Der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 16.09.2011 wird abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 09.11.2011 bis zum 08.02.2012 vorläufig Krankenversicherungsschutz zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Dem Antragsteller wird auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt H, L, beigeordnet.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Gemäß § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Sie stehen insoweit in Wechselbeziehung zueinander als die Anforderungen an die Erfolgsaussichten in der Hauptsache mit zunehmender Eilbedürftigkeit und Schwere des drohenden Nachteils sinken und umgekehrt. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05).
Diese Folgenabwägung führt hier dazu, dass unter Berücksichtigung der Angaben im Beschwerdeverfahren dem Antragsteller nunmehr für die Dauer von 3 Monaten vorläufiger Versicherungsschutz nach § 5 Abs 1 Nr 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu gewähren ist, da bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten davon auszugehen ist, dass die Erfolgschancen für den Antragsteller im Hauptsacheverfahren hinsichtlich eines Anspruchs auf Durchführung der Pflichtversicherung nach § 13 Abs 1 Nr 13 SGB V mindestens so hoch sind, wie die Erfolgchancen der Antragsgegnerin und ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens angesichts der aktuell eingetretenen Behandlungsbedürftigkeit und der Weigerung der Beigeladenen, Behandlungskosten vorläufig zu übernehmen bzw. den Antragsteller im Basistarif zu versichern, unzumutbar ist.
Nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V sind Personen in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren (a) oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, sie gehören zu den in § 5 Abs 5 oder den in § 6 Abs 1 und 2 SGB V genannten Personen oder hätten hierzu bei Ausübung ihrer Tätigkeit im Inland gehört (b).
Eine Klärung, ob der Antragsteller Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift und damit einen Anordnungsanspruch hat, ist dem Senat nicht möglich. Der Antragsteller war nach einer vorangegangenen Mitgliedschaft bei der AOK – Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz ab dem 01.06.2010 wegen der beabsichtigten Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit freiwillig bei der Antragsgegnerin versichert. Ab dem 01.11.2010 war er dann bei der Beigeladenen privat versichert; diese hat mit Schreiben vom 16.03.2011 den Vertrag wegen Verschweigens von Vorerkrankungen angefochten und hilfsweise den Rücktritt erklärt. Die Wirksamkeit dieser Anfechtung ist noch nicht geklärt, der Antragsteller macht insoweit geltend, er habe sich für gesund gehalten und krankheitbedingt nicht die Notwendigkeit der Angaben erkannt. Die Nichtangabe sei nicht in der Absicht erfolgt, die Beigeladene über den Gesundheitszustand zu täuschen.
Ob bei dieser Sachlage die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 22 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) iVm § 123 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durchgreift, ist offen. Der Antragsteller hat zwar offenkundig unrichtige Angaben zu seinen Vorerkrankungen gemacht, allein aufgrund des Nachweises vorsätzlich falscher bzw. nicht angezeigter Umstände steht der Täuschungsvorsatz jedoch noch nicht fest. Dieser setzt zugleich die billigende Erkenntnis voraus, dass der Versicherer über den Gesundheitszustand getäuscht und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Vertrages beeinflusst werde (BGH, VersR 2004, 1297). Ob eine arglistige Täuschung vorgelegen hat, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu entscheiden (BGH, VersR 2009, 928). Zwar mag grundsätzlich insbesondere das Verschweigen von schweren chronischen bzw. immer wieder auftretenden schweren Erkrankungen ein Indiz für Arglist sein können (vgl. OLG Saarbrücken NJW-RR 2006, 607), andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine Arglist begründende vorsätzliche Irreführung zu verneinen sein kann, wenn krankheitsbedingt der Betreffende nicht erkannt hat, dass die Angaben für die Annahme des Vertrages von wesentlicher Bedeutung sein würden. Ob insoweit die Anfechtung durchgreifen kann, ist offen, insbesondere zu dem Gesundheitszustand des Antragstellers bei Antragstellung liegen derzeit keine Erkenntnisse vor. Damit bleibt ebenso offen, ob auch ein Rücktritt nach § 19 Abs. 3 VVG ausgeschlossen sein könnte.
