Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.03.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde der Klägerin vom 11.04.2011 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.03.2011 hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zu entsprechen. Denn dem klägerischen Begehren fehlt es am Erfordernis hinreichender Erfolgsaussicht i.S.d. § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Auch das Vorbringen der Klägerin zur Beschwerde vermag nach Auffassung des Senats eine abweichende Entscheidung nicht zu rechtfertigen.
Gemäß § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist dann gegeben, wenn eine gewisse Möglichkeit des Obsiegens – auch im Sinne eines Teilerfolges – besteht (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73a, Rdnrn. 7 ff., m.w.N.).
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Klägerin bietet jedoch auch unter Berücksichtigung ihres Beschwerdevorbringens nicht in ausreichendem Maße Aussicht auf Erfolg im o.a. Sinne. Eine Beschwer der Klägerin i.S.d. § 54 Abs. 2 SGG ist nicht gegeben, weil sich der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 21.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2010 als rechtmäßig erweisen dürfte.
Soweit der Beklagte die Aufhebung des Bescheides vom 26.06.2006 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 01.07.2006 bis 31.12.2006 wegen Bezuges von Krankengeld ab 18.10.2006 in Höhe von kalendertäglich 17,22 Euro (statt wie ursprünglich angegeben 14,48 Euro) auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches – Arbeitsförderung – (SGB III) gestützt hat, folgt der Senat der Begründung des Sozialgerichts vollumfänglich und macht sie sich ausdrücklich zu Eigen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Mit dem Zufluss des als Einkommen anzurechnenden Krankengeldes i.H.v. kalendertäglich 17,22 Euro während des laufenden Leistungsbezuges ist bei der Klägerin nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 26.06.2006 mit Wirkung vom 01.10.2006 (s. § 48 Abs. 2 Satz 3 SGB X) eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen eingetreten, so dass der Verwaltungsakt wegen Erzielung anspruchsmindernden Einkommens gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III zwingend, d.h. ohne Ausübung von Ermessen, aufzuheben war. Scheidet aber eine Ermessensausübung wegen § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III gänzlich aus, ist auch für die Anerkennung eines atypischen Falls kein Raum, weil dieser als Rechtsfolge im "originären" Anwendungsbereich der "Soll"-Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X zur Wiedereröffnung uneingeschränkt pflichtgemäß auszuübenden Ermessens führt. Fehlt es jedoch bereits an einem Ermessenstatbestand, weil nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III eine gebundene Entscheidung vorliegt, scheidet auch in atypischen Fällen eine Ermessensentscheidung aus und ist der Verwaltungsakt auch dann mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben (einhellige Auffassung, s. BSG 28.11.2007 – B 11a/7a AL 14/07 R – SozR 4-1500 § 128 Nr. 7 – Rdnr. 14; LSG Berlin-Brandenburg 07.05.2009 – L 28 AS 1354/08 – Rdnr. 38 [Juris]; Pilz, in: Gagel, SGB II/SGB III, Stand: 2011, § 40 SGB II Rdnr. 17 u. § 330 SGB III Rdnr. 26; Eicher, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 40 Rdnr. 62; Düe, in: Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 330 Rdnr. 50).
Hinsichtlich der ebenfalls auf § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X gestützten Aufhebung der Bescheide vom 27.11.2006 (einschließlich des Änderungsbescheides vom 14.12.2006) und 30.05.2007 (einschließlich der Änderungsbescheide vom 21.09.2007 und 29.11.2007), die die Bewilligungszeiträume 01.01.2007 bis 30.06.2007 bzw. 01.07.2007 bis 31.12.2007 umfassen, ist der Senat der Auffassung, dass hier eine Rücknahme allein nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III in Betracht kommt, weil die Klägerin ausweislich des aktenkundigen Schreibens der Barmer Ersatzkasse vom 08.10.2009 in der Zeit vom 18.10.2006 bis 08.10.2007 durchgängig Krankengeld bezogen hat und damit während des gesamten Bewilligungszeitraums laut Bescheid vom 27.11.2006 sowie vom 01.07. bis 30.09.2007, d.h. zu Beginn des von dem Bescheid vom 30.05.2007 erfassten Zeitraums. Dies bedeutet, dass die o.a. Bescheide bereits im maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig waren, soweit statt eines täglichen Krankengeldes von 17,22 Euro nur 14,48 Euro zur Anrechnung als Einkommen gelangt sind.
