Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12.01.2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten haben sich die Beteiligten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1961 geborene Klägerin begehrt Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Am 07.05.2001 beantragte die Klägerin bei dem damals zuständigen Versorgungsamt die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Sie gab als Schädigungsfolge eine sog. "dissoziative Identitätsstörung" an, die zu Schlaf- und Orientierungsstörungen, Angst- und Panikattacken, Depressionen, unvorhersehbaren Selbsttötungs- und Selbstverletzungshandlungen sowie Konzentrationsstörungen geführt habe. Dem Antrag beigefügt war ein Schreiben einer behandelnden Ärztin. Diese führte aus, die Klägerin sei vermutlich ab dem zweiten bis zum zwölften Lebensjahr in einem satanistischen Kult körperlich extrem gequält und regelmäßig sexualisierter Gewalt ausgeliefert gewesen. Im Alter von 13 Jahren sei sie von einem Haus- beziehungsweise Kinderarzt auf einer Untersuchungsliege vergewaltigt worden.
Das Versorgungsamt zog ärztliche Behandlungsunterlagen bei. In einem Bericht der Klinik X vom 05.03.1984 hieß es, die Klägerin sei geschädigt, da die Ehe ihrer Eltern zerrüttet gewesen sei. Die Klägerin und ihre Zwillingsschwester sowie ihr Bruder hätten häufig aggressive Szenen miterlebt und seien von der Mutter gegen den Vater ausgespielt worden. Die Klägerin habe eine hochambivalente, überwiegend negative Beziehung zu ihrer Mutter. Ihre wahrhaft "blutrünstigen" Hassgefühle gegen ihre Mutter, ihren Vater und Freund habe sie meist schriftlich ausgedrückt. Ihre erste positive Erfahrung sei es gewesen, nach äußerer Loslösung vom Elternhaus zusammen mit ihrer Zwillingsschwester und einer Freundin einen eigenen Haushalt zu gründen.
Unter dem 09.03.1987 berichtete dieselbe Klinik über eine weitere zweiwöchige stationäre Psychotherapie der Klägerin wegen der Diagnosen
– Selbstunwertgefühle mit Tendenzen zur Selbstverletzung
– Depersonalisations- und Derealisationserleben
– Alkohol- und Drogenmissbrauch
– multiple psychogene Körperbeschwerden.
In dem Bericht hieß es, die Klägerin habe ihrer Mutter vorgeworfen, diese liebe sie nicht und habe sie nie gewünscht. Die Klägerin wolle nicht abhängig sein; sie wolle nicht mit viel Arbeit oder in unglücklichen Beziehungen leben. Sie habe eine Nische in ihrer Phantasiewelt, in die sie sich immer wieder flüchten könne.
In einem Bericht der I-klinik Bad A vom 10.02.1999 über eine Behandlung wegen dissoziativer Identitätsstörung mit selbstverletzendem Verhalten heißt es unter "biographische Anamnese", die Klägerin gebe an, vom Vater sexuell missbraucht worden zu sein. Genauere Informationen hierzu gebe es bislang nicht. Weiter heißt es dort, die psychischen Schwierigkeiten der Klägerin seien zum ersten Mal im Alter von 17 Jahren aufgetreten. Schon aus der damaligen Zeit könne die Klägerin sich an Situationen erinnern, in denen sie sich plötzlich wiedergefunden habe mit ausgeprägten Erinnerungslücken. Durchgehend sei es in den letzten 20 Jahren immer wieder zu Zeiten gekommen, in denen die Klägerin das Gefühl habe, keine Kontrolle über sich zu haben. Es sei ihr ansatzweise gelungen, das dichte, intensiv herandrängende biographische Material zu kanalisieren. Immer wieder seien mit ihr Sicherungstechniken in Form von Phantasieübungen geübt worden.
Unter dem 05.10.2000 berichtete das St. W Hospital E über eine teilstationäre Behandlung der Klägerin vom 02.05. bis 09.08.2000. Die Klägerin meine selber, Opfer eines rituellen Missbrauchs geworden zu sein.
Mit Datum vom 07.07.1998 führte das G-Krankenhaus S über die mit Unterbrechungen seit 1991 durchgeführten ambulanten und stationären Behandlungen der Klägerin aus, es träten Phasen mit schweren Wahrnehmungsstörungen bis hin zum völligen Realitätsverlust auf.
Die Klinik für Psychiatrie I berichtete mit Datum vom 30.06.1999, die Klägerin leide an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung mit dissoziativen Störungen. Nach den Angaben zur Vorgeschichte und den Aussagen der Klägerin scheine ein schwerer sexueller Missbrauch in der Kindheit vorgelegen zu haben, an den sich die Klägerin jedoch nur partiell und im Sinne sog. Flashbacks mit der Folge schwerster Erregungszustände erinnere.
Mit Schreiben vom 08.04.2002 bat das Versorgungsamt E die Klägerin, die Einzelheiten der behaupteten Missbrauchshandlungen genauer zu schildern. Die Klägerin teilte zunächst mit, sie wolle schriftlich Stellung nehmen, um dann telefonisch zu ergänzen, sie sei dazu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage.
Mit Bescheid vom 21.11.2002 lehnte das Versorgungsamt E den Antrag auf Gewährung von Versorgungsleistungen ab, weil die Klägerin keine Aussage zu den behaupteten Missbrauchshandlungen gemacht habe.
