Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 13.08.2007 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte zu erstatten. Die Beklagte trägt Gerichtskosten in Höhe von EUR 225. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf (große) Witwenrente.
Die 1945 geborene, in Marokko lebende Klägerin ist die Witwe des 1940 geborenen und am 00.00.1993 verstorbenen marokkanischen Staatsangehörigen N B (im Folgenden: Versicherter). Sie hat nach dem Tod des Versicherten nicht wieder geheiratet.
Der Versicherte war 1965 und – mit Unterbrechungen – von 1969 bis 1975 im deutschen Steinkohlenbergbau beschäftigt, und hat während dieser Zeit Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Am 21.01.1975 erlitt er während der Arbeit einen Unfall, bei dem er sich eine Verletzung des rechten Knies zuzog. Nach diesem Unfall fuhr er nicht mehr an. Er war zunächst bis zum 25.05.1975 arbeitsunfähig krank, nahm anschließend vom 26.05. bis 02.06.1975 Tarifurlaub, kehrte zum 03.06.1975 ab und nach Marokko zurück.
Auf seinen Antrag vom 08.04.1977 entschied die Beklagte, dass dem Versicherten die bis zum 02.06.1975 an die deutsche Rentenversicherung entrichteten (Arbeitnehmer-)Beiträge in Höhe von DM 9.444,80 erstattet werden und wies gleichzeitig darauf hin, dass die Erstattung (Renten-)Ansprüche aus den zurückgelegten Versicherungszeiten ausschließe (Bescheid vom 07.12.1977). Dieser Bescheid ist dem Versicherten am 09.02.1978 zugestellt worden.
Auf seinen Antrag von April 1979 gewährte ihm die (frühere) Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) wegen der Folgen des Unfalls vom 21.01.1975 Verletztenrente auf Dauer nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. (Bescheid vom 08.10.1980). Gegenüber der Oberpostdirektion T bemängelte der Versicherte Anfang 1990, dass die Zahlung der Verletztenrente für März 1989 nicht eingegangen sei. Im Juni 1990 wies er erneut daraufhin, dass das Geld für März 1989 noch nicht eingegangen sei. Im Juli 1990 teilte die Deutsche Bundesbank mit, dass nach Auskunft der marokkanischen Korrespondenzbank die Rentenzahlungen für März 1989 am 24.03.1989 per Scheck durch die Niederlassung in P ausgezahlt worden sei. Dazu erwiderte der Versicherte im August 1990 zunächst, dass er den Eingang des Geldes nicht nachvollziehen könne und teilte im September 1990 mit, er habe den Betrag für März 1989 bekommen und bedanke sich sehr für die gute Arbeit.
Im November 1990 beantragte der Versicherte bei der Beklagten Knappschaftsrente wegen Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit. Der Antrag blieb im Verwaltungs- und Gerichtverfahren erfolglos, weil die durchgeführten Beitragserstattung Rentenansprüche ausschließe (Bescheid vom 09.01.1991, Widerspruchsbescheid vom 28.03.1991; Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 05.05.1992; Berufungsurteil des erkennenden Senats vom 23.03.1993).
Im November 1993 unterrichtete die Klägerin die BBG vom Tod des Versicherten und bat, die Rente nunmehr an sie zu zahlen. Die BBG lehnte ab, Hinterbliebenenrente zu zahlen (Bescheid vom 05.08.1994, Widerspruchsbescheid vom 18.10.1994; Urteil des SG Dortmund vom 31.03.1995, Urteil des Landessozialgericht NRW vom 24.08.1998). Anschließend leitete die BBG den Antrag vom November 1993 an die Beklagte weiter, die ihn als Antrag auf Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bearbeitete. Sie fand keine Rentenakten des Versicherten und legte eine "Ersatzakte" an, in die sie auch die gespeicherten (verschlüsselten) Angaben zum Versicherungsleben des Versicherten einordnete (Ausdruck in Form eines sog. Kontospiegels – KTSI). Daraus ergab sich für die Beklagte, dass der Versicherte bis einschließlich 1971 auch unter dem Namen N R gemeldet und registriert war und dass ihm die bis zum 02.06.1975 entrichteten Beiträge in Höhe von DM 9.444,80 mit Bescheid vom 07.12.1977 erstattet worden waren. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab, weil durch die Beitragserstattung auf die Wartezeit anrechenbare deutsche Versicherungszeiten nicht mehr vorhanden seien (Bescheid vom 21.03.1997; Widerspruchsbescheid vom 13.05.1997). Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Im September 1998 beantragte die Klägerin erneut Witwenrente. Die Beklagte lehnte auch den zweiten Rentenantrag ab (Bescheid vom 16.09.1998). Dieser Bescheid wurde ebenfalls bestandskräftig.
