Auf die Beschwerde der Salzburger Gebietskrankenkasse (Beschwerde-führerin), X-Weg, X, Österreich, vertreten durch ihren Obmann T, wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 24.02.2011 geändert und die Beschwerdeführerin gem. § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen.
Gründe:
I. Streitig ist im Hauptsacheverfahren die Rücknahme einer sogenannten Entsendebescheinigung E-101, welche die Beklagte der Klägerin erteilt hatte, und die sich auf die Tätigkeit eines Beschäftigten der Klägerin in Österreich bezog.
Die Klägerin, eine GmbH mit Sitz in Deutschland, bietet in Deutschland Sport- und Erlebnisreisen an, die im Ausland durchgeführt werden. Sie stellte den bei der Beklagten krankenversicherten P (Beschäftigter) für einen Zeitraum vom 24.02.2007 bis 03.03.2007 für den Einsatz in Österreich ein. Die Beklagte beurteilte diese Beschäftigung als Entsendung und stellte auf der Grundlage der VO (EWG) 1408/71 und der Durchführungsverordnung VO (EWG) 574/72 die Bescheinigung E-101 als Nachweis dafür aus, dass die deutschen Rechtsvorschriften anwendbar sind.
Auf ein Ersuchen der Beschwerdeführerin (Bf), ein Selbstverwaltungskörper nach österreichischem Bundesverfassungsrecht, überprüfte die Beklagte die Entsendebescheinigung. Die Bf vertrat die Auffassung, die Beschäftigung unterfalle den österreichischen Sozialversicherungsvorschriften, so dass die Bescheinigung zurückzuziehen sei. Nach Abstimmung mit der zuständigen Verbindungsstelle gemäß dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich abgestimmten Verfahren über die Ausgestaltung des Überprüfungsverfahrens von Vordrucken E-101 und unter Einschaltung des österreichischen Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz und des deutsche Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nahm die Beklagte die Bescheinigung E-101 zurück (Bescheid vom 23.03.2010; Widerspruchsbescheid vom 10.05.2010). Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung E-101, dass auch eine nennenswerte Tätigkeit im eigenen Land verrichtet werde, liege bei dem Beschäftigten nicht vor.
Dagegen hat die Klägerin am 08.06.2010 vor dem Sozialgericht Münster (SG) Anfechtungsklage erhoben.
Die Bf hat sich in diesem Verfahren gemeldet und begehrt ihre Beiladung zum Rechtsstreit. Eine Entscheidung über die Rücknahme greife in ihre Rechte als Sozialversicherungsträger ein, denn der betroffene Beschäftigte würde bei ihr sozialversicherungspflichtig, wenn die Rücknahme rechtmäßig sei.
Mit Beschluss vom 24.02.2011 hat das SG die Beiladung abgelehnt. Gegen den ihr am 01.03.2011 zugestellten Beschluss hat die Bf am 01.04.2011 Beschwerde eingelegt.
II. Die Beschwerde ist zulässig (§ 172 Abs. 1 SGG) und auch begründet.
Nach § 75 Abs. 2 SGG hat eine Beiladung unter anderem dann notwendig zu erfolgen, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese Voraussetzungen liegen bezogen vor.
Eine Beiladung der Bf scheitert nicht etwa an der Frage der Beteiligtenfähigkeit. Die Klägerin ist als juristische Person beteiligtenfähig (§ 70 Nr. 3 SGG), auch wenn sie ein Selbstverwaltungskörper nach österreichischem Recht mit Sitz in Österreich ist. Es genügt, dass sie nach österreichischem Recht rechtsfähig ist (vgl. zur Problematik BSG, Urteil v. 28.07.2008 – B 1 KR 4/08 R -, BSGE-101, 161 ff.), woran der Senat nicht zweifelt.
Der Beiladung steht, anders als es das SG meint, auch nicht entgegen, dass die Rechtskraft einer Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit die Bf nicht binden könnte. Ein Beigeladener wird nach § 141 SGG von der Rechtskraft der Entscheidung umfasst, selbst wenn er keine Anträge stellt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Aufl. § 141 SGG, Rn. 18a). Ohne Bedeutung ist dabei, worauf das SG zu Unrecht abgestellt hat, ob die Bf auch gem. § 75 Abs. 5 SGG verurteilt werden könnte. Denn anhängig ist hier eine Anfechtungsklage, die keine Verurteilung, sondern die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes – hier die Rücknahme der E-101 Bescheinigung – zum Ziel hat. Wird aber ein Verwaltungsakt angefochten, muss ein Dritter in all den Fällen beigeladen werden, in denen der Verwaltungsakt rechtsgestaltende Wirkung bzw. zugleich begünstigende und belastende Wirkung zwischen verschiedenen Personen hat (Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, vgl. dazu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008 § 75 Rn. 10b). Eine Doppelwirkung in diesem Sinne kommt der Rücknahme der E-101 Bescheinigung zu, die auch die Bf betrifft.