Mit ihrem rechtzeitig eingelegten Widerspruch trug die Klägerin vor, sie und ihre Schwester seien durch eine satanistische Gruppierung zu Zwecken der Kinderprostitution verkauft worden. Ungefähr ab dem dritten Lebensjahr seien sie regelmäßig, meist an Wochenenden an sog. "Kunden" abgegeben worden, die ihre perversen, sadistischen Sexspiele an ihnen ausgetobt hätten. Sie seien öfter mit anderen Kindern verschiedenster Altersstufen und beiderlei Geschlechts mit einem Kleintransporter zu alten Fabrikhallen gebracht worden, wo sich die Kunden ein Kind ihrer Wahl hätten aussuchen können. Je nach Zahlungsbereitschaft seien sie dort zwischen einer Stunde und die ganze Nacht verblieben. Sie seien vorher mit Betäubungsmitteln sediert gewesen. Die Ereignisse hätten bis zum 15. Lebensjahr angedauert. Ihre Schwester sei ebenfalls Betroffene dieser Ereignisse gewesen. Ihrem Schreiben fügte die Klägerin drei maschinengeschriebene Erlebnisberichte einer als "Kind" bezeichneten Person bei. Darin werden im Einzelnen sexueller und sadistischer Missbrauch durch Erwachsene sowie in einem Fall analer Verkehr zwischen dem Kind und einem Hund geschildert. Ein weiterer Bericht schildert einen Missbrauch im Alter von zwölf Jahren durch ein Pärchen in dessen Privathaushalt u.a. durch sadistische Praktiken. Beigefügt hatte die Klägerin außerdem handschriftliche Aufzeichnungen über Träume, Visionen und bruchstückhafte Erinnerungen.
Zusätzlich übersandte die Klägerin einen Teil eines undatierten Behandlungsberichts über ihre Schwester, die Zeugin I M. Diese leidet demnach wie die Klägerin an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Es bestehe der dringende Verdacht, dass die Zeugin I M ebenfalls Missbrauchshandlungen durch eine Sekte ausgesetzt gewesen. An sexuellen Missbrauch könne sie sich nicht erinnern. Bis auf die Misshandlungen durch die Mutter habe sie wenig konkrete Bilder aus der Kindheit.
Mit Bescheid vom 30.07.2003 – abgesandt an die Klägerin am 05.08.2003 – wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch zurück. Es sei nicht nachgewiesen, dass die Angaben der Klägerin auf wirklichem Erleben beruhten, zumal Kindheitserinnerungen äußerst selten in die Zeit des dritten Lebensjahres zurückgingen, ein Derealisationserleben bereits 1987 dokumentiert sei und die Schilderungen nicht so wirkten, als habe die Klägerin all dies selbst erlebt.
Mit ihrer am 19.08.2003 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr auf die Gewährung von Versorgungsleistungen gerichtetes Begehren weiterverfolgt. Sie hat vorgetragen, ihre behandelnde Ärztin könne als Zeugin für die Glaubwürdigkeit ihrer Schilderungen benannt werden. Es sei unvorstellbar, dass sie so etwas erfunden habe. Ihre Schwester habe sehr wohl konkrete Erinnerungen an den Missbrauch in der Kindheit.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Psychiaters Prof. Dr. G unter Beteiligung der Diplompsychologin D T. Das Gutachten vom 12.12.2004 kam nach mehrfacher Exploration der Klägerin zu der Schlussfolgerung, die Klägerin leide unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung mit posttraumatischer Symptomatik und Alkoholabhängigkeit. Der Grad der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit sei mit 70 v.H. einzuschätzen. Die Gesundheitsstörungen seien ursächlich bedingt durch schwerste körperliche, seelische und sexuelle Misshandlungen durch die Mutter, sexuellen Missbrauch durch den Vater sowie sexuellen Missbrauch im Rahmen von Kinderprostitution, die die Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in ihrer Kindheit erlitten habe. Traumatische Erlebnisse in der Kindheit könnten abgespalten und verdrängt werden und damit für längere Zeit nicht mehr zugänglich sein. Bei der Klägerin seien die Erinnerungen an die schweren Misshandlungen durch die Mutter und den sexuellen Missbrauch seit 1998 im Rahmen einer stationären Psychotherapie explosionsartig wieder aufgetaucht. Ihre Beschreibung auch der damit verbundenen massiven psychischen Dekompensation entspreche der klinischen Erfahrung mit Missbrauchsopfern, ihrer Amnesie bezüglich schwerer und langanhaltender Traumatisierung im Kindesalter und dem Prozess der Wiedererinnerung. Die Überprüfung der von der Klägerin gemachten Aussage über den sexuellen Missbrauch anhand von Realkriterien führe zu ihrer Glaubhaftigkeit, auch wenn eine vollständige und hinreichend strukturierte Aussage zu den schädigenden Ereignissen nicht zu erhalten gewesen sei. Die Klägerin habe einzelne fragmentarische Szenen geschildert und etwa beschrieben, wie sich der Lebensstandard der Familie durch das Vermietetwerden verändert habe. Bei der Schilderung des Sachverhalts der Kinderprostitution sei es zu starken dissoziativen Abwehrreaktionen gekommen. Die Klägerin sei dabei in zwei Persönlichkeitsanteile gespalten gewesen: "E" und "L". Dem Persönlichkeitsanteil "E", der über die Erlebnisse des Persönlichkeitsanteils "L" berichtet habe, falle es schwer, den Kontakt zur aktuellen Realität aufrechtzuerhalten. Die schriftlichen Aussagen der Klägerin zu den sexuellen Misshandlungen seien ausreichend konkret, originell und detailliert. Die anamnestischen Angaben der Schwester der Klägerin hätten viele ihrer Angaben bestätigt.
