Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 31.05.2011 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, seine Umschulung zum Physiotherapeuten zu fördern.
Der am 00.00.1975 geborene Antragsteller absolvierte eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Nach Abschluss der Ausbildung im Jahr 2003 war er durchgehend arbeitslos. Der Antragsteller bezieht mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Durch Bescheid vom 11.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2009 lehnte die Rechtsvorgängerin des Antragsgegners den Antrag des Antragstellers auf Förderung der Umschulung zum Physiotherapeuten nach § 16 SGB II ab. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage, S 3 (15) AS 179/09.
Am 19.05.2011 hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, seine Umschulung zum Physiotherapeuten zu fördern.
Durch Beschluss vom 31.05.2011 hat das Sozialgericht Münster den Antrag abgelehnt.
Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).
Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 16 Abs 1 Satz 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland (vom 2.3.2009, BGBl I 416) kann die Agentur für Arbeit als Leistungsträger i.S.v. § 6 SGB II zur Eingliederung in Arbeit nur die im Dritten Kapitel, im Ersten und Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels, im Fünften Kapitel, im Ersten Abschnitt des Sechsten Kapitels und die in den §§ 417, 421f, 421g, 421k, 421o, 421p, 421q und 421t Abs 4 bis 6 des SGB III geregelten Leistungen erbringen (vgl. zum Entschließungsermessen: BSG Urteil vom 01.06.2010 – B 4 AS 63/09 R = juris Rn 14, 17). Daher kann der Leistungsträger Leistungen zur beruflichen Weiterbildung i.S.v. § 77 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) als Leistungen nach dem Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III – nicht aber berufliche Ausbildungsleistungen i.S.v. § 60 SGB III, die im Fünften Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III geregelt und damit nicht von § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II erfasst sind – als Eingliederungsmaßnahme gewähren (vgl. hierzu BSG Urteil vom 30.08.2010 – B 4 AS 97/09 = juris Rn 23).
Die Qualifizierung einer Maßnahme als Aus- oder Weiterbildung ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Abgrenzungskriterien vorzunehmen. Maßgeblich für die Beurteilung ist nicht die Bezeichnung als "Ausbildung"; die Abgrenzung ist ausschließlich unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Kriterien vorzunehmen. Entscheidend für die Abgrenzung ist nicht das Ziel der Maßnahme, sondern der Weg auf dem das Ziel erreicht werden soll. Weiterbildungsangebote sollen grundsätzlich auf dem bereits vorhandenen beruflichen Wissen aufbauen. Es handelt sich insoweit um die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach dem Abschluss der ersten Ausbildungsphase oder sonstiger beruflicher Betätigung ohne vorherigen Berufsabschluss, die deswegen vielfach mit einer verkürzten Ausbildungsdauer einhergeht (BSG Urteil vom 30.08.2010 – B 4 AS 97/09 R = juris Rn 23 m.w.N.). Dabei ist zur Beurteilung, ob ein bestimmtes Lernziel im Wege der Ausbildung oder der Weiterbildung erreicht wird, nicht allein auf die Vorschriften einer Ausbildungsverordnung abzustellen. Es ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der konkreten Maßnahme angezeigt, die sowohl die einschlägigen Ausbildungsvorschriften als auch die Ausbildungswirklichkeit in den Blick nimmt, insbesondere, ob Vorkenntnisse eines Lernwilligen verwertbar sind und die Ausgestaltung der konkreten Ausbildung mitbeeinflusst haben. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Bildungsmaßnahme des Hilfebedürftigen im konkreten Fall etwa auf einen kürzeren Zeitraum als nach der Ausbildungsordnung vorgesehen angelegt war oder andere Veränderungen des Lehrstoffs auf Grund von beruflicher Vorbildung erfolgt sind (BSG Urteil vom 30.08.2010 – B 4 AS 97/09 R = juris Rn 23 m.w.N.).
Bei der vom Antragsteller angestrebten Ausbildung zum Physiotherapeuten handelt es sich nach dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Erkenntnisstand nicht um eine Maßnahme der Weiterbildung, sondern um eine Zweitausbildung, die allenfalls nach den Vorschriften des § 60ff SGB III, nicht aber als Maßnahme der Weiterbildung nach § 77 SGB III gefördert werden kann (vgl. Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.02.2011 – L 18 AL 252/09). Nach dem Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie (Gesetz vom 26.05.1994, BGBl. 1994, 1084 – MPhG -) und der dazu ergangenen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten (PhysTh-APrV) handelt es sich bei der Ausbildung zum Physiotherapeuten um eine bundesweit einheitlich geregelte schulische Ausbildung von drei Jahren, die einen mittleren Bildungsabschluss und gesundheitliche Eignung voraussetzt (§§ 9 Abs. 1, 10 MPhG). Weitere Voraussetzungen, insbesondere besondere berufliche Vorkenntnisse oder Erfahrungen, werden nicht gefordert. Es handelt sich um eine umfassende Berufsausbildung für nicht beruflich Vorgeschulte/Erfahrene. Der Lehrstoff und die Dauer dieser Fachschulausbildung wird nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte durch die vorhandenen beruflichen Vorkenntnisse des Antragstellers nicht beeinflusst. Soweit das MPhG die Möglichkeit der Verkürzung der Ausbildunszeit bei einer Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister (§ 12 Abs. 1 MPhG) oder bei einer Ausbildung zum Turn-, Sport- oder Gymnastiklehrer (§ 12 Abs. 2 MPhG) vorsieht, verfügt der Antragsteller nicht über die erforderliche Vorbildung. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass es sich bei der Ausbildung des Antragstellers zum Industriekaufmann um eine gleichwertige Ausbildung im Sinne von § 12 Abs. 3 MPhG handelt. Demnach handelt es sich bei der vom Antragsteller begehrten Ausbildung zum Physiotherapeuten um eine Zweitausbildung i.S.v. § 60 Abs. 2 SGB III, die entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II gefördert wird. Denn bei der Förderung einer Zweitausbildung handelt es sich nicht um eine Leistung nach dem Dritten Kapitel oder nach dem Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III, sondern nach dem Fünften Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 10.08.2011
Zuletzt verändert am: 10.08.2011