Im April 2006 beantragte die Klägerin über die marokkanische Verbindungsstelle CNSS (Caisse Nationale de Securité Sociale) in Casablanca erneut Witwenrente. Die Beklagte stützte sich für ihre erneute ablehnende Entscheidung (Bescheid vom 18.04.2006; Widerspruchsbescheid vom 06.09.2006) auf die (offenbar unveränderten) Angaben im Geamtkontospiegel vom 12.04.2006.
Mit ihrer Klage vom 13.11.2006 hat die Klägerin weiter Witwenrente begehrt. Die Beklagte hat ihre Entscheidung für richtig gehalten. Das SG hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen (Gerichtsbescheid vom 13.08.2007).
Dagegen hat die Klägerin am 20.09.2007 Berufung eingelegt. Sie beziehe keine Rente in Marokko. Ihr Ehemann habe eine kleine Vergütung wegen eines Arbeitsunfalls bekommen. Diese habe mit seiner Krankheit begonnen und sei bis zu seinem Tode geblieben. Sie habe danach die ganze Zeit auf die Entschädigung wegen des Todes und wegen der ihr international zustehenden Rente gewartet. Ihr Ehemann habe wegen des Unfalls keine andere Entschädigung bekommen und auch keine von der Rentenversicherung. Die Beklagte habe den ihr obliegenden Nachweis, dass der Versicherte einen Erstattungsbetrag tatsächlich erhalten habe, nicht erbracht.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 13.08.2007 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18.04.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2006 zu verurteilen, ihr ab dem 01.02.2006 große Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus unerklärlichen Gründen seien die alten Aktenunterlagen nicht auffindbar, so dass die Beklagte nur auf die im Versicherungskonto gespeicherten Daten zurückgreifen könne. Es sei davon auszugehen, dass der Versicherte den Zahlbetrag der dokumentierten Beitragserstattung auch erhalten habe. Die Klägerin habe diese Beitragserstattung im Rahmen der beiden vorangehenden Verfahren nicht bestritten und den früheren ablehnenden Entscheidungen nicht widersprochen.
Archivnachfragen zu allen Namensvarianten des Versicherten blieben erfolglos. Im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.02.2011 legte die Beklagte erstmals einen weitgehend unverschlüsselten Auszug aus dem Versicherungskonto vor, in dem u.a. das frühere Klage- und Berufungsverfahren des Versicherten dokumentiert war. Um diesem neuen Vorbringen nachzugehen, musste die mündliche Verhandlung vertagt werden. Aufgrund der Angaben der Beklagten im Termin am 17.02.2011 konnte das Senatsurteil vom 23.03.1993 aufgefunden werden.
Daraufhin hat der (vormals zuständige 2.) Senat die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Anwendung von § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Betracht komme und Berufung – nach Anhörung der Beteiligten – auf den Berichterstatter übertragen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der BBG Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann auf der Grundlage des – grundsätzlich für das weitere Verfahren bindenden (Keller in: Meyer-Ladewig u.a … Sozialgerichtsgesetz. Kommentar. 9. Aufl. 2008, § 153 Rdnr 25) – Beschlusses vom 31.05.2011 durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden (sog. kleine Richterbank). Die Übertragung auf den Berichterstatter erfolgt abstrakt generell und bezieht sich auf den jeweiligen Berichterstatter, so dass die Übernahme der Streitsache durch einen anderen Senat insoweit keine Änderung der Rechtslage bewirkt; im Übrigen ist dadurch hier auch keine Änderung in der Person des Berichterstatters eingetreten.
Die Berufung ist unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 18.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2006 (vgl § 95 SGG), mit dem die Beklagte (erneut) originär über den Anspruch der Klägerin auf (große) Witwenrente entschieden hat, ohne sich auf die Bestandskraft früherer Bescheide zu berufen.