Die Aussagen der Klägerin hinsichtlich der Misshandlungen durch die Mutter seien in die konkrete Lebenssituation eingepasst gewesen. Die Schilderungen hätten auch konkrete und originelle Einzeldetails enthalten, etwa die Tatsache, dass die Klägerin nackt vor ihrer Mutter habe den Boden putzen müssen. Die Unberechenbarkeit und die Sadismen der Mutter sowie das Ausmaß der eskalierenden Gewalt seien glaubhaft vermittelt worden ebenso wie der massive innere Konflikt, wenn die Geschwister sich gegenseitig hätten bestrafen müssen. Die Klägerin habe konstant und glaubhaft von Gewalt durch ihre Mutter erzählt.
Nach Ansicht der Klägerin haben die Ergebnisse der Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. G ihre Angaben bestätigt. Der Beklagte ist den Ausführungen des Gutachtens entgegen getreten. Er hat vorgetragen, es handele sich nicht um ein aussagepsychologisches Gutachten. Eine Vermengung der Erkenntnisziele der Glaubhaftigkeit einerseits und des Vorliegens einer psychischen Störung andererseits führe zu unsicheren und spekulativen Ergebnissen. Vor einer gutachterlichen Untersuchung einer psychischen Störung müsse geklärt werden, von welchem nachgewiesenen Ereignis der Gutachter als mögliche Ursache auszugehen habe. Insoweit seien mögliche Tatzeugen wie der Bruder und die Mutter der Klägerin nicht vernommen worden.
Der Versuch, die Mutter und den Bruder der Klägerin gerichtlich zu vernehmen, ist gescheitert, weil beide von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben.
Mit dem angefochtenen Urteil vom Urteil vom 12.01.2009 hat das SG den Beklagten antragsgemäß verurteilt, der Klägerin ab dem 01.06.2001 Versorgungsgrundrente nach einem GdS von 70 zu gewähren. Das Gericht hat zur Begründung ausgeführt, die Klägerin sei seit ihrem vierten, mindestens bis zum zwölften Lebensjahr, Opfer zahlreicher, vorsätzlich rechtswidriger, tätlicher Angriffe geworden. Das Gericht habe keine Bedenken, die Angaben der Klägerin über praktisch tägliche schwere Prügel durch ihre Mutter aus nichtigen Anlässen der Entscheidung zugrundezulegen. Zwar hätten dazu keine Zeugen gehört werden können. Die behandelnde Ärztin habe aber bestätigt, dass die Schwester der Klägerin im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung zahlreiche Angaben über das gewalttätige Milieu innerhalb der Familie gemacht habe. Die Schwester der Klägerin habe der Ärztin gegenüber ausführlich dargestellt, dass das Leben mit der Mutter nach der Trennung vom Vater die Hölle gewesen sei und die Mutter alle Kinder aus nichtigen Anlässen oft und heftig verprügelt habe. Darüber hinaus sei auch aufgrund der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. G von der Glaubhaftigkeit der Angaben auszugehen. Der Sachverständige habe die Angaben der Klägerin unter aussagepsychologischen Gesichtspunkten bewertet und keine wesentliche Einschränkung der Aussagefähigkeit feststellen können. Die Darstellung der Klägerin entspreche den empirischen Befunden über die Amnesie bezüglich schwerer und langanhaltender Traumatisierung im Kindesalter bei schweren dissoziativen Störungen und dem Prozess des Wiedererinnerns, ausgelöst durch entsprechende Trigger und im therapeutischen Prozess. Ein Rachemotiv sei bei der Klägerin nicht zu erkennen. Die Glaubhaftigkeitskriterien wie Originalität, Detailliertheit und Schilderungen des eigenen psychischen Erlebens seien in hinreichendem Maße erfüllt. Ebenfalls glaubhaft seien die Angaben der Klägerin zu dem sexuellen Missbrauch durch ihre Mutter sowie zur Kinderprostitution. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass ebenfalls sämtliche aussagepsychologischen Kriterien insoweit erfüllt seien.