Nimmt man an, dass die Anfechtung durchgreift, wäre der Versicherungsvertrag ex tunc nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB). Damit wäre der Antragsteller (rechtlich) im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zuletzt (d.h. vor dem dann gescheiterten Wechsel zur Beigeladenen) gesetzlich versichert gewesen und somit nach dieser Norm versichert. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist es in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, ob er ab dem 01.06.2010 selbständig tätig war, da auch Selbständige, die zuletzt gesetzlich versichert waren, nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V dem System der GKV zugewiesen sind; die Zuweisung in das System der PKV gilt nach lit. b aaO nur für Selbständige, die bisher nicht gesetzlich oder privat versichert waren. Der Senat hält auch die von der Beigeladenen zunächst geäußerte Auffassung, der Antragsteller könne eine Versicherung im Basistarif bei einem anderen privaten Versicherungsunternehmen beantragen, für unzutreffend. Der zeitlich unbegrenzte Kontrahierungszwang nach § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG betrifft nach Nr. 2 nur die Personen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind und nicht zu dem in Nr. 1 genannten Personenkreis zählen. Die in Nr. 1 aaO genannten Personen, nämlich die freiwillig in der GKV Versicherten, konnten nach lit. a nur innerhalb von sechs Monaten seit Einführung des Basistarifs (also nur bis zum 30.06.2009) bzw. – hier einschlägig – nach lit. b innerhalb von sechs Monaten nach Beginn der Wechselmöglichkeit im Rahmen der freiwilligen Versicherung wechseln. Da der Antragsteller erst mit Beginn seiner freiwilligen Versicherung aus der GKV in die PKV wechseln konnte, bestand für ihn die Wechselmöglichkeit nur im Zeitraum vom 01.06. bis 30.11.2010. Geht man davon aus, dass der Antragsteller mit dem an die Beigeladene gerichteten Antrag nicht zugleich (hilfsweise) auch die Versicherung im Basistarif beantragt hatte, ist somit die Frist für das Eingreifen des Kontrahierungszwangs abgelaufen. Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Antrag hilfsweise gestellt worden ist, sind dem Versicherungsantrag vom 05.08.2010 aber nicht zu entnehmen.
Nimmt man aber an, der Antragsteller habe bei der Beigeladenen auch schon die Versicherung im Basistarif beantragt, spricht viel dafür, dass die Beigeladenen diesen (Hilfs-)Antrag nunmehr nicht nach § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG ablehnen darf. Die Vorschrift setzt nämlich einen früher bestehenden Versicherungsvertrag bei dem Versicherungsunternehmen voraus ("bereits … war"), den der Versicherer wirksam angefochten hat oder von dem er wegen einer Obliegenheitsverletzung zurückgetreten ist. Sie kann nach ihrem Sinn und Zweck nicht eingreifen, wenn ein Versicherungsnehmer neben einer "Vollversicherung", hilfsweise eine Versicherung im Basistarif beantragt und in diesem Zusammenhang unzutreffende bzw. unvollständige Angaben macht. Da solche unrichtige Angaben wegen des vom Gesundheitszustand unabhängigen Kontrahierungszwangs nicht kausal für die Aufnahme in den Basistarif sein können, muss es irrelevant sein, wenn der Versicherer zunächst den Hauptantrag auf "Vollversicherung" annimmt, diesen Vertrag aber später anficht. Da bei Feststellung der Unrichtigkeit der Angaben vor Annahme des Antrags dem hilfsweise gestellten Antrag auf Aufnahme in den Basistarif ungeachtet der unzutreffenden Angaben hätte stattgegeben werden müssen, kann der Umstand, dass zunächst der Hauptantrag angenommen und später angefochten worden ist, nicht zum Entfallen des Kontrahierungszwangs für den Hilfsantrag auf Aufnahme in den Basistarif führen. Ohnehin fehlt es dann an der Beendigung eines "früheren" Versicherungsverhältnisses, da beide Anträge zeitgleich gestellt worden sind.
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Rechtslage gibt es somit sowohl gute Gründe für die Zuständigkeit der Antragsgegnerin als auch solche für die – jedenfalls vorläufige – Zuständigkeit der Beigeladenen. Für eine solche Zuständigkeit der Beigeladenen spricht auch, dass es vor dem Hintergrund, dass seit dem 01.01.2009 für alle in der Bundesrepublik lebenden Personen eine Krankenversicherungspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG) besteht, als zweifelhaft erscheint, dass ein privates Krankenversicherungsunternehmen bei Anfechtung oder Rücktritt sofort Leistungen verweigern darf. Damit bliebe entgegen der gesetzgeberischen Intention die betroffene Person unter Umständen über längere Zeit ohne Krankenversicherungsschutz. Gleichzeitig kann nämlich vor Klärung der Wirksamkeit von Anfechtung oder Rücktritt nicht beurteilt werden, ob und ggfls. welcher anderer gesetzlicher oder privater Träger Versicherungsschutz zu gewähren hat. Es spricht daher einiges dafür, jedenfalls dann, wenn – wie hier – die Anfechtung oder der Rücktritt nicht offensichtlich begründet sind, zunächst die (vorläufige) Leistungspflicht des bisherigen Versicherers zu bejahen.