Zu Recht hat das SG die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 18.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.09.2006 nicht beschwert, weil dieser Bescheid nicht rechtswidrig ist, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Die Entscheidung der Beklagten ist im Ergebnis zutreffend, weil ein Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nach ihrem 1993 verstorbenen Ehemann nicht besteht. Die Voraussetzungen des – hier einzig als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden – § 46 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) liegen nicht vor.
Nach § 46 Abs 2 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, (u.a.) Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie [ …] das 45. Lebensjahr vollendet haben [ …]. Die Klägerin ist die Witwe des verstorbenen Versicherten, hat nach dessen Tod nicht wieder geheiratet und das 45. Lebensjahr längst vollendet. Trotzdem ist ein Rentenzahlungsansprüche begründendes Stammrecht auf Witwenrente nicht entstanden, weil der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt hat.
Die allgemeine Wartezeit beträgt bei Renten wegen Todes fünf Jahre, § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI. Für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Kalendermonate mit Beitragszeiten (§§ 51 Abs 1 und 4, 54f SGB VI) lagen beim versicherten Ehegatten im Zeitpunkt des Todes nicht (mehr) vor. Es trifft zu, dass er von 1965 bis 1975 in Deutschland gearbeitet und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Deshalb sind zunächst – eine Rentenanwartschaft begründende – Beitragszeiten vorhanden gewesen. Daraus kann die Klägerin jedoch heute keine Rechte – und damit auch keine Rentenansprüche – mehr herleiten, weil dem Versicherten diese Beiträge 1978 nach der damals maßgeblichen Vorschrift des § 95 Abs 1 Reichsknappschaftgesetz (RKG) von der Beklagten erstattet worden sind. Durch die Beitragserstattung ist das bis dahin bestehende Versicherungsverhältnis aufgelöst worden. Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestehen nicht mehr (so die damals maßgebliche, bis zum 31.12.1991 geltende Vorschrift § 95 Abs 7 RKG, gleichlautend § 1303 Abs 7 der Reichsversicherungsordnung (RVO), vgl dazu Bundessozialgericht (BSG) SozR 3 – 2200 § 1303 Nr 5; jetzt: § 210 Abs 6 S 2 und 3 SGB VI). Nach dem Inhalt der Akten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem Versicherten 1978 sämtliche Beiträge rechtswirksam erstattet worden sind.
Dabei kann dahin stehen, ob die von der Beklagten allein zum Nachweis herangezogenen Auszüge aus einem (verschlüsselten) elektronischen Versicherungskonto ("Kontospiegel") ausreichen nachzuweisen, dass (1) ein Erstattungsantrag, (2) ein Erstattungsbescheid und (3) außerdem eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend § 362 des Bürgerlichen Gesetzbuches) vorliegen (vgl dazu und besonders zur Beweislast: BSGE 80, 41 ff = SozR 3 – 2200 § 1303 Nr. 6; vgl auch Beschluss des Senats vom 21.09.2003, Az L 2 KN 19/03 und Urteile des Senats vom 16.08.2007, Az L 2 KN 259/06, vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06 und vom 16.12.2010, Az L 2 KN 169/09). Denn für den Senat steht auf der Grundlage der erwiesenen Hilfstatsachen, nämlich der Angaben im bei der Beklagten gespeicherten Versicherungskonto, des vom erkennenden Senat bereits im Urteil vom 23.03.1993 (in Auswertung der damals noch vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten) festgestellten Sachverhalts, der Interessenlage des Versicherten nach seiner endgültigen Rückkehr nach Marokko und nach der allgemeinen Lebenserfahrung mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) fest, dass alle drei Voraussetzungen erfüllt sind.