Die E-101 Bescheinigung hat ihre Rechtsgrundlage in Art. 11 der VO (EWG) 574/72 (vom 21.03.1972, ABl. EG L 74, 1), der Durchführungsverordnung zur sog. WanderarbeitnehmerVO (EWG) 1408/71. Diese Verordnung ist anzuwenden, da hier ein Zeitraum betroffen ist, der vor dem 01.05.2010 liegt. Die neue VO (EG) Nr. 883/2004 nebst entsprechender Durchführungsverordnungen ist erst für Sachverhalte nach diesem Datum maßgebend (vgl. dazu Fuchs in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 5. Aufl. 2010, Einführung Rn. 38, 49 ff.). Die E-101 Bescheinigung diente, ebenso wie die seit dem 01.05.2010 auszustellende A 1-Bescheinigung, der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Durch sie sollen Doppelversicherungen und administrative Schwierigkeiten vermieden werden. Aus diesem Grund hat die E-101 Bescheinigung nach der Rechtsprechung des EuGH eine absolute Bindungswirkung zwischen den mitgliedsstaatlichen Behörden (vgl. EuGH, Urteil v. 10.02.2000 – RS. C-202/97 -, SozR 3-6050 Art 14 Nr. 6; EuGH, Urteil v. 26.01.2006 – Rs. C 2/05 -, Slg. 2006, I-1079; dem folgend sogar für die Strafverfolgungsbehörden BGH, Urteil v. 24.10.2006 – 1 StR 44/06 -, BGHSt 51, 124). Diese Bindungswirkung resultiert aus dem völkervertraglichen Rücksichtnahmegebot und dem Gebot der Gemeinschaftstreue, das sich aus Art. 10 EG-Vertrag (jetzt Art. 4 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV) ergibt und zur Folge hat, dass die beiden betroffenen Sozialleistungsträger nicht in die jeweiligen Entscheidungen eingreifen dürfen. Auch bei Zweifeln an der Richtigkeit der Bescheinungen bleibt es Sache der Behörden des Ausstellungsstaates, die Bescheinigung zurückzunehmen oder für ungültig zu erklären (vgl. Steinmeyer in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 5. Aufl. 2010, Art. 12 Rn. 19; Cornelissen in: Fuchs, a.a.O. Art. 72 Rn. 38 ff.).
Hieraus folgt, dass die Entscheidung, ob die Rücknahme der Bescheinigung durch Bescheid vom 23.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2010 rechtmäßig ist, auch gegenüber der Bf nur einheitlich ergehen kann. Denn nur bei einer Rechtmäßigkeit der Rücknahme ist die Bf selbst berechtigt, die Frage der Versicherungspflicht des Beschäftigten während seiner Tätigkeit in Österreich eigenständig zu beurteilen und ggf. Ansprüche gegenüber der Klägerin, die Arbeitgeber des Beschäftigten war, geltend zu machen. Im Falle der gerichtlichen Aufhebung der Rücknahme der Bescheinigung wäre die Bf demgegenüber wegen der Bindungswirkung der Bescheinigung an einer eigenen Entscheidung gehindert.
Die Beiladung führt im Übrigen nicht dazu, dass dadurch die besonderen unionsrechtlich auf der Ebene der Staaten zur Verfügung gestellten Instrumentarien abgeschnitten wären. Vielmehr wird ein Staat gegenüber einem anderen Staat der EU ein Dialog- und Vermittlungsverfahren oder eine Vertragsverletzung (näher dazu ebenfalls EuGH, Urteil v. 10.02.2000 – RS. C-202/97 -, SozR 3-6050 Art 14 Nr. 6; EuGH, Urteil v. 26.01.2006 – Rs. C 2/05 -, Slg. 2006, I-107; vgl. auch Cornelissen in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 5. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 30 f.) überhaupt erst dann begehren bzw. geltend machen können, wenn die Entscheidung eines ausländischen Gerichtes (auch) Rechtswirkungen für den Träger des Beschäftigungsstaates hat.
Schließlich ist die Beiladung auch deshalb geboten, weil nach der EuGH-Rechtsprechung das nationale Verfahrensrecht unionsrechtlich relevante Sachverhalte nicht ungünstiger behandeln darf als rein nationale Sachverhalte (vgl. zu diesem "Äquivalenzgrundsatz" nur Otting in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 76 VO (EG) 883/2004 Rn 24 m.w.N.). Unzweifelhaft würde ein entsprechender nationaler Sachverhalt – etwa wenn die Bf ein nationaler Versicherungsträger wäre – eine notwendige Beiladung erfordern.
Die Kostenentscheidung bleibt der verfahrensabschließenden Entscheidung vorbehalten.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 12.01.2012
Zuletzt verändert am: 12.01.2012