Hierdurch wird der streitgegenständliche Aufhebungs- und Erstattungbescheid vom 21.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2010 jedoch noch nicht rechtswidrig. Denn das so genannte "Nachschieben von Gründen" (richtigerweise: Stützen der Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage) ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird. Weil die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (BSG 16.12.2008 – B 4 AS 48/07 R – Rdnr. 17 [Juris]). Im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II gilt dies erst recht, weil § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II auf § 330 Abs. 2 SGB III verweist, der wiederum anordnet, dass bei Vorliegen der in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, also auch hier ohne Ermessen.
Danach kommt es darauf an, ob bei der Klägerin einer der Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X vorliegt. Dies dürfte nach Lage der Akten der Fall sein.
Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Nach Auffassung des Senats spricht viel dafür, dass die Klägerin jedenfalls den Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X erfüllt hat, weil sie die Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 27.11.2006 und 30.05.2007 hinsichtlich einer zu niedrigen Anrechnung des von ihr bezogenen Krankengeldes als Einkommen auf ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) II infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Zwar hat die Klägerin gegenüber dem Beklagten keine unzutreffenden Angaben gemacht, weil ihr die Krankenkasse mit aktenkundigem Bescheid vom 08.11.2006 den unzutreffenden Zahlbetrag von täglich 14,42 Euro selbst mitgeteilt hat. Dies entlastet die Klägerin nach Auffassung des Senats jedoch nicht, da hiermit zwar der Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X, nicht aber derjenige des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ausgeschlossen sein dürfte. Denn auch bei Anwendung des im Rahmen der Bestimmung grober Fahrlässigkeit geltenden subjektiven Sorgfaltsmaßstabes (s. hierzu Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 45 Rdnr. 52, 56 m.w.N.) hätte es sich der Klägerin aufdrängen müssen, dass ihr erheblich mehr Krankengeld zugeflossen ist, als ihr die Krankenkasse mitgeteilt hat. Statt 434,40 Euro monatlich (14,48 Euro x 30 Tage) wurden der Klägerin bereits ab November 2006 516,60 Euro (17,22 Euro x 30 Tage) ausgezahlt. Die sich hieraus ergebende monatliche Differenz von 82,20 Euro (= 18,9 % von 434,40 EUR) ist nicht so gering, dass sich ein verständiger Adressat hierüber keine ernstlichen Gedanken machen müsste, warum höheres Krankengeld gezahlt als mitgeteilt worden ist. Da die Klägerin aufgrund der Bewilligungsbescheide des Beklagten auch Kenntnis darüber hatte, dass das ihr gezahlte Krankengeld auf ihren Hilfeanspruch nach dem SGB II als Einkommen angerechnet wird, hätte es nach Auffassung des Senats für die Klägerin auch nahe gelegen, sich zu fragen, warum sie höheres Krankengeld bezogen hat als ihr auf ihren Alg II-Anspruch angerechnet worden ist. Dazu kommt, dass sie gehalten ist, ihr gegenüber ergangene Bescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (s. BSG 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R – SozR 1-1300 § 45 Nr. 45) Dann hätte sie auf Grund einfachster und nahe liegender Überlegungen erkennen können, dass das bei ihr angerechnete Krankengeld wesentlich niedriger war als dasjenige, was ihr tatsächlich ausbezahlt worden ist. Hierzu bedurfte es auch keiner komplizierten Berechnung. Nach Aktenlage spricht somit viel für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X. Da zudem nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III Ermessenerwägungen bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit keine Rolle spielen, kann deshalb auch ein von Seiten der Klägerin geltend gemachtes Mitverschulden des Beklagten keine Berücksichtigung finden (vgl. BSG 28.11.2007 – B 11a/7a AL 14/07 R – SozR 4-1500 § 128 Nr. 7 – Rdnr. 14).
Da auch die Fristen des § 45 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 Satz 2 SGB X (i.V.m. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X) offenkundig gewahrt worden sind, war nach alledem Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 11.08.2011
Zuletzt verändert am: 11.08.2011