Es kann unentschieden bleiben, ob die rechtsgestaltende Wirkung der Beitragserstattung (hier: als rechtsvernichtende Einwendung) aus dem Erstattungsantrag, aus dem (bestandkräftigen) Erstattungsbescheid oder erst aus der Erfüllung der Erstattungsforderung folgt (s dazu Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.2001, Az L 2 KN 64/01 mwN). Hier liegen sowohl ein wirksamer Antrag als auch ein bestandskräftiger Erstattungsbescheid vor. Dies entnimmt der Senat außer aus den Angaben im "Kontospiegel" der Beklagten insbesondere aus den in Auswertung der früheren Verwaltungsakten der Beklagten erfolgten Feststellungen im Senatsurteil vom 23.03.1993. Danach hat der Versicherte im Mai 1977 ein – bereits damals nur auf Antrag durchzuführendes, vgl § 95 Abs 1 Satz 1 RKG – Verwaltungsverfahren eingeleitet, das die Beklagte mit Bescheid vom 07.12.1997, dem Versicherten nachweislich am 09.02.1978 zugestellt, abgeschlossen hat. In diesem Bescheid ist antragsgemäß eine Beitragserstattung von DM 9.440,80 mit dem Hinweis festgesetzt worden, dass die Erstattung spätere Ansprüche aus den zurückgelegten Zeiten ausschließe. Dafür, dass der Versicherte damals die Beitragserstattung gewählt hat, spricht außerdem, dass es im Zeitpunkt der Beitragserstattung keine Möglichkeit gab, Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung an in ihrem Heimatland lebende Marokkaner zu zahlen. Deshalb war es für einen in sein Heimatland zurückkehrenden Marokkaner sinnlos, die Beiträge auf seinem Versicherungskonto stehen zu lassen. Einer (späteren) Rentenzahlung stand die Regelung des § 105 Abs 1 Nr 1 RKG (gleichlautend § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO) entgegen. Danach ruhte der Anspruch auf Zahlung aus der Rente eines Ausländers, der sich freiwillig gewöhnlich außerhalb des Bundesgebiets aufhielt (vgl dazu Rzesnik. Das Ruhen von Renten bei Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Kompaß 1980, 157, 158f). Deshalb konnte der Kläger zur damaligen Zeit die zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge lediglich in Form der Beitragserstattung (§ 95 RKG, entsprechend: § 1303 RVO) verwerten. Etwas anderes galt damals auch nicht kraft eines Sozialversicherungsabkommens, da das Deutsch-Marokkanische Sozialversicherungsabkommen DMSVA erst 1981 abgeschlossen wurde und erst 1986 in Kraft trat (vgl zu alledem BSG SozR 3 – 6610 Artikel 5 Nr 1). Schließlich fügt sich auch der gewählte Zeitpunkt der Beitragserstattung nahtlos ins Bild. Die Beitragserstattung ist nämlich knapp 2 Jahre nach Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung, also kurz vor Ablauf der damals geltenden zweijährigen Wartefrist nach § 95 Abs 1 Satz 2 RKG (heute: § 210 Abs 2 SGB VI) erfolgt.
Die Beklagte hat ihre Erstattungsschuld auch erfüllt. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der auf Grund des Erstattungsbescheids geschuldete Erstattungsbetrag auch tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Versicherten gelangt ist und die Beklagte damit – wie von ihr auf der Grundlage der Angaben in ihrem elektronischen Versicherungskonto behauptet – die Leistung auch bewirkt hat. Diese Überzeugung leitet der Senat aus einem Beweis des ersten Anscheins her (sog. prima facie – Beweis). Diese Beweisregel gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSGE 8, 245, 247; 12, 242, 246; 19, 52, 54; Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a … SGG. Kommentar. 9. Auflage 2008. § 128 Rdnr 9 mwN; Pawlak in: Hennig. SGG. Stand August 2007. § 128 Rdnr 96; Zeihe. Das SGG und seine Anwendung. Stand November 2010. 3.G. vor § 103). Sie besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine Tatsache geschlossen werden kann, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig Folge eines solchen Geschehensablaufs ist (BSG in: Breithaupt 1999, 357, 362; Leitherer aaO Rdnr 9a). Dabei wird der (Voll-)Beweis einer Tatsache vermutet, so lange nicht Tatsachen erwiesen sind, die den vermuteten typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen (vgl Leitherer. aaO. Rndnr 9e mwN; Pawlak. aaO. Rdnrn 94, 99). Ein durch bewilligenden Bescheid abgeschlossenes Verwaltungsverfahren zur (vollständigen) Beitragserstattung lässt typischerweise den Schluss zu, dass die geschuldete Leistung auch bewirkt worden ist (Landessozialgericht (LSG) NRW, Urteil vom 03.06.2005, Aktenzeichen (Az)L 4 RJ 12/03; LSG Hamburg, Urteil vom 27.04.2006, Az L 6 RJ 89/04 mwN; Urteil des erkennenden Senats vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06). Dies muss jedenfalls gelten, wenn die Leistungsbewirkung nicht substantiiert bestritten worden ist und sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Leistungserbringung nicht zeitnah erfolgt ist (wie etwa zeitnahe Nachfragen des Versicherten, wo das Geld bleibe, vgl LSG NRW, Urteile vom 17.2.1997, Az L 4 J 16/95, und vom 03.06.2005 aE, Az L 4 RJ 12/03, Bay. LSG, Urteile vom 14.05.2002, Az L 19 RJ 3/02, und 08.12.2004, Az L 19 RJ 203/03). So liegt der Fall hier.