Eine auch nur vorläufige Klärung der Rechtslage ist dem Senat aber mangels sachlicher Zuständigkeit nicht möglich; insbesondere ist keine Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG möglich. Zwar dürfte es vorrangig geboten sein, zunächst im Verhältnis zur Beigeladenen zu klären, inwieweit diese weiter Leistungen zu erbringen hat. Andererseits kann unter diesem Gesichtspunkt aber angesichts des akut wieder bestehenden Handlungsbedarfs ein Anordnungsgrund nicht verneint werden; es ist unzumutbar, den Antragsteller auf die Inanspruchnahme der Beigeladenen oder – nach Erklärung nach §§ 193 Abs. 5 VVG – eines anderen privaten Versicherungsunternehmens zu verweisen. Insoweit ist zu besorgen, dass der Antragsteller erst wieder nach gerichtlicher Inanspruchnahme und damit einer weiteren zeitlichen Verzögerung Versicherungsschutz erlangen könnte. Dabei kann dem Antragsteller auch nicht entgegen gehalten werden, er habe die bestehende Dringlichkeit einer Entscheidung deswegen verschuldet, weil er nicht zuvor in dem Verhältnis zur Beigeladenen um Rechtsschutz nachgesucht habe. Angesichts der komplizierten und unübersichtlichen Rechtslage ist das Vorgehen des Antragstellers nachvollziehbar.
Angesichts der offenen und vom Senat auch nicht zu klärenden Rechtslage kann nur auf der Grundlage einer Folgenabwägung entschieden werden. Diese fällt angesichts des jetzt wieder akuten Behandlungsbedarfs zu Ungunsten der Antragsgegnerin aus. Der Antragsteller ist dringend auf ärztliche Hilfe angewiesen. Er befindet sich seit dem 31.10.2011 in stationärer Behandlung. Wer Kostenträger dieser Behandlung ist, ist ungeklärt. Auch wenn die Ärzte nach § 323 c StGB zur Behandlung verpflichtet sein sollten, kann von ihnen doch nicht angesonnen werden, den Antragsteller ungeachtet des ungeklärten Versicherungsschutzes zu behandeln. Auf der anderen Seite sind nur geringfügige wirtschaftliche Interessen der Antragsgegnerin betroffen. Sie muss zwar vorläufig Leistungen erbringen, erlangt aber, wenn sich die Zuständigkeit der Beigeladenen herausstellen sollte, gegen diese wegen der erbrachten Leistungen einen Bereicherungsanspruch. Somit sind ihre Interessen nur unwesentlich berührt.
Gleichzeitig hält es der Senat aber für zumutbar, den Antragsteller nunmehr auf die aus Sicht des Senats vorrangige Klärung der Leistungspflicht der Beigeladenen zu verweisen. Insoweit kann er vor den Zivilgerichten im Wege vorläufigen Rechtsschutzes eine Klärung anstreben. Soweit er auf angebliche entgegenstehende Rechtsprechung der Zivilgerichte verweist, berücksichtigt er nicht, dass zum einen diese Rechtsprechung noch zur Rechtslage vor dem 01.01.2009 ergangen ist, zum anderen sich den Entscheidungen auch nicht entnehmen lässt, dass kein vorläufiger Rechtsschutz erlangt werden kann. Der Ausschluss vorläufigen Rechtsschutzes mag für die "vorläufige Feststellung" des Weiterbestehens des Versicherungsvertrages gelten, nicht aber für die Beantragung konkreter Leistungen. Im Übrigen erschiene es dem Senat auch nicht nachvollziehbar, warum es nicht möglich sein sollte, im Hinblick auf konkret anstehende Leistungen die Klärung des Versicherungsschutzes zu betreiben.
Der Senat hat daher die Geltung der Verpflichtung der Antragsgegnerin auf drei Monate begrenzt. Es kann davon ausgegangen werden, dass innerhalb dieses Zeitraumes die zivilgerichtliche Klärung einer (vorläufigen) weiteren Leistungspflicht der Beigeladenen erfolgen kann. Bleibt ein entsprechender Antrag erfolglos, kann der Antragsteller erneut um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen, sofern nicht die Antragsgegnerin (was ihr der Senat empfehlen würde) sich bereit erklärt, bis zur endgültigen Klärung des Versicherungsschutzes im Verhältnis zur Beigeladenen vorläufig Leistungen zu erbringen.
Auch eine Klärung des Versicherungsschutzes für die Vergangenheit im Rahmen des Eilverfahrens hält der Senat mangels der erforderlichen Dringlichkeit nicht für geboten. Vorläufige Leistungen sind grundsätzlich nur ex nunc zu gewähren. Ein besonderes Bedürfnis für eine rückwirkende Gewährung von vorläufigem Versicherungsschutz kann hier nicht angenommen werden, da die Frage, wer die bisher vom Antragsteller in Anspruch genommenen ärztlichen Leistungen zu übernehmen hat, nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens verbindlich geklärt werden kann. Besondere Nachteile für den Antragsteller entstehen hierdurch nicht, wenn sein aktueller Versicherungsschutz nunmehr gewährleistet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dem Antragsteller ist auch Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.
Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, erhalten gemäß § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Antragssteller hat insbesondere auch glaubhaft gemacht, dass er die Kosten der Prozessführung nicht selbst aufbringen kann. Er bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 05.12.2011
Zuletzt verändert am: 05.12.2011