vom 29.05.1990, 1 BvL 20/84 Rn 83 in BVerfGE 82, 60 ff.) Diese Mindestvoraussetzungen sind hier nicht berührt. Allein der Ausschluss von Zuschussleistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II stellt – wie oben ausgeführt – die Sicherung der Existenzgrundlage für die von der Bagatellregelung des § 75 Abs. 3 S. 2 SGG betroffenen Auszubildenden nicht in Frage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage als gegeben angesehen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 21.06.2011
Zuletzt verändert am: 21.06.2011