Eine Beitragserstattung wird regelmäßig mit den Ziel beantragt, zeitnah einen (idR höheren) Geldbetrag zur weiteren Verfügung zu erhalten. Ist ein solches Beitragserstattungsverfahren dokumentiert und bestehen keinerlei konkrete Zweifel, dass der verfolgte Zweck erfüllt worden ist, darf regelmäßig auf ein ordnungsgemäß durch Bewirken der Leistung abgeschlossenes Verfahren geschlossen werden. Es entspricht nämlich der allgemeinen Lebenserfahrung, dass derjenige, der einen bestandskräftigen Bescheid über eine Zahlung von fast 10.000 DM in Händen hält, aber das Geld nicht bekommt, sich nach dem Verbleib des Geldes erkundigt. Solche Nachfragen oder sonstige Schwierigkeiten bei der Abwicklung sind aber weder behauptet noch sonst ersichtlich. Im Gegenteil sprechen weitere Tatsachen für die Richtigkeit dieser Vermutung. Der Versicherte hat nämlich gegenüber der BBG eindrucksvoll dokumentiert, dass er die Zahlung einer geschuldeten Leistung genau beobachtet und ihr Ausbleiben umgehend reklamiert, als er sich über fast 1 ½ Jahre beharrlich und letztlich mit Erfolg um die Zahlung der ausgebliebenen Verletztenrente für März 1989 bemüht hat. Umstände, die geeignet sind, diese Vermutung zu erschüttern, sieht der Senat nicht.
Bei dieser Beweislage ist ohne Belang – und kann deshalb als zutreffend unterstellt werden – , dass die Klägerin von der Beitragserstattung nichts wusste ("keine Entschädigung von der Rentenversicherung").
Sonstige Tatbestände, die abgesehen von den Zeiten, für die die Beiträge erstattet worden sind, die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit begründen könnten, sind nicht ersichtlich, insbesondere nicht solche der vorzeitigen Wartezeiterfüllung im Sinne von § 53 SGB VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Sätze 1 und 3, 192 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 193 Abs 1 Satz 1 SGG.
Die darin angeordnete hälftige Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin durch die Beklagte beruht auf dem allein maßgeblichen Veranlassungsprinzip. Nach § 193 Abs 1 Satz 1 SGG (in der ab 1.6.1998 geltenden Fassung, BGBl I S 638) ist gerichtlich nach billigem (sachgemäßen) Ermessen zu beurteilen ist, inwieweit die Beteiligten einander Kosten zu erstatten habe (vgl dazu BSGE 6, 92, 93; 8, 178, 181; 14, 25, 26 sowie Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a … Kommentar zum SGG. 9. Auflage 2008, § 193 Rdnrn 12ff). Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Frage der Kostenerstattung ist damit nur das Veranlassungsprinzip (Leitherer. AaO, Rdnrn 12c und 13; Zeihe. Das Sozialgerichtsgesetz und seine Anwendung. 8. Auflage Stand November 2010, Anmerkung 7a zu § 193), d. h. es ist darauf abzustellen, welchem Beteiligten die Durch- bzw. Fortführung des Klageverfahrens zuzurechnen ist. Hiernach wird es in der Regel der Billigkeit entsprechen, wenn derjenige Kosten zu erstatten hat, der im Prozess unterlegen ist (BSG SozR Nr 4 zu § 193 SGG; Leitherer aaO Rdnr 12a). Die allein am Prozessausgang orientierte Betrachtungsweise ist jedoch nicht in allen Fällen angemessen, da nach dem Veranlassungsprinzip auch immer mit zu berücksichtigen ist, ob und ggf. inwieweit der beklagte Sozialleistungsträger – keine – Veranlassung zur Klageerhebung und ggf. zur weiteren Prozessführung geboten hat (Peters/Sautter/Wolff. Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit. 4. Auflage Stand Oktober 2010, § 193 III/109 -60, 61-).Danach kann auch eine unzulässige oder unbegründete Berufung dann zu einer Kostenerstattungspflicht des beklagten Sozialleistungsträgers führen, wenn und soweit dieser die Durch- oder Fortführung des Verfahrens aus sonstigen Gründen veranlasst hat (LSG NRW, Beschlüsse vom 28.02.2003 Az L 2 B 10/02 KN KR, vom 02.02.2004 Az L 2 B 23/03 KN KR und vom 23.04.2007 Az L 2 B 3/07 KN KR, vom 10.01.2007, Az L 2 B 49/07 KN, jeweils mwN). Danach hat die Beklagte die Prozessführung der Klägerin bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.02.2011 zurechenbar veranlasst, weil bis zu diesem Zeitpunkt für die Berufung der Klägerin Aussicht auf Erfolg bestand (vgl dazu auch den Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss des Senats vom 30.08.2010). Dies beruhte darauf, dass bis zur Vorlage des Auszugs aus dem Versichertenkonto des Versicherten in diesem Termin (zumindest Rest-)Zweifel bestanden, ob der Zugang des Erstattungsbescheids und die Erfüllung der Erstattungsforderung nachgewiesen waren, und sich diese Beweislage zum Nachteil der insoweit materiell beweispflichtigen Beklagten hätte auswirken können. Erst mit dem neuen Vortrag in diesem Termin und den daran anschließenden weiteren Ermittlungen des Senats hat sich die Beweislage verändert. Da die Klägerin das Verfahren aber auch nach diesem Zeitpunkt fortgeführt hat, ist die lediglich hälftige Kostenerstattung sachgerecht
Soweit der Beklagten Gerichtskosten auferlegt werden, beruht die Entscheidung auf §§ 192 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm mit Satz 3, 184 Abs 2 SGG. Danach sind einem Beteiligten vor den Landessozialgerichten Kosten von mindestens EUR 225 aufzuerlegen, wenn durch sein Verschulden die Vertagung einer mündlichen Verhandlung [ …] nötig geworden ist. Für die Annahme eines Verschuldens gilt der Maßstab der einfachen Fahrlässigkeit, also die einfache Verletzung einer prozessualen Sorgfaltspflicht (Leitherer. aaO. § 192 Rdnr 5 mwN). Zur Überzeugung des Senats hat die Beklagte hier sorgfaltswidrig unterlassen, die im Termin am 17.02.2011 vorgetragenen und durch einen schriftlichen (teilweise) unverschlüsselten Auszug aus dem Versichertenkonto belegte Tatsache, dass ein Berufungsverfahren zwischen ihr und dem Versicherten stattgefunden hatte, das am 23.03.1993 abgeschlossen wurde, bereits zu einem früheren Zeitpunkt mitzuteilen, und dadurch die ihr obliegende Prozessförderungspflicht verletzt. Diese Angaben haben dem Senat Anlass zu weiteren Ermittlungen gegeben, die im Termin selbst nicht mehr durchgeführt werden konnten, und ergeben, dass es sich beim 23.03.1993 um einen Dienstag – schon damals Sitzungstag des erkennenden Senats – handelte und dadurch zum Auffinden des Senatsurteils vom gleichen Tage im Urteilsarchiv geführt. Da es sich offenbar (Abweichendes hat die Beklagte auch nach dem Hinweis in der Verfügung vom 18.03.2011 nicht behauptet) um Angaben handelte, die der Beklagten schon während des gesamten, seit September 2007 andauernden Berufungsverfahrens zur Verfügung standen, hat die Beklagte prozessuale Sorgfaltspflichten verletzt, indem sie den ihr bereits früher möglichen, ihr günstigen Sachvortrag erst im Termin zur mündlichen Verhandlung präsentierte. Durch dieses Versäumnis ist die Vertagung auch nötig geworden, weil der neue Sachvortrag Veranlassung zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gab. Es mag sein, dass sich die maßgeblichen Daten (zum Teil?) bereits aus in den Akten befindlichen verschlüsselten Kontospiegeln ergaben. Die gerichtliche Amtsermittlungspflicht (§§ 103, 106 SGG) gebietet es indes nicht, für den Rechtsstreit u.U. nicht erhebliche verschlüsselte Angaben in den Akten der Beklagten ohne substantiierten Sachvortrag vorsorglich entschlüsseln zu lassen.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.
Erstellt am: 07.10.2011
Zuletzt verändert am: 07.10.2011