Mit seiner gegen dieses Urteil rechtzeitig eingelegten Berufung führt der Beklagte aus, die Angaben der Klägerin seien nicht hinreichend glaubhaft. Aufgrund ihrer besonderen Beziehung zu ihrer Zwillingsschwester könne nicht von einer voneinander unabhängigen Entstehung der Aussage ausgegangen werden. Die Angaben der Klägerin zu den schädigenden Ereignissen könnten nicht isoliert von den Angaben gesehen werden, die eine Problematik im Elternhaus und die hochambivalente Beziehung zur Mutter beträfen. Das strategische Vorgehen des Sachverständigen entspreche nicht den Anforderungen an ein wissenschaftliches Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie u.a. der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Grundsatzurteil vom 30.07.1999 (Aktenzeichen 1 StR 618/98) aufgestellt habe. Problematisch sei auch die gutachterliche Wertung der Aussageentstehung und der Aussagetüchtigkeit. Die vorliegende Fallgestaltung vereine nahezu alle in der wissenschaftlichen Fachliteratur angegebenen Faktoren, die eine Erlebnisbasierung einer wiedergefundenen Erinnerung in Frage stellten. Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12.01.2009 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil weiterhin für zutreffend. Sie beruft sich auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G, das nach ihrer Ansicht aussagepsychologischen Kriterien entspricht.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch ein aussagepsychologisches Gutachten nach Aktenlage der Dipl.-Psychologin G1. Die Sachverständige führt darin aus, aufgrund der medizinischen Befunde sei aus aussagepsychologischer Sicht zum Einen die These einer eingeschränkten Aussagetüchtigkeit aufgrund der Diagnosen eines Alkohol- und Drogenmissbrauchs zwischen 1987 und 1998 nicht zurückzuweisen. Bei Personen, die wie die Klägerin an einer dissoziativen Identitätsstörung litten und Angaben über die die Störung etwaig begründenden Erlebnisse machen sollten, sei die Fähigkeit einer gerichtsverwertbaren Aussage in der Regel stark eingeschränkt. Nur unter besonders günstigen Bedingungen könne trotz nachgewiesener dissoziativer Symptomatik und Substanzmissbrauchs die Zurückweisung der Suggestionshypothese denkbar sein. Insoweit fehle es schon an Angaben professioneller Dritter oder Angehöriger über die fraglichen Lebensumstände. Mit Blick auf die Aussagegeschichte der Klägerin sei zum Anderen der langjährige Gedächtnisverlust der Klägerin für die strittigen Geschehnisse von Bedeutung sowie der Mangel an konstanten Aussagen über die Beschuldigten sowie über Dauer, Art und Ausmaß der fraglichen Handlungen. Zudem hätten die Erinnerungen zunächst ausschließlich in Form von Bildern, sog. "Flashbacks" und "Körpererinnerungen" vorgelegen und seien über die Zeit ausgeweitet worden. Auffallend seien auch eine ausgeprägte Nähe der Klägerin in der Phase der Wiedererinnerung zu ihrer Schwester sowie die Angabe extremer und bizarrer Erfahrungen wie diejenigen über einen satanischen Kult sowie der Mangel an Angaben professioneller Dritter über die angeblich auffälligen Erlebnis- und Verhaltensweisen der Klägerin in Kindheit und Jugend. In der Kombination verwiesen die Amnesie, die Art der Wiedererinnerung bzw. der ersten Erinnerung, das inkonsistente Vorbringen, die Ausweitung der ursprünglichen Belastung und die Reichweite der angeblichen Erinnerungen in ausgeprägtem Maß auf die Begünstigung autosuggestiver Prozesse. Sie stünden damit im Einklang mit der Annahme erlebnisferner Bekundungen. Diese Einschätzung werde durch den Umstand gestützt, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass die Klägerin im Erinnerungsprozess in bedeutendem Maßstab durch einschlägige Literatur und Angaben bedeutsamer Dritter suggestiv beeinflusst worden sei. Die vom Sachverständigen Prof. Dr. G hervorgehobene sachliche Qualität der Aussage stehe der Suggestionshypothese nicht entgegen. Nach aktuellem Forschungsstand könnten auch Scheinerinnerungen eine hohe inhaltliche Qualität annehmen.
Ferner hat der Senat den Bruder und die Mutter in einem Beweistermin durch den Berichterstatter am 04.02.2011 als Zeugen vernommen. Der Bruder der Klägerin, der Zeuge B M, hat angegeben, nach der Scheidung der Eltern sei die Familie in die Werkswohnung in N gezogen. Es habe ständig Reibungspunkte gegeben, weil die Mutter habe arbeiten müssen. Er habe Druck auf seine Schwestern ausüben müssen, damit die sich an den Hausarbeiten beteiligten. Die Mutter habe ihre Kinder aufgrund von angestautem Ärger in größeren Zeitabständen körperlich gezüchtigt. Dabei habe sie auch einen Teppichklopfer oder einen Holzlöffel zu Hilfe genommen. Diese Schläge seien aber nicht regelmäßig gewesen sondern nur, wenn sich der angestaute Ärger der Mutter entladen habe. Seiner Erinnerung nach seien die Züchtigungen für die Mutter selber unangenehm gewesen. Gegenseitig hätten die Geschwister sich nicht schlagen müssen. Die Wochenenden habe er meistens mit seinen Schwestern verbracht. Die Behauptung, seine Mutter sei Mitglied eines Satanskults gewesen und seine Schwestern seien an Wochenenden zur Prostitution gezwungen worden, hat der Zeuge mit ungläubigem Lachen quittiert und sodann mit Sicherheit ausgeschlossen. Eine häufige Abwesenheit seiner Schwestern wäre ihm mit Sicherheit in Erinnerung geblieben. Vielmehr hätten sie zumindest in der Kindheit die Wochenenden zumeist gemeinsam verbracht.
Die Mutter der Klägerin, die Zeugin T, hat eingeräumt, die Kinder alle drei oder vier Wochen körperlich gezüchtigt zu haben, wenn ihr "der Geduldsfaden gerissen" sei. Dies sei aber immer erst nach vorheriger Ermahnung geschehen. An den Wochenenden hätten die Kinder draußen gespielt oder seien in ihren Zimmern gewesen und hätten etwa ferngesehen. Mit dem Vater hätten sie Ausflüge unternommen. Die Behauptung, die Klägerin sei zur Prostitution gezwungen worden, hat die Zeugin erschüttert zurückgewiesen.
Zudem hat der Senat die Klägerin und ihre Schwester im Senatstermin nochmals persönlich angehört. Angaben über den Aufenthaltsort ihres Bruders während ihres angeblichen Abtransports zur Prostitution konnte die Klägerin nicht machen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das angefochtene zusprechende Urteil der ersten Instanz war zu ändern und die Klage abzuweisen. Denn der vom Beklagten erlassene Bescheid vom 21.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2003 erweist sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Senats als rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 i.V.m. § 10 a Opferentschädigungsgesetz (OEG) und § 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG), weil sich ein vorsätzlicher, rechtswidriger, tätlicher Angriff auf die Klägerin im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 OEG nicht feststellen lässt.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält Versorgung nach den Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Nach der Härtefallregelung des § 10 a OEG gilt dies unter weiteren besonderen Voraussetzungen auch für Personen, die – wie die Klägerin – eine Schädigung vor dem Inkrafttreten des OEG am 16.05.1976 geltend machen (vgl. Bundessozialgericht – BSG – , Urt. v. 23.04.2009 – B 9 VG 1/08 R, Juris Rn. 28).
Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine soziale Entschädigung nach dem OEG, zu denen das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zählt, müssen grundsätzlich nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Zweifel mehr besteht (Landessozialgericht Nordrhein – Westfalen – LSG NRW – , Urt. v. 29.09.2010 – L 6 (7) VG 16/05, Juris Rn. 23 m.w.Nw.). Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens hält es der Senat indes nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß für wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit Opfer der von ihr behaupteten extremen körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 OEG geworden ist.
Die körperlichen Züchtigungen durch ihre Mutter in der Kindheit der Klägerin erfüllen nicht die Voraussetzungen eines rechtswidrigen, tätlichen, vorsätzlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. S. 1 OEG. Danach ist als tätlicher Angriff eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, die in aller Regel den Tatbestand einer (jedenfalls versuchten) vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (vgl. BSG, Urt. v. 29.04.2010 – B 9 VG 1/09 R, Juris Rn. 25 m.w.Nw.).
Die Züchtigung eines Kindes durch Schläge stellt eine gewaltsame, auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung dar. Ob eine solche körperliche Züchtigung zu Erziehungszwecken dabei stets auch die für das Vorliegen eines tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 OEG erforderliche feindselige Willensrichtung aufweist, kann dahinstehen. Denn mögliche tätliche Angriffe auf die Klägerin durch körperliche Züchtigungen waren jedenfalls nicht rechtswidrig. Soweit sich die lange zurückliegenden körperlichen Züchtigungen der Klägerin durch ihre Mutter zur Überzeugung des Senats im Einzelnen überhaupt noch feststellen ließen, waren sie nach der damals geltenden Gesetzeslage vom elterlichen Züchtigungsrecht gedeckt.
Züchtigungen waren bis zur Abschaffung des sog. Elterlichen Züchtigungsrechts im Rahmen der Neufassung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB – (durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 02.11.2000) nicht per se rechtswidrig. Zum Zeitpunkt der angeschuldigten Taten zwischen 1964 und ca. 1977 verblieb Eltern bei der Erziehung von Kindern nach der damaligen Rechtslage (und Gesellschaftsauffassung) eine Befugnis zur maßvollen körperlichen Züchtigung. Sogar die Verwendung eines Schlaggegenstandes erfüllte nach den damaligen strafrechtlichen Maßstäben noch nicht zwingend das Merkmal einer verbotenen und damit ggf. als Körperverletzung strafbaren Erziehungsmaßnahme i.S.v. § 223 Strafgesetzbuch (StGB). Zu Erziehungszwecken erlaubte Schläge von strafbaren Körperverletzungen abzugrenzen erforderte jeweils eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigte (vergleiche BGH in Strafsachen, Urteil vom 25.11.1986 – 4 StR 605/86, Juris Rn. 4 m.w.Nw.).
Danach vermag der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht festzustellen, dass die Mutter der Klägerin die Grenzen des elterlichen Züchtigungsrechts, welches ihr die Rechtsordnung zum Tatzeitpunkt noch zubilligte, in strafbarer Weise überschritten hat. Vielmehr erfolgten die feststellbaren körperlichen Züchtigungen der Klägerin und ihrer Geschwister als letztes Mittel, um unter schwierigen äußeren Bedingungen die familiäre Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Der Senat stützt diese Feststellungen maßgeblich auf die glaubhafte Aussage des Zeugen B M, des Bruders der Klägerin, im Berufungsverfahren. Der Zeuge hat seine Erinnerung an die Familienverhältnisse dem Gericht ungeschönt und realistisch vermittelt. Er hat ruhig, besonnen und ausgewogen berichtet. Seine Äußerungen waren ersichtlich von dem Bemühen geprägt, die noch vorhandenen Erinnerungen wahrheitsgemäß wiederzugeben. Der Zeuge vermochte lebensnahe Details wiederzugeben, Handlungskomplikationen zu schildern und dabei situationsangemessen eigene Gefühle zu beschreiben. Dies alles spricht für die Wiedergabe von tatsächlich Erlebtem und gegen das Abspulen einer erfundenen Geschichte (vgl. Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. 1, 2. Aufl. Rn. 231 ff.). Der Senat konnte sich insoweit auf den vom Berichterstatter im Erörterungstermin gewonnenen persönlichen Eindruck von dem Zeugen stützen, weil der Berichterstatter diesen Eindruck zu Protokoll diktiert und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 117 Rn. 5a m.w.Nw.).
Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen hat der Senat nicht. Das Bild, das der Zeuge von seiner Mutter, der Zeugin T, gezeichnet hat, erscheint realistisch und ungeschönt. Von den gravierenden Vorwürfen der Klägerin gegen seine Mutter wusste der Zeuge nichts. Auf entsprechende Vorhalte hat er glaubhaft überrascht und teilweise fassungslos reagiert. Ohnehin hatte der Zeuge sich vor seiner Aussage über Jahre hinweg mit seiner Mutter zerstritten. Anlass, sie gegenüber dem Gericht in besonders günstigem Lichte darzustellen, hatte er daher nicht.
Auf der Grundlage insbesondere der Aussage des Zeugen M geht der Senat daher von folgenden Tatsachen aus: Die Klägerin und ihre beiden Geschwister waren an Arbeitstagen immer wieder stundenweise auf sich allein gestellt, da ihre allein erziehende Mutter berufstätig war und adäquate Betreuungsangebote durch Dritte, wie sie heute zunehmend selbstverständlich werden, nicht zur Verfügung standen. Die Kinder mussten vom Kindesalter an ihre Zimmer aufräumen, putzen oder andere Pflichten im Haushalt übernehmen. Dabei sollte der ältere Bruder seine Schwestern zur Pflichterfüllung anhalten. Unter Anderem deshalb stritten sich die Kinder bisweilen und gerieten auch in Streit mit ihrer Mutter. Der Zeuge M hat in diesem Zusammenhang nachvollziehbar geschildert, wie seine Mutter, die Zeugin T, in Abständen von Wochen zur körperlichen Züchtigung ihrer Kinder gegriffen hat, wenn sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste. Etwa weil die Kinder ihren Pflichten im Haushalt nicht nachgekommen waren und zudem auf entsprechende Ermahnungen uneinsichtig und aufsässig reagiert hatten. Nur mit diesem letzten Mittel der körperlichen Züchtigung meinte ihre Mutter, die Disziplin wiederherstellen zu können, die für ein Zusammenleben in räumlich und zunächst auch materiell beengten Verhältnissen unerlässlich erschien. Soweit die Mutter der Klägerin ihre Kinder aus diesem Grund körperlich gezüchtigt hat, gab sie ihnen im Wesentlichen Schläge auf das bekleidete Hinterteil. Der Zeuge M hat diese Art der Bestrafung plastisch als "das klassische alte Übers-Knie-Legen" beschrieben. Damit hat er gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass sich die von seiner Mutter verabreichten Schläge im Rahmen des in dieser Zeit Üblichen und noch Akzeptierten hielten. Der Zeuge M hat dabei sichtbar bewegt geschildert, wie unglücklich seine Mutter selber über die von ihr als notwendiges Übel angesehene Züchtigung ihrer Kinder gewesen ist. Von Schlägen ins Gesicht der Kinder oder von schwerer Prügel mit Schuhen, Gürteln oder einem Backblech hat der Zeuge dagegen nichts berichtet.
Die Angaben der Zeugin T decken sich in den Grundzügen mit den Angaben ihres Sohnes, des Zeugen M, trotz einer gewissen Tendenz, den Umfang der Züchtigungen herunterzuspielen. Die Zeugin T hat aber freimütig und detailliert über die zuweilen schwierigen Familienverhältnisse berichtet. Sie hat insbesondere auf Nachfrage eingeräumt, etwa alle vier Wochen ihre Kinder körperlich gezüchtet zu haben, allerdings zumeist mit der Hand und nur gelegentlich mit Gegenständen. Schläge waren dabei nach ihren Angaben, die insoweit mit denjenigen des Zeugen M übereinstimmen, immer erst das letzte Mittel nach fruchtlosen Ermahnungen. Auch die Zeugin selbst hat angegeben, unter den von ihr als notwendig angesehenen Züchtigungen gelitten zu haben.
Demgegenüber hält der Senat die drastischen Schilderungen der Klägerin und ihrer Schwester von beinahe täglichen körperlichen Misshandlungen durch ihre aus sadistischer Lust an der Gewalt handelnde Mutter für grotesk übertrieben und insgesamt für unglaubhaft. Dauernde brutale Züchtigungen mit allen Arten von Gegenständen wie Gürteln, Schuhen oder einem Backblech sowie harte Schläge ins Gesicht "bis aufs Blut", wie von der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. G und schriftlich berichtet, hat der Zeuge M nicht einmal ansatzweise bestätigt. Dasselbe gilt für erniedrigende Maßnahmen wie das angebliche nächtliche Nacktputzen. Ebenso konnte der Zeuge sicher ausschließen, dass die Geschwister sich auf Geheiß ihrer Mutter gegenseitig schlagen mussten, wie es die Klägerin und ihre Schwester mit Bestimmtheit behauptet haben. Den von der Klägerin zum Beleg für die Brutalität ihrer Mutter berichteten Fall einer Bestrafung, nachdem die Kinder im Spiel eine chinesische Vase zerbrochen haben, hat der Zeuge ganz anders wiedergegeben. Während die Klägerin behauptet hat, ihre Schwester sei auf dem Boden liegend bis aufs Blut geprügelt und getreten worden, hat der Zeuge sich daran erinnert, selber "über´s Knie gelegt" worden zu sein. Die Zeugin T konnte sich eine körperliche Züchtigung in diesem Zusammenhang überhaupt nicht mehr in Erinnerung rufen.
Weder vom Gesamtbild der Situation noch von den konkret geschilderten Einzelheiten lässt sich die Schilderung der Klägerin mit den glaubhaften Erinnerungen ihres Bruders, des Zeugen M und der Aussage ihrer Mutter auch nur ansatzweise in Übereinstimmung bringen. Nach dem Eindruck der Klägerin, den sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vermittelt hat, verfügt sie nicht über verlässliche Erinnerungen an die Vorkommnisse in ihrer Kindheit und ist letztlich nicht aussagetüchtig. Dabei spricht auch die Grunderkrankung der Klägerin – medizinisch belegt – gegen die Verlässlichkeit ihrer Angaben. Schon der Bericht der Klinik X vom 05.03.1984 erwähnt in der Schilderung der Krankheitsgeschichte die hochambivalente, überwiegend negative Beziehung der Klägerin zu ihrer Mutter, die zu "wahrhaft blutrünstigen Hassgefühlen" geführt habe. In einem Bericht vom 09.03.1987 derselben Klinik über eine zweiwöchige stationäre Psychotherapie der Klägerin heißt es, die Klägerin habe ihrer Mutter vorgeworfen, diese liebe sie nicht und habe sie nie gewünscht. Diese vielfach auch an anderer Stelle dokumentierte extreme Gefühlslage weckt unüberwindliche Zweifel an der Fähigkeit der Klägerin, sich an lange zurückliegende Ereignisse in Kindheit zuverlässig zu erinnern und diese Erinnerungen wahrheitsgetreu wiederzugeben. Damit stellt der Senat gerade nicht die subjektive (heutige) Überzeugung der Klägerin in Abrede, die Wahrheit zu sagen. Dasselbe gilt für die schriftlich zu den Akten gereichten Angaben der Zwillingsschwester der Klägerin, I M, die nach den Feststellungen des Senats ebenfalls psychisch erkrankt ist. Aus ihren Äußerungen spricht ebenfalls eine krankheitsbedingt hoch aggressive Ablehnung und negative Überzeichnung ihrer Mutter. Nach den medizinischen Erkenntnissen und dem persönlichen Eindruck des Senats aus dem Termin ist die Zeugin I M letztlich ebenfalls nicht aussagetüchtig.
Der Senat sieht damit die bereits vor der Vernehmung der Zeugen M und T geäußerten Zweifel der Sachverständigen G1 an der Erlebnisfundierung der Aussage der Klägerin und ihrer Schwester bestätigt. Wie die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 19.11.2009 im Einzelnen überzeugend ausgeführt hat, spricht eine Reihe von Gesichtspunkten dafür, dass die heutigen Erinnerungen der Klägerin zum überwiegenden Teil auf Fremd- und Eigensuggestion beruhen. Das beginnt mit der Aussagegeschichte: Nach angeblich langjährigen psychogenen Amnesien für alle belastenden Angaben traten die ersten Erinnerungen der Klägerin in Gestalt so genannter "Flash-Backs" auf und wurden teilweise unter Verwendung von therapeutischen Techniken mit autosuggestiver Wirkung über die Zeit konkretisiert und ständig ausgeweitet. Auffällig sind auch die Reichweite der angeblichen Erinnerungen bis zurück in die frühe Kindheit und ihr teilweise extremer und bizarrer Charakter. Zudem weist die Sachverständige zu Recht darauf hin, dass angesichts der angeblichen extremen Erlebnisse schon vom Kindesalter an nach außen dokumentierte psychische und soziale Auffälligkeiten der Klägerin zu erwarten gewesen wären. Demgegenüber ist die psychische Erkrankung der Klägerin nach den glaubhaften Angaben ihrer Mutter und ihres Bruders erst in der Pubertät ausgebrochen. Nach Angaben der I-klinik Bad A vom 10.02.1999 ist die Klägerin sogar erst im Alter von 17 Jahren psychisch auffällig geworden.
Die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. G steht dem nicht entgegen. Soweit der Sachverständige meint, die von ihm erhobenen Aussagen der Klägerin wiesen ausreichende Realkennzeichen auf, um sie insgesamt für glaubhaft zu halten, vermag der Senat sich dieser Einschätzung – nach der Vernehmung der Zeugin T und des Zeugen M – nicht anzuschließen. Die glaubhaften Angaben vor allem des Zeugen M stehen zu den Behauptungen der Klägerin in fundamentalem, unauflösbaren Widerspruch. Die Aussagen der Zeugen waren dem Sachverständigen Prof. Dr. G bei der Abfassung seines Gutachtens nicht bekannt. Der Sachverständige hat zu wenig Gewicht auf die Entstehung der Aussage der Klägerin gerichtet, wie es angesichts des langen Gedächtnisverlustes und der zahlreichen Therapien und Krankenhausaufenthalte erforderlich gewesen wäre. Das hat die Sachverständigen G1 im Einzelnen überzeugend dargelegt.
Soweit die Klägerin und ihre Schwester schließlich mehrfach jahrelangen extremen sexuellen Missbrauch durch eine satanistische Sekte sowie in Form von Kinderprostitution behauptet haben, handelt es sich um Ergebnisse krankheitsbedingter Autosuggestion ohne jede Erlebnisfundierung. Vor dem Hintergrund des vom Zeugen M und von der Zeugin T glaubhaft geschilderten Familienlebens der Klägerin, ihrer Geschwister und ihrer Mutter ist es objektiv ausgeschlossen, dass die Klägerin und ihre Schwester regelmäßig am Wochenende zur Kinderprostitution gebracht oder sogar abgeholt worden sein könnten, ohne dass ihr Bruder davon irgendetwas bemerkt haben könnte. Demgegenüber hat der Zeuge M angegeben, die Wochenenden zumeist mit seinen Schwestern verbracht und oft mit ihnen gespielt zu haben. Es ist bezeichnend, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf die Frage nach dem Aufenthalt ihres Bruders während des behaupteten sexuellen Missbrauch nur angeben konnte, sie wisse nicht, wo er sich befunden habe. In der im wesentlichen ihrer Krankheit entsprungenen Vorstellung über ihre Kindheit fehlen alle nahe liegenden realistischen Bezugspunkte, wie sie bei einer erlebnisfundierten Aussage zu erwarten wären. Das gilt erst recht für die Behauptungen der Klägerin über einen rituellen sexuellen Missbrauch durch eine satanistische Sekte. Als das Gericht die Zeugin T – angeblich eine der Drahtzieherinnen dieses Missbrauchs – in allgemeiner Form nach dem Begriff Satanismus befragt hat, hat die Zeugin sichtbar und glaubhaft verblüfft reagiert, weil sie schon mit dem Begriff nichts anzufangen wusste. Der Zeuge M hat auf den Vorhalt, seine Schwester habe seiner Mutter des Satanismus bezichtigt, mit ungläubigem Lachen reagiert und diese Behauptung, nachvollziehbar als völlig absurd bezeichnet. Der Senat berücksichtigt i.Ü., dass auch der Sachverständige Prof. Dr. G im medizinischen Teil seines Gutachtens von unterschiedlichen "Persönlichkeitsanteilen" der Klägerin mit kaum vorhandenem Realitätsbezug ausgeht. Auch danach war ihre Aussagetüchtigkeit nicht gegeben. Das Fehlen einer nachvollziehbarer Erklärung, warum dieser Sachverständige die Angaben der Klägerin im Ergebnis dennoch als wahr zugrunde gelegt hat, entwertet die Überzeugungskraft der von ihm gezogenen Schlussfolgerungen.
Soweit die Klägerin schließlich gegenüber dem Sachverständigen schriftlich angegeben hat, der Vater "gehe an die Mädchen ´ran und mache lustige Kinderspiele" sind diese Angaben schon viel zu verklausuliert und unpräzise, um auf dieser Grundlage einen sexuellen Missbrauch und damit einen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 OEG feststellen zu können. Die Klägerin hat den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegenüber ihrem Vater ohnehin nur ganz am Rande erwähnt und vor allem die angeblichen Misshandlungen durch ihre Mutter angeführt, um ihr Begehren zu stützen. Zudem hat der Senat auf der Grundlage der Ausführungen der Sachverständigen G1 an der Zuverlässigkeit der Erinnerungen der Klägerin auch hinsichtlich der vagen Andeutungen über einen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater dieselben erheblichen und nicht ausräumbaren Zweifel wie an ihren sonstigen Erinnerungen an angebliche schwere sexuelle und körperliche Misshandlungen in ihrer Kindheit.
Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs. 3 OEG i.V.m. § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) kommt der Klägerin nicht zugute. Nach S. 1 dieser Vorschrift sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zu Grunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind und die Angaben glaubhaft erscheinen.
Diese Vorschrift, die auch im gerichtlichen Verfahren anzuwenden ist, greift nicht nur beim Verlust von Unterlagen, sondern in analoger Anwendung ebenfalls dann ein, wenn andere Beweismittel wie zum Beispiel Zeugen nicht vorhanden sind. Sie soll so auch die Beweisnot von Verbrechensopfern lindern, wenn die Tat ohne Zeugen geschieht und sich der Täter seiner Feststellung entzieht (BSG, Urt. v. 31.05.1989 – 9 RVg 3/89, Juris Rn. 11 ff.).
Liegen dagegen – wie hier – Beweismittel vor und stützen diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetzt (vgl. LSG NRW, Urt. v. 29.09.2010 – L 6 (7) VG 16/05, Juris Rn. 24).
Dass somit die anspruchsbegründenden Tatsachen, insbesondere ein Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 OEG, nach alldem nicht bewiesen werden konnten, geht nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 103 Rn. 19 a m.w.Nw.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Voraussetzungen für die Revisionszulassung liegen nicht vor.
Erstellt am: 18.08.2011
Zuletzt verändert am: 18.08.2011